Europarecht

Zolltarifliche Einreihung von Katzenkratzbäumen

Aktenzeichen  14 K 2162/15

Datum:
7.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 139704
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
FGO § 136 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Unter Änderung des Abgabenbescheides vom 22. Januar 2015 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 2015 wird der Zoll auf … € herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

II.
Die Klage ist teilweise begründet. Das HZA hat für die streitgegenständlichen Einfuhren zwar zu Recht Zoll nacherhoben; es hat dabei aber zu Unrecht einen Zollsatz von 12% angewandt. Auszugehen ist von einem Zollsatz von 5,8%.
1. Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 22. Januar 2015 ist Art. 220 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung – EWG – Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK). Danach hat eine Nacherhebung zu erfolgen, wenn der einer Zollschuld entsprechende Abgabenbetrag nicht nach den Art. 218 und 219 ZK buchmäßig erfasst worden ist. Dies war vorliegend der Fall, weil die Waren aufgrund einer unzutreffenden Tarifierung zunächst zollfrei belassen wurden, obwohl tatsächlich ein Zollsatz von 5,8% anzuwenden ist. Soweit das HZA – ausgehend von einem Zollsatz von 12% – höhere Abgaben nacherhoben hat, ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
a) Grundlage des Zolltarifs der EU ist die KN in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABl EG L 256/1; im Folgenden: VO Nr. 2658/87).
Nach Art. 12 Abs. 1 der VO Nr. 2658/87 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 254/2000 des Rates vom 31. Januar 2000 (ABl EG L 28/16) geänderten Fassung veröffentlicht die Kommission jährlich in Form einer Verordnung die vollständige Fassung der KN zusammen mit den Zollsätzen, wie sie sich aus den vom Rat der EU oder von der Kommission beschlossenen Maßnahmen ergeben. Diese Verordnung gilt jeweils ab dem 1. Januar des folgenden Jahres.
Die Klägerin hat die hier zu beurteilenden Waren im Juli 2014 eingeführt. Dementsprechend richtet sich die zolltarifliche Einreihung nach der KN in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom 04. Oktober 2013 zur Änderung von Anhang I der VO Nr. 2658/87 (ABl EU L 290/1).
b) Bei der Einreihung besteht keine Bindung an die von der Kommission erlassene DVO Nr. 350/2014. Diese Einreihungsverordnung ist im Streitfall weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.
Um die einheitliche Anwendung der KN in der Gemeinschaft sicherzustellen, kann die Kommission nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 2658/87 Verordnungen über die Einreihung einzelner Waren in die KN erlassen. Solche Einreihungsverordnungen haben nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH Normcharakter, da sie nicht für einen bestimmten Wirtschaftsteilnehmer gilt, sondern für die Gesamtheit der Waren, die mit der in der Verordnung beschriebenen Ware identisch sind (Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union – EuGHvom 22. März 2017 C-435/15 und C-666/15, GROFA, ECLI:ECLI:EU:C:2017:232, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern – ZfZ – 2017, 163).
Die von der Kommission erlassene DVO Nr. 350/2014 gilt seit dem 28. April 2014 – dem 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung am 08. April 2014 (vgl. Art. 3 der Verordnung) – und damit auch für die hier in Rede stehenden Einfuhren aus dem Juli 2014. Sie erfasst aber die streitgegenständlichen Katzenkratzbäume nicht unmittelbar, weil diese nicht mit der in der Verordnung beschriebenen Ware identisch sind.
Der Senat hält die Unterschiede zwischen den streitgegenständlichen Waren und dem in der Einreihungsverordnung beschriebenen Katzenkratzbaum für so wesentlich, dass die DVO Nr. 350/2014 entgegen der Auffassung des HZA auch nicht entsprechend gilt.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH kann eine Einreihungsverordnung entsprechend anzuwenden sein. Dazu müssen jedoch die einzureihenden und die in der Einreihungsverordnung bezeichneten Waren einander hinreichend ähnlich sein. Insoweit ist auch die Begründung dieser Verordnung zu berücksichtigen (EuGH in ZfZ 2017, 163).
