Aktenzeichen 29 W (pat) 537/20
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2015 059 764.3
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juli 2020 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Mittenberger-Huber, die Richterin Akintche und die Richterin Seyfarth
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 3. Februar 2016 aufgehoben.
Gründe
I.
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Die Bezeichnung
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#darferdas?
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ist am 17. November 2015 zur Eintragung als Wortmarke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für die nachfolgend aufgeführten Waren angemeldet worden:
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Klasse 14: Edelmetalle und deren Legierungen sowie daraus hergestellte oder damit plattierte Waren soweit nicht in anderen Klassen enthalten; Juwelierwaren, Schmuckwaren, Edelsteine; Uhren und Zeitmessinstrumente; Schlüsselanhänger [Fantasie- und Schmuckwaren]; Anstecknadeln, Pins und Medaillen [alles Schmuckwaren];
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Klasse 18: Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Taschen, Reise- und Handkoffer; Regenschirme; Sonnenschirme;
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Klasse 21: Geräte und Behälter für Haushalt und Küche; Glaswaren, Porzellan und Steingut (soweit In Klasse 21 enthalten); Gläser (Trinkgefäße); Becher; Tassen; Kämme; Schwämme; Bürsten und Pinsel (ausgenommen für Malzwecke); Sparbüchsen, nicht aus Metall;
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Klasse 24: Webstoffe und Textilwaren, soweit in Klasse 24 enthalten; Bett- und Tischdecken; Bett- und Tischwäsche [nicht aus Papier]; Hand- und Badetücher aus textilem Material; Textilstoffetiketten;
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Klasse 25: Bekleidungsstücke, insbesondere T-Shirts; Schuhwaren; Kopfbedeckungen;
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Klasse 27: Teppiche, Fußmatten, Matten, Linoleum und andere Bodenbeläge; Tapeten [ausgenommen aus textilem Material].
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Mit Beschluss vom 3. Februar 2016 hat die Markenstelle für Klasse 25 des DPMA ie Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 37 Abs. 1 MarkenG zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angemeldete Wortfolge „#darferdas?“ werde vom angesprochenen allgemeinen Publikum im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren lediglich als „typischer Fun-Spruch“, der als charakteristisches Ausstattungselement integraler Bestandteil dieser Waren sei, aufgefasst. Etwas Ungewöhnliches sei an dem Gesamtzeichen nicht erkennbar. Das Rautezeichen werde heutzutage vielfach verwendet, um ein Schlüsselwort (einen sog. „Hashtag“) zu markieren. Auch die Zusammenschreibung ändere nichts daran, dass die Frage in ihrem Bedeutungsgehalt von den angesprochenen Verkehrskreisen sofort erfasst werde. Es handele sich um eine bekenntnishafte Aussage, die nach außen wirken solle und auf Selbstdarstellung angelegt sei. Derartige Aussagen seien dem Publikum bereits deutlich vor dem Anmeldetag bekannt gewesen. Die vorliegend einschlägigen Waren dienten auch als Kommunikationsmittel, vor allem als Werbefläche, Erkennungszeichen oder als Medium für politische und sonstige Äußerungen. Es sei allein auf die wahrscheinlichste Verwendung des angemeldeten Zeichens abzustellen; dies sei vorliegend eine mehr oder minder exponierte Darstellung des Schriftzugs an der Außenseite der Waren, z. B. eines Bekleidungsstücks, einer Tasche, einer Fußmatte oder eines Schlüsselanhängers. Dies ergebe sich aus der Natur des spezifischen Zeichens, das als Fun-Spruch auf Kommunikation nach außen abziele. Das angemeldete Zeichen beschreibe zwar die beanspruchten Waren nicht, es handele sich auch nicht um einen Werbeslogan; jedoch beinhalte die Wortfolge eine ohne weiteres verständliche Frage, die in der zwischenmenschlichen Kommunikation ohne weiteres als Ausdruck persönlicher Gefühle und Empfindungen gebräuchlich sei.
