Aktenzeichen B 6 K 17.30337
Leitsatz
1. Die nach § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO gebotene Überzeugungsgewissheit muss auch in Asylsachen in dem Sinne bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Anders als die Flucht vor einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban hat der außereheliche Geschlechtsverkehr keine besondere Bedeutung oder Tragweite, sodass weder eine gezielte Suche nach dem Asylsuchenden noch seine zufällige Entdeckung und Identifizierung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Solange ein Leben am Rande des Existenzminimums gewährleistet ist, besteht keine Gefahrenlage, die zu einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führt. (Rn. 66) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG (1.1) noch einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (1.2) noch liegen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (1.3). Infolgedessen ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.1 Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG voraus, dass sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Auch wenn man das Kernvorbringen des Klägers – drohende Steinigung wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs – als wahr unterstellt, macht ihn das nicht zum Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, weil die Verfolgung in Gestalt einer unverhältnismäßigen Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG), unabhängig davon, ob sie von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG oder von nichtstaatlichen Akteuren im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG ausgeht, nicht an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgezählten Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG – Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – anknüpft. Der Kläger fühlte sich als Hazara in seinem Heimatdorf und überhaupt in Afghanistan zwar benachteiligt und unsicher, die befürchtete Steinigung hat aber nichts mit seiner Volkszugehörigkeit zu tun. Vor der Entdeckung des außerehelichen Geschlechtsverkehrs lebte der Kläger nach eigenem Bekunden als Hazara zwar nicht ganz unbehelligt, war aber keinen Handlungen ausgesetzt, die den Schweregrad einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG erreicht hätten.
1.2 Subsidiär schutzberechtigt ist ein Ausländer gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG unter anderem Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG kann auch die Gefahr eines ernsthaften Schadens nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3d AsylG, d.h. insbesondere wirksam und nicht nur vorübergehend, Schutz vor einem ernsthaften Schaden zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn in einem Teil seines Herkunftslandes die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens nicht besteht oder er Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird.
Eine Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen, würde voraussetzen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in seine Heimat der Gefahr eines ernsthaften Schadens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene Überzeugungsgewissheit muss auch in Asylstreitsachen in dem Sinne bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Zwar ist wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylbewerber insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsland vielfach befinden, der allgemeine Grundsatz hervorzuheben, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung kommt gesteigerte Bedeutung zu. Das Fehlen von Beweismitteln entbindet das Gericht aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss – wenn nicht anders möglich – in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Kläger glaubt. Das gilt auch hinsichtlich der zu treffenden Prognose, ob aufgrund des im vorstehenden Sinne glaubhaften individuellen Schicksals des Asylsuchenden die Gefahr politischer Verfolgung bzw. eines ernsthaften Schadens droht. Auch wenn insoweit eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner gewonnenen Prognose drohender politischer Verfolgung bzw. eines drohenden ernsthaften Schadens die volle richterliche Überzeugung erlangt haben muss (vgl. BVerwG, U. v. 16.04.1985, Az.: 9 C 109/84, juris Rn. 16 und 17).
Der Schutzsuchende muss sein Schicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Ihm obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen, und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheinen, sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Lauf des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U. v. 27.08.2013, Az.: A 12 S 2023/11, juris Rn. 35; vgl. auch Hess. VGH, U. v. 04.09.2014, Az.: 8 A 2434/11.A, juris Rn. 19).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes, weder wegen drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (1.2.1) noch wegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (1.2.2).
1.2.1 Dem Gericht ist es nicht gelungen, die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Kläger geschilderten Schicksals zu erlangen (1.2.1.1). Unabhängig davon muss sich der Kläger auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG verweisen lassen (1.2.1.2).
1.2.1.1 Das Gericht schließt nicht aus, dass der Kläger eine – auch sexuelle – nichteheliche Beziehung hatte, ist aber nicht davon überzeugt, dass er deshalb tatsächlich Gefahr lief, gesteinigt zu werden.
Die Schilderungen des Klägers beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung betreffend die Umstände seiner Flucht weisen gewisse Unstimmigkeiten auf:
– Auf die Frage, seit wann er seine Reise nach Europa geplant und was er für diese Reise unternommen habe, erklärte der Kläger beim Bundesamt: „Eine Woche vor meiner Ausreise aus dem Heimatland habe ich mich entschlossen, das Land zu verlassen. Ich habe meine Freundin angerufen und gefragt, wie es mir möglich ist, das Land zu verlassen. Meine Freundin hat mit geraten, dass ich mich zur iranischen Grenze begeben soll und dort mit einem Schleuser reden soll, der mir ermöglichen soll, mich außerhalb von Afghanistan zu begeben.“
Während sich das nach einer halbwegs geplanten Ausreise anhört, schilderte der Kläger in der mündlichen Verhandlung eine spontane Flucht in der Nacht, nachdem seine Mutter abends durch eine Nachbarin von der drohenden Steinigung erfahren hatte.
