Aktenzeichen 3 K 1601/14
Leitsatz
Tenor
1. Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 28.02.2014 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 13.11.2014 wird die Familienkasse verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für seine beiden Kinder im Zeitraum Januar 2013 bis November 2014 in voller gesetzlicher Höhe und damit i.H.v. zusätzlich 174,92 € monatlich zu bewilligen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der zu erstattenden Aufwendungen des Klägers vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Aufwendungen des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Dem Kläger steht für den streitigen Zeitraum Kindergeld nach dem EStG für seine beiden Kinder in voller Höhe zu.
1. Streitzeitraum sind entsprechend dem zuletzt präzisierten Antrag des Klägervertreters die Monate Januar 2013 bis November 2014 (Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung; vgl. Urteil des BFH vom 25.09.2014 III R 36/12, BStBl II 2015, 286). Soweit der Kläger mit Klageerhebung zunächst ein Begehren für weitere – dem Klagezeitraum nachfolgende – Zeiträume zum Ausdruck gebracht hat, liegt hierin lediglich ein außerhalb des Klageverfahrens gestellter Antrag an die Familienkasse (vgl. Urteil des BFH vom 22.12.2011 III R 41/07, BStBl II 2012, 681), der dort entsprechend vorgemerkt wurde.
2. Der Kläger ist im Streitfall nach Überzeugung des Senats zum ungekürzten Kindergeldbezug berechtigt. Eine Anrechnung englischen Kindergeldes kommt aus unionsrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Der Senat schließt sich insoweit dem überzeugend begründeten Urteil des Finanzgerichts Münster vom 05.08.2016 (4 K 3115/14 Kg, juris-Datenbank; rkr.) an und hält die Grundsätze der Entscheidung auch auf Streitfall für anwendbar.
a) Der Kläger erfüllt im Streitzeitraum die nationalrechtlichen Anforderungen an die Gewährung von Kindergeld.
Der Kläger ist – wie zwischen den Beteiligten unstreitig – aufgrund der ausdrücklich fortgeltenden Bescheinigung des Finanzamts 1 ab dem Veranlagungszeitraum 2011 nach § 1 Abs. 3 EStG in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Als deutscher Staatsangehöriger ist er daher ohne Einschränkungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 b) EStG grundsätzlich kindergeldberechtigt. Da seine Kinder minderjährig sind und im EU-Ausland leben (§ 63 Abs. 1 EStG) sind diese auch berücksichtigungsfähig.
Der Kläger und seine Ehefrau leben in einem gemeinsamen Haushalt mit den Kindern; die Ehefrau hat der Auszahlung des Kindergeldes an den Kläger zugestimmt (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG).
b) Es handelt sich im Streitfall um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt mit Unionsbezug, der zur Anwendung der VO Nr. 883/2004 sowie der dazu ergangenen Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 führt. Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 883/2004) i.V.m. Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 987/2009) ist seit Mai 2010 anwendbar (vgl. Art. 91 Abs. 2 VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 97 Abs. 1 Satz 2 VO Nr. 987/2009) und gilt damit im Streitzeitraum.
Der Kläger fällt als deutscher Staatsbürger gemäß Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in deren persönlichen Anwendungsbereich. Ebenso ist der sachliche Anwendungsbereich der VO eröffnet; das Kindergeld ist eine Familienleistung i. S. von Art. 1 Buchst. z, Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004.
Nach Art. 11 Abs. 3 Ziffer a) der VO 883/2004 unterliegt der Kläger aufgrund seiner Beschäftigung in England den dortigen Rechtsvorschriften.
d) Nach den englischen Rechtsvorschriften ergibt sich, dass auch dort Familienleistungen für Kinder vorgesehen sind, das sogenannte „Child Benefit“ (vgl. Part IX des SOCIAL.SECURITY.CONTRIBITIONES AND BENEFITS ACT 1992, von der Familienkasse vorgelegt). Die in England vorgesehenen Leistungen kann im Grundsatz auch der Kläger in Anspruch nehmen (und hat diese bis Dezember 2012 auch bezogen), wie sich ergänzend auch aus der Mitteilung des HM Revenue Customs zum Child Benefit vom 05.12.2012 ergibt. Dies ist auch im Grundsatz zwischen den Beteiligten unstreitig.
