Aktenzeichen 29 U 3907/16
Leitsatz
1. Eine Benutzungshandlung ist als ernsthaft anzusehen, wenn sie nach Art, Umfang und Dauer dem Zweck des Benutzungszwangs entspricht, die Geltendmachung bloß formaler Markenrechte zu verhindern. Die Anforderungen an Art, Umfang und Dauer der Benutzung sind dabei am Maßstab des jeweils Verkehrsüblichen und wirtschaftlich Angebrachten zu messen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Markenmäßige und beschreibende Verwendung schließen sich nicht aus. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Fiktion des § 2 Abs. 4 S. 2 AMG dient dem rein arzneimittelrechtlichen Ziel, in der Durchführungspraxis mögliche Abgrenzungsschwierigkeiten zu beheben, und hat für die an der Verkehrsanschauung ausgerichtete kennzeichenrechtliche Prüfung keine Bedeutung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Umstand, dass zwischengeschaltete Personen die Wahl des Endverbrauchers beeinflussen und sogar bestimmen können, ist als solcher nicht geeignet, eine Verwechslungsgefahr hinsichtlich der Herkunft der in Frage stehenden Produkte beim Endverbraucher auszuschließen; daher gehören selbst bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sowohl Fachkreise (Ärzte und Apotheker) als auch das allgemeine Publikum (Endverbraucher) zu den angesprochenen Verkehrskreisen; dann kann das Verständnis, das die verschiedenen Verkehrskreise einer Marke entgegenbringen, unterschiedlich ausfallen. In einem solchen Fall reicht es für die Verwirklichung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG aus, wenn auf Grund der gespaltenen Verkehrsauffassung nur bei einem der verschiedenen Verkehrskreise, etwa den Endverbrauchern, eine Verwechslungsgefahr bejaht werden kann. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
4 HK O 17405/14 2016-09-19 Endurteil LGMUENCHENI LG München I
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. September 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer 1. des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 80.000,- € sowie die Vollstreckung aus den Ziffern 2. und 3. des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 10.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
A.
Die Klägerin ist Inhaberin der am 7. September 1998 eingetragenen deutschen Wortmarke Nr. 39805930 S.(im Folgenden: Klagemarke), die Schutz für die Ware Arzneimittel beansprucht. Inhaber der Klagemarke war zunächst ein Dritter; deren Übertragung auf die Klägerin wurde am 25. Januar 2008 im Markenregister eingetragen.
Die Beklagte betreibt in Österreich eine Apotheke. Sie lieferte am 24. Oktober 2013 ein als Nahrungsergänzungsmittel ausgewiesenes und mit S.® bezeichnetes Weihrauch-Produkt in der nachfolgend dargestellten Aufmachung (vgl. Anl. K 7) an eine Apotheke in München.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe in den Jahren 2009 bis 2014 in Deutschland insgesamt 43 Mal jeweils 1.000 Packungen (vgl. Anl. K 4) eines ayurvedischen Arzneimittels zur Behandlung entzündlicher Erkrankungen an die vom Zeugen Dr. Z. betriebene Apotheke geliefert. Die Packungen waren unstreitig mit S. ® gekennzeichnet und wie nachfolgend dargestellt aufgemacht (vgl. Anl. K 3 und B 3a).
(vgl. Anl. K 3)
(vgl. Anl. K 3)
(vgl. Anl. K 3)
(vgl. Anl. K 3)
(vgl. Anl. K 3)
(vgl. Anl. K 3)
(vgl. Anl. B 3a).
Mit ihrer Klage, der die Beklagte entgegengetreten ist, hat die Klägerin kennzeichenrechtliche Ansprüche wegen der Lieferung nach München geltend gemacht.
Mit Urteil vom 19. September 2016, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht antragsgemäß
1. die Beklagte verurteilt, es bei Meidung von Ordnungsmitteln zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland zur Kennzeichnung von Nahrungsergänzungsmitteln die Bezeichnung S. zu verwenden, insbesondere ein Nahrungsergänzungsmittel auf der Basis von Weihrauchextrakt in einer Verpackung, auf der die Bezeichnung S. angebracht ist, in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr zu bringen;
2. die Beklagte verurteilt, der Klägerin unverzüglich Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg derjenigen Waren zu erteilen, die mit dem Kennzeichen gemäß vorstehender Ziffer 1. versehen sind; dabei habe die Beklagte insbesondere Angaben zu machen über Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Waren, der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für welche die Waren bestimmt waren sowie über die Menge und die Preise der ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Waren.
