IT- und Medienrecht

Bestätigung einer einstweiligen Verfügung im Streit um eine Anti-Suit-Injunction

Aktenzeichen  21 O 9333/19

Datum:
2.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MittdtPatA – 2019, 570
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AEUV Art. 102
PatG § 143
BGB § 1004 Abs. 1 S. 2
ZPO § 32, § 281, § 937
BGB § 823 Abs. 1
PatG § 9, § 139
GG Art. 25, Art. 59 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Den Patentinhaber an der Ausübung seines Ausschließlichkeitsrechts nach §§ 9 ff., 139 ff. PatG hindern, stellt eine Eigentumsbeeinträchtigung dar, denn das Patentrecht als Ausschließlichkeitsrecht (vgl. § 9 PatG) ist faktisch wertlos, wenn dem Patentinhaber die Möglichkeit genommen wird, sein Ausschließlichkeitsrecht über das allein zur Verfügung stehende staatliche Gewaltmonopol im Form des ordentlichen Gerichtsverfahrens auch durchzusetzen. (Rn. 56 – 58) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Anti-Suit Injunction (US-Recht) verstösst gegen deutsches Recht, da es darauf abzielt, der Antragsgegnerin ihre Klagebefugnisse im Inland zu nehmen (Rn. 60 – 61) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die einstweilige Verfügung vom 11.07.2019 (Az. 21 O 9333/19) wird bestätigt.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet. Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 11.07.2019 war daher zu bestätigen.
I.
Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist die 21. Zivilkammer des Landgerichts zuständig.
1) Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 143 PatG. Der vorliegende Rechtsstreit betrifft eine Patentstreitsache im Sinne dieser Vorschrift.
Es entspricht dem Zweck des Gesetzes (Amtliche Begründung zum Patentgesetz von 1936, §§ 51, 52, §§ 53, 54, Bl. 36, 103, 114 ff.), den Begriff der „Patentstreitsache“ weit auszulegen und damit den Anwendungsbereich der an den Begriff anknüpfenden Vorschriften möglichst weit zu halten (Grabinski/Zülch, in: Benkard, Patentgesetz, 11. Auflage, 2015, § 143 Rn. 1).
Es ist nicht darauf abzustellen, ob in dem Rechtsstreit eine Erfindung mit einer Patentanmeldung oder einem erteilten Patent in Verbindung gebracht wird. Stattdessen sind vielmehr schlechthin alle Klagen zu den Patentstreitsachen zu zählen, die einen Anspruch auf eine Erfindung oder aus einer Erfindung zum Gegenstand haben oder sonst wie mit einer Erfindung eng verknüpft sind (BGH GRUR 2011, 662 – Patentstreitsache; BeckRS 2013, 06895 – Patentstreitsache II). Der Zusammenhang zwischen Erfindung und Klageanspruch muss nicht notwendig ein rechtlicher sein; eine „enge Verknüpfung“ zwischen Erfindung und Rechtsstreit kann vielmehr auch durch rein tatsächliche Umstände hergestellt sein (dies., ebd.).
Vorliegend machen die Antragsstellerinnen unter anderem die Verletzung eines sonstigen Rechts im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB geltend. Bei diesem sonstigen Recht handelt es sich um ihre Patente. Die von ihnen begehrte Unterlassungsverfügung hat nach ihrem Vortrag – und allein dieser ist für die Frage der Zuständigkeit entscheidend (dies, a.a.O., Rn. 3 mit Verweis auf LG Düsseldorf, InstGE 1, 264) – seine Grundlage in einer Erfindung im Sinne des § 1 PatG (vgl. Anlage AR 1, AR 1a). Der von Gesetz und Rechtsprechung geforderte enge Zusammenhang zu einer Erfindung ist daher gegeben.