Die streitgegenständlichen Katzenkratzbäume sind – ebenso wie die in der DVO Nr. 350/2014 beschriebenen Kratzbäume – aufgrund ihrer objektiven Merkmale so gestaltet, dass sie „für Katzen attraktiv sind und diese von Möbeln fernhält, die anderenfalls von ihnen beansprucht und zerkratzt würden“. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die streitgegenständlichen Kratzbäume aus annähernd den gleichen Bauelementen gestaltet wie diejenigen, die Gegenstand der DVO Nr. 350/2014 waren. Sie bieten Liege- und Ruheflächen, Versteckmöglichkeiten und sind mit Sisalkratzsäulen ausgestattet.
Wesentliche Unterschiede bestehen aber in der Anzahl der sisalumwickelten Säulen und in der Art des verwendeten Spinnstoffes.
Während die in der DVO Nr. 350/2014 beschriebene Ware lediglich um eine einzige mit Sisalschnur umwickelte Säule verfügt, ist der hier zu beurteilende Katzenkratzbaum Art.Nr.: TM-… mit drei Säulen und der Katzenkratzbaum Art.Nr.: SFC… sogar mit zehn Säulen und zusätzlich mit Spielzeugmäusen ausgestattet. Bei der in der DVO beschriebenen Ware überwiegt die Anzahl der Ruheplätze deutlich mit 3:1. Beim Katzenkratzbaum Art.Nr.: TM-… dagegen ist das Verhältnis zwischen der Anzahl an Ruheplätzen und derjenigen an Kratzmöglichkeiten ausgeglichen; beim Katzenkratzbaum Art.Nr.: SFC… gibt es mehr Kratzsäulen als Ruheplätze. Anders als bei der in der DVO beschriebenen Ware ist bei den beiden hier zu beurteilenden Kratzbäumen ohne eine mathematische Berechnung nicht sofort augenfällig, dass die mit Plüschgewirke bedeckte Fläche größer ist als die mit Sisal bedeckte Fläche.
Neben dem Flächenverhältnis stellte die Art des verwendeten Spinnstoffs (Plüschgewebe) aus Sicht des Senats einen bestimmenden Gesichtspunkt bei der von der Europäischen Kommission vorgenommenen Einreihung in die Unterpos. 6307 9098 (Zollsatz: 6,3%) dar. Demgegenüber ist das im Streitfall verarbeitete Plüschgewirke von der Unterpos. 6307 9010 erfasst (Zollsatz: 12%). Das in der DVO Nr. 350/2014 normierte Einreihungsergebnis kann deshalb nicht auf die streitgegenständlichen Katzenkratzbäume übertragen werden.
Wie die Vertreterin des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, wendet die Zollverwaltung die DVO Nr. 350/2014 nicht auf alle im Handel erhältlichen Katzenkratzbäume entsprechend an, sondern lediglich auf solche, bei denen die mit Sisal bedeckte Fläche kleiner ist als die mit Plüsch bedeckte Fläche. Eine rasche und zutreffende Einreihung in den Tarif, ohne dass die mit der Einfuhr befasste Zollstelle eine im Einzelfall durchaus anspruchsvolle Flächenberechnung durchführen muss, ist damit nicht möglich. Weil zudem verschiedene Oberflächenmaterialien (Plüschgewebe, Plüschgewirke) verarbeitet werden, führt die Vorgehensweise des HZA auch nicht zu einem einheitlichen Einreihungsergebnis. Eine Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer, welche durch die entsprechende Anwendung einer Einreihungsverordnung gefördert werden soll (vgl. EuGH-Urteil in ZfZ 2017, 163), wird dadurch gerade nicht erreicht.
c) Die streitgegenständlichen Katzenkratzbäume sind gemäß den AV 1 und 3 Buchst. b in die Pos. 5609 (Zollsatz: 5,8%) einzureihen, weil die Sisalseile der Ware ihren wesentlichen Charakter verleihen.
Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs (BFH) in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Bei der Einreihung von Waren in die KN gelten zudem die Allgemeinen Vorschriften. Daneben gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System Erläuterungen (ErlHS) und Einreihungsavise (Tarifavise), die ebenso wie die Erläuterungen zur KN ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen sind (BFH-Urteil vom 21. Februar 2017 VII R 2/15, BFH/NV 2017, 1066 m.w.N.). Maßgebend für die Tarifierung ist der Zustand, in dem die Ware zur Zollabfertigung gestellt wird (EuGH-Urteil vom 27. September 2007 C-208/06, Medion und Canon, ECLI:ECLI:EU:C:2007:553, BFH/NV 2008, Beilage 1, 52).
aa) Nach AV 1 sind die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die Allgemeinen Vorschriften.
Im Streitfall werden die gestellten Waren mit all ihren tariflich relevanten Merkmalen von keinem Positionswortlaut der KN erfasst. Nach AV 1 Satz 2 erfolgt die Einreihung deshalb unter Berücksichtigung der AV 2 bis 4. bb) Die aus einzelnen Bauteilen bestehenden streitgegenständlichen Katzenkratzbäume waren bei der Gestellung noch nicht zusammengesetzt. Die Einreihung erfolgt aber nach AV 2 Buchst. a Satz 2 wie bei einem fertig zusammengesetzten Katzenkratzbaum. Danach gilt jede Anführung einer Ware in einer Position auch für eine vollständige oder fertige Ware, wenn diese zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt eingeführt wird.
cc) Eine Einreihung der Katzenkratzbäume nach deren Verwendungszweck kommt nicht in Betracht.
So ist insbesondere eine Einreihung als andere Möbel in die Pos. 9403 ausgeschlossen.
Da die Positionen, Unterpositionen und Anmerkungen des Kapitels 94 keine ausdrücklichen Bestimmungen enthalten, die diese Waren als solche qualifizieren oder sie im Gegenteil von Kapitel 94 ausschließen, sind die Erläuterungen zum Harmonisierten System und gegebenenfalls die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur heranzuziehen (EuGH-Urteil vom 07. Oktober 2004 C-379/02, Imexpo Trading, ECLI:ECLI:EU:C:2004:595, ZfZ 2004, 409).
Nach den ErlHs zu Kap. 94 Rz. 07.0 bedeutet der Ausdruck „Möbel“ verschiedene, nicht in einer Position der Nomenklatur mit genauerer Warenbezeichnung erfasste bewegliche Gegenstände, die auf den Boden gestellt werden und die vorwiegend als Gebrauchsgegenstände zur Ausstattung von Wohnungen, Hotels, Theatern, Kinos, Büros, Kirchen, Schulen, Cafés, Restaurants, Laboratorien, Krankenhäusern, Kliniken, Zahnbehandlungsräumen usw. dienen.
Nach den ErlHS zu Pos. 9403 Rz. 03.1 gehören zur Pos. 9403 Möbel für Wohnungen, Hotels usw., wie: Truhen, Wäschetruhen, Brot- oder Brennholztruhen, Kommoden, Ständer, Pflanzenständer, Ankleidetische, Frisiertische, Ziertischchen, Kleiderschränke, Wäscheschränke, Mantelständer, Schirmständer, Buffets, Ankleideschränke, Silberschränke, Speiseschränke, Nachttische, Bettgestelle (einschließlich Schrankbetten, Feldbetten, Klappbetten, Wiegen), Nähtische, Fußbänke und -schemel, auch mit Schaukelgestell, zum Auflegen der Füße, Ofenschirme, Wandschirme, Aschenbehälter auf Sockel, Notenschränke, Pulte, Kinderställchen, Servierwagen (für Vorspeisen, Likör usw.) auch mit Heizplatte.
