Europarecht

Verpflichtung zur Zuständigerklärung für ein Asylverfahren

Aktenzeichen  AN 17 E 20.50307

Datum:
24.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30728
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) Nr. 1560/2003 Art. 5, Art. 11
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 10, Art. 17 Abs. 2, Art. 22 Abs. 3 lit. a
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Im Falle einer Ablehnung eines auf die Art. 8 ff. Dublin III-VO gestützten Übernahmegesuchs ist ein Antrag nach § 123 VwGO auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Migrationsministerium – Nationales Dublin-Referat – diesem gegenüber für die Asylanträge für zuständig zu erklären, statthaft. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Impfausweis ist kein Dokument zum Nachweis eines Verwandtschaftsverhältnisses nach im Sinne der Art. 22 Abs. 3 Buchst. b Dublin III-VO und Anhang II, Verzeichnis B, Ziffer I. 1 bis 3 Dublin-DVO, weil er im Allgemeinen nur die vorgenommenen Impfungen dokumentieren soll und die Namen der Eltern bei Kindern als Patienten allenfalls als Beiwerk und ohne inhaltliche Prüfung durch den impfenden Arzt eingetragen werden. Er kann aber als als Indiz angesehen werden. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO verpflichtet, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Migrationsministerium – Nationales Dublin-Referat – diesem gegenüber für die Asylverfahren der Antragstellerinnen für zuständig zu erklären.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen begehren von Griechenland aus die Durchführung ihres Asylverfahrens in Deutschland bzw. den Nachzug zu dem in Deutschland lebenden minderjährigen Sohn der Antragstellerin zu 1) bzw. des Bruders der Antragstellerinnen zu 2) und 3) aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO).
Die Antragstellerin zu 1) ist nach eigenen Angaben … 1964 geboren und die Mutter der Antragstellerin zu 2), geboren … 2003, der Antragstellerin zu 3), geboren … 2005, sowie ihres sich in Deutschland befindlichen minderjährigen Sohnes … …, geboren … 2008. Dieser stellte bislang keinen Asylantrag in Deutschland und ist Inhaber einer Duldung des Landes Berlin, gültig bis zum 15. Juli 2021 (Seriennummer …, weitere aufgedruckte Nummer: …*); er steht unter Vormundschaft des Rechtsanwaltes … …, … (Bestallung des … vom 13. Juli 2016). Die Antragstellerinnen stellten ihre Asylanträge in Griechenland eigener Aussage nach am 27. Februar 2019.
Am 24. Mai 2019 ersuchte Griechenland die Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf Art. 10 Dublin III-VO, die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages der Antragstellerinnen zu übernehmen. Das Gesuch enthielt Porträtfotos, die die Antragstellerinnen zeigen sollen, eine griechischsprachige Übersicht des jeweils bisher dort stattgefundenen Asylverfahrens, Familienfotos, die die Antragstellerinnen mit … … zeigen sollen, einen nicht übersetzten Impfausweis des … … aus dem Iran, eine Kopie dessen Duldungsbescheinigung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, schriftliche Zustimmungserklärungen der Antragstellerinnen und des … … sowie eine Tazkira der Antragstellerin zu 1), die allerdings keine Angaben über ihre Kinder macht.
Die Bundesrepublik Deutschland lehnte dieses Aufnahmegesuch der griechischen Behörden mit Schreiben vom 14. Juni 2019 mit der Begründung ab, dass die Familienbindung nicht nachgewiesen sei und die Referenzperson keinen Asylantrag in Deutschland gestellt habe. Im Übrigen werde eine Zuständigkeitsübernahme auch nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO abgelehnt. Am 4. Juli 2019 remonstrierte das griechische Dublin-Referat gegen die ablehnende Entscheidung und führte aus, dass auch die Vorlage der Tazkira des Sohnes das Mutter-Sohn-Verhältnis nicht nachweisen könne, dies könne nur ein Ehezertifikat der Antragstellerin zu 1) mit dem Vater des Sohnes und dessen Tazkira. Da der Ehemann der Antragstellerin verstorben sei und weder ein Ehezertifikat noch eine Sterbeurkunde verfügbar seien, sei vorliegend der Indizienbeweis zulässig. Die Duldung des in Deutschland lebenden Sohnes der Antragstellerin zu 1) sei ein rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne des Europarechts und der Inhaber einer Duldung wie ein Asylbewerber zu behandeln. Zumindest sei das Aufnahmegesuch auf Basis des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO aus Gründen des Kindeswohls und der Familieneinheit anzunehmen. Am 9. September 2019, am 16. Oktober 2019 sowie am 14. November 2019 fragten die griechischen Behörden bei der Antragsgegnerin nach dem aktuellen Sachstand. Am 18. November 2019 lehnte die Antragsgegnerin das Aufnahmegesuch erneut ab und verwies wiederum auf den nicht ausreichenden Nachweis der Familienbindung sowie die fehlende Asylantragstellung des … …; das Wiedervorlageverfahren nach Art. 5 Abs. 2 der Dublin-Durchführungs-Verordnung sei abgeschlossen.
Mit am 3. September 2020 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten haben die Antragstellerinnen einen Antrag nach § 123 VwGO gestellt und beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Migrationsministerium – Nationales Dublin Referat für die Asylanträge der Antragstellerinnen für zuständig zu erklären und auf ihre Überstellung hinzuwirken;
und ursprünglich hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, sich im Fall der Vorlage eines positiven DNA-Testergebnisses durch das Griechische Migrationsministerium – Nationales Dublin Referat und unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Migrationsministerium – Nationales Dublin Referat für die Asylanträge der Antragstellerinnen für zuständig zu erklären, auf ihre Überstellung hinzuwirken und dem Griechischen Migrationsministerium – Nationales Dublin Referat diese Verfahrensweise mitzuteilen.
Nunmehr beantragen sie hilfsweise,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem griechischen Migrationsministerium – Nationales Dublin-Referat mitzuteilen, dass einer Annahme des Aufnahmeersuchens lediglich der nicht hinreichende Nachweis einer Familienbindung entgegensteht.
Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus, dass unter Zugrundelegung der in Art. 8 EMRK und Art. 7 und 24 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) niedergelegten Grundrechtsgarantien zum Schutz und zur Wahrung der Familieneinheit ein Anspruch auf die Durchführung der Asylverfahren der Antragstellerinnen in der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, der ein subjektives Recht verleihe, bestehe. Auch aus dem 14. und 15. Erwägungsgrund zur Dublin III-VO sowie aus dem Zuständigkeitssystem der Dublin III-VO ergebe sich der hohe Stellenwert der Familieneinheit. Das zeige bereits die durch Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO statuierte systematisch vorrangige Stellung der Regelungen zur Familieneinheit in Art. 8-10 Dublin III-VO vor den weiteren Zuständigkeitsregelungen der Verordnung (Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO: „…in diesem Kapitel genannten Rangfolge…“). Zudem solle nach Erwägungsgrund 13 zur Dublin III-VO bei deren Anwendung das Wohl des Kindes im Einklang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes von 1989 und mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein. Und Art. 6 Abs. 1 Dublin III-VO stelle fest, dass das Wohl des Kindes in allen Verfahren nach der Dublin III-VO eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten zu sein habe. Der durch Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO eingeräumte Ermessensspielraum sei hier auf Null reduziert. Bei den Antragstellerinnen und dem in Deutschland befindlichen … … handele es sich um Mutter und minderjährige Geschwister eines minderjährigen Kindes, also Personen mit verwandtschaftlicher Beziehung. Die Familienbindung sei im Lichte des niedrigen Nachweismaßstabes der Dublin III-VO hinreichend nachgewiesen. Zunächst durch die Tazkira der Antragstellerin zu 1), welche ein Beweis im Sinne des Anhangs II Verzeichnis A. I. 2. Spiegelstrich 2 der Dublin-Durchführungs-Verordnung (VO (EG) 1560/2003) sei. Zudem liege der Impfausweis des … … aus dem Iran vor, der dessen Namen und Geburtsdatum sowie den Namen der Antragstellerin zu 1) ausweise. Das unterschiedliche Geburtsdatum auf dem Impfausweis, Juni statt Februar, sei durch die Unüblichkeit einer exakten Erfassung von Geburtsdaten in der afghanischen Gesellschaft zu erklären. Auch dieser sei ein Beweis im Sinne des Anhangs II Verzeichnis A. I. 2. Spiegelstrich 4 der Dublin-Durchführungs-Verordnung, jedenfalls aber ein Indiz nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. b Dublin III-VO. Schließlich seien zahlreiche Familienfotos durch die griechischen Behörden übermittelt worden, die als Indizien gemäß Art. 22 Abs. 3 Buchst. b Dublin III-VO zu werten seien. Weiterhin liege der hinsichtlich der gemachten Angaben übereinstimmende schriftliche Wunsch der Antragstellerin und des … Rezae bezüglich einer gemeinsamen Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland vor, der ebenfalls ein Indiz für die Familienbindung sei. Überdies trügen die Antragstellerinnen zu 2) und 3) sowie … … den gleichen Nachnamen, was wiederum als Indiz zu werten sei. Nicht zuletzt liege eine individuelle Stellungnahme der Antragstellerin zu 1) für das Gerichtsverfahren vor, die ein weiteres Indiz für die familiäre Verbindung bilde. Die Anwendung des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO sei unabhängig vom Fristenregime der Art. 21 ff. Dublin III-VO und Art. 5 Abs. 2 der Dublin-Durchführungs-Verordnung solange möglich, als wie hier noch keine Entscheidung über die Asylanträge der Antragstellerinnen in Griechenland erfolgt sei. Es lägen auch humanitäre Gründe gemäß Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO vor, da es sich bei den Antragstellerinnen und … … um Mutter und minderjähriges Kind beziehungsweise minderjährige Geschwister handele. … … sei nunmehr seit mindestens fünf Jahren von seiner Mutter getrennt. Das der Antragsgegnerin grundsätzlich zustehende Ermessen im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO habe diese nicht nur fehlerhaft ausgeübt, es sei auf Null reduziert. … sei nur 12 Jahre alt und in besonderer Weise auf die elterliche Sorge durch seine Mutter angewiesen. Der ebenfalls in Deutschland lebende volljährige Bruder … … kompensiere den Ausfall der Mutter nicht. Zudem leiste er keine tägliche Fürsorge, es fänden nur gemeinsame Wochenenden statt. … … lebe derzeit bei der Pflegeperson … …, der Bruder habe nicht die Vormundschaft inne. Die Trennung der Antragstellerinnen sei unfreiwillig im Jahr 2015 auf der Flucht an der türkisch-iranischen Grenze erfolgt, erst im Jahr 2018 habe wieder Kontakt hergestellt werden können. Mittlerweile telefonierten … … und die Antragstellerinnen regelmäßig und mehrmals pro Woche. Durch die Trennung zeigten sich bei … … tiefe Traurigkeit, Mut- und Hoffnungslosigkeit sowie depressive Symptome. Auch aus Sicht seiner Pflegeperson sei die Familienzusammenführung dringend geboten. In einer fachpsychologischen Stellungnahme vom 5. Juli 2019 der Psychotherapeutin … … seien unter anderem eine posttraumatische Belastungsstörung sowie Angst und eine depressive Störung diagnostiziert worden. Gegen eine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO spreche auch nicht, dass … … in Deutschland nur über eine Duldung verfüge. Zum einen erhebe Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO den Aufenthaltsstatus der Referenzperson nicht zur tatbestandlichen Voraussetzung, zudem werde … … bis zur Volljährigkeit weiter zu dulden sein, da seine Abschiebung nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen möglich sei, siehe § 58 Abs. 1a und 60a Abs. 1 AufenthG. Im Übrigen stünde ihm in Bezug auf das Zielland Afghanistan, wo keine Familienangehörigen mehr lebten, sowieso ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, dass zum einen die Kopie des iranischen Impfpasses die Familienbindung nicht nachweisen könne und sich überdies kein Anspruch der Antragstellerin aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ergebe. Ein Impfpass sei schon kein Beweis im Sinne des Anhangs II Verzeichnis A Ziff. I. 1. der VO (EG) Nr. 1560/2003 (Dublin-DVO). Hinsichtlich Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO sei keine Ermessensreduzierung auf Null gegeben, was ein Vergleich mit den tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 16 Dublin III-VO unterstreiche. Dort müsse neben die kernfamiliäre Verbindung noch ein weiterer Umstand treten, nämlich das Angewiesen sein auf Unterstützung etwa bei einer Schwangerschaft oder einer schweren Krankheit, um zum intendierten Ermessen des Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO zu kommen. Wenn aber im Rahmen des Art. 16 Dublin III-VO alleine die Trennung eines minderjährigen Kindes von seinen Eltern kein ausreichender Grund für eine Familienzusammenführung sei, sei kein Grund ersichtlich, warum bei Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO das Vorliegen verwandtschaftlicher Beziehungen und die Bejahung humanitärer Gründe zu einer Ermessensreduzierung auf Null führen solle. Auch aus den Erwägungsgründen 13 bis 15 der Dublin III-VO folge kein absoluter Vorrang der Familieneinheit vor den anderen Regelungen der Dublin III-VO. Zudem bestünden andere Möglichkeiten zur Familienzusammenführung: Sobald die Antragsteller in Griechenland als Flüchtlinge anerkannt seien, genössen sie das Recht auf Freizügigkeit. Außerhalb des Dublin-Verfahrens bestehe die Möglichkeit für die Personen in Griechenland, ein Visum bei der Botschaft in Athen zu beantragen. Schließlich liege eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vor. Den Antragstellern drohten ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung keine schweren und unzumutbaren Nachteile, die auch bei einem späteren Erfolg der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten. Sollte Griechenland den Antragstellern internationalen Schutz gewähren, unterfielen diese zwar nicht mehr der Dublin III-VO, jedoch könnten sie nach Abschluss des Verfahrens eine Familienzusammenführung in Griechenland oder Deutschland erreichen. Im Rahmen des deutschen Ausländerrechts bestehe die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, etwa nach §§ 36 Abs. 1, 25 Abs. 2 AufenthG.