3. die Beklagte verurteilt, der Klägern Auskunft über Art und Umfang der in Ziffer 1. beschriebenen Handlungen zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines Verzeichnisses, aus dem sich die mit den gemäß Ziffer 1. gekennzeichneten Waren erzielten Umsätze und die Herstellungs- bzw. Bezugskosten einschließlich aller Kostenfaktoren, jeweils aufgeschlüsselt nach Kalendervierteljahren, sowie Art und Umfang der betriebenen Werbung, gegliedert nach Werbeträger, Auflagenzahl, Erscheinungszeit und Verbreitungsgebiet, ergeben;
4. festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die dieser durch die in Ziffer 1. genannten Verletzungshandlungen entstanden sind oder künftig noch entstehen werden.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug und beantragt,
das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1. Juni 2017 Bezug genommen.
B.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
I.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 14 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 MarkenG zu.
1. Der Senat ist an die Eintragung der Klagemarke gebunden. Eine – gar rechtskräftige – Löschungsanordnung liegt nicht vor; daher besteht die Schutzrechtslage und damit die Bindung des Senats an die Eintragung der Marke unverändert fort (vgl. BGH GRUR 2014, 1101 – Gelbe Wörterbücher Tz. 20 m. w. N.). Die Einwendungen der Beklagten, die auf die Entscheidungen des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 25. Januar 2016 (vgl. Anl. B 17) und vom 24. Februar 2017 (vgl. Anl. B 29) gestützt werden, ändern daran nichts, da diese Entscheidungen in anderen als gegen die Klagemarke gerichteten Löschungsverfahren ergangen sind. Aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Juni 2014 – C-217/13 (GRUR 2014, 776 – Oberbank/DSGV) ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nichts anderes; insbesondere betrifft diese Entscheidung lediglich das Löschungsverfahren und besagt nichts über die Berücksichtigungsfähigkeit von Löschungsgründen in einem Verletzungsverfahren wie dem vorliegenden.
2. Der von der Beklagten erhobene Einwand der Nichtbenutzung der Klagemarke gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1, § 26 Abs. 1 MarkenG bleibt ohne Erfolg.
a) Eine Benutzungshandlung ist als ernsthaft anzusehen, wenn sie nach Art, Umfang und Dauer dem Zweck des Benutzungszwangs entspricht, die Geltendmachung bloß formaler Markenrechte zu verhindern. Die Anforderungen an Art, Umfang und Dauer der Benutzung sind dabei am Maßstab des jeweils Verkehrsüblichen und wirtschaftlich Angebrachten zu messen (vgl. Senat, Urt. v. 16. Mai 2013 – 29 U 5054/12 m. w. N. [Anlagenkonvolut K 6]; d. BGH hat d. Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urt. m. Beschluss vom 15. Mai 2014 – I ZR 105/13 zurückgewiesen [Anlagenkonvolut K 6]).
b) Diese Voraussetzung liegt im Streitfall vor.
aa) Das Landgericht hat auf der Grundlage der Vernehmung des Zeugen Dr. Z. festgestellt, dass die in der Anlage K 4 (einem Konvolut von 43 Rechnungen vom 12. Februar 2009 bis zum 29. Mai 2014 über Lieferungen von jeweils 1.000 Packungen S.-Tabletten 400 mg) ausgewiesenen Waren tatsächlich nach Deutschland geliefert wurden.
Diese Feststellung hat der Senat seiner Entscheidung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legen, weil keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten könnten. Die von der Beklagten dazu im Berufungsverfahren vorgetragenen Umstände sind nicht geeignet, entsprechende Zweifel zu begründen. Dass in den Rechnungen zum Teil statt der Abkürzung PCK für die zutreffende englischsprachige Bezeichnung packages (Packungen) die Abkürzung KGS für kilograms sowie in diesen Fällen die Zahlangabe 1.000 mit 1000.000 erfolgt ist, erschüttert die Glaubwürdigkeit des Zeugen schon deshalb nicht, weil dieser nicht der Aussteller der Rechnungen, sondern deren Empfänger war und deshalb auf deren Abfassung keinen Einfluss hatte. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass die Rechnungen nur zum Teil die Angabe BATCH NO (entspricht der nach Auffassung der Beklagten bei Arzneimitteln üblichen Bezeichnung Chargennummer) und zum Teil die Angabe LOT NO (entspricht der nach Auffassung der Beklagten bei Lebensmitteln üblichen Bezeichnung Losnummer) enthalten.
bb) Das Landgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass bei diesen Liefervorgängen die Klagemarke für die Waren benutzt wurde, für die sie Schutz beansprucht, nämlich Arzneimittel.