Da im Streitfall für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedsstaaten zu gewähren sind, gilt Art. 68 Abs. 1 der VO 883/2004, der die Priorität der Ansprüche, deren (teilweise) Aussetzung und das Verfahren regelt. Diese Vorschrift ist an die Stelle des zuvor geltenden Art. 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71) sowie Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21.03.1972 über die Durchführung der VO (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 574/72) getreten.
Nach dieser Vorschrift ist Großbritannien aufgrund der nur dort ausgeübten Erwerbstätigkeit und dem Wohnort (insbesondere der Kinder) der vorrangig zuständige Staat, der ohne weiteres uneingeschränkt Kindergeld zu gewähren hat (Art. 60 Abs. 2 der VO Nr. 987/2009; vgl. auch DA 214.2 Abs. 4, 214.5).
Nach Art. 68 Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 ist grundsätzlich vorgesehen, dass vom nachrangig zuständigen Staat (hier Deutschland) die Ansprüche auf Familienleistungen ausgesetzt werden und zwar bis zur Höhe der vom vorrangig zuständigen Staat vorgesehenen Leistungen. In diesen Fällen ist verfahrensrechtlich nach Art. 68 Abs. 3 der VO Nr. 883/2004 weiter vorgesehen, dass der nachrangige Staat bei Antragstellung bei ihm, den Antrag unverzüglich an den vorrangig zuständigen Träger zur dortigen Prüfung zuleitet und vorläufig (nur) den Unterschiedsbetrag leistet.
So lange dieser unionsrechtlich vorgesehene Ablauf nicht eingehalten wird, besteht in Deutschland der volle Kindergeldanspruch. Eine Anrechnung nur fiktiv beziehbaren aber tatsächlich nicht bezogenen Kindergeldes kommt nach Auffassung des Senats dann nicht in Betracht (so auch überzeugend FG Münster, Urteil vom 05.08.2016 4 K 3115/14 Kg, juris-Datenbank).
e) So hat der EuGH zum Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 im Urteil vom 22.10.2015 C-378/14 „Trapkowski“, Rn. 32 (ECLI:EU:C:2015:720, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2015, 1501) – unter Verweis auf sein Urteil vom 14.10.2010 C-16/09 „Schwemmer“, Rn. 52 (ECLI:EU:C:2010:605, Slg. 2010, I-9717-9762), – darauf hingewiesen, dass es nach seiner ständigen Rechtsprechung für die Annahme, dass in einem bestimmten Fall eine Kumulierung vorliegt, nicht genügt, dass Leistungen in dem Mitgliedstaat, in dem das betreffende Kind wohnt, geschuldet werden und zugleich in einem anderen Mitgliedstaat, in dem ein Elternteil dieses Kindes arbeitet, lediglich potenziell gezahlt werden können (ähnlich auch FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.10.2013 3 K 3137/12, EFG 2014, 214). Diesen Gedanken hat der BFH unter Geltung der VO Nr. 1408/71 auch dann für anwendbar gehalten, wenn die Kumulation in der Person desselben Steuerpflichtigen vorliegt (vgl. BFH-Urteile vom 05.09.2013 XI R 52/10, BFH/NV 2014, 33; vom 18.07.2013 III R 51/09, BFHE 242, 222). Dem Finanzgericht Münster ist nach Auffassung des Senats darin zu folgen, dass kein Grund dafür ersichtlich ist, dass es sich nach neuer Unionsrechtslage anders verhalten könnte. Der Wortlaut des Art. 68 Abs. 1 Hs. 1 der VO Nr. 883/2004 erfasst ohne weiteres auch die Kollision der Ansprüche in einer Person.