– Nach den Angaben beim Bundesamt hatten Verwandte bereits ein Fluchtauto nach Kabul organisiert, als der Kläger mit seiner Mutter und Schwester in einem anderen Ort ankam.
Nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung flüchtete er in der Nacht mit seiner Mutter und Schwester zu Fuß in ein anderes Dorf und traf dort einen Bekannten, der sie mit dem Auto nach Kabul brachte.
Diese Unstimmigkeiten lassen sich möglicherweise aufklären und reichen allein nicht aus, um die Glaubwürdigkeit des Klägers nachhaltig zu erschüttern. Ausschlaggebend dafür, dass sich das Gericht gehindert sieht, dem Kläger die geltend gemachte Gefahr, gesteinigt zu werden, mit der erforderlichen Überzeugungsgewissheit zu glauben, ist die Haltung des Klägers gegenüber seiner Freundin.
Wenn der außereheliche Geschlechtsverkehr zwischen den beiden tatsächlich entdeckt und angezeigt wurde und infolgedessen das Risiko, gesteinigt zu werden, tatsächlich bestand, war die Freundin des Klägers in ebenso großer, wenn nicht sogar – als Frau – in noch größerer Gefahr. Dann ist es nicht nachzuvollziehen und erscheint nach der Lebenserfahrung unglaubhaft, dass der Kläger nicht einmal den Versuch unternommen hat, etwas über das Schicksal des Mädchens, das er nach eigenen Angaben liebte und gerne geheiratet hätte, herauszufinden. Selbst wenn der Kläger Hals über Kopf geflüchtet sein sollte, wäre es ihm möglich gewesen, sich fernmündlich – er besaß ja ein Handy – nach seiner Freundin zu erkundigen. Das Gericht vermag es dem Kläger nicht abzunehmen, dass er mit der Emotionslosigkeit und Gleichgültigkeit, die er in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht hat, dem Schicksal seiner Freundin gegenüberstände, wenn die geltend gemachte Gefahr der Steinigung tatsächlich bestanden hätte.
1.2.1.2 Bei Wahrunterstellung der vom Kläger geschilderten Ereignisse scheitert die Zuerkennung subsidiären Schutzes an der Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger, wenn er nicht in sein Heimatdorf oder dessen unmittelbare Umgebung zurückkehrt, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, dem tatsächlichen Risiko von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt zu sein.
Nach der Schilderung des Klägers drohte ihm die Verurteilung zur Steinigung durch lokale Dorfälteste. Auch wenn es sich hierbei um einflussreiche Männer aus den Reihen der Taliban gehandelt haben sollte, die theoretisch dazu in der Lage wären, den Kläger mit ihren Netzwerken auch nach über zwei Jahren Aufenthalt im Ausland an jedem Ort in Afghanistan aufzuspüren, ist weder eine gezielte Suche nach dem Kläger noch eine zufällige Entdeckung und Identifizierung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Denn anders als die Flucht vor einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban, um die es im Urteil des OVG Lüneburg vom 28.07.2014 (Az.: 9 LB 2/13), auf das die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung verwiesen hat, ging, hat der hier streitgegenständliche Vorfall – außerehelicher Geschlechtsverkehr zwischen einem weder gesellschaftlich noch politisch exponierten Schüler und einem ebenso wenig exponierten Mädchen – keine besondere Bedeutung oder Tragweite. Demzufolge ist auch nicht anzunehmen, dass allein durch diesen Vorfall die Person des Klägers in den Kreisen der Taliban einen Bekanntheitsgrad erlangt hat, aufgrund dessen mit einer zufälligen Entdeckung und Auslieferung des Klägers ernsthaft zu rechnen wäre.
Von dem Kläger kann auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er nicht in sein Heimatdorf zurückkehrt, sondern sich in einem anderen Teil von Afghanistan niederlässt (siehe dazu 1.2.2 und 1.3).
1.2.2 Bei einer Rückkehr nach Afghanistan ist der Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt.
Der Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ist unter Beachtung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U. v. 27.04.2010, Az. 10 C 4/09; U. v. 24.6.2008, Az.: 10 C 43/07). Dabei setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht unbedingt einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebietes voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind, muss aber ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit und Intensität aufweisen (BVerwG, U. v. 27.04.2010, Az. 10 C 4/09; U. v. 24.06.2008, Az. 10 C 43/07). Die Kampfhandlungen müssen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend ist und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c QualRL nicht von vornherein aus. Ein Konflikt muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (BVerwG, U. v. 24.06.2008, Az. 10 C 43/07).