Die Antragsteller tragen ergänzend vor, dass der bloße Duldungsstatus des … … – (Sohn der Antragstellerin zu 1), Bruder der Antragstellerinnen zu 2) und 3)) – eine Ermessensreduzierung auf Null nicht hindere. Ein Verweis auf die Familienzusammenführung in Griechenland trage nicht, da sie rechtlich nicht möglich sei. Dies sei erst dann denkbar, wenn die Antragstellerinnen als Flüchtlinge in Griechenland anerkannt würden. Selbst wenn … … (illegal) nach Griechenland gelangen würde, würde er in das Asylverfahren der sich dort befindlichen Mutter, der Antragstellerin zu 1), einbezogen werden. Im Falle der zu unterstellenden Anerkennung würde die Familie bestehend aus alleinerziehender Mutter und drei minderjährigen Kindern aller Wahrscheinlichkeit einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Situation extremer materieller Armut ausgesetzt sein. Insbesondere liefe das Programm Helios 2 im November 2020 aus, weswegen nicht mit einer Wohnungsbeihilfe für die Antragsteller und … … zu rechnen sei. Schließlich habe die Antragsgegnerin selbst den Aspekt der Duldung für … … nicht negativ ins Gewicht fallen lassen, sondern gar nicht erst erwähnt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogene elektronische Akte der Antragstellerinnen beim Bundesamt sowie die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die Antragstellerinnen begehren bei verständiger Würdigung (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO) ihres Begehrens im Hauptantrag die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Migrationsministerium – Nationales Dublin-Referat – diesem gegenüber für die Asylanträge der Antragstellerinnen für zuständig zu erklären. Denn ohne eine Mitteilung der Zuständigkeitsübernahme an die zuständigen griechischen Behörden würde die begehrte Familienzusammenführung der sich noch in Griechenland befindlichen Antragstellerinnen mit dem in Deutschland lebenden Sohn bzw. Bruder nicht in Gang gesetzt (so auch der Tenor bei VG Ansbach, B.v. 13.8.2020 – AN 17 E 20.50216 – juris).
Das zusätzlich beantragte Hinwirken der Antragsgegnerin auf die Überstellung ist lediglich als unselbstständiger Annex zu betrachten, da die Überstellung selbst im Zuständigkeitsbereich der griechischen Behörden liegt (vgl. VG Freiburg, B.v. 18.6.2020 – A 3 K 1718/20 – BeckRS 2020, 14063 Rn. 23) und überdies bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass die Antragsgegnerin die in ihrer Sphäre liegenden Folgemaßnahmen der Zuständigkeitsübernahme ergreifen wird.
Der Hauptantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig (2.) und begründet (3.). Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach ist für die Entscheidung hierüber auch zuständig (1.). Über den Hilfsantrag war wegen des Obsiegens mit dem Hauptantrag nicht mehr zu entscheiden.
1. Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach ergibt sich hier aus § 52 Nr. 2 Satz 3, Nr. 3 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 5 VwGO, da sich sämtliche Antragstellerinnen in Griechenland aufhalten. Die für asylrechtliche Streitigkeiten (vgl. für Streitigkeiten nach der Dublin III-VO BVerwG, B.v. 2.7.2019 -1 AV 2/19 – juris Rn. 4) regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO und auch § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO greift daher nicht, denn die Antragstellerinnen haben weder i.S.d. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO ihren Aufenthalt nach den Vorschriften des Asylgesetzes zu nehmen noch verfügen sie über einen Wohnsitz im Bundesgebiet (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), weshalb für die örtliche Zuständigkeit nur die Auffangregelung des § 52 Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO in Betracht kommt. Danach ist dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Antragsgegnerin ihren Sitz hat. Wird der Antrag gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, ist auf den Sitz der handelnden Behörde abzustellen. Im vorliegenden Fall ist dies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), das seinen Sitz in Nürnberg und mithin nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO im Bezirk des Verwaltungsgerichts Ansbach hat (zum Ganzen BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 6). Einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO bedarf es vorliegend nicht, da die Person, zu der zugezogen werden soll, nicht als Antragsteller auftritt und damit keine Kollision von Zuständigkeiten besteht.
2. Der Antrag nach § 123 VwGO ist zulässig.
Die Antragsstellerinnen sind entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, wofür die Geltendmachung einer möglichen Verletzung eines subjektiven Rechts ausreicht. Eine solche beziehungsweise umgekehrt ein möglicher Anspruch gegen die Antragsgegnerin ergibt sich für die Antragstellerinnen jedenfalls aus der humanitären Ermessensklausel des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, auch soweit sie sich aus dem Ausland auf sie berufen (VG Freiburg, B.v. 18.6.2020 – A 3 K 1718/20 – juris Rn. 27; VG Ansbach, B.v. 26.11.2019 – AN 18 E 19.50958 – juris Rn. 23; VG Berlin, B.v. 15.3.2019 – 23 L 706.18 A – juris Rn. 20; s.a. BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 12).
