IT- und Medienrecht

Zugang zu Unterlagen der BaFin

Aktenzeichen  10 C 18/19

Datum:
30.1.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2020:300120U10C18.19.0
Normen:
Art 5 Abs 1 S 2 GG
§ 3 Nr 4 IFG
§ 6 S 2 IFG
§ 9 Abs 1 KredWG
§ 1 Abs 2 GeschGehG
§ 2 Nr 1 GeschGehG
Art 11 EUGrdRCh
Art 51 Abs 1 EUGrdRCh
Art 52 Abs 3 EUGrdRCh
Art 10 MRK
Art 19 BürgPoRPakt
Spruchkörper:
10. Senat

Leitsatz

Das von § 9 Abs. 1 KWG geschützte Berufsgeheimnis der Finanzaufsichtsbehörden steht auch einem verfassungsunmittelbaren presserechtlichen Auskunftsanspruch entgegen.

Verfahrensgang

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 11. März 2015, Az: 6 A 1071/13, Urteilvorgehend VG Frankfurt, 11. Dezember 2012, Az: 7 K 2168/12.F, Urteil

Tenor

Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. März 2015 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 27. April 2015 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1
Der Kläger, Journalist bei einer großen Tageszeitung, begehrt Einsicht in Unterlagen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die im Jahre 2008 im Zusammenhang mit der Aufsicht über eine Bank entstanden sind, die mittlerweile in dem beigeladenen Kreditinstitut aufgegangen ist.
2
Mit Schreiben vom Januar 2009 und präzisiert mit einem weiteren Schreiben vom Mai 2009 beantragte der Kläger – sowohl auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes als auch aufgrund presserechtlicher Anspruchsgrundlagen – Einsicht in Akten und Gutachten, die sich auf die H. Bank beziehen. Dabei geht es um 54 Aktenbände mit insgesamt über 2 000 Seiten. Die Beklagte lehnte diesen Antrag unter Verweis auf verschiedene Ausschlussgründe des Informationsfreiheitsgesetzes ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch zurück.
3
Die Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht im Anschluss an den Erlass eines Beweisbeschlusses, die Abgabe einer Sperrerklärung und die Durchführung eines in-camera-Verfahrens zum ganz überwiegenden Teil Erfolg. Das Verwaltungsgericht gab der Klage mit Ausnahme der nach dem Beschluss des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts als hinreichend deutlich als ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig benannten Aktenbestandteile statt. Die geltend gemachten Ausschlussgründe lägen abgesehen von den Unterlagen, die schützenswerte personenbezogene Daten enthielten, nicht vor.
4
Auf die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 11. März 2015 die Klage insgesamt abgewiesen. Dem Zugangsanspruch nach § 1 Abs. 1 IFG stehe gemäß § 3 Nr. 4 IFG das von der Beklagten zu wahrende Berufsgeheimnis des § 9 Abs. 1 KWG entgegen. Diese Bestimmung sei vor dem Hintergrund des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. November 2014 (C-140/13 [ECLI:EU:C:2014:2362], Altmann) über das bisherige Verständnis hinaus richtlinienkonform im Sinne einer umfassenderen Geheimhaltung der vorhandenen Unterlagen auszulegen; dies gelte nicht nur für die Wertpapieraufsicht, sondern in gleicher Weise für die Bankenaufsicht. Die streitigen Unterlagen enthielten vertrauliche Informationen im Sinne der unionsrechtlichen Bestimmungen. Geschützt seien nicht nur Angaben, die dem sogenannten Bankgeheimnis zuzurechnen seien, sowie Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der beaufsichtigten Unternehmen, sondern auch solche Informationen, die unter das aufsichtsrechtliche Geheimnis fielen. Die in den von der Beklagten vorgelegten Aufstellungen verzeichneten Aktenteile seien ohne weitere Sachverhaltsaufklärung dem Berufsgeheimnis zuzuordnen. Die Unterlagen stellten zum einen Teil Informationen dar, die die Beklagte von den beaufsichtigten Instituten erhalten habe. Sie seien somit entweder dem Bankgeheimnis oder dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis zuzuordnen. Zum anderen seien die internen Vermerke der Beklagten, Entwürfe, Vermerke und Schriftsätze an die betroffenen Unternehmen oder andere Aufsichtsbehörden dem Unterfall des aufsichtsrechtlichen Geheimnisses zuzurechnen. Eine gesetzliche Ausnahme vom Verbot der Weitergabe vertraulicher Informationen sei nicht einschlägig. Auch ein Anspruch nach dem Hessischen Pressegesetz sei gegenüber der Beklagten als Bundesbehörde nicht gegeben. Im Übrigen richte sich dieser Anspruch nur auf Auskunft, nicht jedoch auf vollständige Offenlegung von Unterlagen. Die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewähre – über einen verfassungsunmittelbaren Minimalstandard hinaus, der gegebenenfalls durch die vorhandenen einfach-gesetzlichen Auskunftsansprüche abgesichert werde – ebenso wenig wie die Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG ein Recht auf Eröffnung einer Informationsquelle. Schließlich könne der Kläger weder aus europa- noch aus völkerrechtlichen Bestimmungen einen Anspruch auf Akteneinsicht herleiten.
5
