Insolvenzrecht

Erlass von Abgaben wegen persönlicher Unbilligkeit

Aktenzeichen  4 ZB 17.531

Datum:
26.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 117006
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5 Abs. 7 S. 1
AO § 227
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, § 124a Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1 Der Erlass von Abgaben wegen persönlicher Unbilligkeit (Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 lit. a KAG iVm § 227 AO) setzt voraus, dass die Abgabenerhebung die wirtschaftliche Existenz des Pflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde, also ohne Billigkeitsmaßnahme der notwendige Lebensunterhalt nicht mehr bestritten werden könnte. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Erlass kann nicht gewährt werden, wenn der Abgabenpflichtige ohnehin nur über Einkommen unterhalb der Pfändungsgrenze verfügt und der Erlass seine wirtschaftliche Situation deshalb nicht verbessern würde. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 11 K 15.1384 2016-11-30 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 8.887,07 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. November 2016 bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 2, § 124 Abs. 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Solche Zweifel sind nur gegeben, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642). Dies ist hier nicht der Fall.
a) Der Kläger trägt in erster Linie vor, er sei als Komplementär einer Kommanditgesellschaft für deren nicht beglichene Abfallgebühren einschließlich Mahngebühren, Säumniszuschlägen, Vollstreckungsaufwand und Gerichtskosten zu Unrecht in Anspruch genommen worden, denn diese Grundabgaben seien bereits in dem 2007 angeordneten Zwangsverwaltungsverfahren vom damaligen Zwangsverwalter vollständig bezahlt worden. Das der Kommanditgesellschaft gehörende Objekt sei zudem nachfolgend versteigert worden, wobei alle in der Vergangenheit aufgelaufenen Grundabgaben mit angemeldet und über den Zwangsversteigerungserlös befriedigt worden seien, unabhängig davon, ob dies rechtmäßig gewesen sei oder nicht.
Aus diesem Vorbringen können sich schon deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben, weil darin keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung liegt. Der Kläger wiederholt vielmehr insoweit nahezu wortgleich seinen Sachvortrag aus der Klagebegründung vom 31. Dezember 2015 (Bl. 27 der VG-Akte), ohne sich auch nur ansatzweise mit den diesbezüglichen Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts zu befassen, wonach sich den vorgelegten Unterlagen nichts zu den behaupteten Zahlungen entnehmen lasse.
Der Kläger geht – wie schon im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht – mit keinem Wort auf die seiner Darstellung entgegenstehenden detaillierten Schilderungen der Beklagten zum Ablauf des Zwangsverwaltungs- und späteren Zwangsversteigerungsverfahrens ein (Bl. 40 ff. VG-Akte). Danach wurde, wie aus der Behördenakte hervorgeht, der Klägerbevollmächtigten bereits mit Schreiben der Beklagten vom 30. April 2007 darauf hingewiesen, dass seitens des damals eingesetzten Zwangsverwalters keine Zahlungen auf rückständige Beträge erfolgten. Wegen der bis dahin aufgelaufenen Grundabgabenrückstände erließ die Beklagte am 9. Mai 2007 einen Duldungsbescheid, in dem u. a. auch die noch offenen Abfallgebühren im Einzelnen aufgelistet waren. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig, nachdem der Kläger eine dagegen gerichtete Klage zurückgenommen hatte. Mit Schreiben vom 22. Juli 2009 wurde dem Bevollmächtigten des Klägers erneut eine Aufstellung zu den bis dahin offenen Forderungen übermittelt. Nachdem die Grundstücke der Kommanditgesellschaft mit Beschlüssen vom 18. Juni und 5. August 2010 im Wege der Zwangsversteigerung dem nunmehrigen Eigentümer zugeschlagen worden waren, wurde nach Mitteilung des Beklagten lediglich die rückständige Grundsteuer in Höhe von insgesamt 105.491,40 Euro beglichen. Welche Rückstände danach bei den übrigen Grundabgaben verblieben, wurde dem Klägerbevollmächtigten auf dessen Anfragen hin mit Schreiben vom 15. Juli 2011 und 29. März 2012 mitgeteilt.