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Hiergegen hat die Anmelderin am 11. März 2016 Beschwerde eingelegt, mit der sie sinngemäß beantragt, den Beschluss der Markenstelle für Klasse 25 vom 3. Februar 2016 aufzuheben. Die Anmelderin sei von dem von ihr vertretenen bekannten Künstler T… beauftragt worden, die von diesem komponierte und durch den vorangestellten Hashtag sowie die Zusammenschreibung in Kleinbuchstaben als ungewöhnlich anzusehende Zeichenfolge für die labelmäßige Verwendung umfassend zu schützen. Dabei solle die Bezeichnung „#darferdas?“ auf Hinweisschildern bzw. Etiketten an Produkten – wie beispielsweise Schmuck- und Juwelierwaren, Kleidungs-, Heimtextilien-, Taschen- und Gepäck-, Haushaltswaren- und Innenausstattungs-Linien – bzw. als Aufdruck auf den jeweiligen Verpackungen angebracht werden und so auf die Herkunft der Produkte hinweisen. Die angemeldete Wortfolge „#darferdas?“ stelle keinen typischen sog. „Fun-Spruch“ dar. Die in der dritten Person gestellte Frage gebe kein ohne weiteres verständliches ausformuliertes Bekenntnis ab, sondern eine modern anmutende, griffige und einprägsame Bezeichnung, wie z. B. die eingetragene Marke „Who`s Perfekt“. Zudem könne nicht davon ausgegangen werden, dass die rein dekorative Nutzung der Wortzusammensetzung die wahrscheinlichste Form der Benutzung darstelle. Dies sei allenfalls für die nicht modifizierte Frage „Darf er das?“ denkbar, nicht jedoch für die konkret angemeldete Wortfolge „#darferdas?“. Das angemeldete Zeichen sei aufgrund der Zusammenschreibung in kleinen Lettern nicht auf Anhieb lesbar. Zudem stehe die Voranstellung eines Rautezeichens (Hashtags) nach den eigenen Recherchen des DPMA für die „Beschleunigung des Internets“ sowie für eine Verankerung in der Jugend- und Internetkultur. Mangels sofortiger Erkenn- und Lesbarkeit und aufgrund der Voranstellung eines Zeichens mit einer eigenen Bedeutung (#) sei die angemeldete Zeichenfolge – anders als bei der typischen Präsentation von Fun-Sprüchen in Versalien – daher nicht zur flüchtigen Kommunikation geeignet, was eine dekorative Verwendung als bekenntnishafte Aussage ausschließe. Die Art der Verwendung ergebe sich beispielhaft aus dem in der mündlichen Verhandlung am 3. Mai 2017 übergebenen T-Shirt mit der Wortfolge „#DARFERDAS?“ im eingenähten Etikett an der Innenseite.
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Auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2017 hat der 27. (Marken)Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts die Beschwerde wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens hatte die Anmelderin auf die Waren der Klassen 14, 18, 21, 24 und 27 verzichtet, so dass der Senat nur noch über die Schutzfähigkeit der beanspruchten Wortfolge in Bezug auf die weiterhin beanspruchten Waren der Klasse 25: „Bekleidungsstücke, insbesondere T-Shirts; Schuhwaren; Kopfbedeckungen“ zu entscheiden hatte.