Für eine ernsthafte individuelle Bedrohung ist es nicht ausreichend, dass ein eventueller Konflikt zu einer permanenten Gefährdung der Bevölkerung führt (BVerwG, U. v. 13.02.2014, Az. 10 C 6.13), sondern es bedarf einer Individualisierung der Gefahr. Eine solche kann entweder aus persönlichen Umständen oder auch ausnahmsweise aus einer Zuspitzung der allgemeinen Gefahr resultieren; letzteres ist dann der Fall, wenn der Grad willkürlicher Gewalt im relevanten Konflikt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Ausländer bei einer Rückkehr am tatsächlichen Zielort wie praktisch jede Zivilperson in diesem Gebiet alleine auf Grund der Anwesenheit im Gebiet Gefahr liefe, einer individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, U. v. 17.02.2009, Az. C-465/07; U. v. 30.01.2014, Az. C-285/12; BVerwG, U. v. 27.04.2010, Az. 10 C 4.09; U. v. 17.11.2011, Az. 10 C 13.10; U. v. 14.07.2009, Az.: 10 C 9.08; U. v. 24.06.2008, Az.: 10 C 43.07). Hierfür ist eine wertende Gegenüberstellung der Einwohnerzahlen des betreffenden Gebietes mit der Anzahl der sicherheitsrelevanten Ereignisse und der Anzahl der Opfer in diesem Gebiet notwendig (BVerwG, U. v. 13.02.2014, Az. 10 C 6.13; U. v. 17.11.2011, Az. 10 C 13/10; U. v. 27.04.2010, Az. 10 C 4.09); dabei sind nicht nur solche Gewaltakte der Konfliktpartei zu berücksichtigen, die gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen, sondern alle, durch die Leib und Leben von Zivilpersonen wahllos und ungeachtet ihrer persönlichen Situation verletzt werden (BVerwG, U. v. 27.04.2010, Az. 10 C 4/09). Hierbei ist in der Regel auf die Herkunftsregion des Ausländers abzustellen, soweit sich dieser nicht bereits vor seiner Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst hat und sich in einem anderen Landesteil auf unabsehbare Zeit niedergelassen hatte (BVerwG, U. v. 31.01.2013, Az. 10 C 15/12; U. v. 17.11.2011, Az. 10 C 13/10). Die fehlende Wertung der statistischen Betrachtung führt jedenfalls dann nicht zu einem Fehler der Beurteilung, wenn die statistischen Zahlen weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt sind (BVerwG, U. v. 17.11.2011, Az. 10 C 13/10). Dabei ist jedenfalls bei einem Opferrisiko von 1:800 noch nicht von einem Überschreiten der relevanten Risikoschwelle und auch noch nicht von einer relevanten Annährung an dieselbe auszugehen (BVerwG, U. v. 17.11.2011, Az. 10 C 13.10).
Das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes kann hier dahin stehen, weil sich weder aus persönlichen Umständen des Klägers noch aus dem Grad willkürlicher Gewalt die erforderliche Individualisierung der Gefahr ergibt.
1.2.2.1 Selbst wenn man das Vorbringen des Klägers als wahr unterstellt, gehört er nicht zu einer herausgehobenen und damit gefährdeten Personengruppe. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 1.2.1.2 verwiesen.
1.2.2.2 Auch ein im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ausreichend hohes Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, ist nicht gegeben.
Unter Zugrundelegung der Einwohnerzahlen Afghanistans (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, in der Fassung der letzten Einfügung am 11.05.2017, Nrn. 3.1 ff, S. 29 ff) von insgesamt 27.656.245 Personen und einer Gesamtanzahl ziviler Opfer in Afghanistan von 11.418 laut UNAMA (Afghanistan. Protection of civilians in armed conflict. Annual report 2016, Februar 2017) besteht eine Gesamtwahrscheinlichkeit von 0,04%, ein ziviles Opfer in Afghanistan zu werden.