Angesichts dieses aus den Behördenakten erkennbaren Verlaufs der Schuldenentwicklung und der begleitenden Korrespondenz mit dem Klägerbevollmächtigten spricht nichts für die erstmals im vorliegenden Verfahren aufgestellte, völlig unsubstantiierte Behauptung, die im Zeitraum 2005 bis 2010 aufgelaufenen Rückstände hinsichtlich der Abfallgebühren und die damit verbundenen Nebenforderungen seien bereits im Zuge der Zwangsverwaltung bzw. im Rahmen der Zwangsversteigerung ausgeglichen worden. Der Zwangsverwalter war nach § 156 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 13 Abs. 1 ZVG lediglich verpflichtet, die laufenden Beträge der öffentlichen Lasten zu berichtigen; für eine weitergehende Schuldentilgung bestand aus seiner Sicht kein Grund. Es sind auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen worden, dass vom Erlös der Zwangsversteigerung entgegen dem ausdrücklichen Vortrag der Beklagten neben den noch ausstehenden Grundsteuern auch die rückständigen Abfallgebühren sowie die zugehörigen Nebenforderungen beglichen worden wären. Ein diesbezüglicher Zahlungseingang ließ sich den im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Behördenakten nicht entnehmen. Auch der Erwerber der Grundstücke trug gemäß § 56 Abs. 2 ZVG erst vom Zuschlag an die mit dem Grundstück verbundenen Lasten; er haftete persönlich nicht für die rückständigen Zahlungsverpflichtungen des bisherigen Eigentümers. Ob die Beklagte die Möglichkeit gehabt hätte oder weiterhin hat, die streitgegenständlichen Forderungen auf dinglichem Wege gegenüber dem jetzigen Eigentümer durchzusetzen (Art. 8 Abs. 8 i. V. m. Art. 5 Abs. 7 Satz 1 KAG), ist für das vorliegende Verfahren, in dem es allein um die (zusätzliche) persönliche Haftung des Klägers geht, ohne Bedeutung.
b) Zur Begründung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung trägt der Kläger im Übrigen vor, dass hier aus persönlichen Billigkeitsgründen ein Erlass der festgesetzten Beträge nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i. V. m. § 227 AO hätte erfolgen müssen. Der hochbetagte Kläger sei schwer krank und beziehe nur Renteneinkünfte, die nicht mehr zur Deckung seines täglichen Bedarfs reichten. Er müsse sich drei Mal wöchentlich einer teilstationären Dialysebehandlung unterziehen, woraus sich im Hinblick auf Ernährung, Fahrtkosten und Zuzahlungen erhöhte Kosten ergäben. Vor diesem Hintergrund sei die wirtschaftliche Existenz des Klägers durch die Abgabenforderungen konkret gefährdet. Von seiner Altersrente (1.364,07 Euro) und seiner Witwerrente (866,48 Euro) würden aufgrund abgabenrechtlicher Bescheide bereits 551,10 Euro gepfändet, so dass ihm monatlich nur 1.679,45 Euro verblieben. Davon müsse er allein für seine Krankenversicherung monatlich 1.012,50 Euro abführen, so dass ihm nur ein Betrag in Höhe von 666,95 Euro verbleibe. Da er für sein Wohnanwesen monatlich 650 Euro aufwenden müsse, habe er keine finanziellen Mittel mehr, um sich etwas zum Essen zu kaufen; er sei auf die finanzielle Hilfe von Freunden angewiesen.
Auch dieses Vorbringen rechtfertigt keine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es ist bereits unklar, ob die geltend gemachten Erlassgründe bereits zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2013 – 4 ZB 12.1393 – BayVBl 2014, 81) vorlagen oder ob sie erst danach eingetreten und daher für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Bescheids unbeachtlich sind. Darüber hinaus erscheint zumindest fraglich, ob die Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers in jeder Hinsicht als zutreffend und vollständig angesehen werden können. Die Zweifel daran ergeben sich vor allem aus dem Umstand, dass – mit Ausnahme des von der Beklagten erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses – bisher keine nachprüfbaren Unterlagen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen vorgelegt wurden und auch weder im erstnoch im zweitinstanzlichen Prozesskostenhilfeverfahren die geforderte Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO mit den zugehörigen Belegen eingereicht worden ist.