2) Ferner ist das Gericht auch örtlich gemäß §§ 937, 32 ZPO zuständig, da der Erfolgsort auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland liegt und damit ein sog. fliegender Gerichtsstand vorliegt.
a) Der Antrag der Antragstellerinnen zielt darauf ab, der Antragsgegnerin aufzugeben, die bereits beantragte Anti-Suit-Injunction oder andere gleichwertige Maßnahmen in Bezug auf die 10 bei den Landgerichten München I, Düsseldorf und Mannheim anhängigen Patentverletzungsklagen zu unterlassen bzw. fortzuführen.
Der streitgegenständliche Antrag der Antragsgegnerin im US-Amerikanischen Verfahren auf Erlass der Anti-Suit-Injunction ist auf darauf gerichtet, den Antragstellerinnen zu untersagen, die in Deutschland erfolgte gerichtliche Geltendmachung ihrer Patentrechte weiter zu betreiben. Es soll ihnen verboten werden, in ganz Deutschland und damit insbesondere auch vor dem Landgericht München I ihre Patentrechte geltend zu machen. Dies ergibt sich aus der Antragsschrift:
„Accordingly, C respectfully requests that the Court temporarily enjoin N from prosecuting its lawsuits in Germany against D until FRAND issues are finally resolved in this case.“
(Anlage AR 4, dort Seite 11, Zeile 12-14; ferner Anlage AR 4, dort Seite 2, Zeile 12-16 sowie Seite 29, Zeile 10-15).
Der Antrag auf Anti-Suit-Injunction ist daher nicht allein auf die konkrete Unterlassung der Weiterverfolgung der bereits anhängigen Klagen am jeweiligen Gerichtsstandort, sondern in ganz Deutschland gerichtet. Eine Rücknahme der Klagen in Düsseldorf und Mannheim und eine Klageerhebung stattdessen am Landgericht München I soll mit dem Antrag auf Erlass einer Anti-Suit-Injunction ebenfalls unterbunden werden. Denn nur so kann das nach den Angaben der Antragsschrift mit der Anti-Suit-Injunction verfolgte Ziel, eine umfassende Lizenzvereinbarung mit Av bzw. den Antragstellerinnen im Verfahren in den USA zu erzielen (vgl. Anlage AR 4, dort Seite 11, Zeile 12-14), erreicht werden.
Entsprechend ist auch der Antrag der Antragstellerinnen zu verstehen.
b) Da die von den Antragstellerinnen in den Patentverletzungsklagen beantragten Rechtsfolgen, wie etwa Unterlassung und Auskunft, eine deutschlandweite Wirkung haben, liegt der Erfolgsort einer beantragten Anti-Suit-Injunction nicht nur am Ort des Gerichts der Patentverletzungsklage, sondern in der gesamten Bundesrepublik. Die aus einer etwaigen Patentverletzung resultierenden Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG könnten – da die Verfahren infolge einer Anti-Suit Injunction nicht weiter geführt werden – deutschlandweit nicht durchgesetzt werden.
c) Damit liegt ein Erfolgsort im Sinne des § 32 ZPO (vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 31. Auflage, 2016, § 32 Rn. 16) nicht nur am Ort des Gerichtssitzes der jeweils anhängigen Klagen, sondern in gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und damit auch im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts München I. Dieses ist daher örtlich zuständiges Hauptsachegericht im Sinne des § 937 ZPO.
II.
Der Antrag ist auch begründet. Verfügungsanspruch und -Grund bestehen.
1) Es besteht ein Verfügungsanspruch, da den Antragstellerinnen ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 (analog) i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB gegen die Antragsgegnerin zusteht.
a) Der Erlass der seitens der Antragsgegnerin begehrten Anti-Suit Injunction würde in geschützte Rechtsgüter der Antragstellerinnen eingreifen. Patente sind nach allgemein anerkannter Meinung als sonstige Rechte im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB geschützt (vgl. etwa MüKo-BGB, § 823, Rn. 282).
aa) Zwar würde der Erlass der Anti-Suit Injunction die Antragstellerinnen nicht unmittelbar daran hindern, die vorbezeichneten Patentverletzungsverfahren in Deutschland weiter zu betreiben. Denn diese würde in Deutschland keine Wirkung entfalten, da sie keinen hier vollstreckbaren Inhalt enthielte (vgl. etwa OLG Düsseldorf ZIP 1996, 294). Insgesamt liegt die Entscheidung, ob die gerichtliche Anordnung befolgt wird – oder nicht – daher letztlich bei den Antragstellerinnen.
