Aktenzeichen L 19 R 515/16
ARB 3/80 Art. 3 Abs. 1
SGG § 153 Abs. 2
Leitsatz
1. Im Falle einer Beitragserstattung sieht § 210 SGB VI in Absatz 3 eine Erstattung nur des Arbeitnehmeranteils vor, unabhängig davon, welche Staatsangehörigkeit der Versicherte hat oder wo er seinen Wohnsitz nimmt.
2. Die Regelungen des § 210 SGB VI über die Beitragserstattung sind mit höherrangigem und auch mit bilateralem Recht vereinbar.
3. Mit der Beitragserstattung wird das bisherige Versicherungsverhältnis aufgelöst.
Verfahrensgang
S 3 R 151/16 2016-06-17 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth
Tenor
I.
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 17.06.2016 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Sie ist jedoch unbegründet. Das SG Bayreuth hat zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 17.06.2016 die Klage gegen den Bescheid vom 17.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2016 als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Arbeitgeberanteile.
Einzige Rechtsgrundlage, auf die ein Anspruch auf Beitragserstattung gestützt werden kann, ist vorliegend § 210 SGB VI. Nach dieser Vorschrift werden Beiträge auf Antrag (unter anderem) erstattet an Versicherte, die nicht versicherungspflichtig sind und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung haben. Beiträge werden nach § 210 Abs. 2 SGB VI nur erstattet, wenn seit dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht 24 Kalendermonate abgelaufen sind und nicht erneut Versicherungspflicht eingetreten ist. Der Kläger ist am 24.07.2012 in die Türkei zurückgekehrt und übt in der Bundesrepublik Deutschland keine Beschäftigung mehr aus. Damit ist er nicht mehr versicherungspflichtig und hat aufgrund seines dauerhaften Auslandsaufenthalts auch nicht mehr das Recht zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Zwischenzeitlich sind auch zwei Kalenderjahre seit dem Ausscheiden aus der Versicherung abgelaufen und es ist nicht erneut Versicherungspflicht eingetreten. Der Kläger hat damit dem Grunde nach Anspruch auf Beitragserstattung nach § 210 SGB VI. Die Höhe dieser Beitragserstattung richtet sich nach § 210 Abs. 3 SGB VI.
Gemäß § 210 Abs. 3 S. 1 SGB VI werden Beiträge in der Höhe erstattet, in der die Versicherten sie getragen haben.
Die Beklagte hat mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17.09.2014 eine Beitragserstattung in Höhe der vom Kläger selbst getragenen Beiträge, d. h. seines Beitragsanteils, zuerkannt. Der Betrag beläuft sich auf 9.704,40 €. Gegen die Höhe dieses Erstattungsbetrages wurden keine Einwendungen erhoben. Weitere Versicherungszeiten, die der Kläger zurückgelegt hat, sind Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung und überwiegend Zeiten mit Bezug von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe, bei denen der Kläger keine eigene Beitragsleistung erbracht hat. Hier liegen rentenrechtlich betrachtet zwar Beitragszeiten vor, dies aber aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung der Sozialleistungsträger zur Entrichtung pauschalierter Beiträge für arbeitslose bzw. nicht erwerbstätige bedürftige Versicherte. Insoweit besteht aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 210 Abs. 3 SGB VI kein Anspruch auf Erstattung, weil der Kläger als Versicherter diese (pauschalierten) Beiträge nicht selbst getragen hat.
Das SG hat bereits in seinem Gerichtsbescheid vom 17.06.2016 im Ergebnis zutreffend darauf hingewiesen, dass § 210 SGB VI auch mit höherrangigem Recht und auch mit bilateralem Recht vereinbar ist. Das SG hat zutreffend auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Begrenzung der Beitragserstattung auf die gesetzliche Hälfte (also des Arbeitnehmeranteils) hingewiesen. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung nach § 153 Abs. 2 SGG ab und verweist auf die Entscheidungsgründe des SG in seinem Gerichtsbescheid vom 17.06.2016.