Unter Zugrundelegung der Einwohnerzahlen für die einzelnen Provinzen Afghanistans im Jahr 2016 (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, in der Fassung der letzten Einfügung am 11.05.2017, Nrn. 3.1 ff, S. 29 ff), der security incidents (Sicherheitsvorfälle) im Zeitraum vom 01.09.2015 bis 31.05.2016 (EASO, „Country of Origin Information Report. Afghanistan. Security Situation“ vom November 2016, Nr. 2, S. 39 ff, aufgeschlüsselt in die einzelnen Provinzen und die Kategorien „violence targeting individuals“, „Armed confrontations and airstrikes“, „Explosions“, „Security enforcement“, „Non-conflict related incidents“ und „Other incidents“) sowie der civilian casualties (zivile Verluste) im Jahr 2016 laut UNAMA (Afghanistan. Protection of civilians in armed conflict. Annual report 2016, vom Februar 2017, der den Zeitraum vom 01.01. bis 31.12.2016 abdeckt und in die Regionen Süden, Zentral, Osten, Nord-Osten, Norden, Süd-Osten, Westen und Zentrales Hochland unterteilt ist, S. 11 f), errechnen sich (unter Einbeziehung der nicht konfliktbasierten Vorfälle) die nachfolgenden Opferwahrscheinlichkeiten. Diese Wahrscheinlichkeiten ergeben sich durch Multiplikation des prozentualen Anteils der sicherheitsrelevanten Vorfälle der einzelnen Provinz an der Gesamtanzahl der Vorfälle in der entsprechenden Region mit den zivilen Opfern in der Gesamtregion und anschließender Division durch die Bevölkerungsanzahl der Provinz.
Dabei ist dem Gericht bewusst, dass es sich bei den errechneten Wahrscheinlichkeiten nur um Näherungen handelt, da beispielsweise sowohl bei der Erfassung der Daten, als auch in Bezug auf die einzelnen Erhebungszeitpunkte sowie die Zuordnung der Opfer zu den einzelnen Anschlägen notwendig Unschärfen bestehen. Diese sind bei dem – allerdings unumgänglichen – statistischen Abgleich unvermeidbar. Insoweit ist jedoch geklärt, dass eine annährungsweise Ermittlung der entsprechenden, zueinander ins Verhältnis zu setzenden Zahlen ausreichend ist (BayVGH, B. v. 13.01.2017, Az.: 13a ZB 16.30182, Rn. 6). Dass die Opferzahlen – bei anderer Zählweise – höher liegen können, wie teils eingewandt wird (vgl. Stahlmann, Asylmagazin 2017, 82 mit Fn. 2), ändert diese Bewertung nicht, denn die von UNAMA mitgeteilten Daten sind methodisch nachvollziehbar ermittelt und auch deswegen belastbar, da sie von einer von der internationalen Staatengemeinschaft getragenen Organisation stammen. Dass die Methodik der UNAMA überholt wäre, die Informationen an offen erkennbaren inhaltlichen Defiziten litten, insbesondere an entscheidungserheblichen unzutreffenden Tatsachenannahmen, unlösbaren Widersprüchen, sich aus den Stellungnahmen ergebenden Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit oder eines speziellen, hier nicht vorhandenen Fachwissens bedürften (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2015 – 7 C 15.13 – NVwZ 2016, 308/312 Rn. 47 m.w.N.), ist weder ersichtlich noch substantiiert gerügt. Im Gegenteil liegen für Afghanistan mangels Einwohnermeldewesens auch für die Bevölkerungszahlen nur Schätzungen vor (dies räumt auch Stahlmann, Asylmagazin 2017, 73/74 ein), so dass jede Datenerhebung schon deswegen an tatsächliche Grenzen stößt. Dass und weshalb andere Auskunftsquellen methodisch belastbarere Primärdaten hätten, ist nicht ersichtlich, so dass die Daten von UNAMA weiterhin zu Grunde gelegt werden.
Zentrales Gebiet: Provinz Kabul – 0,0145%, Provinz Kapisa – 0,06%, Provinz Panjshir – 0,001%, Provinz Parwan – 0,044, Provinz Wardak – 0,1244%, Provinz Logar – 0,1%; zentrales Hochland: Provinz Bamjan – 0,01%, Provinz Dai Kundi – 0,015%; südliches Gebiet: Provinz Kandahar – 0,1%, Provinz Helmand – 0,1306%, Provinz Nimroz – 0,04%, Provinz Uruzgan – 0,08%, Provinz Zabul – 0,05%; süd-östliches Gebiet: Provinz Ghazni – 0,04%, Provinz Paktya – 0,02%, Provinz Khost – 0,03%, Provinz Paktika – 0,04%; östliches Gebiet: Provinz Laghman – 0,07%, Provinz Nangarhar – 0,05%, Provinz Kunar – 0,119%, Provinz Nuristan – 0,02%; nord-östliches Gebiet: Provinz Baghlan – 0,05%, Provinz Kunduz – 0,05%, Provinz Takhar – 0,02%, Provinz Badakhshan – 0,01%; nördliches Gebiet: Provinz Faryab – 0,07%, Provinz Jawzjan – 0,04%, Provinz Balkh – 0,02%, Provinz Samangan – 0,01%, Provinz Sar-e Pul – 0,02%; westliches Gebiet: Provinz Herat – 0,02%, Provinz Badghis – 0,03%, Provinz Farah – 0,05%, Provinz Ghor – 0,01%.
Nur in der Provinz Helmand besteht eine Opferwahrscheinlichkeit von mehr als 1:800, nämlich 0,1306% (umgerechnet in die Darstellungsweise des Bundesverwaltungsgerichtes entspräche die Wahrscheinlichkeit 1:766). Damit überschreitet diese die im Urteil des BVerwG für noch nicht ausreichend gehaltene Wahrscheinlichkeit um 0,0056%; eine relevante Überschreitung der Gefährdungsschwelle ist damit nach Auffassung des Gerichts und des Bundesverwaltungsgerichtes (U. v. 17.11.2011, Az. 10 C 13.10) nicht verbunden.
Bei Herausrechnung der nicht konfliktbasierten und der sonstigen Vorfälle ergeben sich folgende Opferwahrscheinlichkeiten:
Zentrales Gebiet: Provinz Kabul – 0,0135%, Provinz Kapisa – 0,06%, Provinz Panjshir – 0,001%, Provinz Parwan – 0,043%, Provinz Wardak – 0,1296%, Provinz Logar – 0,1%; zentrales Hochland: Provinz Bamjan – 0,01%, Provinz Dai Kundi – 0,016%; südliches Gebiet: Provinz Kandahar – 0,1%, Provinz Helmand – 0,1318%, Provinz Nimroz – 0,04%, Provinz Uruzgan – 0,08%, Provinz Zabul – 0,05%; süd-östliches Gebiet: Provinz Ghazni – 0,04%, Provinz Paktya – 0,02%, Provinz Khost – 0,03%, Provinz Paktika – 0,04%; östliches Gebiet: Provinz Laghman – 0,07%, Provinz Nangarhar – 0,044%, Provinz Kunar – 0,120%, Provinz Nuristan – 0,02%; nord-östliches Gebiet: Provinz Baghlan – 0,05%, Provinz Kunduz – 0,05%, Provinz Takhar – 0,02%, Provinz Badakhshan – 0,01%; nördliches Gebiet: Provinz Faryab – 0,07%, Provinz Jawzjan – 0,04%, Provinz Balkh – 0,02%, Provinz Samangan – 0,008%, Provinz Sar-e Pul – 0,02%; westliches Gebiet: Provinz Herat – 0,02%, Provinz Badghis – 0,03%, Provinz Farah – 0,05%, Provinz Ghor – 0,01%.
Nach diesem Berechnungsmodus besteht in den Provinzen Wardak (0,1296%, entspricht 1:772) und Helmand (0,1318%, entspricht 1:759) eine Wahrscheinlichkeit, die über der seitens des Bundesverwaltungsgerichtes ausdrücklich nicht beanstandeten Wahrscheinlichkeit liegt. Jedoch erreichen auch diese Werte noch nicht die relevante Opferschwelle (BVerwG, U. v. 17.11.2011, a.a.O., juris, Rn. 23, betont ausdrücklich, dass die Schadensrelation von 1:800 in einem Jahr „so weit“ von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass sich auch der Mangel einer wertenden Betrachtung nicht auszuwirken vermag).
In diesen Zahlen ist ohne Unterschied die Wahrscheinlichkeit von Verletzung und Tötung enthalten (die anteilige Tötungswahrscheinlichkeit beträgt in der Zentralregion 22,74%, im zentralen Hochland 21,74%, im Süden 35,33%, im Süd-Osten 37,65%, im Osten 27,15%, im Nord-Osten 30,08% im Norden 28,19% und im Westen 41,15% (vgl.: UNAMA, Afghanistan. Protection of civilians in armed conflict. Annual report 2016, vom Februar 2017, S. 11 f)).
Unter Zugrundelegung der Opferzahlen für das erste Halbjahr 2017 (UNAMA, Afghanistan. Protection of civilians in armed conflict. Midyear Report 2017, July 2017, S. 10) und unter Beibehaltung der übrigen Zahlen stellt sich die Berechnung unter Einbeziehung der nicht-konfliktbasierten Vorfälle wie folgt dar (in Klammern findet sich die Hochrechnung für das gesamte Kalenderjahr):
Zentrales Gebiet: Provinz Kabul – 0,0078% (0,0155%), Provinz Kapisa – 0,032% (0,063%), Provinz Panjshir – 0,0007% (0,0014%), Provinz Parwan – 0,023% (0,046%), Provinz Wardak – 0,066% (0,133%), Provinz Logar – 0,05% (0,10%); zentrales Hochland: Provinz Bamjan – 0,002% (0,004%), Provinz Dai Kundi – 0,003% (0,006%); südliches Gebiet: Provinz Kandahar – 0,05% (0,1%), Provinz Helmand – 0,062% (0,124%), Provinz Nimroz – 0,02% (0,04%), Provinz Uruzgan – 0,037% (0,074%), Provinz Zabul – 0,023% (0,045%); süd-östliches Gebiet: Provinz Ghazni – 0,02% (0,04%), Provinz Paktya – 0,014% (0,028%), Provinz Khost – 0,015% (0,03%), Provinz Paktika – 0,02% (0,04%); östliches Gebiet: Provinz Laghman – 0,03% (0,06%), Provinz Nangarhar – 0,02% (0,04%), Provinz Kunar – 0,05% (0,1%), Provinz Nuristan – 0,008% (0,016%); nord-östliches Gebiet: Provinz Baghlan – 0,016% (0,03%), Provinz Kunduz – 0,014% (0,028%), Provinz Takhar – 0,005% (0,01%), Provinz Badakhshan – 0,004% (0,008%); nördliches Gebiet: Provinz Faryab – 0,02% (0,04%), Provinz Jawzjan – 0,013% (0,025%), Provinz Balkh – 0,008% (0,017%), Provinz Samangan – 0,003% (0,006%), Provinz Sar-e Pul – 0,008% (0,015%); westliches Gebiet: Provinz Herat – 0,01% (0,02%), Provinz Badghis – 0,02% (0,04%), Provinz Farah – 0,03% (0,06%), Provinz Ghor – 0,007% (0,014%).
Ohne nicht konfliktbasierte Vorfälle ergeben sich folgende Opferwahrscheinlichkeiten:
Zentrales Gebiet: Provinz Kabul – 0,0072% (0,014%), Provinz Kapisa – 0,033% (0,066%), Provinz Panjshir – 0,0008% (0,0015%), Provinz Parwan – 0,023% (0,046%), Provinz Wardak – 0,069% (0,138%), Provinz Logar – 0,05% (0,10%); zentrales Hochland: Provinz Bamjan – 0,002% (0,003%), Provinz Dai Kundi – 0,003% (0,006%); südliches Gebiet: Provinz Kandahar – 0,05% (0,1%), Provinz Helmand – 0,062% (0,124%), Provinz Nimroz – 0,02% (0,04%), Provinz Uruzgan – 0,037% (0,074%), Provinz Zabul – 0,022% (0,044%); süd-östliches Gebiet: Provinz Ghazni – 0,02% (0,04%), Provinz Paktya – 0,014% (0,028%), Provinz Khost – 0,015% (0,03%), Provinz Paktika – 0,02% (0,04%); östliches Gebiet: Provinz Laghman – 0,03% (0,06%), Provinz Nangarhar – 0,02% (0,04%), Provinz Kunar – 0,05% (0,1%), Provinz Nuristan – 0,008% (0,016%); nord-östliches Gebiet: Provinz Baghlan – 0,016% (0,03%), Provinz Kunduz – 0,014% (0,028%), Provinz Takhar – 0,005% (0,01%), Provinz Badakhshan – 0,004% (0,008%); nördliches Gebiet: Provinz Faryab – 0,02% (0,04%), Provinz Jawzjan – 0,013% (0,025%), Provinz Balkh – 0,008% (0,017%), Provinz Samangan – 0,003% (0,006%), Provinz Sar-e Pul – 0,008% (0,015%); westliches Gebiet: Provinz Herat – 0,01% (0,02%), Provinz Badghis – 0,02% (0,04%), Provinz Farah – 0,03% (0,06%), Provinz Ghor – 0,007% (0,014%).
Voranstehender Berechnung folgend hat die Opferwahrscheinlichkeit in etlichen Provinzen abgenommen; nur in Wardak ist ein Anstieg um 0,009 Prozentpunkte (mit nicht-konfliktbasierten Vorfällen) bzw. 0,008 Prozentpunkte (ohne nicht-konfliktbasierte Vorfälle) zu verzeichnen. Dies führt nicht zum Überschreiten der relevanten Opferschwelle (s.o.).
UNAMA weißt in Anlage III des Halbjahresberichtes (Afghanistan. Protection of civilians in armed conflict. Midyear Report 2017, July 2017, S. 72 f) die Anzahl der civilian casualties für jede einzelne Provinz aus. Legt man diese Zahlen der Berechnung der Opferwahrscheinlichkeiten zu Grunde, ergeben sich folgende Werte:
Zentrales Gebiet: Provinz Kabul – 0,023% (0,05%), Provinz Kapisa – 0,014% (0,028%), Provinz Panjshir – 0,00% (0,00%), Provinz Parwan – 0,006% (0,012%), Provinz Wardak – 0,007% (0,014%), Provinz Logar – 0,015% (0,03%); zentrales Hochland: Provinz Bamjan – 0,0002% (0,0004%), Provinz Dai Kundi – 0,005% (0,009%); südliches Gebiet: Provinz Kandahar – 0,03% (0,06%), Provinz Helmand – 0,056% (0,113%), Provinz Nimroz – 0,025% (0,051%), Provinz Uruzgan – 0,088% (0,175%), Provinz Zabul – 0,04% (0,09%); süd-östliches Gebiet: Provinz Ghazni – 0,013% (0,03%), Provinz Paktya – 0,03% (0,06%), Provinz Khost – 0,017% (0,04%), Provinz Paktika – 0,02% (0,04%); östliches Gebiet: Provinz Laghman – 0,05% (0,1%), Provinz Nangarhar – 0,02% (0,05%), Provinz Kunar – 0,02% (0,04%), Provinz Nuristan – 0,01% (0,02%); nord-östliches Gebiet: Provinz Baghlan – 0,01% (0,02%), Provinz Kunduz – 0,02% (0,04%), Provinz Takhar – 0,005% (0,01%), Provinz Badakhshan – 0,003% (0,006%); nördliches Gebiet: Provinz Faryab – 0,03% (0,06%), Provinz Jawzjan – 0,013% (0,025%), Provinz Balkh – 0,003% (0,006%), Provinz Samangan – 0,006% (0,012%), Provinz Sar-e Pul – 0,007% (0,014%); westliches Gebiet: Provinz Herat – 0,01% (0,02%), Provinz Badghis – 0,013% (0,027%), Provinz Farah – 0,04% (0,07%), Provinz Ghor – 0,003% (0,006%).
Danach würde bei linearer Fortschreibung der Opferzahlen auf das Gesamtjahr die Provinz Uruzgan die Opferwahrscheinlichkeit von 1/800 mit 1/572 überschreiten. Dies stellt jedoch noch keine relevante Gefahrerhöhung dar (vgl. oben).
Auch ist nicht ersichtlich, dass eine im Wesentlichen zunehmende Tendenz der Opferwahrscheinlichkeit gegeben wäre. Vielmehr ist nach der Dokumentation von UNAMA (UNAMA first quarter 2017 civilian casualty Data, vom 27.04.2017) für die ersten drei Monate eine Anzahl ziviler Opfer in Höhe von 2.181 verzeichnet worden. Dies entspricht laut UNAMA einem Rückgang von vier Prozent im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Vorjahres (2.268 zivile Opfer). Hieran ändert auch nichts, dass der Security Council der General Assembly der UN in den Berichten des Generalsekretärs „The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security” vom 03.03. und 15.06.2017 im Zeitraum vom 18.11.2016 bis 14.02.2017 5.160 security-related incidents (sicherheitsbezogene Vorfälle), von Januar bis einschließlich März 2017 5.687 security-related incidents und im Zeitraum vom 01.03. bis 31.05.2017 6.252 security-related incidents (S. 4) verzeichnete. Insoweit spricht er von einem zehnprozentigen Zuwachs im Zeitraum vom November 2016 bis Februar 2017 im Vergleich zur selben Periode im Jahr 2015 und einem dreiprozentigen Zuwachs im Vergleich zum Jahr 2014 sowie einem zweiprozentigen Zuwachs für den Zeitraum vom 01.03. bis 31.05.2017 im Vergleich zum Vorjahr.
Auch die medial sehr präsenten Anschläge in Afghanistan seit Mai 2017 (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19.06.2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, S. 4 ff; http://www.zeit.de/thema/afghanistan) vermögen es nicht, diese Einschätzung zu widerlegen (so etwa auch: OVG No. We., B. v. 10.07.2017, Az. 13 A 1385 (17.A); s. auch AA, Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31.05.2017, 28.07.2017). Im ersten Halbjahr 2017 bewegten sich die Opferzahlen in etwa auf dem hohen Niveau des Vorjahres; laut den Daten von UNAMA (Afghanistan. Protection of civilians in armed conflict. Midyear Report 2017, July 2017, S. 3) sank die Anzahl der Opfer um etwa ein halbes Prozent im Vergleich zum Vorjahr (24 Opfer weniger / 5.267 Opfer im ersten Halbjahr 2016). Eine wesentliche Steigerung für die Zukunft impliziert dies nicht.
Im Ergebnis folgt das Gericht damit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der zuletzt im Beschluss vom 04.08.2017 (Az.: 13a ZB 17.30791) ausgeführt hat:
„Das entspricht der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Dieser geht weiterhin davon aus, dass für die in der Zentralregion gelegene Stadt Kabul (und auch für ganz Afghanistan) die Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht vorliegen und dass auch die Lage in Afghanistan nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris – unter Bezugnahme auf U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris – und Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167). Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris; U.v. 12.2.2015 a.a.O.; U.v. 30.1.2014 –13a B 13.30279 – juris). Auf ein stützendes Netzwerk kommt es nicht an.“
1.3 Demgemäß sind auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG (1.3.1) oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (1.3.2) gegeben.
1.3.1 Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf, ist auf den gesamten Abschiebezielstaat abzustellen.
Dass dem Kläger – selbst wenn man sein Vorbringen als wahr unterstellt – jedenfalls dann keine unmenschliche Behandlung in Form einer Steinigung droht, wenn er nicht in sein Heimatdorf oder dessen unmittelbare Umgebung, sondern nach Kabul oder an einen anderen Ort in Afghanistan zurückkehrt, wurde bereits dargelegt.
Darüber hinaus können auch schlechte humanitäre Bedingungen eine auf eine Bevölkerungsgruppe bezogene Gefahrenlage darstellen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt, wenn die zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und die daraus resultierenden Gefährdungen eine Intensität aufweisen, bei der auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist (BayVGH, Urteil vom 23.03.2017, Az. 13a B 17.30030, juris Rn. 15). Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht jedoch allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (BVerwG, U. v. 31.01.2013, Az. 10 C 15/12, juris Rn. 23).
Ein solcher Ausnahmefall wird bei einer Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern unter den in Afghanistan derzeit herrschenden Rahmenbedingungen im Allgemeinen angenommen (BayVGH, Urteil vom 23.03.2017, Az. 13a B 17.30030, juris Rn. 15), nicht hingegen bei der Rückkehr eines alleinstehenden, gesunden und arbeitsfähigen jungen Mannes.
Allgemein bleibt festzuhalten, dass afghanische Rückkehrer mit Millionen ihrer Landsleute Lebensbedingungen teilen, die bis hin zum Überlebenskampf führen können (vgl. Stahlmann, Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff) und in der bundesdeutschen Sozialstaatswirklichkeit keine Entsprechung findet. Solange ein Leben am Rande des Existenzminimums aber gewährleistet ist, besteht keine Gefahrenlage, die zu einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führt.
1.3.2 Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erforderlich ist eine individuelle Gefahr. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung). Danach obliegt es nicht den Gerichten, sondern den Innenministern des Bundes und der Länder, durch humanitäre Abschiebestopp-Erlasse oder durch andere Maßnahmen auch solche Ausländer wirksam zu schützen, denen bei einer Abschiebung Gefahren drohen, die nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage sind (BayVGH, U. v. 31.05.2011, Az. 13a B 11.30083, juris Rn. 19).
Nur ausnahmsweise kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet zwar nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssten. Allerdings besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise nur dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (BVerwG, U. v. 31.01.2013, Az.: 10 C 15/12, juris Rn. 38; BayVGH, U. v. 31.05.2011, Az. 13a B 11.30083, juris Rn. 20 und 21).
Auch unter Berücksichtigung einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Existenzbedingungen und von Versorgungsengpässen durch die hohe Zahl von Rückkehrern aus dem Iran und Pakistan sowie von Binnenflüchtlingen, insbesondere im Abschiebungszielort Kabul, hat sich die allgemeine Gefahr für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Es ist nach wie vor davon auszugehen, dass der Kläger als alleinstehender, gesunder und arbeitsfähiger junger Mann, der sein Leben in Afghanistan verbracht hat und mit den dortigen Verhältnissen vertraut ist, in der Lage sein wird, durch Gelegenheitsarbeiten ein Einkommen zu erzielen, das ihm ein Leben am Rande des Existenzminimums ermöglicht und ihn vor dem Hungertod bewahrt. Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hamburg, auf dessen Gerichtsbescheid vom 10.01.2017 (Az.: 10 A 6516/16) die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung verwiesen hat, kann nur „im Einzelfall ausnahmsweise“ auch einem volljährigen jungen Mann aus Afghanistan ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung zustehen. Der vom Verwaltungsgericht Hamburg angenommene Einzelfall zeichnete sich – im Unterschied zum vorliegenden Fall – dadurch aus, dass der dortige Kläger sein Heimatland im Alter von sieben Jahren verlassen hatte und eine labile Persönlichkeit darstellte. Ob eine Gemeinsamkeit darin besteht, dass in Afghanistan keine Verwandten (mehr) leben – nach der Fluchtschilderung des Klägers beim Bundesamt haben Verwandte das Fluchtauto nach Kabul organisiert – kann dahinstehen, weil es für den Ausschluss einer extremen Gefahrenlage auf ein stützendes familiäres Netzwerk nicht ankommt (BayVGH, B. v. 04.08.2017, Az.: 13a ZB 17.30791).
1.4 Nach alledem erweist sich auch die Abschiebungsandrohung als rechtmäßig, weil die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 AsylG vorliegen und sie nach Maßgabe des § 59 AufenthG erlassen wurde.
1.5 Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 ZPO.