Allerdings würde ein Fortführen der hiesigen Patentverletzungsverfahren durch die Antragstellerinnen nach Erlass einer Anti-Suit Injunction für die Antragstellerinnen in den USA weitreichende Folgen haben; sie hätten insbesondere erhebliche wirtschaftliche Nachteile zu befürchten. Aufgrund des – unwidersprochenen – Vortrags der Antragstellerinnen und der durch die Anlage AR 11, Ziffer 7, glaubhaft gemachten drohenden Strafen bei Nichtbefolgung, geht das Gericht davon aus, dass die Antragstellerinnen einer Anti-Suit-Injunction Folge leisten werden.
bb) Entgegen den Ausführungen der Antragsgegnerin liegt darin auch ein Eingriff in ein absolutes Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB.
Voraussetzung des Schutzes nach § 1004 BGB ist eine Beeinträchtigung des Eigentums, die in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Eigentums erfolgt. Diese Beeinträchtigung ist im Falle des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB eine gegenwärtige, im Falle des § 1004 Abs. 1 Satz 2 eine zu erwartende, zukünftige. Beeinträchtigung in diesem Sinne ist jeder dem Inhalt des Eigentumsrechts widersprechende tatsächliche Zustand oder Vorgang (Gursky, in: Staudinger, BGB, 2012, § 1004 Rn. 17).
Dementsprechend kann eine Eigentumsbeeinträchtigung auch einfach darin liegen, dass der Eigentümer bei der Ausübung des ihm zustehenden Besitzes behindert oder belästigt wird, also an irgendeiner zulässigen Benutzung der Sache oder einer sonstigen rechtmäßigen Einwirkung auf diese gehindert wird (ders. a.a.O., Rn. 33 mit Verweis auf BGHZ 146, 98, 101 = WM 2001, 512, 513; OLGR Saarbrücken 2004, 497, 498).
Es kann demnach keinen Unterschied machen, ob jemand den Eigentümer eines Grundstücks daran hindert, auf seinem Grundstück ein Bauwerk oder einen Zaun zu errichten (ders. a.a.O., Rn. 33) oder den Patentinhaber an der Ausübung seines Ausschließlichkeitsrechts nach §§ 9 ff., 139 ff. PatG hindert. Es ist sogar zu konstatieren, dass das Patentrecht als Ausschließlichkeitsrecht (vgl. § 9 PatG) faktisch wertlos ist, wenn dem Patentinhaber die Möglichkeit genommen wird, sein Ausschließlichkeitsrecht über das allein zur Verfügung stehende staatliche Gewaltmonopol im Form des ordentlichen Gerichtsverfahrens auch durchzusetzen.
Dass es den Antragstellerinnen auch nach der Anti-Suit-Injunction unbenommen bleibt, andere als die dort genannten zu verklagen oder Dritten Lizenzen zu erteilen, ändert daran nichts. Denn das Ausschließlichkeitsrecht gilt gerade gegenüber jedermann („jedem Dritten“). Das bedeutet, dass das Ausschließlichkeitsrecht auch die Befugnis des Patentinhabers beinhaltet zu entscheiden, ob und ggf. gegen wen er sein Ausschließlichkeitsrecht durchsetzt und gegen wen nicht. In dieses Recht greift eine Anti-Suit-Injunction in erheblichen Maße ein. Das gilt auch und gerade für den vorliegenden Fall. Denn die Patentverletzungsklagen sind gerade nicht gegen einen vermeintlich unbedeutenden Patentbenutzer gerichtet, sondern einen weltweit führenden Fahrzeughersteller. Die vom Gericht unterstellte erhebliche wirtschaftliche Dimension von dessen gerichtlicher Inanspruchnahme zeigt, dass es sich – anders als die Antragsgegnerin behauptet – gerade nicht um eine bloße unbedeutende Beeinträchtigung des jeweiligen Patentrechts handelt.
b) Dieser Eingriff ist nach dem allein maßgeblichen deutschen Recht auch rechtswidrig. Grundsätzlich indiziert der Eingriff die Rechtswidrigkeit (vgl. etwa MüKo-BGB § 1004, Rn. 198).