Zwar könnten die Formulierung des Art. 68 Abs. 2, Abs. 3 a) der VO 883/2004 zunächst nahelegen, dass der nachrangig zuständige Staat unabhängig von der tatsächlichen Gewährung von Kindergeld im Ausland lediglich Differenzkindergeld zu zahlen hat. Die Regelung ist nach Auffassung des Senats jedoch im Kontext des verordnungsmäßigen Regelablaufs der Art. 68 Abs. 2, 3 VO Nr. 883/2004 zu sehen. Der nach seiner Auffassung nachrangige Staat hat für den Fall, dass er nur Differenzkindergeld gewähren will, auf Grundlage der Verordnung den Vorgang an den vorrangig zuständigen Staat weiter zu leiten, damit dieser den dortigen Kindergeldanspruch aufgrund der zeitlichen Fiktionswirkung (Art. 68 Abs. 3 b der VO 883/2004) prüfen kann und gegebenenfalls dann Kindergeld nach seinen Rechtsvorschriften gewährt (so auch zutreffend Urteil des Finanzgerichts Münster vom 05.08.2016 4 K 3115/14 KG, aaO). Dieser Ablauf entspricht im Übrigen auch der Durchführungsanweisung zum über- und zwischenstaatlichen Recht der Familienkassen (DA-üzV), die unter Ziffer 214.821 im Ablaufschema 2 (nachrangige Zuständigkeit Deutschlands) im zeitlichen Ablauf vor der – im Übrigen nur nach § 165 Abs. 1 AO vorläufigen – Festsetzung des Differenzkindergeldes die Weiterleitung des Antrags an den anderen Mitgliedstaat vorsieht.
Der Art. 68 Abs. 3 der VO Nr. 883/2004 verlagert die Prüfung, ob im vorrangigen Staat Kindergeld zu leisten ist (anders als § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, vgl. Urteil des BFH vom 13.06.2013 III R 63/11, BStBl II 2014, 711), zunächst in diesen zuständigen Staat. So formuliert auch der EuGH in seiner Entscheidung vom 22.10.2015 C-378 „Trapkowski“, Rn. 40 (aaO) entsprechend, dass es der zuständigen nationalen Behörde obliege, den Kindergeldanspruch nach nationalem Recht zu prüfen. Will die zuständige Familienkasse in Deutschland nur Differenzkindergeld gewähren, weil sie zu der Rechtauffassung gelangt ist, dass sie nur nachrangig zuständig ist und dass nach den Rechtsvorschriften des vorrangigen Mitgliedstaates dort ein Kindergeldanspruch besteht, hat sie nach der unionsrechtlichen Vorschrift das ihrerseits Erforderliche zu tun, damit im vorrangig zuständigen Staat die dortige Leistung zur Auszahlung gelangt.
f) Die hier vertretene Ansicht des Senats widerspricht auch nicht der neueren Rechtsprechung des BFH zu der Konstellation, dass der andere Elternteil oder ein Großelternteil in einem anderen EU-Land in einem anderen Haushalt mit dem Kind lebt und keinen Kindergeldantrag gestellt hat (vgl. BFH-Urteile vom 10.03.2016 III R 66/13 und 62/12; vom 28.04.2016 III R 50/12, BFH/NV 2016, 1471 m.w.N.). In diesen Fallgestaltungen ist aufgrund der unionsrechtlichen Fiktion ein vorrangiger Anspruch der haushaltsaufnehmenden (weiteren) Person in Deutschland aufgrund der nationalen Vorschriften gegeben. Nur für diese Fallgestaltung ergibt sich aus den Entscheidungen (so auch der EuGH im Urteil vom 22. Oktober 2015 C-378/14 „Trapkowski“, aaO), dass alleine die fehlende Antragstellung des Anspruchsinhabers im Inland nicht dazu führt, dass ein Kindergeldanspruch des weiteren Elternteiles in Deutschland begründet werden kann.