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Zur Begründung der Zurückweisung hat der vormals zuständige Senat ausgeführt, die Wortfolge „darferdas?“ werde von den angesprochenen Verkehrskreisen unmittelbar als Frage „Darf er das?“ erfasst, das vorangestellte Zeichen „#“ als Hinweis dahingehend, dass es sich um die schlagwortartige Bezeichnung eines Diskussionsthemas zu der Frage „Darf er das?“ handele.Der vorliegende Hashtag „#darferdas?“ bezeichne ein Diskussionsthema, nämlich ob ein nicht näher bezeichnetes Verhalten einer ebenfalls nicht näher bezeichneten männlichen Person („er“) beispielsweise rechtlich erlaubt oder auch sozial billigenswert sei. Es handele sich bei dem angemeldeten Wortzeichen um eine aus gebräuchlichen Wörtern der deutschen Sprache zusammengesetzte Zeichenfolge, die vom angesprochenen Verkehr stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werde.Im Hinblick auf den dargelegten Sinngehalt der angemeldeten Bezeichnung („Botschaft nach außen; nach außen gerichtete Kommunikation“) sei in Bezug auf die zuletzt noch in Klasse 25 beanspruchten Waren „Bekleidungsstücke, insbesondere T-Shirts; Schuhwaren; Kopfbedeckungen“ die Verwendung der Zeichenfolge „#darferdas?“ als deutlich sichtbarer Schriftzug auf der Vorder- oder auch der Rückseite der Bekleidungsstücke wie T-Shirts bzw. als erkennbarer Schriftzug auf Kopfbedeckungen oder Schuhwaren und somit als Motiv als die wahrscheinlichste und zugleich die praktisch bedeutsame Verwendungsform der angegriffenen Wortfolge anzusehen, die auch für die markenrechtliche Beurteilung maßgeblich sei. Hingegen sei nicht auf ebenfalls denkbare – aber weniger wahrscheinliche und auch praktisch nicht so bedeutsame – anderweitige Verwendungen des angemeldeten Zeichens, beispielsweise in einem Etikett eines Kleidungsstückes, abzustellen.Es könne nicht lediglich die vorgetragene konkrete Verwendungsabsicht der Anmelderin, die in der Anmeldung als solcher – anders als bei der Anmeldung einer Positionsmarke – nicht zum Ausdruck komme, zugrunde gelegt werden; vielmehr sei die Unterscheidungskraft des jeweiligen Zeichens in Bezug auf die konkret beanspruchten Waren und unter Berücksichtigung der nach der Sachkunde und den Recherchen des Senats auf dem jeweiligen Warengebiet wahrscheinlichsten Verwendungsform zu beurteilen.
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Gegen die vorgenannte Entscheidung wandte sich die Beschwerdeführerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde. Sie beantragte, den Beschluss des Bundespatentgerichts vom 3. Mai 2017 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückzuverweisen. Neben den bereits im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Argumenten trug sie zur Begründung ferner vor, eine ausschließlich dekorative Verwendung des Anmeldezeichens sei weder die wahrscheinlichste noch überhaupt eine praktisch bedeutsame und naheliegende Verwendung. Die einzig praktisch bedeutsame und naheliegende Verwendungsform sei die Verwendung als Marke – sei es als Einnähetikett oder als herkunftshinweisender Aufdruck. Darauf sei das Beschwerdegericht nicht eingegangen.
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Mit Beschluss vom 21. Juni 2018 hat der Bundesgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Marken (ABl. Nr. L 299 vom 8. November 2008, S. 25) zur Vorabentscheidung vorgelegt:
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Hat ein Zeichen Unterscheidungskraft, wenn es praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten gibt, es für die Waren oder Dienstleistungen als Herkunftshinweis zu verwenden, auch wenn es sich dabei nicht um die wahrscheinlichste Form der Verwendung des Zeichens handelt?
17
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage mit Urteil vom 12. September 2019 (C-541/18, GRUR 2019, 1194 – AS/DPMA [#darferdas?]) wie folgt beantwortet:
18
Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG ist dahin auszulegen, dass die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsarten der angemeldeten Marke, zu prüfen ist. Mangels anderer Anhaltspunkte handelt es sich dabei um die Verwendungsarten, die angesichts dessen, was in der betreffenden Branche üblich ist, praktisch bedeutsam sein können.