Die Rechtswidrigkeit folgt auch daraus, dass die Anti-Suit Injunction darauf abzielt, den Antragsgegnerinnen ihre Klagebefugnisse im Inland zu nehmen. Dadurch ist ein rechtsstaatlich ordnungsgemäßes Gerichtsgefahren gefährdet, da dieses nur gewährleistet ist, wenn die Beteiligten ohne jede Beschränkung die nach der Prozesslage notwendigen Anträge stellen können (OLG Düsseldorf, aaO. Rn. 31). Die durch die Anti-Suit-Injunction drohende Nichtweiterführung der Patentverletzungsklagen widerspricht dem eigentumsrechtlichen Zuweisungsgehalt des Patents nach §§ 9 f., 139 ff. PatG.
aa) Die Rechtswidrigkeit wird auch nicht dadurch beseitigt, dass der Antrag auf Erlass einer Anti-Suit Injunction in den USA ein zulässiger Rechtsbehelf und die Anti-Suit Injunction eine zulässige Maßnahme der US-amerikanischen Rechtsprechung ist. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit bzw. der Rechtmäßigkeit einer Handlung ist allein die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, die ein derartiges Rechtskonstrukt aber nicht kennt bzw. sogar ablehnt.
bb) Auch der in diesem Zusammenhang erfolgte Verweis der Antragsgegnerin auf die Entscheidungen des BGH (Az. VI ZR 117/77) und des BVerfG (Az. 1 BvR 1086/85) ist nicht zielführend.
So ist in Bezug auf diese Entscheidungen zum einen zu beachten, dass allein das Indizieren der Rechtswidrigkeit durch ein rechtsstaatliches Verfahren verneint wurde. Das bedeutet nicht, dass ein – nach deutschen Maßstäben nicht rechtsstaatliches Prozessverhalten, nämlich die Beantragung einer Anti-Suit-Injunction – automatisch rechtmäßig ist. Die Rechtswidrigkeit wird lediglich nicht indiziert. Entsprechend lautet auch der amtliche 2. Leitsatz der BGH-Entscheidung:
„2. Das Verfahren zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung gegen einen Gewerbetreibenden (hier: Versicherungsvertreter) und dessen zeitweilige Eintragung im Schuldnerverzeichnis stellen grundsätzlich noch keinen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.“ (Hervorhebung durch das Gericht)
Zum anderen war in beiden Verfahren jeweils ein deutsches Verfahren Gegenstand der Prüfung. Die Entscheidungen beziehen sich daher auf nach deutschem Verständnis rechtmäßige Verfahren. Aus ihnen kann daher nicht hergeleitet werden, dass jedes nach dem Recht eines Drittstaates zulässiges Verhalten/Verfahren automatisch das Placet der deutschen Rechtsordnung erhält.
c) Aus den gleichen Gründen besteht auch keine Duldungspflicht für die Antragsgegnerinnen nach § 1004 Abs. 2 BGB (analog).
d) Durch den Antrag auf Erlass der Anti-Suit Injunction hat die Antragsgegnerin die konkrete Gefahr eines rechtswidrigen Eingriffs in die nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Patentrechte der Antragstellerinnen geschaffen. Die Antragsstellerinnen brauchen daher nicht die erste rechtswidrige Beeinträchtigung durch den Erlass der Anti-Suit Injunction abzuwarten. Vielmehr besteht eine sog. Erstbegehungsgefahr, da diese erste Beeinträchtigung hinreichend nahe bevorsteht. Mit dem Erlass einer Anti-Suit Injunction ist zumindest ab 24.07.2019 zu rechnen. Hierbei ist die Entscheidung in das Ermessen des US-amerikanischen Gerichts gestellt – mit der Stellung des Antrags hat die Antragsgegnerin das dortige Verfahren in Lauf gesetzt.
