Medizinrecht

Eilrechtsschutz für Grundsicherungsleistungen

Aktenzeichen  S 16 AS 365/16 ER

Datum:
2.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 136601
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
SGB XII § 23 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

1 Der Ausschluss von Grundsicherungsleistungen für Ausländer mit besonderem Aufenthaltsstatus gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ist europarechtskonform. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Sind Hilfeleistungen anch dem SGB II ausgeschlossen, kommt ein Anspruch auf Sozialhilfe für Ausländer, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, in Betracht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab 31.03.2016 bis zu einer bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 31.08.2016, Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhaltes nach dem SGB XII zu gewähren.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Die Beigeladene erstattet der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, hilfsweise nach dem SGB XII.
Der Antragsgegner gewährte der Antragstellerin und dem mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Herrn S. auf den Antrag vom 22.09.2015 mit Bescheid vom 21.10.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum 01.09.2015 bis 29.02.2016. Ab 17.11.2015 wurden der Antragstellerin keine Leistungen mehr gewährt, da sie ab diesem Zeitpunkt keinen gültigen Arbeitnehmerstatus mehr habe.
Der hiergegen eingereichte Überprüfungsantrag vom 21.01.2016 wurde damit begründet, dass es sich bei der Antragstellerin und Herrn S. um eine eheliche Lebensgemeinschaft handele und daher die Antragstellerin weiter Anspruch auf Leistungen habe, da Herr S. arbeite.
Mit Bescheid vom 01.02.2016 wurde der Antrag abgelehnt. Es bestehe nur eine eheähnliche Gemeinschaft. Aus dem Arbeitnehmerstatus des Herrn S. lasse sich daher kein Recht der Antragstellerin ableiten. Dies sei nur bei verheirateten Paaren möglich.
Hiergegen wurde Widerspruch erhoben mit Schreiben vom 10.02.2016.
Der vor dem Sozialgericht Nürnberg parallel durch Herrn S. beantragte einstweilige Rechtsschutz unter dem Aktenzeichen S 18 AS 143/16 ER wurde mit Schreiben vom 07.03.2016, eingegangen am 08.03.2016, zurückgenommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2016 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Am 31.03.2016, Eingang am selben Tag, beantragte die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz. Sie habe bereits am 10.02.2016 einen Antrag zusammen mit ihrem Lebensgefährten S. gestellt, der aber leider nicht bearbeitet worden sei. Sie erhalte ab 17.11.2015 keine Leistungen mehr. Sie bitte das Gericht, das Jobcenter A-Stadt anzuweisen, die kompletten Leistungen ab 17.11.2015 umgehend zu gewähren.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II wie bei einem Ehepaar zu verpflichten, hilfsweise die Beigeladene im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII wie bei einem Ehepaar zu verpflichten.
Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
den Antrag abzulehnen.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte sowie die Akte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist hinsichtlich der vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII für die Zeit ab 31.03.2016 bis zu einer bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 31.08.2016, gegen die Beigeladene begründet. Hinsichtlich eines darüber hinausgehenden Anspruchs ist den Antrag unbegründet.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Absatz 2 Satz 2 SGG), sog. Regelungsanordnung. Ein solcher Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Absatz 3 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl den geltend gemachten Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch die für den Erlass einer solchen Anordnung im Gesetz vorgeschriebenen Gründe (Anordnungsgrund) ausreichend glaubhaft gemacht hat. Es müssen überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen, und Gründe vorliegen, weswegen dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner, der öffentlichen und den Interessen Dritter nicht zugemutet werden kann, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind dabei funktionell miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig. D.h. je schwerwiegender die Nachteile sind, die dem Antragsteller drohen, wenn eine einstweilige Regelung durch das Gericht nicht angeordnet wird, desto geringere Anforderungen sind an die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu stellen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 27).
Ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch bestehen im tenorierten Umfang. Die Voraussetzungen für einen Anspruch gegen die Beigeladene sind glaubhaft gemacht. Die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs kann unter Berücksichtigung der aktuellen einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes – beider AS-Senate (BSG, Urteil vom 03.12.2015, Az.: B 4 AS 44/15 R – zitiert nach juris sowie BSG, Urteil vom 20.01.2016, Az.: B 14 AS 35/15 R; vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14.03.2016, Az.: L 18 AS 53/16 B ER) nicht verneint werden. Dies unabhängig von der Entscheidung im etwaigen instanzgerichtlichen Hauptsacheverfahren. Jedenfalls im Rahmen des Eilrechtsschutzes ist ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser richtet sich jedoch gegen die Beigeladene als Leistungsträgerin nach dem SGB XII. Ein Anspruch gegen den Antragsgegner nach dem SGB II besteht hingegen nicht. Der Leistungsausschluss der Antragstellerin nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist europarechtskonform (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2014, Az.: C-333/13 – zitiert nach juris sowie EuGH, Urteil vom 15.09.2015, Az.: C-67/14 – zitiert nach juris). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Leistungsausschluss nach dem SGB II auf Grund eines etwaigen anderweitigen Aufenthaltsrechtes der Antragstellerin nicht greift. Nach dem BSG (a.a.O.) ergibt sich jedoch – insoweit glaubhaft gemacht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes – ein Anspruch über § 23 Absatz 1 Satz 3 SGB XII.
Zugesprochen werden lediglich Leistungen für die Antragstellerin. Über etwaige Leistungen für Herrn S. wird im vorliegenden Verfahren nicht entschieden. Solche werden nicht begehrt. Ferner tritt Herr S. im vorliegenden Verfahren nicht als Antragsteller (vgl. auch Antragsschrift vom 31.03.2016) auf. Es kann daher dahinstehen, ob und in welchem Umfang Herrn S. (weitere) Leistungen (ggf. nach dem SGB II) zustehen. Ferner kann dahinstehen, ob und inwiefern überhaupt ein weiterer Leistungsantrag nach dem SGB II für die Antragstellerin (ggf. auch für Herrn S.) gestellt wurde für den Zeitraum ab 01.03.2016. Es kann auch dahinstehen, dass der Antragsgegner nunmehr mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2016 (beachte jedoch den Bescheid vom 11.03.2016) den Widerspruch gegen den ablehnenden Überprüfungsbescheid vom 01.10.2015 (für den Zeitraum bis 29.02.2016) zurückgewiesen hat und eine Klage hiergegen nicht ersichtlich ist. Die der Antragstellerin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ab 31.03.2016 zu gewährenden Leistungen nach dem SGB XII bedürfen jedenfalls keines Antrages. Es kann daher dahinstehen, ob und ggf. auf welche Art ein solcher bei der Beigeladenen gestellt wurde und ob etwaig der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zugleich als solcher zu werten wäre.
Auch ein Anordnungsgrund ist gegeben. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache ist der Antragstellerin nicht zuzumuten. Die Antragstellerin hat keine anderweitigen Einnahmen. Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich im Bereich des SGB XII um Leistungen der Existenzsicherung handelt. Auch unter Berücksichtigung der Einnahmen des Herrn S. ergibt sich für die Antragstellerin ein Anspruch nach dem SGB XII. Für die Vergangenheit sind keine vorläufigen Leistungen zuzusprechen. Insoweit ist der Antrag abzulehnen. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes können grundsätzlich keine Leistungen für die Vergangenheit geltend gemacht werden. Gründe für eine Ausnahme im vorliegenden Verfahren sind nicht ersichtlich.
Der Antragstellerin werden im Wege der einstweiligen Anordnung beginnend ab Antragstellung am 31.03.2016 für den Zeitraum bis zu einer bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.08.2016 vorläufig Leistungen nach dem SGB XII gewährt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

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