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Der Bundesgerichtshof hat schließlich auf die Rechtsbeschwerde der Anmelderin den Beschluss des Bundespatentgerichts vom 3. Mai 2017 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen. Die Antwort auf die Frage, ob der Verkehr ein auf einem Bekleidungsstück angebrachtes Zeichen als Hinweis auf die Herkunft des Bekleidungsstücks oder als bloßes dekoratives Element auffasse, könne nach der Art und der Platzierung des Zeichens variieren. Bei Bildern, Motiven, Symbolen und Wörtern, die auf der Vorderseite oder der Rückseite von Bekleidungsstücken angebracht seien, gehe der Verkehr nicht generell davon aus, es handele sich um einen Herkunftshinweis; ob dies der Fall ist, bedürfe vielmehr einer Beurteilung im jeweiligen Einzelfall. Dagegen werde der Verkehr in Zeichen, die sich auf eingenähten Etiketten auf der Innenseite von Bekleidungsstücken befinden, regelmäßig einen Herkunftshinweis sehen. Nach dem aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Senats ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union müsse die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsarten der angemeldeten Marke, geprüft werden. Seien in der maßgeblichen Branche mehrere Verwendungsarten praktisch bedeutsam, müssten bei der Prüfung der Unterscheidungskraft alle diese verschiedenen Verwendungsarten berücksichtigt werden, um zu klären, ob der Durchschnittsverbraucher der erfassten Waren oder Dienstleistungen das Zeichen als Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft wahrnehmen könne. Verwendungsarten, die in der betreffenden Branche zwar denkbar, aber praktisch nicht bedeutsam seien und somit wenig wahrscheinlich erschienen, seien dagegen für die Prüfung der Unterscheidungskraft irrelevant, es sei denn, der Anmelder habe konkrete Anhaltspunkte geliefert, die eine in der fraglichen Branche unübliche Verwendungsart in seinem Fall wahrscheinlich machen würden. Die Prüfung der Unterscheidungskraft könne mithin nur in den Fällen auf die wahrscheinlichste Verwendung der angemeldeten Marke beschränkt werden, in denen in der betreffenden Branche nur eine Verwendungsart praktisch bedeutsam sei. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren sei mangels abweichender Feststellungen des Bundespatentgerichts zugunsten der Anmelderin davon auszugehen, dass es neben einer dekorativen Verwendung auch andere praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten einer Verwendung des Zeichens für die hier in Rede stehenden Waren gebe, beispielsweise auf dem Etikett eines Kleidungsstücks. Dem stehe nicht entgegen, dass nach den Feststellungen des Bundespatentgerichts eine solche Verwendung im Verhältnis zu einer Verwendung etwa als Schriftzug auf der Vorderseite eines Kleidungsstücks weniger wahrscheinlich und auch praktisch nicht so bedeutsam und naheliegend sei. Im wiedereröffneten Beschwerdeverfahren werde das Bundespatentgericht zu klären haben, ob unter Berücksichtigung der verschiedenen Verwendungsarten, insbesondere auch auf dem Etikett eines Kleidungsstücks, der Verkehr das Zeichen #darferdas? als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der damit gekennzeichneten Waren wahrnehmen könne.
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Im wiedereröffneten Beschwerdeverfahren beantragt die Beschwerdeführerin,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 3. Februar 2016 aufzuheben.
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Sie ist weiterhin der Auffassung, das Zeichen „#darferdas?“ werde nicht nur dekorativ verwendet, sondern auch auf dem Einnäh-Etikett von Kleidungsstücken sowie auf Anhängern, Aufnähern oder der Verpackung. Zur Demonstration legte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juli 2020 zwei T-Shirts vor, wobei das eine im (Innen)-Etikett, das andere in einem an der Außennaht angebrachten Etikett mit dem Anmeldezeichen versehen ist. Die Beschwerdeführerin trägt vor, solche Nutzungen gehörten zu den praktisch bedeutsamen, branchenüblichen Kennzeichengewohnheiten auf dem Warensektor Bekleidung und würden vom Verkehr demnach allesamt als Herkunftshinweis aufgefasst. Würde man das Zeichen nicht eintragen, weil Verbraucher eine Verwendung als Slogan auf der Vorderseite eines T-Shirts nicht als Herkunftshinweis verstünden, könnten Dritte das Zeichen nicht nur auf der Vorderseite von T-Shirts, sondern auch auf Etiketten verwenden, obwohl der Verkehr in dieser Verwendung einen Herkunftshinweis sehen würde. Der Verkehr werde dadurch getäuscht. Daher müsse in die Prüfung jede Verwendungsform einbezogen werden, die nicht fernliege. Was die beschreibende Bedeutung anbelange, weist die Beschwerdeführerin darauf hin, dass ein Hashtag niemals mit einem Satzzeichen enden könne, da er so im Internet nicht funktioniere.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt einschließlich aller Anlagen verwiesen.