Die Erstbegehungsgefahr entfällt auch nicht dadurch, dass die Antragsgegnerin ihren Antrag nunmehr auf Druck der einstweiligen Verfügung zurückgenommen hat. So hat die Antragsgegnerin sich ausdrücklich die erneute Stellung des Antrags vorbehalten, sollte die einstweilige Verfügung aufgehoben werden.
e) Schließlich verfangen die weiteren Einwände der Antragsgegnerin gegen den Erlass der einstweiligen Verfügung nicht.
aa) Die Antragsgegnerin rügt, das Gericht sanktioniere eine von ihm als rechtswidrig betrachtete Anti-Suit-Injunction seinerseits mit einem Prozessführungsverbot. Dies sei widersprüchlich und verstoße gegen Völkerrecht, Europarecht und deutsches Verfassungs- und einfaches Bundesrecht.
bb) Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin hat das Gericht keine Prozessführungsverbote ausgesprochen.
Wie die Antragsgegnerin ausführt, dient die Anti-Suit-Injunction der von deutschen Gerichtsentscheidungen ungestörten Prozessführung in den USA. Dieser Gerichtsprozess ist das von der Antragsgegnerin am 10.05.2019 vor dem United States District Court, Northern District of California angestrengte Verfahren (19-cv-2520, vgl. Anlage AR 7) gegen die Antragstellerinnen sowie die Av, LLC et al. Dieses Verfahren bezeichnet die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 09.08.2019 (Seite 7 / Bl. 74 d.A.) als US-Hauptsacheverfahren. Dieses Verfahren soll durch die Anti-Suit-Injunction nicht in der Weise beeinträchtigt werden, dass sich die D AG in Deutschland aufgrund der dort anhängigen Klagen gegen sie mit den Antragstellerinnen vergleicht:
„N’s German lawsuits are an attempt to force D and other OEMs to accept non-FRAND licenses before this Court has an opportunity to adjudicate the case on the merits, and thus should be enjoined.”
(Anlage AR 4, Seite 9, Zeile 8-10; vgl. auch Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 09.08.2019, Seite 7, Absatz 19).
Die gegen Antragsgegnerin erlassene einstweilige Verfügung der Kammer gibt ihr nicht auf, das Hauptsacheverfahren zurückzunehmen oder nicht weiter zu betreiben. Sie gibt ihr lediglich auf, innerhalb dieses Hauptsacheverfahrens alles zu unterlassen, was die Antragstellerinnen an einer Ausübung ihrer patentrechtlichen Ausschließlichkeitsrechte in Deutschland hindert. Dadurch bleibt das Recht der Antragsgegnerin, ihre Klage in den USA weiterzuverfolgen, unberührt (vgl. bereits 21 O 9333/19, dort Seite 11 Buchst. cc). Es handelt sich daher bei der einstweiligen Verfügung – anders als bei der Anti-Suit-Injunction – nicht um ein gerichtliches Verbot, Prozesse zu führen. Der Antragsgegnerin wird nur untersagt, in einem gerichtlichen Verfahren eine gerichtliche Maßnahme zu erwirken, die den Antragstellerinnen ein Prozessführungsverbot auferlegt.
Der Antragsgegnerin bleibt es nach den Entscheidungen der hiesigen Kammer unbenommen, die Antragstellerinnen mit weiteren Klagen weltweit zu beanspruchen. Allein die Beeinträchtigung der Patentrechte der Antragstellerinnen durch ein faktisches Verbot der Weiterführung ihrer Verletzungsklagen – innerhalb des weiterhin unangetasteten US-Hauptsacheverfahrens – wird ihnen untersagt. Ein Prozessführungsverbot liegt somit gerade nicht vor.
cc) Das vorliegende Unterlassungsgebot verstößt ferner nicht gegen Völkerrecht.