Die aufgeführten Beispiele lassen den Schluss zu, dass Möbel i.S.d. Zolltarifs Einrichtungsgegenstände sind, die im weitesten Sinne der Aufbewahrung oder Aufnahme von Gegenständen, dem Sitzen oder Liegen von Menschen oder als Unterlagen von menschlichen Tätigkeiten dienen. Gegenstände zur Unterbringung oder Beschäftigung von Tieren oder ähnlichen auf Tiere bezogene Zwecke sind hier nicht genannt. Obwohl Katzenkratzbäume im Regelfall der Ausstattung von Wohnräumen dienen, scheidet eine Einreihung der ausschließlich für Katzen bestimmten Waren als Möbel der Pos. 9403 aus.
Auch eine Einreihung als anderes Spielzeug in die Pos. 9503 kommt nicht in Betracht, weil die Katzenkratzbäume ausschließlich für Tiere bestimmt sind und solche Waren nach der Anm. 5 zu Kap. 95 nicht zur Pos. 9503 gehören.
dd) Die streitgegenständlichen Katzenkratzbäume sind folglich nach dem Stoff einzureihen, aus dem sie bestehen. Weil es sich dabei um mehrere einreihungsrelevante Stoffe (Holz, Pappe und Spinnstoffe) handelt, kommt AV 2 Buchst. b Satz 2 zur Anwendung.
Danach gilt jede Anführung von Waren aus einem bestimmten Stoff für Waren, die ganz oder teilweise aus diesem Stoff bestehen. Die Ware ist also so zu behandeln, als bestünde sie vollständig aus dem angeführten Stoff.
Ausgehend davon kommen die Pos. 4421 (andere Waren aus Holz), Pos. 4823 (andere Waren aus Pappe), Pos. 5609 (Waren aus Seilen oder Tauen anderweit weder genannt noch innbegriffen) und Pos. 6307 (andere konfektionierte Waren) in Betracht. Denn das Plüschgewirke ist durch Kleben zusammengefügt und daher eine konfektionierte Ware i.S.d. Anm. 7 Buchst. f zu Abschn. XI.
ee) Die Positionskonkurrenz ist über die AV 3 Buchst. b aufzulösen.
(1) Eine Anwendung der AV 3 Buchst. a scheidet aus. Denn nach deren Satz 2 werden zwei oder mehr Positionen, von denen sich jede – wie hier – nur auf einen Teil der in einer zusammengesetzten Ware enthaltenen Stoffe bezieht, als gleich genau betrachtet, selbst wenn eine von ihnen eine genauere oder vollständigere Warenbezeichnung enthält und deshalb nach AV Buchst. a Satz 1 grundsätzlich vorginge.
(2) Nach AV 3 Buchst. b werden Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann.
Das Merkmal, das den Charakter einer Ware bestimmt, ist je nach Art der Ware verschieden Es kann sich allgemein z.B. aus der Art und Beschaffenheit des Stoffes oder der Bestandteile, aus seinem Umfang, seiner Menge, seinem Gewicht, seinem Wert oder aus der Bedeutung des Stoffes in Bezug auf die Verwendung der Ware ergeben (vgl. ErlHS AV 3 Rz. 19.1; EuGH-Urteil vom 15. November 2012 C-558/11, Kurcums Metal, ECLI:ECLI:EU:C:2012:721, ZfZ 2013, 41). Diese Aufzählung ist jedoch nicht abschließend.
Um den charakterbestimmenden Stoff einer Ware festzustellen, ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ferner zu prüfen, ob die Ware auch ohne den einen oder den anderen ihrer Bestandteile ihre charakteristischen Eigenschaften behalten würde (EuGH-Urteile in ZfZ 2013, 41; vom 18. Juni 2009 C-173/08, Kloosterboer Services, ECLI:ECLI:EU:C:2009:382, ZfZ 2009, 189; vom 07. Februar 2002 C-276/00, Turbon International, ECLI:ECLI:EU:C:2002:88, ZfZ 2002, 125; vom 10. Mai 2001 C-288/99, Vaude Sport, ECLI:ECLI:EU:C:2001:262, ZfZ 2001, 266 und vom 21. Juni 1988 C-253/87, Sportex, ECLI:ECLI:EU:C:1988:333, ZfZ 1988, 269).