II.
24
Die gemäß §§ 66, 64 Abs. 6 MarkenG zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Eintragung des angemeldeten Zeichens „#darferdas?“ als Marke in Bezug auf die noch beschwerdegegenständlichen Waren der Klasse 25 Eintragungshindernisse entgegenstehen.
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Im Laufe des Beschwerdeverfahrens haben sich die Vorschriften des Markengesetzes mit Wirkung vom 14. Januar 2019 geändert. Eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Änderung der Rechtslage folgt daraus nicht (BGH GRUR 2020, 411 Rn. 8 – #darferdas? II). Die Eintragungshindernisse der fehlenden Unterscheidungskraft aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und des Freihaltebedürfnisses aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2008/95/EG (MarkenRL a. F.) finden sich nun in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie (EU) 2015/2436 (MarkenRL) und werden unverändert umgesetzt durch § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG.
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1. Dem angemeldeten Zeichen „#darferdas?“ fehlt nicht die nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG erforderliche Unterscheidungskraft, da im Anmeldezeitpunkt die Verwendung von Hashtags auf Etiketten im Innen- oder Außenbereich von Bekleidung, Schuhwaren oder Kopfbedeckungen noch nicht üblich war.
27
a. Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b MarkenRL (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b MarkenRL a. F.) und § 8 Abs. 2. Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198 Rn. 59 f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; GRUR Int. 2012, 914 Rn. 23 – Smart/HABM [WIR MACHEN DAS BESONDERE EINFACH]; GRUR 2010, 228 Rn. 33 – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; GRUR 2008, 608 Rn. 66 f. – EUROHYPO; BGH GRUR 2020, 411 Rn. 10 – #darferdas? II; GRUR 2018, 301 Rn. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rn. 9 – OUI; GRUR 2015, 173 Rn. 15 – for you; GRUR 2014, 872 Rn. 12 – Gute Laune Drops; GRUR 2013, 731 Rn. 11 – Kaleido; GRUR 2012, 1143 Rn. 7 – Starsat). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH a. a. O. – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. Rn. 10 – #darferdas? II; a. a. O. – OUI; a. a. O. – for you).
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Keine Unterscheidungskraft besitzen Marken daher dann, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (BGH GRUR 2013, 1143 Rn. 15 – Aus Akten werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2013, 519 Rn. 46 – Deichmann SE/HABM [Umsäumter Winkel]; GRUR 2004, 674, Rn. 86 – Koninklijke KPN Nederland NV/Benelux-Merkenbureau [Postkantoor]; BGH GRUR 2014, 1204 Rn. 12 – DüsseldorfCongress), sie aus Angaben bestehen, die sich auf Umstände beziehen, welche die Ware oder Dienstleistung zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (BGH GRUR 2017, 186 Rn. 32 – Stadtwerke Bremen; GRUR 2014, 1204 Rn. 12 – DüsseldorfCongress), oder sie – wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder den Medien – aus gebräuchlichen Wörtern der deutschen Sprache oder einer bekannten Fremdsprache bestehen und die Zeichen vom Verkehr stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (BGH GRUR 2020, 411 Rn. 11 – #darferdas? II; GRUR 2018, 932 Rn. 8 – #darferdas? I m. w. N.).
29
b. Gemessen an diesen Grundsätzen kann nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass dem Zeichen „#darferdas?“ im maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung für die beschwerdegegenständlichen Waren das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft entgegenstand.
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aa) Bei der Beurteilung des Verständnisses des angemeldeten Zeichens ist hinsichtlich der im Zeitpunkt der Entscheidung noch beanspruchten Waren „Bekleidungsstücke, insbesondere T-Shirts; Schuhwaren; Kopfbedeckungen“ auf breite Verkehrskreise, nämlich sowohl auf den Durchschnittsverbraucher als auch auf die am Handel beteiligten Fachkreise abzustellen.
