Aktenzeichen M 9 K 16.51308
Dublin III-VO Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2, Abs. 3, Art. 27 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5 u. 7
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 2
Leitsatz
1. Wie der EuGH klargestellt hat, läuft die 3-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bereits mit Eingang der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BÜMA) beim Bundesamt an (EuGH, NVwZ 2017, 1601 Rnrn. 75ff., insb. Rn. 97 und Rn. 103; VG München, Urt. v. 3.8.2017 – M 9 K 17.50068, BeckRS 2017, 121371). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Wiederaufnahmegesuch wurde vorliegend verspätet gestellt. Der Fristablauf begründet gem. Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO den Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des Asylbegehrens auf die Beklagte. Der Asylantrag ist damit nicht (mehr) nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Klageverfahren eingestellt.
II. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20. Dezember 2016 wird aufgehoben.
III. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte zu je ½.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO konnte über die Klage ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, da alle Beteiligten – die Bevollmächtige des Klägers im Einvernehmen mit diesem in der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2017, die Beklagte durch allgemeine Prozesserklärung vom 25. Februar 2016 – auf eine (weitere) mündliche Verhandlung verzichtet haben.
Das Verfahren war gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 VwGO (deklaratorisch) einzustellen, soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BVerwG (U.v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 – juris) teilweise zurückgenommen wurde. Die Erklärung, dass nur mehr Ziff. 1 und 5 der ursprünglich gestellten Anträge aufrechterhalten werden, ist als teilweise Klagerücknahme anzusehen; eine darüber hinausgehende ausdrückliche Erklärung der (teilweisen) Klagerücknahme ist nicht erforderlich (vgl. statt aller Eyermann, VwGO, Stand: 14. Auflage 2014, § 92 Rn. 9).
Im Umfang der aufrechterhaltenen Anträge hat die Klage Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 20. Dezember 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Zuständigkeit für die Prüfung des klägerischen Asylantrags ist nach Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen (1.). Der Kläger kann sich auf den Ablauf der Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO berufen (2.).
1. Wie der Europäische Gerichtshof (i.F.: EuGH) in seiner – dem Eilbeschluss im Verfahren M 9 S 16.51309 und der mündlichen Verhandlung im hiesigen Verfahren nachfolgenden – Entscheidung vom 26. Juli 2017, Az. C-670/16 – dort: für Aufnahmegesuche nach Art. 21 Dublin III-VO, was aber analog auf Wiederaufnahmegesuche anwendbar ist, da beide Verfahren im selben Kapitel der Dublin III-VO geregelt und die Problemlagen, v.a. die Auslegung des Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO, identisch sind – klargestellt hat, läuft die 3-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bereits mit Eingang der BÜMA beim Bundesamt an. Dies ergebe sich daraus, dass eine Antragstellung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO nicht erst mit der förmlichen Antragstellung beim Bundesamt gegeben sei, sondern bereits mit dem dortigen Eingang der BÜMA (EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – juris Rn. 75ff., insb. Rn. 97 und Rn. 103; VG München, U.v. 3.8.2017 – M 9 K 17.50068 – juris).
Das Gericht schließt sich für das hiesige Hauptsacheverfahren dieser Rechtsansicht an. Damit gilt Folgendes: Vorliegend ging die BÜMA dem Bundesamt nachweislich am 25. November 2015 zu (Bl. 75 d. BA), die 3-Monats-Frist lief damit rechnerisch am 26. November 2015 an und endete am 25. Februar 2016. Das Wiederaufnahmegesuch wurde erst am 16. November 2016 und mithin verspätet gestellt. Der EuGH, a.a.O. ist damit auch dem rechtlichen Standpunkt, wonach die mit einer Eurodac-Treffermeldung anlaufende 2-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO spezieller sei als die „auf andere Beweismittel“ abstellende 3-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO, nicht gefolgt. Die 2-Monats-Frist findet demnach nur alternativ Anwendung, verlängert aber nicht den 3-Monats-Zeitraum, der auf den Eingang der BÜMA beim Bundesamt folgt (zum Ganzen EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – juris Rn. 63ff., insb. Rn. 74). Der Fristablauf begründet gem. Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO den Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des Asylbegehrens auf die Beklagte. Der Asylantrag ist damit nicht (mehr) nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig.
2. Mit dieser objektiven Rechtswidrigkeit geht auch eine subjektive Rechtsverletzung des Klägers einher und zwar unabhängig davon, ob der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat seine Aufnahmebereitschaft positiv erklärt hat oder nicht (EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – juris Rn. 41ff., insb. Rn. 62). Art. 27 Abs. 1 der Dublin III-VO ist dahingehend auszulegen, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihr gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung auf den Ablauf einer in Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO genannten Frist berufen kann. Das Bundesamt ist in der Folge kraft Gesetzes, § 31 Abs. 2 AsylG, verpflichtet, das Asylverfahren des Klägers fortzuführen und eine Sachentscheidung zu treffen (z.B. BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris).
Auf die in der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2017 noch diskutierte Frage, wie sich die – durch das Bundesverwaltungsgericht zwischenzeitlich im Übrigen für wirkungslos erklärte (BVerwG, B.v. 3.4.2017 – 1 C 9.16 – juris) – Entscheidung des BayVGH, B.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50124 – juris hinsichtlich der behaupteten PTBS-Erkrankung auswirkt, kommt es nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO, wobei die zurückgenommenen Anträge für die einheitliche Kostenentscheidung mit ½ des ursprünglichen Streitgegenstandes angesetzt werden, während der Kläger hinsichtlich der aufrechterhaltenen Klage vollständig obsiegt (so z.B. auch VG Düsseldorf, U.v. 7.11.2017 – 22 K 696/17.A – juris). Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO. Es wird darauf hingewiesen, dass die deklaratorische Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens (Ziff. I des Tenors) unanfechtbar ist, § 80 AsylG.