Ausgehend von diesen Grundsätzen bestimmen die Sisalseile den Charakter der streitgegenständlichen Waren. Denn nach den – vom HZA unbestrittenen – Angaben der Klägerin zu den Wertverhältnissen haben die Sisalseile nicht nur den höchsten Anteil am Gesamtwert der Ware, ihnen kommt auch die entscheidende Bedeutung für die bestimmungsgemäße Verwendung der Ware zu.
Katzenkratzbäume dienen vor allem dem Schutz der Einrichtung, von der die Katze ferngehalten werden soll. Anders als bei den im Handel erhältlichen Kratzbrettern wird dem Tier aber nicht nur eine Möglichkeit zum Kratzen angeboten, vielmehr werden unterschiedliche Bedürfnisse des Tieres wie Beschäftigung, Pflege, Markieren und Ruhe angesprochen. Durch das Aufstellen solcher Kratzbäume soll insbesondere Wohnungskatzen ermöglicht werden, sich arttypisch zu verhalten.
Die streitgegenständlichen Katzenkratzbäume sind dementsprechend multifunktional gestaltet. Sie sollen nicht nur zum Kratzen, sondern auch zum Klettern, Anspringen und Spielen anregen. Die horizontalen Flächen und Höhlen der Katzenkratzbäume dienen als Sitz-, Liegebzw. Schlaf Platz und als Rückzugsort. Die erhöhten Liegeplätze können außerdem als Beobachtungsposten genutzt werden. Schließlich bietet der Kratzbaum der Katze auch die Möglichkeit, ihren eigenen Geruch auszusenden, indem sie z.B. die Duftdrüsen an Kopf, Rücken, Schwanz oder Fußballen daran reibt.
Angesichts der Vielzahl von Nutzungsmöglichkeiten, die ein Katzenkratzbaum bietet, sind alle verarbeiteten Stoffe nützlich oder sogar notwendig, um die Ware bestimmungsgemäß zu verwenden. Dennoch sind die verwendeten Stoffe nicht gleichermaßen von Bedeutung. Vielmehr verleihen die sisalumwickelten Kratzsäulen der Ware ihren wesentlichen Charakter.
Zunächst ist festzustellen, dass die Kratzsäulen Bestandteil der Warenbezeichnung und bei den meisten im Handel erhältlichen Ausführungen vorhanden sind. Würde man sich die Sisalseile wegdenken, ginge der wesentliche Zweck des Kratzbaumes, der Katze die Pflege ihrer Krallen zu ermöglichen, um sie von Möbeln und Wänden fernzuhalten, verloren.
Sisal ist ausreichend widerstandsfähig, um zumindest für eine gewisse Dauer der starken Beanspruchung durch Katzenkrallen standzuhalten. Außerdem kommen die Naturfasern den im Freien vorkommenden Materialien wie Rinde und anderen Pflanzenfasern nahe. Anders als bei anderen Materialien besteht auch nicht die Gefahr, dass die Katze mit ihren Krallen hängen bleibt.
Ohne die Sisalsäulen verliert der Kratzbaum eine seiner wesentlichen charakteristischen Eigenschaften. Dagegen kommt dem verarbeiteten Bezugsmaterial nur eine untergeordnete Bedeutung zu.