(1) Die Verpackung der von der Klägerin gelieferten Waren enthielt unter anderem folgende Angaben (vgl. Anl. B 3a):
INDICATIONS: Osteo arthritis, myositis, fibrositis.
DOSAGE: As directed by the Physician
Effective and safe herbal treatment for musculoskeletal disorders.
Auch deutsche Verbraucher können dem entnehmen, dass das Mittel der Behandlung bestimmter Muskel- und/oder Skelettstörungen dient und nach ärztlicher Anleitung einzunehmen ist. Damit versteht der Verkehr es als Arzneimittel (so bereits in Senat, Urt. v. 24. Februar 2011 – 29 U 3633/10 [Anlagenkonvolut K 6]; Nichtzulassungsbeschwerde v. BGH m. Beschluss vom 23. Februar 2012 – I ZR 56/11 zurückgewiesen [Anlagenkonvolut K 6]; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 8. Juli 2008 – 20 U 191/07, juris, dort Tz. 22; Nichtzulassungsbeschwerde v. BGH m. Beschluss vom 7. Oktober 2009 – I ZR 126/08, juris, zurückgewiesen).
(2) Entgegen der Auffassung der Beklagten erfolgte die Bezeichnung des klägerischen Mittels mit S. ® nicht beschreibend, sondern markenmäßig.
Bereits die hervorgehobene Schriftgröße der Zeichenangabe begründet das Verständnis des Verkehrs, dass dadurch das Mittel von anderen unterschieden wird. Zudem schließt der Verkehr aus der Verwendung des „R“ im Kreis, dass das Zeichen als Marke und damit als Herkunftshinweis zu verstehen ist (vgl. BGH GRUR 2014, 500 – Praebiotik Tz. 30 m. w. N.). Ob daneben die Angabe S. auch als beschreibend aufgefasst wird, wie die Beklagte meint, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, weil sich markenmäßige und beschreibende Verwendung nicht ausschließen (vgl. BGH GRUR 2013, 631 – AMARULA/Marulablu Tz. 26 m. w. N.).
(3) Ebenfalls ohne Erfolg beruft sich die Beklagte für ihre Auffassung, die von der Klägerin gelieferte Ware sei nicht als Arzneimittel anzusehen, auf die Vorschrift des § 2 Abs. 4 Satz 2 AMG. Danach gilt ein Mittel, dessen Zulassung die zuständige Bundesoberbehörde mit der Begründung abgelehnt hat, dass es sich um kein Arzneimittel handelt, nicht als Arzneimittel.
Die von der Beklagten angeführte Zurückweisung des Zulassungsantrags für das – nach unbestrittenem Vortrag der Beklagten dem an den Zeugen geliefertem Produkt entsprechenden – Weihrauch-Präparat H 15 durch das Bundesgesundheitsamt begründet diese Fiktionswirkung schon deshalb nicht, weil sie nicht darauf beruht, dass dem Mittel die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit fehle (vgl. § 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG i. d. F. d. Bekanntmachung v. 19. Oktober 1994, BGBl. I. S. 3018; im Folgenden: AMG a. F.), es sich also dabei also nicht um ein Arzneimittel handele. Vielmehr ergibt sich aus dem von der Beklagten vorgelegten Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Berlin vom 1. November 1996 – VG 14 A 255.94 (vgl. Anl. B 22), dass die Versagung auf § 25 Abs. 2 Nr. 2 AMG a. F. (keine ausreichende Prüfung nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse) und auf § 25 Abs. 2 Nr. 5 AMG a. F. (begründeter Verdacht, dass das Mittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen) gestützt wurde.
Im Übrigen dient die Fiktion des § 2 Abs. 4 Satz 2 AMG dem rein arzneimittelrechtlichen Ziel, in der Durchführungspraxis mögliche Abgrenzungsschwierigkeiten zu beheben (vgl. BT-Drs. 7/3060 S. 44 re. Sp.) und hat für die an der Verkehrsanschauung ausgerichtete kennzeichenrechtliche Prüfung keine Bedeutung.