Anders als die Antragsgegnerin, aber auch die Antragstellerinnen, behaupten, geht die Kammer nicht davon aus, dass eine Anti-Suit-Injunction völkerrechtswidrig ist. Der Annahme der Völkerrechtswidrigkeit steht bereits entgegen, dass zwei weltweit außerordentlich bedeutende Rechtsordnungen, nämlich die US-amerikanische und die britische Rechtsordnung, die Anti-Suit-Injunction für zulässig erachten. Da völkerrechtliche Regeln stets auf der gemeinsamen Überzeugung der überwiegenden, wenn nicht der gesamten Völkergemeinschaft beruhen, scheidet bereits aus diesem Grund eine Völkerrechtswidrigkeit aus (vgl. auch Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 7. Auflage, 2015, Dritter Teil, 1. Kapitel, Ziffer VII. Rn. 399c).
Selbstverständlich haben auch die deutschen Gerichte die verbindlichen Regeln des Völkerrechts gemäß Art. 25 GG bzw. des Völkervertragsrechts gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zu beachten. Aus dem von der Antragsgegnerin zitierten völkerrechtlichen Grundsatz „par in parem non habet imperium“ folgt indes ebenso wenig wie aus anderen völkerrechtlichen Grundsätzen die Rechtswidrigkeit der einstweiligen Verfügung.
Der Umstand, dass bei Befolgung der einstweiligen Verfügung dem Erlass einer Anti-Suit-Injunction die Grundlage entzogen wäre, verstößt nicht gegen Völkerrecht. Eine völkerrechtswidrige Einmischung in die Hoheitsrechte eines anderen Staates liegt nicht vor, wenn für die durch das Gericht eines anderen Staates erlassene Maßnahme ein ausreichender Inlandsbezug gemäß dem Territorialitätsprinzip besteht. Danach ist die Regelung der Auswirkung extraterritorialen Handelns auf das eigene Staatsgebiet (effects doctrine), etwa bei wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen auf inländische Märkte zulässig (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 86. EL, Januar 2019, Art. 25 Rn. 50). So ist für das Steuerrecht anerkannt, dass auch Ausländer für Abgaben herangezogen werden können, wenn ein entsprechender Anknüpfungsmoment, wie etwa die Staatsangehörigkeit, Niederlassung, Wohnsitz oder Aufenthalt im Inland, die Verwirklichung eines Abgabentatbestandes im Inland oder die Herbeiführung eines abgabenrechtlich erheblichen Erfolges im Inland gegeben ist (vgl. BVerfG NJW 1983, 2757, 2761, 4 b). Demnach ist es ebenfalls zulässig, demjenigen, der im Ausland die Beeinträchtigung/Störung von Eigentumsrechten in Deutschland betreibt, von Gerichtswegen die Unterlassung aufzugeben.
Ein Eingriff in staatliche Hoheitsrechte liegt auch deswegen nicht vor, da die einstweilige Verfügung nicht die Anti-Suit-Injunction des US-Gerichts selbst verbietet, sondern der Antragsgegnerin aufgibt, keine solche zu erwirken bzw. weiter zu betreiben.
Dies stellt keine – von der Antragsgegnerin behauptete – faktische Ausübung von Hoheitsgewalt über das USamerikanische Gerichtsverfahren dar. Erlassen die US-Gerichte eine Anti-Suit-Injunction nur auf Betreiben eines Prozessbeteiligten, ist ihre Hoheitsgewalt nicht betroffen, da der Erlass vom Handeln eines Prozessbeteiligten abhängig ist und somit keine umfassende, vom Verhalten Dritter unabhängige Hoheitsgewalt vorliegt. Die USA hätten sich dann insoweit gerade der umfassenden Hoheit entledigt und für die Einflussnahme Dritter geöffnet. Anders ist dies in vielen Staaten im Strafprozessrecht, wo die Strafverfolgung unabhängig vom Handeln/Antrag einer Privatperson ist (Legalitätsprinzip statt Parteimaxime). Erlassen die US-Gerichte unabhängig vom Betreiben eines Prozessbeteiligten eine Anti-Suit-Injunction, berührt sie der Erlass einer einstweiligen Verfügung wie von der hiesigen Kammer erlassen, gar nicht (vgl. Geimer, a.a.O.).