31
bb) Das angemeldete Wortzeichen besteht aus dem Rautezeichen „#“, der Wortfolge „darferdas“ ohne Zwischenräume in Minuskeln und einem sich ebenfalls ohne Abstand anschließenden Fragezeichen; „darferdas“ ist eine aus gebräuchlichen Wörtern der deutschen Sprache zusammengesetzte Wortfolge, die wegen des Fragezeichens an ihrem Ende vom Verkehr unmittelbar als Frage „darf er das?“ erfasst wird. Die Klein- und Zusammenschreibung ist werbeüblich und gerade bei Wortfolgen, denen ein Rautezeichen vorangestellt ist, geläufig. Die mit einem Rautezeichen versehenen Begriffe oder Wortfolgen, sog. Hashtags, dienen als Schlagworte oder zur Benennung von Diskussionsthemen insbesondere in sozialen Medien wie Twitter und verweisen oder verlinken auf weitere Beiträge zu diesen Schlagworten.
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Durch die häufige Verwendung von Hashtags in der Werbung und in sozialen Medien sind die angesprochenen Verkehrskreise daran gewöhnt, auch klein- und zusammengeschriebene Wortfolgen zu erfassen und gedanklich zu trennen. Das Rautezeichen trägt insoweit zur Verständlichkeit der Wortfolge bei und ist dieser nicht abträglich (BGH GRUR 2018, 932 Rn. 14 – #darferdas? I). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kommt es nicht entscheidend darauf an, dass ein Fragezeichen nicht Bestandteil eines Hashtags im eigentlichen, technischen Sinne sein kann, da die einem Hashtag innewohnende Verlinkung bei der Verwendung auf einem Kleidungsstück sowieso nicht gegeben ist (BGH a. a. O. Rn. 15 – #darferdas? I). Bereits zum Anmeldezeitpunkt am 17. November 2015 waren Hashtags in den Medien verbreitet. Zu den weltweit bekanntesten Hashtags auf Twitter zählten „#JeSuisParis; #BlackLivesMatter; #MarriageEquality; #RefugeesWelcome; #IStandWithAhmed; #FIFAWWC#PutoFlyby; #TheDress“. Die in Deutschland am häufigsten verwendeten Hashtags waren 2015 „#gntm; #tatort; #paris; #1DDE; #EMAbiggestfansJustinBieber; #ParisAttacks; #GERNED“ (vgl. Recherchebelege des Senats zum Protokoll vom 29.07.2020, Anlagenkonvolut 2).
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Die angesprochenen Verkehrskreise werden „#darferdas?“ somit als schlagwortartige Benennung eines Diskussionsthemas zu der Frage, ob ein nicht näher bezeichnetes Verhalten einer nicht näher bezeichneten (männlichen) Person beispielsweise rechtlich erlaubt oder sozial billigenswert ist, verstehen (BGH a. a. O. Rn. 11 – #darferdas I; BPatG, Beschluss vom 03.05.2017, 27 W (pat) 551/16 – #darferdas?). Ein Funspruch, Statement oder eine bekenntnishafte Aussage liegt dagegen nicht vor.
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cc) Der angemeldeten Wortfolge „#darferdas?“ kann weder eine unmittelbar beschreibende Angabe noch ein enger beschreibender Bezug zu den beanspruchten Waren „Bekleidungsstücke, insbesondere T-Shirts; Schuhwaren; Kopfbedeckungen“ der Klasse 25 entnommen werden. Ferner handelt es sich bei dem Anmeldezeichen auch nicht um einen Werbeslogan oder eine Werbeaussage allgemeiner Art, die ausschließlich als werbewirksame Anpreisung bzw. nur als allgemein verständliche positiv besetzte Aussage verstanden wird und der deshalb die Unterscheidungskraft fehlt (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 8 Rn. 237 ff. und Rn. 255 ff.).
35
dd) Darüber hinaus kann im vorliegenden Fall nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass dem Anmeldezeichen über die oben genannten „typischen“ Fallgestaltungen fehlender Unterscheidungskraft hinaus aus sonstigen Gründen die Unterscheidungskraft fehlt.