3. Die Beklagte verletzte die Klagemarke durch die unstreitige Lieferung eines mit S. bezeichneten Nahrungsergänzungsmittels an eine Münchener Apotheke, weil diese Lieferung Verwechslungsgefahr i. S. d. § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG begründet.
a) Auch die Beklagte verwendete das Zeichen S. markenmäßig (s. o. 2. b] bb] [2]). Ob der Verwendung daneben beschreibender Charakter zukommt, betrifft die Frage der Anwendbarkeit des § 23 Nr. 2 MarkenG (s. u. 5.).
b) Die Frage, ob eine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen den in Betracht zu ziehenden Faktoren, insbesondere der Identität oder der Ähnlichkeit der Zeichen und der Identität oder der Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der älteren Marke, so dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Zeichen oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2017, 914 – Medicon-Apoheke/MediCo Apotheke Tz. 13 m. w. N.).
c) Danach liegt im Streitfall Verwechslungsgefahr vor.
aa) Der Klagemarke kommt durchschnittliche Kennzeichnungskraft zu.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Umstand unbeachtlich, dass S. in Hindi oder Sanskrit Weihrauch bezeichnen mag; er führt insbesondere nicht zu einer Schwächung der Kennzeichnungskraft der Klagemarke, weil diese Bedeutung den maßgeblichen deutschen Verkehrskreisen regelmäßig nicht bekannt ist und dem Zeichen daher kein beschreibender Charakter oder auch nur beschreibende Anklänge zukommen.
(1) Der Umstand, dass zwischengeschaltete Personen die Wahl des Endverbrauchers beeinflussen und sogar bestimmen können, ist als solcher nicht geeignet, eine Verwechslungsgefahr hinsichtlich der Herkunft der in Frage stehenden Produkte beim Endverbraucher auszuschließen (vgl. EuGH GRUR Int 2007, 718 – TRAVATAN II Tz. 57); daher gehören selbst bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sowohl Fachkreise (Ärzte und Apotheker) als auch das allgemeine Publikum (Endverbraucher) zu den angesprochenen Verkehrskreisen; dann kann das Verständnis, das die verschiedenen Verkehrskreise einer Marke entgegenbringen, unterschiedlich ausfallen. In einem solchen Fall reicht es für die Verwirklichung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG aus, wenn auf Grund der gespaltenen Verkehrsauffassung nur bei einem der verschiedenen Verkehrskreise, etwa den Endverbrauchern, eine Verwechslungsgefahr bejaht werden kann (vgl. BGH GRUR 2012, 64 – Maalox/Melox-GRY Tz. 9 m. w. N.). Im Streitfall kommt hinzu, dass sich die Verwechslungsgefahr nicht auf verschreibungspflichtige Arzneimittel, sondern vom Endverbraucher ohne Weiteres erwerbbare Waren, nämlich Nahrungsergänzungsmittel, bezieht.
(2) Auch die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen geben keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung.
aaa) Insbesondere kommt den von der Beklagten vorgelegten Internetausdrucken schon deshalb keinerlei Bedeutung für die Feststellung des Verständnisses der maßgebenden Verkehrskreise zu, weil die Beklagte weder zur Reichweite der Internetseiten noch dazu Angaben gemacht hat, inwieweit es ausgeschlossen werden kann, dass die wiedergegebenen Inhalte von interessierten Kreisen manipuliert wurden.
Die als Anlage B 6 vorgelegten Auszüge aus dem Buch Weihrauch von Dr. S. verwenden das – der Klagemarke nur ähnliche – Wort S. lediglich im Zusammenhang mit der Übersetzung von Sanskrittexten; entsprechend bezieht sich die Erläuterung, S. sei der gängige Name für Boswellia serrata, auf die Sprache Sanskrit; die Notwendigkeit einer Erläuterung weist darauf hin, dass der Begriff ohne sie für den deutschen Leser nicht verständlich wäre.