Ist aber schon eine Anti-Suit-Injunction nicht völkerrechtswidrig, ist es das mit der einsteiligen Verfügung im Verfahren 21 O 9333/19 sowie im hiesigen Verfahren angeordnete „Weniger“ in Bezug auf das Betreiben einer solchen durch eine Partei, erst recht nicht.
dd) Auch ein Verstoß gegen Europarecht kann nicht konstatiert werden. Zum einen sind europarechtliche Vorschriften mangels eines grenzüberschreitenden, innereuropäischen Sachverhalts bereits nicht einschlägig. Zum anderen belegen auch die von der Antragsgegnerin vorgelegten Entscheidungen nicht, dass die vorliegende Verfügung gegen Europarecht verstößt.
So haben die angeführten Entscheidungen des EuGH jeweils Anti-Suit-Injunctions eines europäischen Gerichts zum Gegenstand, mit denen die Prozessführung in einem anderen europäischen Staat unterbunden werden soll. Nur für diese Fälle hat der EuGH in der Tat ausgesprochen, dass sie Europarecht, insbesondere der europäischen Gerichtszuständigkeitsverordnung, widersprechen.
Gleichfalls liegen den Entscheidungen des EuGH Sachverhalte zugrunde, bei denen die Weiterführung bzw. Erhebung eines eigenständigen Gerichtsverfahrens mittels Anti-Suit-Injunction untersagt wird (vgl. EuGH, EuZW 2004, 468, 469 – Turner/Grovit). Genau das ist hier – wie oben unter b) ausgeführt – nicht der Fall.
ee) Schließlich verstößt das Gericht auch nicht gegen deutsches Verfassungs- oder einfaches Bundesrecht.
Dass zur Begründung des Gegenteils von der Antragsgegnerin angeführten Entscheidungen des BGH und des BVerfG nicht tauglich sind, wurde bereits oben erläutert.
Zudem liegt – wie ebenfalls bereits ausgeführt – kein Prozessführungsverbot vor.
Selbst wenn man dazu käme, einen Eingriff in die Grundrechte der Antragsgegnerin anzunehmen, etwa in Gestalt von Art. 2 Abs. 1 GG, ggf. in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG, wäre dieser jedenfalls gerechtfertigt und verhältnismäßig. Denn auf der anderen Seite wären die ebenfalls schützenwerten Interessen der Antragstellerinnen, namentlich das Eigentumsrecht aus Art. 14 GG sowie der Justizgewährungsanspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG zu berücksichtigen. Die Abwägung der Grundrechte gegeneinander führt zu einer Entscheidung zugunsten der Antragstellerinnen, da sie sich nicht nur auf das Grundrecht aus Eigentum, sondern auch den Justizgewährungsanspruch berufen können. Ob die Antragsgegnerin sich in Bezug auf Art. 19 Abs. 4 GG auch auf ein nach deutschem Verständnis rechtswidriges Verfahren in einem außereuropäischen Drittstaat berufen kann, ist demgegenüber fraglich.
2) Es besteht auch ein Verfügungsgrund, da die Sache dringlich ist und die Interessen der Antragstellerinnen am Erlass der einstweiligen Verfügung die der Antragsgegnerin überwiegen.
a) Zunächst haben die Antragstellerinnen durch ihr Verhalten gezeigt, dass ihnen die Sache dringlich ist. Sie haben insbesondere innerhalb einer Frist von weniger als einem Monat nach Kenntnis des Antrags auf Erlass einer Anti-Suit Injunction vom 12.06.2019 – nämlich am 09.07.2019 – den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt.
b) Auch war vorliegend zunächst eine Entscheidung im Beschlusswege gemäß § 937 Abs. 2 ZPO ausnahmsweise ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin wegen besonderer Dringlichkeit geboten.