Der Antrag nach § 123 VwGO ist auch nicht aus anderen Gründen unstatthaft. Zwar sieht die Dublin III-VO in deren Art. 27 nur Rechtsmittel gegen Überstellungsentscheidungen vor, allerdings ist im Lichte des Art. 47 GRCh als Primärrecht (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV) auch ein Rechtsbehelf für die vorliegende Konstellation bereitzustellen. Ein Verweis auf die griechischen Gerichte trägt insofern nicht, als diese nicht das Bundesamt als Behörde der Bundesrepublik zur Zuständigkeitsübernahme verpflichten könnten (so VG Berlin, B.v. 15.3.2019 – 23 L 706.18 A – juris Rn. 21; a.A. etwa VG Bayreuth, B.v. 17.02.2020 – B 8 E 19.50589, BeckRS 2020, 15734 Rn. 50 ff.; offenlassend VG Düsseldorf, B.v. 28.1.2020 – 15 L 3299/19.A – BeckRS 2020, 1383 Rn. 35). Dies überzeugt auch angesichts der Erwägungsgründe der Dublin III-VO, insbesondere der Erwägungsgründe 13, der die Mitgliedstaaten insbesondere auf die Berücksichtigung der Belange von Minderjährigen verpflichtet, 14, der die Achtung des Familienlebens als vorrangige Erwägung bei der Anwendung der Dublin III-VO definiert, 15, der eine gemeinsame Bearbeitung der Anträge von Familienmitgliedern zur Vermeidung einer Trennung anmahnt, sowie 16 und 17, die das Fundament für die Art. 8 ff. und 17 Abs. 2 Dublin III-VO legen. Zudem ist, auch wenn sich der Europäische Gerichtshof soweit ersichtlich noch nicht explizit zur Frage der Rechtsschutzmöglichkeit gegen eine ablehnende Übernahmeentscheidung des Zielstaates auf Basis der Art. 8 ff. Dublin III-VO geäußert hat, angesichts seiner Entscheidungen zum drittschützenden Charakter sowohl der in Kapitel III der Dublin-III VO festgelegten Zuständigkeitskriterien (Art. 7 ff. Dublin III-VO) sowie des Ablaufs von Antrags-, Antwort- und Überstellungsfristen nach der Dublin III-VO, etwa nach Art. 21 Abs. 1 oder Art. 29 Dublin III-VO, und der Möglichkeit sich im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung hierauf zu berufen (EuGH, U.v. 7.6.2016 – Ghezelbash, C-63/15 – NVwZ 2016, 1157; EuGH, U.v. 7.6.2016 – Karim, C-155/15 – NVwZ 2016, 1155; EuGH, U.v. 25.10.2017 – Shiri, C-201/16 – NVwZ 2018, 43 Ls. 2 u. Rn. 35 ff.; EuGH, U.v. 26.7.2017 – Mengesteab, C-670/16 – NVwZ 2017, 1601; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 42 m.w.N.), davon auszugehen, dass der Europäische Gerichtshof die rechtswidrige Ablehnung eines auf die Art. 8 ff. Dublin III-VO gestützten Übernahmegesuchs ohne die Möglichkeit des Rechtsschutzes hiergegen nicht akzeptieren würde.
3. Der zulässige Antrag ist auch begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und den Antragstellern nicht schon in vollem Umfang, das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnten. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 47 GRCh) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3/13 – juris Rn. 5, 7).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Antragstellerinnen haben einen Anordnungsanspruch (b) und einen Anordnungsgrund (c) glaubhaft gemacht. Die Vorwegnahme der Hauptsache war ausnahmsweise geboten (d).
a) Ein Anordnungsanspruch auf eine Zuständigkeitserklärung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Asylanträge der Antragstellerinnen ergibt sich jedoch nicht bereits aus Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO, weil nicht die Antragstellerinnen unbegleitete Minderjährige sind, sondern die Person, zu der zugezogen werden soll, nämlich der sich in Deutschland befindliche … …, der Sohn der Antragstellerin zu 1) und der Bruder der Antragstellerinnen zu 2) und 3). Gleiches gilt im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO. Art. 9 Dublin III-VO scheidet als Anspruchsgrundlage aus, da … … kein Begünstigter internationalen Schutzes in Deutschland ist, sondern lediglich über eine Duldung verfügt. Ein Anspruch aus Art. 10 Dublin III-VO kommt nicht in Frage, da … … bislang in Deutschland keinen Antrag auf Asyl gestellt hat. Ebenso wenig findet Art. 16 Dublin III-VO Anwendung, weil der in Deutschland lebende … …, da nur geduldet, über keinen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des Art. 16 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO verfügt (Vollrath in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Ed. 1.7.2020, Art. 16 Dublin III-VO Rn. 2).
Ebenso wenig folgt der Anordnungsanspruch aus der gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Dublin-DVO verspäteten Antwort der Antragsgegnerin auf die Remonstration Griechenlands vom 4. Juli 2019 gegen die erste ablehnende Entscheidung Deutschlands vom 14. Juni 2019. Die endgültig ablehnende Antwort der Antragsgegnerin gegenüber den griechischen Behörden datiert vom 18. November 2019 und liegt somit weit jenseits der in Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Dublin-DVO geregelten Antwortfrist von zwei Wochen. Allerdings folgt daraus nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes kein Zuständigkeitsübergang auf den ersuchten Mitgliedstaat (EuGH, U.v. 13.11.2018 – C-47/17, C-48/17 – BeckRS 2018, 28173 Rn. 90). Mit Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Dublin-DVO nämlich „soll der ersuchte Mitgliedstaat dazu bewegt werden, mit dem ersuchenden Mitgliedstaat loyal zusammenzuarbeiten, indem er innerhalb der nach dieser Vorschrift vorgesehenen Frist das Gesuch des letztgenannten Mitgliedstaats um Aufnahme oder Wiederaufnahme des Betroffenen neuerlich prüft; jedoch bezweckt diese Vorschrift nicht, eine Rechtspflicht zur Beantwortung eines Ersuchens um neuerliche Prüfung mit der Folge zu begründen, dass im Fall der Nichtbeantwortung die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz auf ihn überginge“ (EuGH, a.a.O. Rn. 77).
b) Jedoch ist ein Anordnungsanspruch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO glaubhaft gemacht. Dessen Tatbestandsvoraussetzungen sind bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage erfüllt und der diesbezügliche Ermessensspielraum der Antragsgegnerin vorliegend auf Null reduziert.
Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO kann derjenige Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Art. 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betreffenden Personen müssen dem schriftlich zustimmen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Dublin III-VO. Der so ersuchte Mitgliedstaat hat alle erforderlichen Überprüfungen vorzunehmen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO. Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 4 Dublin III-VO wird dem ersuchten Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen, wenn dieser dem Gesuch stattgibt.
aa) Hinsichtlich der Antragstellerinnen ist nach deren Asylantragstellung in Griechenland noch keine Erstentscheidung ergangen. Ein entsprechendes, explizit auf Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gestütztes Ersuchen an die Bundesrepublik Deutschland liegt zwar nicht vor, da das Aufnahmegesuch Griechenlands vom 24. Mai 2019 nur Art. 10 Dublin III-VO erwähnt. Allerdings lässt sich dem Aufnahmegesuch in erweiternder Auslegung im Rahmen des vorgetragenen Sachverhaltes der allgemeine Wille entnehmen, dass Deutschland die Zuständigkeit für das Asylverfahren des Antragstellers übernehmen soll, insbesondere, weil sich Art. 10 Dublin III-VO und Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO im Aspekt und der Zielsetzung der Familienzusammenführung tatbestandlich überschneiden. Da Griechenland im Übernahmegesuch unter „Sonstige zweckdienliche Angaben“ erwähnt hat, dass der Sohn der Antragstellerin zu 1), … …, sich als unbegleiteter Minderjähriger in Deutschland befinde und nach Art. 24 Abs. 3 GRCh eine Zusammenführung von Mutter und Sohn im Interesse des Kindes sei, hat es auch humanitäre Aspekte, nämlich familiäre, im Sinne des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO angesprochen und diesen mit zur Prüfung gestellt. Dafür spricht auch, dass die Antragsgegnerin in ihrem Ablehnungsschreiben an die griechische Dublin-Einheit des Migrationsministeriums vom 14. Juni 2019 vorsichtshalber auch eine Übernahme nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ablehnte („As a precaution we reject according Art. 17.2 Dublin Regulation“), also diesen Zusammenhang selbst sah. Schließlich bat Griechenland in seinem Remonstrationsschreiben vom 4. Juli 2019 auf die ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin hin explizit um eine Übernahme der Antragstellerinnen nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO.
bb) Das Verwandtschaftsverhältnis der Antragstellerinnen und des in Deutschland befindlichen … … dergestalt, dass die Antragstellerin zu 1) die Mutter des … … und die Antragstellerinnen zu 2) und 3) die Kinder der Antragstellerin zu 1) und deren verstorbenen Ehemannes und damit Schwestern des … … sind, ist im Sinne des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO hinreichend glaubhaft gemacht. Hinsichtlich des Maßstabes für die Glaubhaftmachung gilt im Allgemeinen der Grundsatz des Art. 22 Abs. 2 Dublin III-VO, dass das Beweiserfordernis nicht über das für eine ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung erforderliche Maß hinausgehen soll. Dies geht einher mit der Zielsetzung der Dublin III-VO, wie sie aus deren Erwägungsgrund 5 ersichtlich wird, möglichst rasch den zuständigen Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zu bestimmen. Für den Fall, dass und soweit keine förmlichen Beweismittel im Sinne des Art. 22 Abs. 3 Buchst. a zum Beweis der verwandtschaftlichen Beziehungen verfügbar sind, bestimmt Art. 22 Abs. 5 Dublin III-VO, dass der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit anerkennt, wenn die Indizien kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert sind, um die Zuständigkeit zu überprüfen.
Beweise im Sinne des Art. 22 Abs. 3 Buchst. a Dublin III-VO und Anhang II, Verzeichnis A, Ziffer I. 1 bis 3 der VO (EG) Nr. 1560/2003 (Dublin-DVO) liegen hier nur insoweit vor, als die Identität der Antragstellerin zu 1) durch ihre afghanische Tazkira (S. 39 ff. der Bundesamtsakte mit Übersetzung) als Registerauszug belegt ist (zur Beweiseigenschaft einer afghanischen Taskira: VG Ansbach, B.v. 6.4.2020 – AN 17 E 20.50103 – juris Rn. 35) und auch seitens der Antragsgegnerin nicht durch den gemäß Art. 22 Abs. 3 Buchst. a, ii erforderlichen Gegenbeweis widerlegt wurde. Die Tazkira enthält jedoch keine Angaben zu den verwandtschaftlichen Verhältnissen der Antragstellerinnen untereinander und der Antragstellerinnen zu … … Der vorgelegte Impfausweis des … … aus dem Iran (S. 38 der Bundesamtsakte in arabischer Sprache, Übersetzung vorgelegt in Anlage 5 des Antragsschriftsatzes vom 3.9.2020), welcher als Mutter … … (namentlich die Antragstellerin zu 1)) aufführt, ist hingegen kein Beweis im oben genannten Sinne. Ein Impfausweis ist kein Dokument zum Nachweis eines Verwandtschaftsverhältnisses nach Anhang II, Verzeichnis A, Ziffer I. 1 bis 3 Dublin-DVO, weil er im Allgemeinen nur die vorgenommenen Impfungen dokumentieren soll und die Namen der Eltern bei Kindern als Patienten allenfalls als Beiwerk und ohne inhaltliche Prüfung durch den impfenden Arzt eingetragen werden. Im Konkreten spricht noch gegen die Beweiseigenschaft, dass das Geburtsdatum des … … auf dem Impfausweis mit dem 10. Juni 2008 angegeben ist und in dessen Duldungsbescheinigung mit dem 1. Februar 2008. Der Verweis der Antragstellerbevollmächtigten auf die in Afghanistan angeblich übliche Nachlässigkeit bei der Erfassung von Geburtsdaten vermag die Beweiseigenschaft nicht zu retten, da er zu pauschal ist.
Hingegen kann der Impfausweis als Indiz für eine verwandtschaftliche Beziehung der Antragstellerin zu 1) zu … … als dessen Mutter im Sinne der Art. 22 Abs. 3 Buchst. b Dublin III-VO und Anhang II, Verzeichnis B, Ziffer I. 1 bis 3 Dublin-DVO angesehen werden, dessen Aussagekraft wegen der differierenden Angaben zum Geburtsdatum zwar geschwächt, aber nicht aufgehoben ist, da jedenfalls das Geburtsjahr, 2008, übereinstimmt. Dabei ist unschädlich, dass der Impfausweis der Antragsgegnerin zusammen mit dem Übernahmegesuch durch die griechischen Behörden nicht in deutscher oder englischer Übersetzung vorgelegt wurde, da die Vorschriften des Art. 22 Abs. 2 bis Abs. 5 Dublin III-VO sowie Art. 1 Abs. 1 Buchst. a, b Dublin-DVO keine Übersetzung verlangen; damit muss mangels entgegenstehender Regelungen die Vorlage des fremdsprachigen Originals genügen (VG Ansbach, B.v. 18.6.2020 – AN 17 E 20.50166 – juris Rn. 32).