Die als Anlage B 7 vorgelegte englischsprachige Monographie der Weltgesundheitsorganisation zählt zwar Weihrauch unter der Überschrift Selected vernacular names (ausgewählte landessprachliche Namen) neben Ausdrücken aus zahlreichen Fremdsprachen auch s. auf. Sie enthält indes keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass dieses Wort in Deutschland als Bezeichnung für Weihrauch verwendet werde.
bbb) Die Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 25. Januar 2016 zu einer anderen Wortmarke S. als der Klagemarke (vgl. Anl. B 17) geht schon zu Unrecht davon aus, dass allein auf das Verständnis der Fachkreise abzustellen sei. Darüber hinaus wäre die Heranziehung einiger weniger Internetseiten auch nicht ausreichend, ohne nähere Erörterung der konkreten Umstände wie der Reichweite dieser Seiten und deren Manipulierbarkeit das Verständnis deutscher Fachkreise zu belegen. Zudem ist bei einigen der in der Entscheidung angeführten Seiten nicht fernliegend, dass sie eine markenmäßige Verwendung für bestimmte Produkte wiedergeben (www.multiple-sklerose-e-v.de/behandlung/weihrauch.html: „… die Boswellia-Extrakte H15/S. …“; www.phylodoc.de: „Boswellia serrata-Harz wird auch unter den Namen … S./S. … vertrieben“) oder sich lexikalisch auf andere Sprachen beziehen (www.pflanzenguru.com: „… Klassische Bezeichnungen S., S.“; www.lederkram.de: „Andere Namen … S. [Sanskrit]“). Schließlich enthält der wiedergegebene Auszug aus der Internetseite www.krebs-kompass.org die Bezeichnung S. gar nicht; wie die – diese Bezeichnung enthaltende – Überschrift zu diesem Auszug zustande gekommen ist, erörtert das Deutschen Patent- und Markenamt nicht.
Die Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 24. Februar 2017 (vgl. Anl. B 29) ist ebenfalls rechtsfehlerhaft. Zum einen stützt sie sich nicht einmal auf alle in der Entscheidung vom 25. Januar 2016 herangezogenen Internetseiten, zum anderen zieht sie zwar die Möglichkeit in Betracht, dass Endverbraucher und Fachkreise unterschiedliche Verkehrsauffassungen haben, versäumt es aber zu prüfen, ob nicht bereits das Verständnis der Endverbraucher zu einer Verwechslungsgefahr führt.
bb) Die sich gegenüberstehenden Zeichen sind identisch. Zwischen den sich gegenüberstehenden Waren besteht zumindest mittlere Ähnlichkeit. In der Gesamtschau dieser Umstände begründet die beanstandete Lieferung Verwechslungsgefahr.
4. Fehl geht die Berufung der Beklagten auf die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Der Beklagten steht kein Kennzeichenrecht zu – auch kein nicht eingetragenes -, so dass dahin stehen kann, ob diese Regelung für nicht eingetragene Kennzeichenrechte entsprechend anzuwenden ist (so Hacker, a. a. O., § 22 Rz. 5; Ingerl/Rohnke, a. a. O., § 22 Rz. 16).
5. Da die Bezeichnung S. von den Endverbrauchern als dem von der beanstandeten Bezeichnung für Nahrungsergänzungsmittel angesprochenen Verkehrskreis nicht als Beschreibung des Bestandteils Weihrauch verstanden wird, stellt sie keine Angabe über Merkmale oder Eigenschaften der so bezeichneten Ware dar, so dass der Anspruch der Klägerin nicht gemäß § 23 Nr. 2 MarkenG ausgeschlossen ist.
6. Die Beklagte kann dem klägerischen Unterlassungsanspruch nicht entgegenhalten, darin liege eine gezielte Mitbewerberbehinderung i. S. d. § 4 Nr. 4 UWG. Zutreffend und von der Beklagten in der Berufung nicht in Frage gestellt ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen, unter denen die Geltendmachung kennzeichenrechtlicher Ansprüche eine gezielte Mitbewerberbehinderung darstellt (vgl. dazu Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl. 2017, § 4 UWG Rz. 4.84 ff.), im Streitfall nicht vorliegen.
II.
Die Beklagte handelte zumindest fahrlässig, weil sie jedenfalls hätte erkennen können, dass die Lieferung an die Apotheke in München die Klagemarke verletzte. Sie ist der Klägerin deshalb gemäß § 14 Abs. 6 Satz 1 MarkenG zum Schadensersatz verpflichtet.
III.
Der Klägerin stehen auch die geltend gemachten Auskunftsansprüche gemäß § 19 Abs. 1 MarkenG und § 242 BGB zu.
C.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen unter B. zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.