36
So sind jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung unter Berücksichtigung der unter anderem maßgeblichen Faktoren wie Sprachüblichkeit und Sprachentwicklung, Kennzeichnungsgewohnheiten und Marktgepflogenheiten im maßgeblichen Bekleidungssektor keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dafür gegeben, dass das Zeichen von den angesprochenen Verkehrskreisen bei einer Verwendung auf dem Etikett nur als solches und nicht als Herkunftshinweis verstanden worden ist.
37
(1) Nach dem aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Bundesgerichtshofs ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union muss die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsarten der angemeldeten Marke, geprüft werden (EuGH, GRUR 2019, 1194 Rn. 33 – AS/DPMA [#darferdas?]). Sind in der maßgeblichen Branche mehrere Verwendungsarten praktisch bedeutsam, müssen bei der Prüfung der Unterscheidungskraft alle diese verschiedenen Verwendungsarten berücksichtigt werden, um zu klären, ob der Durchschnittsverbraucher der erfassten Waren oder Dienstleistungen das Zeichen als Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft wahrnehmen kann (EuGH, a. a. O., Rn. 25 – AS/DPMA [#darferdas?]). Nur Verwendungsarten, die in der betreffenden Branche zwar denkbar, aber praktisch nicht bedeutsam sind und somit wenig wahrscheinlich erscheinen, müssen bzw. können als für die Prüfung der Unterscheidungskraft irrelevant eingestuft werden.
38
(2) Im hier maßgeblichen Warensektor – Bekleidung, Schuhwaren und Kopfbedeckungen – kommt, neben der nach außen gerichteten, dekorativen Verwendung des Zeichens auf der Vorder- oder Rückseite eines T-Shirts, auf dem Schirm einer Kappe oder auf der Außenseite eines Schuhs, die – ausgehend von Art und Sinngehalt des Anmeldezeichens – als praktisch bedeutsame und wahrscheinlichste Verwendungsform zu sehen sein dürfte, auch eine Verwendung im Etikett eines Kleidungsstückes bzw. auf der Innenseite einer Kappe oder im Inneren eines Schuhs in Betracht. Selbst wenn eine solche Verwendung im Verhältnis zu einer Verwendung als Schriftzug auf der Vorderseite eines Kleidungsstücks weniger wahrscheinlich und auch praktisch nicht so bedeutsam und naheliegend ist, ist sie zu berücksichtigen (BGH GRUR 2020, 411 Rn. 16 – #darferdas? II). Für die Annahme, dass es sich bei der Anbringung des Zeichens „#darferdas?“ am Etikett um eine praktisch nicht bedeutsame oder wenig wahrscheinliche und daher nicht zu berücksichtigende Verwendungsart handelt, gibt es vorliegend – anders als es beispielsweise bei bestimmten bekenntnishaften Aussagen oder Toleranzbekundungen sein mag (vgl. BPatG, Beschluss vom 09.10.2019, 29 W (pat) 519/18 – Mir all sin Kölle; Beschluss vom 22.07.2020, 28 W (pat) 517/20 – Schalker Meile) – keine hinreichenden Anhaltspunkte. Allein aus der Ausgestaltung des Zeichens als Frage und der Verwendung des Hashtags kann ohne weitere Hinweise nicht darauf geschlossen werden, dass bestimmte Verwendungsformen irrelevant sind.
39
(3) Sofern es sich – wie im vorliegenden Fall – nicht um eine beschreibende Angabe über Art, Eigenschaften oder Bestimmung der Ware handelt (Beschluss vom 12.03.2020, 25 W (pat) 29/19 – Mädelsabend; Beschluss vom 09.10.2019, 29 W (pat) 519/18 – Mir all sin Kölle; Beschluss vom 04.04.2019, 30 W (pat) 511/17 – reggae jam; Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., Rn. 144), dürfte der Verkehr bei Zeichen, die sich auf eingenähten Etiketten von Bekleidungsstücken an der Stelle befinden, an der branchenüblich die Marke angebracht ist, vermuten, dass es sich um einen betrieblichen Herkunftshinweis handelt. Für eine andere Wahrnehmung durch die angesprochenen Verkehrskreise konnten vorliegend keine Feststellungen getroffen werden.