Ein weiteres Indiz für verwandtschaftliche Beziehungen ist, dass die Antragstellerinnen zu 2) und 3) sowie … … den gleichen Nachnamen tragen (so auch VG Bremen, B.v. 7.2.2020 – 5 V 2557/19 – juris Rn. 33) sowie mit den Geburtsjahren 2003 (Antragstellerin zu 2), 2005 (Antragstellerin zu 3)) und 2008 (* … …*) allesamt innerhalb eines Zeitintervalls liegen, das für Geschwister jedenfalls nicht untypisch ist. Das Alter der mutmaßlichen Mutter, Geburtsjahr 1964, bei der Geburt der drei Kinder von 39 bzw. 41 bzw. 44 Jahren spricht hiergegen nicht, da die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft zwar mit zunehmendem Alter abnimmt, jedoch auch mit Anfang 40 nicht ausgeschlossen ist. Dass der Nachname der Antragstellerinnen zu 2) und 3) mit „…“ angegeben ist und damit keine exakte Übereinstimmung besteht, dürfte an der Transkription aus dem Arabischen liegen, da auch … … durch die deutschen Behörden teils abweichend – etwa in der Bestallungsurkunde des … vom 13.7.2016 (S. 37 der Bundesamtsakte) als „… …“ – bezeichnet wird. Dass die Antragstellerin zu 1) als mutmaßliche Mutter des … … und der Antragstellerinnen zu 2) und 3) den Nachnamen „…“ trägt, erschüttert dieses Indiz insofern nicht, als der Nachname … gemäß des bereits genannten Impfpasses der väterlichen Linie zuzuordnen und somit plausibel erklärbar ist. Es wird im Gegenteil weiter dadurch verstärkt, dass der Vaters des … … im Impfpass namentlich als „… …“ genannt ist, was sich wiederum mit den Angaben zum Vornamen des Vaters der Antragstellerinnen zu 2) und 3) und des … … in den schriftlichen Zustimmungserklärungen zur Familienzusammenführung der Antragstellerinnen und des … … vom 19. April und 10. April 2019 deckt, wo auch die Mutter jeweils übereinstimmend als „… …“, dem Namen der Antragstellerin zu 1), bezeichnet ist (S. 28 ff. der Bundesamtsakte). Dazu tritt, dass mit dem … 1999 geborenen … … ein weiterer mutmaßlicher Sohn der Antragstellerin zu 1) bzw. Bruder der Antragstellerinnen zu 2) und 3) sowie des … … in Deutschland mit einer Aufenthaltserlaubnis des Landes Berlin vom 17. Juni 2020, gültig bis 14. Februar 2023 (Nummer …*), lebt und ausweislich des Schreibens des Bezirksamtes … von … vom 4. Oktober 2018, welches bereits dem griechischen Übernahmeersuchen vom 24. Mai 2019 beigefügt war, regelmäßig mit … … Kontakt hat. Der regelmäßige Besuchskontakt zwischen … … und … … wird zudem etwa durch das Protokoll eines Hilfeplangesprächs (§§ 27, 34 SGB VIII) ebenfalls des Bezirksamtes … von … vom 29. Mai 2019 (Anlage 13 des Antragsschriftsatzes) bestätigt und ausgeführt, dass … … sich sehr fürsorglich um … … kümmere.
Die sich in der Bundesamtsakte auf den Seiten 25 ff. befindlichen Fotos vermögen hingegen keine Indizwirkung für verwandtschaftliche Beziehungen zu entfalten, weil weder angegeben ist, von wann die Fotos stammen, noch wen sie konkret zeigen sollen.
Die bereits genannten Indizien passen sich jedoch in eine Gesamtschau mit der Tatsache, dass sich die Zustimmungserklärungen hinsichtlich einer Familienzusammenführung der Antragstellerinnen und … …, soweit sie Querbezüge zu Namen und Geburtsdaten aufweisen, inhaltlich decken und der Stellungnahme der Antragstellerin zu 1) vom 1. September 2020 (Anlage 11 zum Antragsschriftsatz), die die vorliegenden Indizien in einer in sich schlüssigen Darstellung widerspruchsfrei aufnimmt, ein. Diesbezüglich ist insbesondere markant, dass die Antragstellerin zu 1) schildert, dass nach zwischenzeitlichem Kontaktabbruch zu … … aufgrund einer Trennung auf der gemeinsamen Flucht im Jahr 2015 und ihrer anschließenden einstweiligen Rückkehr mit den Antragstellerinnen zu 2) und 3) nach Kabul erst im Jahr 2018 wieder Kontakt mit … … zustande gekommen sei. Die erneute Kontaktherstellung im Jahr 2018 schildert auch die Pflegeperson des … … in Deutschland, … …, in einer Stellungnahme vom 17. August 2020 (Anlage 9 zum Antragsschriftsatz). Eine weitere Bestätigung des Jahres 2018 als erneuter Kontaktaufnahme der Antragstellerinnen und … … findet sich in einem Entwicklungsbericht der Sozialmanufaktur … (Anbieter stationärer Hilfe, § 34 SGB VIII) vom 19. September 2018 (Anlage 12 zum Antragsschriftsatz).
Da im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO die Fristen und Verfahrensabläufe der Art. 21 ff. Dublin III-VO und Art. 5 Dublin-DVO nicht gelten, was sich gesetzestechnisch daraus ergibt, dass Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO in den Unterabsätzen 2 und 3 eigene Verfahrensregeln und Fristen (und größtenteils eben keine Fristen) aufstellt und im Übrigen nach nationalem Recht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt gilt, können nach Ansicht des Einzelrichters auch die besagte Stellungnahme der Antragstellerin zu 1) vom 1. September 2020 sowie die der Pflegeperson … … vom 17. August 2020 und die der Sozialmanufaktur … vom 19. September 2018, allesamt mit dem Antragschriftsatz vom 7. September 2020 eingereicht, für die gerichtliche Prüfung berücksichtigt werden (vgl. VG Ansbach, B.v. 28.4.2020 – AN 17 E 20.50157 – juris Rn. 40); anders wäre dies nur im Rahmen der Art. 7 ff. Dublin III-VO, da hier die Verfahrens- und Fristenregeln der Art. 21 ff. Dublin III-VO greifen würden, über die sich § 77 AsylG als nationales Recht nicht hinwegsetzen kann.
