IT- und Medienrecht

Ansprüche auf Teilhabe an den Vergütungen der Geräte- und Leerträgerhersteller

Aktenzeichen  29 U 65/18

Datum:
18.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WRP – 2019, 266
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UrhG § 54 Abs. 1, § 87 Abs. 4
RL 2001/29/EG Art. 5 Abs. 2 b

 

Leitsatz

Eine teleologische Reduktion des § 87 Abs. 4 UrhG im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung dahingehend, dass auch Sendeunternehmen am Vergütungsaufkommen der Geräte- und Leerträgervergütung nach § 54 Abs. 1 UrhG zu beteiligen sind, ist mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) und der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu vereinbaren. (Rn. 13 ff.)

Verfahrensgang

7 O 8946/16 2017-11-16 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgericht München I vom 16.11.2017, berichtigt durch Beschluss vom 06.02.2018, wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

II.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Den Sendeunternehmen stehen nach geltendem deutschem Recht keine Vergütungsansprüche nach § 54 Abs. 1 UrhG zu.
1. Die gestellten Anträge sind zulässig. Der Berufungsantrags 1. ist auf die Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses gerichtet, nämlich auf die Feststellung der Verpflichtung zur Wahrnehmung von Ansprüchen gemäß § 9 VGG für den Zeitraum 2012/2013. Da die Durchsetzung der Vergütungsansprüche durch die Beklagte gegen die Gerätehersteller für den beantragten Zeitraum 2012/2013 noch nicht abgeschlossen ist (vgl. S. 2 des Schriftsatzes vom 22.05.2017, Bl. 75 d. Akten), begehrt die Klägerin mit dem Antrag zulässigerweise nach wie vor die Feststellung der Verpflichtung zu einem Tätigwerden der Beklagten. Der Klageantrag 3. ist dagegen auf die Feststellung von Zahlungsansprüchen gerichtet und unterscheidet sich daher hinsichtlich des Rechtsschutzzieles vom Klageantrag 1., so dass auch für diesen ein Feststellungsinteresse gegeben ist.
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Da in § 87 Abs. 4 UrhG ausdrücklich geregelt ist, dass § 54 Abs. 1 UrhG auf Sendeunternehmen keine entsprechende Anwendung findet, stehen diesen für die von ihren Sendungen gemäß § 53 UrhG zulässigerweise gefertigten Privatkopien keine Ansprüche auf Zahlung einer angemessenen Vergütung gegen die Gerätehersteller zu mit der Folge, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, diese Ansprüche geltend zu machen (Klageantrag 1.), die Klägerin an den für die Privatkopien erzielten Erlösen nicht zu beteiligten ist (Klageantrag 3.) und der Klägerin hinsichtlich der vereinnahmten Vergütung für die Privatkopien somit auch keine Auskunftsansprüche zustehen (Klageantrag 2.).
Eine teleologische Reduktion des § 87 Abs. 4 UrhG im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung dahingehend, dass § 54 Abs. 1 UrhG von der Verweisung nicht ausgenommen ist, ist mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) und der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu vereinbaren.
Rechtsfortbildung stellt keine unzulässige richterliche Eigenmacht dar, sofern durch sie der erkennbare Wille des Gesetzgebers nicht beiseitegeschoben und durch eine autark getroffene richterliche Abwägung der Interessen ersetzt wird (BVerfG NJW-RR 2016, 1366 Tz. 38 – Richterliche Rechtsfortbildung). Richterliche Rechtsfortbildung darf hingegen nicht dazu führen, dass die Gerichte ihre eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen. Die Aufgabe der Rechtsprechung beschränkt sich vielmehr darauf, den vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck eines Gesetzes unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen oder eine planwidrige Regelungslücke mit den anerkannten Auslegungsmethoden zu füllen. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den Wortlaut des Gesetzes hintanstellt und sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (BVerfG a.a.O Tz. 39 – Richterliche Rechtsfortbildung m.w.N.). Die Pflicht zur Verwirklichung des Ziels einer Richtlinie der Europäischen Union im Auslegungswege findet ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubtem. Auch der EuGH verlangt vom nationalen Gericht nur, bei Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses soweit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen (BVerfG a.a.O. Tz. 41 – Richterliche Rechtsfortbildung m.w.N. aus der Rspr. des EuGH). Die Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung gilt für alle Vorschriften des nationalen Rechts und findet in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit, ihre Schranken, und zwar in dem Sinne, dass sie nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen darf (EuGH Urteil vom 16.07.2009 -C-12/08, BeckRS 2009, 70805, Tz. 61).
Gemäß Art. 5 Abs. 2 b) der RL 2001/29/EG können die Mitgliedstaaten hinsichtlich des in Art. 2 der Richtlinie vorgesehenen Vervielfältigungsrechts in Bezug auf Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke unter der Bedingung, dass die Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten, Ausnahmen oder Beschränkungen vorsehen. Die Klägerin hat ausführlich dargelegt, dass ihrer Auffassung nach die vom deutschen Gesetzgeber getroffene Regelung, die für Sendeunternehmen eine Beschränkung des Vervielfältigungsrechts in Bezug auf Privatkopien gemäß § 53 UrhG vorsieht, Sendeunternehmen aber gleichwohl keinen Anspruch auf angemessene Vergütung gemäß § 54 Abs. 1 UrhG gewährt, nach der Rechtsprechung des EuGH mit Art. 5 Abs. 2 b) der RL 2001/29/EG nicht zu vereinbaren sei (vgl. insbesondere das von der Klägerin erholte Gutachten von Prof. Dr. M. L., LL.M. vom 30.04.2013, Anlage K 4). Auch nach Auffassung des Senats bestehen durchaus Zweifel an der Richtlinienkonformität der vom deutschen Gesetzgeber getroffenen Regelung.