Letztlich verweist der BFH in seinen Entscheidung jedoch auch auf die Einhaltung der unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften, in dem er z.B. in dem Urteil vom 28.04.2016 (III R 68/13, BStBl II 2016, 776) ausführt:
„Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr (hier: ggf. die Kindsmutter, sofern nicht bereits ein in Spanien gestellter Antrag zu berücksichtigen wäre), berücksichtigt nach Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind (hier: Deutschland), einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem “anderen Elternteil„gestellt wird.“
Naturgemäß setzt jedoch die Berücksichtigung von Anträgen regelmäßig voraus, dass Kenntnis von der Antragstellung erlangt wird.
3. Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze kommt der Senat für den Streitfall zu dem Ergebnis, dass dem Kläger für den Klagezeitraum das deutsche Kindergeld in voller Höhe zustand. Der Kläger hat aufgrund des in England verfahrensrechtlich vorgesehenen Verzichts auf die Auszahlung des Kindergeldes dort zuletzt im Dezember 2012 Kindergeld bezogen und im Klagezeitraum dann nicht mehr.
Nach Auffassung des Senats ist der im Streitfall erklärte Verzicht einer fehlenden Antragstellung gleichzustellen. Sowohl aus der Bescheinigung der zuständigen Behörde in England (HM Revenue & Customs) vom 05.12.2012 wie auch aus den englischen Rechtsvorschriften (Finance Act 2012, Chapter 2, 8 High income child benefit charge, „13A Election not to receive child benefit“ Nrn. (5) und (7)) ergibt sich, dass der erklärte Verzicht grundsätzlich widerrufbar ist. Entsprechend Nr. (7) ist dies wohl auch noch bis zu zwei Jahre nach Ablauf des Steuerjahres möglich. Über die Frage, ob dem Kläger aufgrund eines erneuten Antrags wieder Kindergeld im Streitzeitraum auszuzahlen gewesen wäre, ihm dieses aus verfahrensrechtlichen oder materiell rechtlichen Gründen (Überschreiten der Einkunftsgrenze?) nach englischem Recht letztlich zu versagen gewesen wäre, hat grundsätzlich zunächst die zuständige Behörde in England zu entscheiden. Diese konnte im Streitfall jedoch nicht tätig werden, da die Familienkasse in Deutschland unter Verletzung der unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften den im Inland gestellten Antrag auf Kindergeld nicht an die zuständige Behörde im Mitgliedstaat England weitergeleitet hat.
Dem Kläger kann – insbesondere vor dem Hintergrund des verordnungswidrigen Verhaltens der Familienkasse – dabei nicht entgegengehalten werden, er habe sich seinerseits verfahrensfehlerhaft oder rechtsmissbräuchlich verhalten. Wie sich aus dem Vortrag des Klägers und den vorgelegten Unterlagen ergibt, hat er den Verzicht auf die Auszahlung des Kindergeld erklärt, weil er nach seiner Prognoseeinschätzung zu dem Ergebnis gelangte, dass ihm letztlich das Kindergeld in England nicht dauerhaft verbleiben werde und er sich und der englischen Behörde Verwaltungsaufwand ersparen wollte. Im Ergebnis hat er sich durch sein Verhalten auch keine Besserstellung verschaffen wollen, da er lediglich die Kindergeldzahlung in Anspruch nehmen wollte, die ihm nach seiner Auffassung nach deutschem Recht zustand. Ob seine Prognoseentscheidung zutreffend war, kann in Anbetracht der Verletzung der unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften (und der darauf möglicherweise beruhenden fehlenden Kindergeldzahlung in England) durch die Familienkasse im Streitfall offen bleiben und ist in Anbetracht der komplexen Ermittlung nach der „High income child benefit charge“ nicht ohne weiteres zu beantworten. Maßgeblich ist nach den entsprechenden Regelungen (Finance Act 2012, Chapter 2, 8 High income child benefit charge, 681H Nr. (2)) nämlich weder das Bruttoeinkommen („salary“) noch das Nettoeinkommen (net income) sondern das: „Adjusted net income“ of a person for a tax year means the person’s adjusted net income for that tax year as determined under section 58 of ITA 2007“. Entsprechend der Seite www. legislation.gov.uk/ukpga/2007/section/58 ergibt sich diese maßgebliche Einkunftsgrenze wieder ausgehend vom Nettoeinkommen unter Berücksichtigung verschiedener Zu- und Abrechnungen, so dass insoweit auch der Steuerbescheid alleine nicht aussagekräftig sein dürfte.