Damit ist das Familienverhältnis zwischen der Antragstellerin zu 1) als Mutter und der Antragstellerinnen zu 2) und 3) als Schwestern des … … im Sinne des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO und des Art. 22 Abs. 2 bis Abs. 5 Dublin III-VO i.V.m. Anhang II der VO (EG) Nr. 1560/2003 (Dublin-DVO) hinreichend glaubhaft gemacht. Das beigebrachte Beweismittel der Tazkira zur Identität der Antragstellerin zu 1) und die übrigen Indizien erreichen aggregiert die Schwelle des Art. 22 Abs. 5 Dublin III-VO, nämlich, dass sie kohärent sind, überprüfbar jedenfalls durch wechselseitigen Abgleich der Informationen, und hinreichend detailliert.
cc) Die schriftlichen Zustimmungserklärungen der Antragstellerinnen (vom 19. April 2020) und des … … bzw. seines Vormundes (vom 10. April 2020) nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Dublin III-VO liegen vor (S. 28 ff. der Bundesamtsakte).
dd) Damit liegt in der begehrten Familienzusammenführung der Antragstellerinnen mit … … als deren Sohn bzw. Bruder ein grundsätzlich geeigneter humanitärer Grund im Sinne des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Dieser führt für die humanitären Gründe exemplarisch und insbesondere solche an, die sich aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen (Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO). Der darin zum Ausdruck kommende Grundgedanke der Wahrung der Familieneinheit und des Kindeswohls ist neben Art. 6 Abs. 1 Dublin III-VO auch in deren Erwägungsgründen 13 bis 17 und schließlich im Primärrecht in Art. 24 Abs. 3 und Art. 7 GRCh angelegt.
Allerdings räumt Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, wie sich bereits aus der Überschrift „Ermessensklauseln“ des Art. 17 Dublin III-VO ergibt, dem ersuchten Mitgliedstaat einen Ermessensspielraum ein, ob er die Zuständigkeit für den Antragsteller übernimmt (etwa VG Ansbach, B.v. 6.4.2020 – AN 17 E 20.50103 – juris Rn. 23, 29 ff.). Dieses hat die Antragsgegnerin zunächst nicht pflichtgemäß im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO ausgeübt, da in der ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes vom 14. Juni 2019 auf die nicht ausreichende Darlegung der verwandtschaftlichen Verhältnisse verwiesen wurde, aber bis auf eine bloße Ablehnung keine Ausführungen zu Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gemacht wurden. Das ist zwar insofern konsequent, als dass das Bundesamt bereits den Tatbestand des Art. 10 und Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ablehnte und insofern keine Ermessenserwägungen anstellte, jedoch im Ergebnis fehlerhaft, da die verwandtschaftlichen Beziehungen hinreichend glaubhaft gemacht wurden und daher das Ermessen im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO hätte ausgeübt werden müssen. Dieselbe Erwägung gilt für die endgültige Ablehnung durch die Antragsgegnerin vom 18. November 2019 gegenüber Griechenland auf dessen Remonstration hin.
Jedoch führt ein Antrag nach § 123 VwGO, hier in Form einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, nicht schon dann zum Erfolg, wenn ein Ermessensfehler der Behörde vorliegt, sondern nach herrschender Meinung erst und nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null glaubhaft gemacht wird (BayVGH, B.v. 3.6.2002 – 7 CE 02.637 – NVwZ-RR 2002, 839; nur berichtend, aber a.A. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 38. EL Januar 2020, § 123 Rn. 158 ff. m.w.N.).
Eine Ermessensreduzierung auf Null ist nur anzunehmen, wenn über das regelmäßig bestehende Interesse von Eltern(teilen) und Geschwistern an einer Familienzusammenführung konkret und im Einzelfall Umstände vorliegen, die die Annahme einer besonderen Härte begründen und jede andere Entscheidung als eine Zusammenführung der genannten Personen als unvertretbar erscheinen ließen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte spielen dabei insbesondere das Alter des Kindes, der Umfang der Bindung des Kindes zu Familienmitgliedern, mit denen es zusammengeführt werden soll, sowie der Umstand, ob das Kind unabhängig von seiner Familie eingereist ist, eine Rolle (vgl. EGMR, U.v. 30.7.2013 – Nr. 948/12 – BeckRS 2014, 80974 Rn. 56 [engl.]). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Schutzwürdigkeit eines minderjährigen Kindes aufgrund seines Lebensalters sowie die Frage, wie lange dieses in einem anderen Staat als seine Familienangehörigen gelebt hat, zu werten, wobei der EuGH in diesem Zusammenhang eine Altersgrenze von zwölf Jahren gebilligt hat (EuGH, U.v. 27.6.2006 – C-540/03 – NVwZ 2006, 1033 Rn. 73-75, allerdings zur Familienzusammenführungs-RL 2003/86/EG).
Gemessen an diesem Maßstab gelingt es den Antragstellerinnen, eine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO glaubhaft zu machen. Geht man wie der erkennende Einzelrichter davon aus, dass die Antragstellerin zu 1) die Mutter und die Antragstellerinnen zu 2) und 3) die Schwestern des in Deutschland lebenden … …, zu dem zugezogen werden soll, sind, ist angesichts des Alters des … … von zwölf Jahren vorliegend nur die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft ermessensgerecht. Einem Zwölfjährigen kann nicht zugemutet werden auf den elterlichen Beistand – in diesem Fall lebt nur noch die Mutter – auf Dauer zu verzichten. Daran ändert in diesem Alter auch nichts, dass die Trennung von den Antragstellerinnen bereits seit etwa fünf Jahren besteht. Eine dauerhafte Trennung von den Eltern wäre nur ausnahmsweise hinnehmbar, etwa in Fällen einer gezielten Trennung durch die Familie selbst, für die hier aber nichts ersichtlich und seitens der Antragsgegnerin auch nicht vorgetragen ist. Der Anspruch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO erfasst sodann auch die Antragstellerinnen zu 2) und 3), weil ihnen ein Zurückbleiben in Griechenland als Minderjährige ohne die Mutter und der Mutter eine Trennung von ihren beiden Töchtern zu Gunsten einer Wiedervereinigung nur mit dem in Deutschland lebenden Sohn insofern nicht zumutbar ist, als dass damit die Familieneinheit gerade nicht gewahrt würde. An der Ermessensreduzierung auf Null ändert auch nichts, dass mit … … ein volljähriger Bruder des … … mit Aufenthaltserlaubnis in Deutschland lebt und sich nach dem Vortrag der Antragstellerinnen und der Aktenlage auch regelmäßig um … … kümmert in Form von Besuchen und gemeinsam verbrachten Wochenenden. Eine Geschwisterbeziehung kann in der Regel nicht mit einer Eltern-Kind-(hier Mutter-Kind-)Beziehung gleichgesetzt werden, da das Geschwister den Ausfall der Eltern bzw. der Mutter nicht vollends kompensieren kann, insbesondere dann, wenn keine regelmäßige tägliche Fürsorge im Rahmen eines gemeinsamen Zusammenwohnens stattfindet. … … wohnt nicht mit seinem Bruder zusammen, sondern lebt in einer Wohngruppe mit innewohnendem Erzieher (wohl nach § 34 SGB VIII). Dazu tritt die – gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 2 Dublin-DVO grundsätzlich auch ohne ärztliche Atteste mögliche – Glaubhaftmachung der durch die Trennung des … … von den Antragstellerinnen ausgelösten depressiven Symptome bei ihm.