Ob die vom deutschen Gesetzgeber getroffene Regelung tatsächlich mit Art. 5 Abs. 2 b) RL 2001/29/EG nicht vereinbar ist, kann jedoch dahinstehen. Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung dahingehend, dass den Sendeunternehmen gleichwohl entgegen dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung Ansprüche gemäß § 54 Abs. 1 UrhG zustehen, ist nach den innerstaatlich vorgegebenen methodischen Grenzen der Auslegung nicht möglich. Eine solche Rechtsfortbildung würde nicht nur den Wortlaut der Regelung hintanstellen, sondern sich auch über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen.
Zwar ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die von ihm getroffene Regelung europarechtskonform sei (vgl. Deutscher Bundestag -Drucksache 16/1818 S. 17), so dass – falls dies nicht der Fall sein sollte – eine planwidrige Regelungslücke vorliegen würde. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich aber auch, dass der Gesetzgeber sich ganz bewusst dafür entschieden hat, Sendeunternehmen von der Geräte- und Leerträgervergütung auszunehmen und er im Falle einer Aufnahme der Sendeunternehmen in den Kreis der Vergütungsberechtigten eine Korrektur des Urhebergesetzes an anderer Stelle für notwendig erachten würde. Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrecht in der Informationsgesellschaft vom 15.06.2006 heißt es insoweit unmissverständlich (Deutscher Bundestag – Drucksache 16/1818 S. 17):
Wollte der Gesetzgeber die Sendeunternehmen in den Kreis der Vergütungsberechtigten einbeziehen, müsste er dem durch Korrekturen des Urheberrechtsgesetzes an anderer Stelle Rechnung tragen, damit das Gesamtkonzept des Schutzes von Urhebern und ausübenden Künstlern sowie des Leistungsschutzes von Tonträgerherstellern, Filmherstellern und Sendeunternehmen in sich stimmig bleibt:… Aus der RL 2001/29/EG ergibt sich nicht, dass es dem Gesetzgeber nicht erlaubt sein sollte, zwischen Sendeunternehmen und anderen Berechtigten Differenzierungen vorzunehmen. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich deutlich, dass der Gesetzgeber, auch wenn er die (vermeintliche) Europarechtswidrigkeit der von ihm getroffenen Regelung erkannt hätte, die Sendeunternehmen jedenfalls nicht ohne Änderungen des Urheberrechtsgesetzes an anderer Stelle in den Kreis der Vergütungsberechtigten aufgenommen hätte, so dass eine teleologische Reduktion des § 87 Abs. 4 UrhG dahingehend, dass § 54 Abs. 1 UrhG von der Verweisung nicht ausgenommen ist, aufgrund des erkennbar entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers contra legem wäre.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich auch aus Tz. 54 des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23.05.2016 (NJW-RR 2016, 1366 – Richterliche Rechtsfortbildung) nicht, dass eine richterliche Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion des § 87 Abs. 4 UrhG dahingehend, dass § 54 Abs. 1 UrhG auf Sendeunternehmen Anwendung findet, vorliegend möglich sei. Das Bundesverfassungsgericht hat in der zitierten Fundstelle ausgeführt, dass eine richterliche Rechtsfortbildung von Verfassungs wegen als schlechterdings unhaltbar zu bewerten wäre, wenn der Gesetzgeber auch für den Fall einer späteren Veränderung des rechtlichen Rahmens aufgrund einer bestimmten Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH an der getroffenen Regelung habe festhalten wollen. Vorliegend hat der Gesetzgeber nicht zu erkennen gegeben, dass er an der getroffenen Regelung unter allen Umständen auch für den Fall einer späteren Veränderung des rechtlichen Rahmens aufgrund einer bestimmten Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH festhalten wolle. Er hat aber zu erkennen gegeben, dass er die Sendeunternehmen nicht in den Kreis der Berechtigten nach § 54 Abs. 1 UrhG aufnehmen will, ohne dem durch Korrekturen des Urheberrechtsgesetzes an anderer Stelle Rechnung zu tragen. Dass er hierzu verpflichtet wäre, ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH, so dass sich die nach Ansicht der Klägerin vorzunehmende richterliche Rechtsfortbildung auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin zitierten Fundstelle aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbietet.
3. Eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV ist nicht veranlasst, da die Frage, ob die vom deutschen Gesetzgeber getroffene Regelung mit Art. 5 Abs. 2b) der RL 2001/29/EG vereinbar ist, nicht entscheidungserheblich ist, da der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche nach geltendem Recht auch dann nicht zustehen, wenn ein Richtlinienverstoß vorliegen sollte. Die Aufnahme der Sendeunternehmen in den Kreis der Berechtigten nach § 54 Abs. 1 UrhG wäre zwar richtlinienkonform, ist aber unter Berücksichtigung der nach deutschem Recht zu beachtenden Grenzen der Auslegung nicht geltendes Recht.
III.
Zu den Nebenentscheidungen:
1. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
3. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor.

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