Selbst wenn man aber entsprechend dem Vortrag des Klägers annähme, dass ihm wegen der Teilpfändung seiner Rentenansprüche und wegen der laufenden Ausgaben für Krankenversicherung und Wohnung nicht einmal die für Nahrungsmittel notwendigen Finanzmittel verbleiben, könnte sich daraus noch kein Anspruch auf einen Billigkeitserlass nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i. V. m. § 227 AO ergeben. Eine persönliche Unbilligkeit im Sinne der Vorschrift liegt nur vor, wenn die Abgabenerhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde, wenn also ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden könnte (BFH, U.v. 7.7.1999 – X R 87/96 – juris Rn. 25 m.w.N.). Dies setzt voraus, dass sich der Billigkeitserlass auf die wirtschaftliche Situation des Steuerpflichtigen konkret auswirken kann. Lebt er unabhängig von Billigkeitsmaßnahmen bereits in wirtschaftlichen Verhältnissen, die – weil Einkünfte und Vermögen gering sind und im Übrigen dem Pfändungsschutz unterliegen – eine Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ausschließen, könnte ein Erlass daran nichts ändern und wäre daher nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Steuerpflichtigen verbunden (BFH, a.a.O., m.w.N.). Bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit scheidet demzufolge ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen grundsätzlich aus (BFH, B.v. 21.4.1999 – VII B 347/98 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Legt man die Angaben des Klägers zugrunde, so würde sich seine wirtschaftliche Situation durch einen Erlass der streitgegenständlichen Forderungen nicht konkret verbessern. Seine als Vollstreckungsobjekt allein in Betracht kommenden laufenden Einkünfte liegen, wenn man die besonderen persönlichen Umstände berücksichtigt, schon jetzt weit unterhalb der Pfändungsgrenzen (§§ 850 ff. ZPO), so dass er keine konkreten (weiteren) Vollstreckungsmaßnahmen seitens der Beklagten zu befürchten hat. Angesichts seines Alters und der Art seiner Erkrankung kann auch nicht damit gerechnet werden, dass sich daran in absehbarer Zukunft etwas ändern könnte.
2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen könnten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), hat der Kläger im Zulassungsverfahren nicht substantiiert vorgetragen. Er führt nicht näher aus, inwiefern sich die Rechtssache in ihrem Schwierigkeitsgrad von dem üblichen Spektrum verwaltungsgerichtlicher Streitfälle unterscheiden soll, sondern verweist auch insoweit lediglich auf die nach seiner Auffassung bestehenden Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Einen besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Klärungsbedarf zeigt der Kläger hierbei nicht auf.
3. Die vorliegende Rechtssache hat auch nicht die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Mit der im Zulassungsantrag formulierten Frage, „ob ein Erlass von Grundabgaben zu erfolgen hat, wenn der Schuldner sehr alt, krank und wirtschaftlich nicht in der Lage ist, die geforderten Beträge zu begleichen“, wird keine verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen. Persönliche Umstände wie Alter, Krankheit und wirtschaftliche Not können jeweils in sehr unterschiedlichem Grad und in vielfacher Kombination vorliegen, so dass sich bei der nach § 227 AO gebotenen Einzelfallbetrachtung (vgl. BFH, B.v. 8.8.2006 – X B 31/06 – juris) höchst unterschiedliche rechtliche Gesamtbewertungen ergeben können. Mit einem etwaigen Berufungsverfahren könnte daher keine generelle Klärung der Voraussetzungen eines Abgabenerlasses erreicht werden.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Der vorliegende Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
II.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren war schon deshalb abzulehnen, weil der Kläger keine Erklärung nach § 166 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 2 ZPO vorgelegt hat. Im Übrigen fehlte es aus den vorgenannten Gründen auch an den erforderlichen Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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