Der Kläger hat die vom Verwaltungsgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision eingelegt. Mit Beschluss vom 3. Mai 2016 – 7 C 7.15 – ist das Verfahren wegen der damals gegebenen Zuständigkeit eines anderen Senats abgetrennt worden, soweit der Kläger einen presserechtlichen Anspruch geltend macht; das verbleibende Verfahren ist bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem mit Vorlagebeschluss vom 4. November 2015 – 7 C 4.14 – eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren ausgesetzt worden.
6
Zur Begründung seiner Revision in den nunmehr wieder verbundenen Verfahren trägt der Kläger – nach Fortsetzung des ausgesetzten Verfahrens auch unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 19. Juni 2018 (C-15/16 [ECLI:EU:C:2018:464], Baumeister) – vor: Die Voraussetzungen des § 3 Nr. 4 IFG habe die Beklagte nicht entsprechend den Vorgaben des EuGH dargetan. Sie habe nicht zwischen vertraulichen und sonstigen Informationen unterschieden und eine Gefahr für die Finanzaufsicht wegen Offenlegung gegebenenfalls überholter Überwachungsmethoden nicht konkret dargelegt. Auch müsse die Beklagte bei unternehmensbezogenen Daten, die bezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung älter als fünf Jahre seien, nachweisen, dass ausnahmsweise doch ein Geschäftsgeheimnis vorliege, wobei die Vorgaben des Geschäftsgeheimnisgesetzes zu beachten seien. Es sei unklar, welchen wirtschaftlichen Wert Akten bzw. Gutachten aus einer auf das Jahr 2008 bezogenen Aufsicht noch haben könnten. Des Weiteren seien Informationen über Rechtsverstöße – zu solchen sei es in der Finanzkrise gehäuft gekommen – keine schutzwürdigen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Der verfassungsunmittelbare Anspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, der die Beschaffung von Informationen gewährleiste, könne nicht auf einen Auskunftsanspruch beschränkt werden. Diesem Anspruch stünden auch keine Ausnahmegründe im öffentlichen oder privaten Interesse entgegen, die bei der erforderlichen Abwägung höher zu gewichten seien. Als “public watchdog” könne er sich auf einen Informationszugangsanspruch aus Art. 10 EMRK berufen. Schließlich sei Art. 11 EUGRCh zu berücksichtigen.
7
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. März 2015 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 27. April 2015 zu ändern und die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Dezember 2012 zurückzuweisen.
8
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Revision zurückzuweisen.
9
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus: Alle vom Klageantrag umfassten Informationen fielen unter das aufsichtsrechtliche Geheimnis. Die Akten stellten die aufsichtlich zu würdigenden Umstände des von der Finanzkrise betroffenen Unternehmens dar und gäben somit einen vollständigen Einblick in die Aufsichtsstrukturen der Beklagten, welche durch die angewandten Aufsichtsstrategien und Aufsichtsmethoden in einer Krisensituation gekennzeichnet seien. Bei Kenntnis der bislang vertraulichen Arbeitsweise der Beklagten würde die effektive Aufgabenwahrnehmung wesentlich erschwert. Einer weiteren Tatsachenaufklärung bedürfe es deswegen nicht. Darüber hinaus unterlägen angesichts der auf den Zeitpunkt der Behördenentscheidung bezogenen Fünf-Jahres-Regel vertrauliche Unternehmensinformationen aus den Jahren 2004 bis einschließlich 2009 – und somit insbesondere die begehrten Unterlagen aus dem Jahr 2008 – ohne weitere Prüfung weiterhin dem Berufsgeheimnis der Beklagten. Ein verfassungsunmittelbarer Anspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfasse nicht das Recht auf Aktennutzung durch Einsichtnahme. Jedenfalls sei für eine Reduzierung des Auswahlermessens der Behörde im Hinblick auf die Form der Auskunftserteilung nichts dargetan. Darüber hinaus stünden einer Auskunft berechtigte Vertraulichkeitsinteressen der Beklagten und der Beigeladenen entgegen, die der Gesetzgeber als Ausschlussgrund normieren dürfte. Der unionsrechtlich geforderte Schutz der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte müsse sich auch gegenüber presserechtlichen Auskunftsansprüchen durchsetzen. Nichts anderes ergebe sich bei Berücksichtigung von Art. 10 EMRK und Art. 11 EUGRCh.
10
Die Beigeladene trägt vor: Die Revision sei jedenfalls unbegründet. Mit der Geheimhaltungsvorschrift des § 9 Abs. 1 KWG werde ein Vertraulichkeitsinteresse normiert, das dem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse generell und abwägungsfest vorgehe.

Berichtigungsbeschluss vom 12. Oktober 2020:
In der Verwaltungsstreitsache sind die beglaubigten Abschriften des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Januar 2020 insoweit zu berichtigen, als dass in Randnummer 27 das Wort “bundesrechtlichen” durch “bundesrechtswidrigen” zu ersetzen ist.
Gründe:
Die beglaubigten Abschriften des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Januar 2020 sind in entsprechender Anwendung des § 118 Abs. 1 VwGO zu berichtigen, da – abweichend von der Urschrift des Urteils – ein Übertragungsfehler vorliegt.

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