Zwar gebietet der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen (BVerfG 2018, 3631 Rn. 15 m.w.N.). Allerdings ist in den besonderen Verfahrenslagen des einstweiligen Rechtsschutzes eine vorherige Anhörung verzichtbar, wenn sie den Zweck des Verfahrens vereiteln würde, wie etwa im Arrestverfahren, bei der Anordnung von Untersuchungshaft oder bei Wohnungsdurchsuchungen (BVerfG aaO.).
Im vorliegenden Fall wäre der Kammer eine mündliche Verhandlung frühestens am 19.07.2019 möglich gewesen. Eine Absetzung, Ausfertigung und Zustellung des Urteils an die Antragsgegnerin wäre daher vor Ablauf der Stellungnahmefrist der Antragstellerinnen am 24.07.2019 nicht gesichert gewesen – ab diesem Zeitpunkt wäre es dem USamerikanischem Gericht aber möglich, eine Anti-Suit Injunction zu erlassen. Damit liefen die Antragstellerinnen Gefahr, ihrer Rechte verlustig zu werden.
Auch eine Anhörung der Antragsgegnerin hätte zu einer entsprechenden Verzögerung geführt. Im Übrigen wäre zu befürchten gewesen, dass die Antragsgegnerin bei Kenntnis des hiesigen Verfügungsantrags das USamerikanische Gericht über das hiesige Geschehen informiert, um einstweilige Maßnahmen gegen das hiesige Verfügungsverfahren zu beantragen (vgl. Anlagen AR 11 und AR 12). Damit liefen die Antragstellerinnen ebenfalls Gefahr, dass ihre hiesigen Rechte vereitelt werden.
Nach alldem ist eine den Beispielsfällen des Bundesverfassungsgerichts vergleichbare Lage gegeben, die den Erlass der einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin rechtfertigt. Deren Anspruch auf rechtliches Gehör ist in einem etwaigen Widerspruchsverfahren nachzuholen.
Insofern verfängt auch die Argumentation der Antragsgegnerin nicht, sie hätte eine weitere Replikfrist bis zum 09.08.2019 bekommen und das Gericht hätte nicht vorher entschieden. Insofern haben die Antragstellerinnen glaubhaft gemacht, dass das US-Amerikanische Gericht jederzeit „nach Abschluss der schriftlichen Eingaben (d. h. nach dem 24. Juli)“ entscheiden könne (Anlage AR 11a S. 2). Ob das Gericht damit tatsächlich eine weitere Replik der Antragsgegnerin abgewartet hätte, wie von dieser behauptet (Bl. 88 d. A.), ist nicht ausreichend glaubhaft gemacht.
c) Die Angelegenheit ist auch weiterhin dringlich – insbesondere ist die Dringlichkeit nicht durch Rücknahme des Antrags auf Erlass der Anti-Suit-Injunction entfallen. Die Antragsgegnerin hat selbst klargestellt, dass sie jederzeit nach Wegfall einer Unterlassungsverfügung wieder einen Antrag stellen würde. Ein Abwarten der Hauptsache kann den Antragstellerinnen daher nicht genügen, da dann wiederum jederzeit mit einer Entscheidung des US-Gerichts gerechnet werden müsste.
d) Auch die Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragsstellerinnen aus. Insbesondere verfügt die Antragsgegnerin, die an den hiesigen Patentverletzungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland weder als Streithelferin noch als Partei beteiligt ist, nicht über ein schützenswertes Interesse.
Zu berücksichtigen ist diesbezüglich auch, dass die einstweilige Verfügung nicht darauf gerichtet ist (im Gegensatz zur beantragten Anti-Suit Injunction), die Antragsgegnerin ihre Klagerechte zu nehmen. Denn die einstweilige Verfügung richtet sich gerade nicht gegen die Hauptsacheklage, die in den USA anhängig ist (vgl. oben).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Einer gesonderten Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht. Es folgt aus der Natur der Sache, dass die einstweiligen Rechtsschutz ge-währende Entscheidung sofort vollstreckbar sein muss.

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