Die Belange des … … als der Person, zu der der Zuzug begehrt wird, sind auch für die Ermessensentscheidung im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO hinsichtlich der Antragstellerinnen zu berücksichtigen, da dort als humanitärer Grund insbesondere die Zusammenführung von Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung genannt ist. Somit sind die Belange aller Familienmitglieder in einer Gesamtbewertung zu berücksichtigen, unabhängig davon, wer als Antragsteller auftritt. Eine geteilte Ermessensentscheidung, d.h. eine Ermessenentscheidung in Bezug auf nur einzelne Personen, ist insoweit nicht möglich. Die Ermessensentscheidung nach Art.17 Abs. 2 Dublin III-VO erfordert die Abwägung aller Belange aller Betroffenen (so VG Ansbach, B.v. 6.4.2020 – AN 17 E 20.50103 – juris Rn. 41).
Unschädlich für die dargelegte Ermessensreduzierung auf Null bei der Prüfung des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ist hier nach Ansicht des Einzelrichters ausnahmsweise, dass … … als Person, zu der die Antragstellerinnen den Zuzug erstreiten wollen, respektive dessen Vormund für ihn, in Deutschland nach Vortrag der Antragstellerbevollmächtigten bewusst keinen Asylantrag gestellt hat und ausschließlich über eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG verfügt. Eine Duldung lässt zwar gemäß § 60a Abs. 3 AufenthG die Ausreisepflicht des Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, unberührt. Damit ist im Grundsatz davon auszugehen, dass ein Zuzug über Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO nicht zu einer ausreisepflichtigen Person in Deutschland begehrt werden kann. Hier jedoch ist, da … … ein unbegleiteter minderjähriger Ausländer ist, das besondere Vollstreckungshindernis des § 58 Abs. 1a AufenthG zu beachten. Nach dieser Vorschrift hat sich die Ausländerbehörde vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat – für … …: Afghanistan – einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. § 58 Abs. 1a AufenthG begründet damit eine eigenständige Vollzugsvoraussetzung der Abschiebung, die zur Überzeugungsgewissheit der Behörde oder des Gerichts feststehen muss und hat den Schutz von Minderjährigen vor Abschiebung erheblich verbessert (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – NVwZ 2013, 1489 Rn. 20). Kommt die Ausländerbehörde zu dem Ergebnis, dass § 58 Abs. 1a AufenthG einer Abschiebung nicht mehr entgegensteht, kann diese Entscheidung gerichtlich überprüft werden oder im Falle des … … der bislang nicht gestellte Asylantrag gestellt werden. Da die Duldung des … … bereits länger als ein Jahr besteht, wäre er zudem gemäß § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG mindestens einen Monat vor der vorgesehenen Abschiebung zu informieren. Die geschilderten materiellen und verfahrensrechtlichen Sicherungen haben das Bundesverwaltungsgericht veranlasst, dem § 58 Abs. 1a AufenthG die gleiche Qualität wie einem nationalen Abschiebungsverbot zuzubilligen (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – NVwZ 2013, 1489 Rn. 22). Damit ist für … … von einem für eine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ausreichend verfestigten Aufenthalt in Deutschland auszugehen.
c) Der Anordnungsgrund besteht in der Gefahr des unmittelbar drohenden Rechtsverlustes. Durch den Fortgang des Asylverfahrens in Griechenland ist für die Antragstellerinnen ein zeitnaher und dauerhafter Verlust des geltend gemachten Nachzugsrechts zu ihrem Sohn respektive Bruder ernsthaft zu befürchten. Wenn das Asylverfahren in Griechenland durchgeführt und abgeschlossen ist, greifen in der Folge die Regelungen der Dublin III-VO nicht mehr ein (vgl. Art. 1 Dublin III-VO) und die Familienzusammenführung nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO wird auf Dauer ausgeschlossen (vgl. auch VG Münster, B. v. 20.12.2018 – 2 L 989/18.A – juris Rn. 69; VG Berlin, B. v. 15.3.2019 – 23 L 706.18 A – juris Rn. 36; VG Wiesbaden, B. v. 25.4.2019 – 4 L 478/19.WI.A). Hierfür ist es insbesondere nicht zwingend erforderlich, dass den Antragstellerinnen bereits ein Anhörungstermin bekannt ist. Auch ohne einen solchen ist hier grundsätzlich mit einer jederzeitigen Sachentscheidung der griechischen Behörden über die Asylanträge zu rechnen. Dies gilt umso mehr, als die letztmalige Ablehnung der Übernahme der Antragstellerinnen durch die Antragsgegnerin vom 18. November 2019 bereits etwa 10 Monate zurückliegt (VG Ansbach, B.v. 13.8.2020 – AN 17 E 20.50216 – juris Rn. 44).
d) Aus denselben Gründen ist hier vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG und des Art. 47 GRCh ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache zulässig. Im Fall der Sachentscheidung über die Asylanträge droht den Antragstellern ein unumkehrbarer Zuständigkeitsübergang auf Griechenland. Dieser ist den Antragstellerinnen auch nicht zuzumuten, da in diesem Fall eine Wiederherstellung der Familieneinheit auf Grundlage der Dublin III-VO endgültig nicht mehr in Betracht kommt. Zuletzt besteht – wie oben dargelegt – ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für ein Obsiegen in einer gedachten Hauptsache (VG Ansbach, B.v. 13.8.2020 – AN 17 E 20.50216 – juris Rn. 45).
4. Über den Hilfsantrag war nicht mehr zu entscheiden, da die Antragstellerinnen bereits mit ihrem Hauptantrag erfolgreich sind.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen