Europarecht

Zulassung, Abmahnkosten, Arzneimittel, Unterlassungsanspruch, Wirksamkeit, Gutachten, Anlage, Medizinprodukte, Bundesamt, Beweislast, Unterlassung, Aufnahme, Zahlung, Ordnungshaft, pharmakologische Wirkung, kein Anspruch, rechtliche Beurteilung

Aktenzeichen  33 O 5198/14

Datum:
26.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 140178
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Unterlassung gemäß §§ 3, 3 a, 8 UWG n.F. i.V.m. § 21 AMG und § 3 a HWG zu, da er nicht nachweisen konnte, dass es sich bei dem Produkt „A… Gut Einschlafen Melatonin“ um ein Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 a) AMG handelt.
Insoweit unterscheidet sich die zum Zeitpunkt der Begehung der angegriffenen Handlung geltende Rechtslage (§ 4 Nr. 11 UWG a.F.) nicht von der zum Zeitpunkt der Verkündung geltenden Rechtslage (§ 3 a UWG n.F.) gemäß dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 02.12.2015 (BGBl. I S. 2150 vom 09.10.2015), in Kraft getreten am 10.12.2015 (Art. 2). Die im zweiten Halbsatz des § 3 a UWG n.F. redaktionell neu eingefügte Spürbarkeitsklausel entspricht der des § 3 Abs. 1 UWG a.F. (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 34. Auflage, Einl. UWG Rn. 2.34). § 2 Abs. 1 Nr. 2 a) AMG war von den letzten Gesetzesänderungen im AMG nicht betroffen und gilt in seiner aktuellen Fassung seit 23.7.2009.
I. Ein Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 a) AMG ist u.a. anzunehmen, wenn es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen handelt, die im oder am menschlichen Körper angewendet können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen.
1. Der Begriff des Funktionsarzneimittels ist dabei im Sinne des europarechtlichen Arzneimittelbegriffes zu bestimmen; die Beurteilung hat unter Berücksichtigung aller Merkmale, insbesondere der Zusammensetzung, der pharmakologischen, immunologischen und der metabolischen Eigenschaften, wie sie sich beim Stand der Wissenschaft feststellen lassen, der Modalitäten seines Gebrauchs, dem Umfang seiner Verbreitung, seiner Bekanntheit bei den Verbrauchern sowie der Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, zu erfolgen (BGH, GRUR 2010, 259, 260 Rn. 14 – Zimtkapseln, EuGH GRUR 2008, 271, 272 Rn. 55 – Knoblauch-Extrakt-Pulver-Kapsel).
2. Die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind dabei der Faktor, auf dessen Grundlage – ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses – zu beurteilen ist, ob dieses im oder am menschlichen Körper zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt werden kann (BGH, GRUR 2010, 259, 260 Rn. 14 – Zimtkapseln).
3. Stoffe, die zwar auf den menschlichen Körper einwirken, sich aber nicht nennenswert auf den menschlichen Stoffwechsel auswirken und somit dessen Funktionsbedingungen nicht wirklich beeinflussen, dürfen dabei nicht als Funktionsarzneimittel eingestuft werden. Der Begriff des Funktionsarzneimittel soll nur diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt und die tatsächlich dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder physiologische Funktionen wieder herzustellen, zu bessern oder zu beeinflussen (BGH, GRUR 2010, 259, 260 Rn. 15 – Zimtkapseln, EuGH GRUR 2008, 271, 272 Rn. 61 – Knoblauch-Extrakt-Pulver-Kapsel).
Enthält ein Produkt im Wesentlichen einen Stoff, der auch in einem Lebensmittel in dessen natürlichen Zustand vorhanden ist, so gehen von ihm keine nennenswerten Auswirkungen auf den Stoffwechsel aus, wenn bei einem normalen Gebrauch des fraglichen Erzeugnisses seine Auswirkungen auf die physiologischen Funktionen nicht über die Wirkungen hinausgehen, die ein in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel auf diese Funktionen haben kann (BGH, GRUR 2010, 259, 260 Rn. 15 – Zimtkapseln).
II. Die Beweislast für das Vorliegen eines Arzneimittels als anspruchsbegründende Tatsache liegt beim Kläger (BGH, LMRR 2008, 13 Rn. 13 – L-Carnitin II), worauf die Kammer mit Beschluss vom 27.1.2015 bereits hingewiesen hat.
Dies umfasst insbesondere den Nachweis einer pharmakologischen Wirkung des streitgegenständlichen Produkts, da diese den wesentlichen Faktor für die Einordnung als Funktionsarzneimittel darstellt. Eine pharmakologische Wirkung ist – wie unter I. 3. dargelegt – nur anzunehmen, wenn das betreffende Produkt mehr als ernährungsphysiologische Wirkungen erzielt (BGH, LMRR 2008, 13 Rn. 21 – L-Carnitin II).
Somit obliegt dem Kläger sowohl der Nachweis, dass einem Produkt grundsätzlich eine pharmäkologische Wirkung zukommt als auch dass diese über das hinausgeht, was durch die Aufnahme einer angemessenen Menge an Lebensmitteln erzielt werden kann.
III. Der Kläger blieb diesbezüglich beweisfällig, da er eine pharmakologische Wirkung des streitgegenständlichen Produkts nicht nachweisen konnte: Insbesondere konnte er nicht nachweisen, dass die Wirkungen des Produkts auf die physiologischen Funktionen über die Wirkungen hinausgehen, die ein in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel auf diese Funktionen haben kann. Anders formuliert: Er konnte nicht nachweisbar ausschließen, dass die entsprechende Wirkung nicht auch durch die Aufnahme von entsprechenden Lebensmitteln erreichbar ist.
1. Das von der Kammer eingeholte Sachverständigengutachten hat einen entsprechenden Nachweis gerade nicht erbracht:
a) In seinem schriftlichen Gutachten führte der Sachverständige aus, dass eine Melatoninzufuhr von 1 mg pro Tag mit einer selektiven Lebensmittelauswahl grundsätzlich möglich sei (vgl. Bl. 128). Dies sei jedoch nur unter Abweichung von den in Deutschland üblichen Verzehrgewohnheiten möglich; des Weiteren ergebe sich aus ernährungsmedizinischer Perspektive aus einer derartigen Ernährung wahrscheinlich kein gesundheitlicher Nutzen.
b) In der mündlichen Anhörung legte der Sachverständige in Ergänzung zu seinem schriftlichen Gutachten insbesondere dar, dass es im Ergebnis auf die Bioverfügbarkeit von Melatonin ankomme, d.h. was der Körper letztendlich von dem zugeführten Stoff aufspalten könne. Zusammengefasst führte er aus, dass er weder zur Bioverfügbarkeit von natürlichem noch von synthetischem Melatonin belastbare Aussagen treffen könne: Es sei davon auszugehen, dass synthetisches Melatonin grundsätzlich besser aufgenommen werden könne, da es nicht erst aus einer komplexen Matrix herausgelöst werden müsse. Ihm sei nur möglich, seine Einschätzungen mit Analogien zu vergleichbaren Lebensmitteln (z.B. Mandeln) zu begründen. Die Bioverfügbarkeit von natürlichem Melatonin müsste konkret im Hinblick auf die jeweiligen Pflanzen bestimmt werden. 100 % Bioverfügbarkeit seien bei keinem Stoff zu erwarten. Eine Vergleichsstudie zur Bestimmung der unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten sei grundsätzlich möglich.
Im Hinblick auf die als B 8 vorgelegte Studie von O… u.a. gab er an, dass er keinen Anlass habe, an deren Ergebnissen zu zweifeln; es sei insbesondere eine etablierte Extraktionsmethode angewandt worden.
c) Die Kammer legt die nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen, an dessen Sachkunde keine Zweifel bestehen, ihren weiteren Erwägungen zu Grunde.
2. Den Ausführungen des Sachverständigen ist zu entnehmen, dass die Aufnahme von 1 mg (in Pflanzen eingebettetem) Melatonin durch eine entsprechende Kombination an Lebensmitteln (insbesondere durch Pistazien) grundsätzlich denkbar erscheint. Ob dies den in Deutschland üblichen Verzehrgewohnheiten entspricht oder ernährungsphysiologisch sinnvoll erscheint, ist für die rechtliche Beurteilung des streitgegenständlichen Produkts irrelevant (vgl. BGH GRUR 2010, 259, 261 – Zimtkapseln). Der Verzehr dieser Lebensmittel darf lediglich keine nachteiligen Wirkungen auslösen, wovon ausweislich der Angaben des Sachverständigen bei Pistazienkernen bei den diskutierten Mengen nicht auszugehen sei.
Für die Frage der Wirkung auf den menschlichen Körper ist ausweisliche seiner Erläuterungen entscheidend, welche Menge an Melatonin im Verdauungstrakt herausgelöst werden kann und somit letztendlich durch die Dünndarmwand in den Blutkreislauf gelangt (sog. Bioverfügbarkeit). Dies ist sowohl bei synthetischem als auch bei natürlichem Melatonin zu beachten.
Eine Angabe von Näherungswerten zur Bioverfügbarkeit des im Produkt der Beklagten bzw. in Pistazien enthaltenen Melatonin war ihm jedoch ohne Durchführung einer Vergleichsstudie nicht möglich.
3. Der Nachweis, dass die Wirkungen des Produktes der Beklagten über das hinausgehen, was durch Lebensmittel erreicht werden kann, ist somit nicht erbracht.
Der Sachverständige konnte im Ergebnis nicht sagen, welche Menge an Lebensmitteln, insbesondere Pistazien, aufgenommen werden müssten, um im Blut einen Melatoninspiegel hervorzurufen, der demjenigen entspricht, der durch die Aufnahme einer Kapsel mit 1 mg synthetischem Melatonin hervorgerufen werden kann.
Aufgrund der unter II. näher dargestellten Beweislast geht diese Unsicherheit zu Lasten des Klägers: Nachdem die Beklagte hinreichend dargelegt hat, dass ein entsprechender Melatoningehalt auch durch eine Kombination aus Lebensmitteln aufgenommen werden kann und dies – wie dargestellt – vom Sachverständigen für nicht ausgeschlossen erachtet wurde, hätte der Kläger nachweisen müssen, dass die Wirkungen des streitgegenständlichen Produkts über das hinausgehen, was durch die Aufnahme von Lebensmitteln möglich ist oder – umgekehrt formuliert – dass die gleiche Wirkung gerade nicht durch die Aufnahme von Lebensmitteln möglich ist. Diesbezüglich ist er jedoch beweisfällig-geblieben.
IV. Sofern der Kläger kurz ausführt (vgl. Bl. 63), dass mangels Nachweis der Wirkung von Melatonin die Bewerbung des Produkt mit der Bezeichnung „Einschlafen“ bereits irreführend sei, ist dies weder hinreichend substantiiert dargetan noch von seinem Antrag umfasst.
B.
Mangels lauterkeitsrechtlichem Unterlassungsanspruch steht dem Kläger auch kein Ersatz der ihm entstandenen Abmahnkosten zu.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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