Farbe, Muster und Art des verwendeten Bezugsmaterials spielen zwar insoweit eine Rolle, als der meist an zentraler Stelle in der Wohnung aufgestellte Katzenkratzbaum allein wegen seiner Größe auffällig ist und deshalb u.a. dekorativen Ansprüchen genügen muss. Für die im Rahmen der Verwendung entscheidende Krallenpflege dagegen ist Plüsch ungeeignet, weil es nicht ausreichend widerstandsfähig ist und die Gefahr besteht, dass die Katze mit den Krallen hängen bleibt. Soweit die Katze den Kratzbaum dazu benutzt, ihren Geruch zu hinterlassen, hat der Plüsch ebenfalls keine Bedeutung. Denn Katzen nutzen nicht nur Objekte jeglicher Art wie z.B. Möbel, Wände und Teppiche, sondern auch Menschen und Artgenossen, um sich daran zu reiben. Die Beschaffenheit der Oberfläche spielt dabei offensichtlich keine Rolle.
Dem HZA ist zwar darin zuzustimmen, dass Katzenhalter, die sich für einen Kratzbaum entscheiden, nicht allein die Möglichkeit zur Krallenpflege bieten wollen, sondern auch Wert auf behagliche Liegeplätze legen und die meisten im Handel erhältlichen Katzenkratzbäume nicht ohne Grund in einem erheblichen Umfang mit Plüsch bezogen sind. Tatsächlich scheinen weiche und wärmende Liegeflächen für Katzen attraktiver zu sein als glatte und kühle Oberflächen; ob aber ein Gegenstand als Sitz-, Liegebzw. Schlaf Platz und/oder als Rückzugsort angenommen wird, ist u.a. vom Standort des Gegenstandes, den dort vorherrschenden Temperaturverhältnissen und den individuellen Vorlieben des Tieres abhängig. Welche Bedeutung dabei die Art, die Struktur oder der Geruch des Bezugsmaterials hat, lässt sich deshalb nicht allgemein beantworten.
Unabhängig davon will zwar jeder Katzenhalter durch Krallen verursachte Schäden an seinen Möbeln oder Wänden vermeiden, er wird die Katze aber durch das Aufstellen eines Katzenkratzbaumes nicht davon abhalten, sich zusätzlich zu den dort angebotenen Liegeflächen weitere Ruhe- und Schlafplätze in der Wohnung zu suchen.
Anders als bei der in der DVO Nr. 350/2014 beschriebenen Ware kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass das Bezugsmaterial den Katzen eine größere Vielfalt an Aktivitäten bietet. Denn im Streitfall ist das Verhältnis zwischen der mit Plüschgewirke bedeckten Fläche und der mit Sisal bedeckten Fläche ausgewogener als bei der in der DVO Nr. 350/2014 beschriebenen Ware. Beim Katzenkratzbaum Art.Nr.: TM-… sind genauso viele Kratzmöglichkeiten wie Ruheplätze vorhanden; beim Katzenkratzbaum Art.Nr.: SFC… gibt es sogar mehr Kratzsäulen als Ruheplätze.
Auch dem Holz und der Pappe kommt nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Der Klägerin ist zwar darin zuzustimmen, dass das Gewicht der kletternden, springenden oder kratzenden Katze eine hohe Standfestigkeit der Ware erfordert, die bei den streitgegenständlichen Waren durch das verwendete Holz und die damit verschraubten Pappsäulen gewährleistet ist.
Gegen das Holz bzw. die Pappe als charakterbestimmenden Stoff spricht jedoch, dass diese Elemente bei den streitgegenständlichen Ausführungen nicht sichtbar sind, weil sämtliche Oberflächen mit Plüschgewirke überzogen bzw. mit Sisalseilen umwickelt sind. Die Konstruktion aus Holz und Pappe hat lediglich dienende Funktion. Sie bildet den Korpus, der eine ausreichende Stabilität gewährleistet. Die Stabilität ist aber nur eine von mehreren Eigenschaften, die ein Katzenkratzbaum aufweisen muss.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
3. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Wahrung der Rechtseinheit zugelassen. Nach Kenntnis des Senats sind mehrere gleichgelagerte Fälle bei anderen Finanzgerichten anhängig.

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