Im Übrigen weist der Senat darauf hin – ohne dass es in Bezug auf den Streitfall entscheidungserheblich wäre –, dass er die rechtliche Wertung der Familienkasse nicht teilt, wonach alleine aufgrund des beziehbaren (oder bezogenen) Child Benefit der deutsche Kindergeldanspruch dauerhaft in Höhe des Differenzbetrages ausgesetzt bleibt. Nach Auffassung des Senats ergibt sich bereits aus der in Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004 gewählten Formulierung, dass die Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrages ausgesetzt werden, dass der nachrangige Anspruch auf Familienleistungen nur insoweit und auch so lange suspendiert wird, als die Familienleistungen auch die Lasten der Familie tatsächlich ausgleichen. Gewährt ein Mitgliedsstaat, wie im Streitfall England, eine solche Familienleistung nur in Form eines „Vorschusses“ und wird diese Leistung bei Überschreitung gewisser Einkunftsgrenzen durch behördliche Entscheidung wieder ganz oder teilweise entzogen, so wird die (Differenz-) Kindergeldfestsetzung in Deutschland nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. AO entsprechend anzupassen sein. Letztlich erschließt sich dem Senat nicht, dass insoweit die Regelungen z.B. für Polen und für England im Ergebnis unterschiedlich behandelt werden sollen. Nach den polnischen Vorschriften wird ausgehend von Einkünften in vorangegangenen Zeiträumen aufgrund einer Prognoseentscheidung bei Überschreiten einer Einkunftsgrenze der Anspruch auf Kindergeld verneint. Demgegenüber wird in England zunächst ein Anspruch bejaht und, wenn der Berechtigte nicht darauf verzichtet, entsprechende Leistungen ausgezahlt; diese Leistungen werden dann aber bei Überschreiten einer Einkunftsgrenze über die Regelung der High income child benefit charge wieder „abgeschöpft“.
4. Sollte im Streitfall das unionsrechtlich vorgesehene Verfahren der Antragsweiterleitung – nachträglich – mit abweichendem Ergebnis später noch durchlaufen werden und in England für die streitigen Zeiträume noch Kindergeld gewährt werden, wäre in Deutschland eine nachträgliche Anrechnung auf der Grundlage von § 70 Abs. 2 EStG (zur rückwirkenden Änderung der Verhältnisse s. BFH-Urteil vom 28. November 2006 III R 6/06, BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717) oder § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nach Auffassung des Senats ohne weiteres möglich. Da nach Art. 68 Abs. 3 Buchst. b) der VO Nr. 883/2004 das Antragsdatum in Deutschland (spätestens 07.05.2013) auch als Antragsdatum für England gilt, kann die Familienkasse diesen Weg nach wie vor beschreiten.
In Anbetracht der gegebenen Änderungsmöglichkeiten für die Familienkasse im Falle einer etwaigen nachträglichen Kindergeldgewährung durch die englischen Behörden und auch aus verfahrensökonomischen Gründen hält es der Senat weder für geboten noch für zweckmäßig, das Klageverfahren nach § 74 FGO auszusetzen.
5. Im (sachlichen und persönlichen) Anwendungsbereich des Unionsrechts bleibt die Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auch nach neuer Verordnungslage ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 04.02.2016 III R 9/15, BFH/NV 2016, 1216), so dass im Streitfall eine Prüfung, ob nach englischem Recht letztlich ein Anspruch bestünde, unterbleibt.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
7. In Anbetracht der Tatsache, dass insbesondere zur Frage der Rechtsfolgen bei unterlassener Antragsweiterleitung in unionsrechtlichen Sachverhalten noch keine – über die Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 05.08.2016 (4 K 3115/14 Kg, aaO) – hinausgehende Rechtsprechung veröffentlicht ist, lässt der Senat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.