Auch ein Verstoß gegen europarechtliche Vorschriften, die allenfalls über das deutsch-türkische Sozialversicherungsabkommen bzw. das Assoziierungsabkommen EWG-Türkei Anwendung finden könnten, kann nicht gesehen werden. Das Sozialversicherungsabkommen mit der Türkei sieht keine weitergehenden Rechte vor als die, die in § 210 Abs. 3 SGB VI für alle Versicherten (unabhängig von Wohnsitz oder Staatsangehörigkeit) vorgesehen sind. Auch ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 6 bzw. 9 des Assoziierungsabkommens kann nicht gesehen werden, da eine Schlechterstellung des Klägers infolge seiner Staatsangehörigkeit oder seiner Wohnsitznahme im Ausland nicht erfolgt. Ein Anspruch auf Beitragserstattung besteht nach § 210 SGB VI für Versicherte, die im Inland leben, auch nur dann, wenn sie die Regelaltersgrenze erreicht haben und die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt wurde und sie deshalb eigentlich nicht mehr versicherungspflichtig sind oder nicht mehr das Recht zur freiwilligen Versicherung besteht. Im Falle einer Erstattung sieht § 210 SGB VI in Abs. 3 eine Erstattung nur des Arbeitnehmeranteils vor, unabhängig davon, welche Staatsangehörigkeit der Versicherte hat und wo er seinen Wohnsitz nimmt. Im Gegenteil kommt ein türkischer Staatsangehöriger frühzeitiger zu einer Beitragserstattung als ein deutscher Versicherter, wenn er dauerhaft aus dem deutschen Arbeitsmarkt ausscheidet und mit seinem Antrag auf Beitragserstattung auch deutlich macht, dass er sein Versicherungsverhältnis in der deutschen gesetzlichen Sozialversicherung beendet hat und auch beenden will. Wenn aber ein deutscher Arbeitnehmer mit Wohnsitz im Inland lediglich Anspruch auf die Erstattung seines Arbeitnehmeranteils zur gesetzlichen Rentenversicherung hat – was das Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß bezeichnet hat – kann ein türkischer Staatsangehöriger schon denknotwendig nicht diskriminiert sein, wenn er die gleiche Beitragserstattung erhält wie ein deutscher Arbeitnehmer. Auch dieser bekommt nie den für ihn vom Arbeitgeber aufgewandten Beitragsanteil zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Insoweit ist die Argumentation der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht nachvollziehbar. Sie verkennt grundlegend, dass zwischen einer Beitragserstattung, die zur vollständigen Auflösung des bisherigen Versicherungsverhältnisses führt (§ 210 Abs. 6 Satz 2 SGB VI) und einem Leistungsanspruch auf Gewährung einer Rente aufgrund selbst erworbener Anwartschaften aus einem noch bestehenden Versicherungsverhältnis streng zu differenzieren ist. Der Kläger ist in seiner Entscheidungsfreiheit, welche der beiden Möglichkeiten er in Anspruch nehmen möchte, wenn er dauerhaft in sein Heimatland zurückkehrt, nicht eingeschränkt und auch nicht diskriminiert. Die Entscheidung, in sein Heimatland zurückzukehren, löst keine wirtschaftliche oder sonstige Benachteiligung aus. Eine Auswirkung ergibt sich erst aufgrund der Antragstellung auf Beitragserstattung. Eine Diskriminierung aufgrund Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz ist damit aber – wie oben aufgezeigt – ebenfalls nicht verbunden, weil deutsche und ausländische Versicherte hier gleich behandelt werden.
Die Entscheidung des EuGH vom 26.05.2011 in der Rechtssache C-485/07, auf die die Prozessbevollmächtigte des Klägers Bezug nimmt, begründet ebenfalls kein anderes Ergebnis. Vorliegend geht es gerade nicht um die Gewährung einer Rente in das Ausland, was selbstverständlich aufgrund der Regelungen der §§ 110 – 112 SGB VI möglich gewesen wäre. Der Kläger hat aber gerade keine Rentengewährung in die Türkei beantragt, sondern die Beitragserstattung gewünscht, die ihm auch bewilligt wurde. Mit Durchführung der Beitragserstattung erlischt das Versicherungsverhältnis in seiner Gesamtheit.
Auch eine Nachversicherung des Klägers in der türkischen Rentenversicherung ist nicht möglich, nachdem laut vorliegender Erklärung des türkischen Rentenversicherungsträgers niemals eine Pflichtmitgliedschaft in der türkischen Sozialversicherung bestanden hat. Insoweit bestand keine Möglichkeit, die Beiträge an die türkischen Sicherungssysteme weiterzuleiten oder – wie sich dies die Prozessbevollmächtigte des Klägers offenbar vorstellt – einen fiktiven Arbeitgeberanteil trotz Beendigung des Versicherungsverhältnisses an den türkischen Rentenversicherungsträger zu übertragen um dort dann eine neue, eigenständige Anwartschaft zu begründen.
Nach alledem war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 17.06.2016 als unbegründet zurückzuweisen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 SGG).
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts ab. Auch ein Abweichen von der Rechtsprechung des EuGH ist nicht ersichtlich. Die Entscheidung des EuGH vom 26.05.2011 in der Rechtssache C-485/07 ist mangels vergleichbaren Sachverhalts nicht maßgebend.