40
Im Gegensatz zu der nachweisbar rein dekorativen Verwendung von Hashtags auf der Vorderseite von T-Shirts und auf dem Schirm von Kappen (vgl. Recherchebelege des Senats), war es im Anmeldezeitpunkt (17. November 2015) nicht üblich, Hashtags im Innen- oder Außenetikett, an der Innennaht eines Kleidungsstücks, auf Anhängern, sog. Hangtags, oder Aufnähern, auf der Innenseite einer Kappe oder im Inneren eines Schuhs lediglich zu dem Zweck zu verwenden, eine Aufmerksamkeit erregende Botschaft oder eine gesellschaftspolitische Frage an den Verbraucher zu senden. Gilt für T-Shirts, Kappen, Schals, Pullover und Socken schon seit langem, dass „Kleiderschränke […] zu Bibliotheken der witzigen Sprüche, der Polit-Slogans und aktivistischen Parolen geworden“ sind (SZ-Magazin vom 04.06.2017 http://www.sueddeutsche.de/stil/t-shirts-ihr-brustprint-schreit-mich-an), kann eine entsprechende Verwendung derartiger politischer/gesellschaftskritischer/umweltbezogener Botschaften auf den vorgenannten Etiketten im Anmeldezeitpunkt nicht beobachtet werden. Eine entsprechende das Verkehrsverständnis beeinflussende Branchenübung lässt sich somit nicht feststellen.
41
Der Senat konnte insoweit nur ermitteln, dass im Jahr 2015 in der Medienlandschaft und der Presse allgemein (vgl. oben II. 1 b. bb)), insbesondere in Social Media wie Twitter, Facebook, Pinterest, Instagram, die Verwendung von Hashtags zur Akzentuierung der Bedeutung bestimmter Themen üblich gewesen ist. Hashtags waren bereits damals auf diesem Gebiet weit verbreitet, weil sie als eine Art „Etikett“ funktionieren, das Tweets und Postings in einen bestimmten Kontext einordnet. Vor allem bei Instagram waren und sind Hashtags zu einem wichtigen Marketinginstrument geworden. Aber auch auf Facebook ermöglichen und ermöglichten die mit einem Rautezeichen markierten Wörter den Nutzern, trendige Inhalte zu einem spezifischen Thema gezielt zu suchen. Da ausschließlich die Kennzeichnungsgewohnheiten zum Anmeldezeitpunkt zu beurteilen sind, kommt es nicht darauf an, dass zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt politische Hashtags nicht mehr nur in sozialen Medien, sondern vielfach auch auf Produkten des täglichen Lebens an den unterschiedlichsten – auch versteckten – Stellen zu finden sind. So wird unmittelbar auf Waren bzw. im Zusammenhang mit ihrer Präsentation auf Umweltthemen oder auf aktuelle politische bzw. gesellschaftskritische Fragestellungen Bezug genommen. Das Unternehmen zeigt/inszeniert hierdurch eine bestimmte Haltung, es will den Verbraucher zur Teilnahme an einer Diskussion auffordern bzw. für das Thema sensibilisieren. Ein betrieblicher Herkunftshinweis ist damit in der Regel gerade nicht verbunden. Ob sich durch diese Verwendung von Hashtags über die sozialen Medien und die Werbung hinaus nunmehr auch auf dem Produkt selbst die Wahrnehmung des Durchschnittsverbrauchers mittlerweile geändert hat, kann dahingestellt bleiben.
42
Für die angesprochenen Verkehrskreise gab es jedenfalls zum Anmeldezeitpunkt keine Veranlassung, das Zeichen „#darferdas?“ auf den vorgenannten Etiketten im Bekleidungsbereich nicht als Herkunftshinweis zu sehen.
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Dem Anmeldezeichen kann nach alledem im beschwerdegegenständlichen Umfang das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden.
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2. Da das Zeichen „#darferdas?“ keine beschreibende Angabe darstellt, liegt auch kein Freihaltebedürfnis im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG vor.