Aktenzeichen 25 W (pat) 39/18
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2013 064 207
hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Knoll, der Richterin Kriener und des Richters Dr. Nielsen
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Markeninhaberin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 42 vom 16. August 2018 aufgehoben, soweit auf den Widerspruch aus der Unionsmarke 012 839 452 die Löschung der angegriffenen Marke 30 2013 064 207 für die nachfolgenden Dienstleistungen der Klasse 35 angeordnet worden ist:
Beratung in Bezug auf Marketingmanagement; Business Marketing; Hilfe bei Marketingaktivitäten; Marketing.
Insoweit wird der Widerspruch aus der Unionsmarke 012 839 452 zurückgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde der Markeninhaberin zurückgewiesen.
Gründe
I.
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Die am 5. Dezember 2013 angemeldete Bezeichnung
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appix
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ist am 11. März 2014 unter der Nr. 30 2013 064 207 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Markenregister für verschiedene Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 35, 38, 42 und 45 eingetragen worden. Sie genießt Schutz für die nachfolgenden Waren und Dienstleistungen:
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Klasse 09: Betriebssysteme für Computer (Software); Computer-Software [gespeichert]; Computerdatenträger mit darauf gespeicherter Software; Computerprogramme für Projektmanagement; Computersoftware für die computergestützte Softwareentwicklung; Datenverarbeitungs-Software; Interfaces [Schnittstellengeräte oder -programme für Computer]; Schnittstellensoftware; Software; Softwarepakete; wobei keine der zuvor genannten Produkte im Zusammenhang mit Überwachungsprodukten und -kameras steht;
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Klasse 35: Automatisierte Zusammenstellung und Systematisierung von Daten in Computerdatenbanken; Beratung in Bezug auf die Zusammenstellung und Systematisierung von Daten in Computerdatenbanken; Beratung in Bezug auf Marketingmanagement; Business Marketing; Dateiverwaltung mittels Computer; Hilfe bei Marketingaktivitäten; Marketing; Systematisierung von Daten in Computerdatenbanken;
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Klasse 38: Bereitstellung von Anlagen für Videokonferenzen; Bereitstellung von Dienstleistungen für die Datenübertragung; Bereitstellung von Diskussionsforen [Internet-Chatrooms] für soziale Netzwerke; Bereitstellung von E-Mail-Diensten; Bereitstellung von elektronischen Online-Mailbox-Diensten und Gesprächsforen; Bereitstellung von elektronischen Online-Mailboxnetzen zur Übertragung von Nachrichten zwischen Computeranwendern; Bereitstellung von elektronischen Telekommunikationsverbindungen; Bereitstellung von Gesprächsforen unter Verwendung des Internet; Bereitstellung von Internet-Chatrooms; Bereitstellung von Portalen im Internet; Bereitstellung von Zugangsberechtigungen zum Internet (Serviceprovider); Bereitstellung von Zugangsberechtigungen zur Telekommunikation und zu Links zu Datenbanken und zum Internet; Kommunikationsdienst zwischen Computern; Kommunikationsdienste auf elektronischem Wege; Nachrichten- und Bildübermittlung mittels Computer; Videokonferenzdienstleistungen;
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Klasse 42: Aktualisierung und Wartung von Computersoftware; Aktualisierung von Software-Datenbanken; Aktualisierung von Speicherbanken [Software] von Computersystemen; Beratung auf dem Gebiet der Informationstechnologie [IT]; Beratung in Bezug auf Computer und Software; Beratung in Bezug auf Computersystemanalysen; Beratungsdienste auf dem Gebiet von Computerhardware und -software; Computerprogrammierung und Softwareentwicklung; Computersoftware (Wartung von -); Computersystemanalysen; Consulting und Beratung auf dem Gebiet der Computerhardware und -software; Design, Pflege, Vermietung und Aktualisierung von Computersoftware; Dienstleistungen für den Entwurf von Software für die elektronische Datenverarbeitung; Dienstleistungen zum Schutz vor Computerviren; Digitalisieren von Dokumenten [Scannen]; Durchführung von Computersystemanalysen; EDV-Beratung; Entwicklung von Software; Entwicklung von Softwarelösungen für Internet-Provider und Internet-Nutzer; Entwicklung, Programmierung und Implementierung von Software; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software; Entwurf, Entwicklung und Implementierung von Software; Entwurf, Wartung, Entwicklung und Aktualisierung von Computersoftware; Erstellung, Wartung, Pflege und Anpassung von Software; Fachliche Beratung in Bezug auf die Softwareerstellung; Fehlersuche bei Computerhardware- und -softwareproblemen; Fernüberwachung von Computersystemen; Gestaltung und Erstellung von Software für die Datenverarbeitung; Hosting; Hosting von Computerseiten [Webseiten]; Hosting von Webseiten; Hosting-Dienste, Software as a Service (SaaS) und Vermietung von Software; Installation und Wartung von Software für Internetzugänge; Installation von Software; Installation, Reparatur und Wartung von Computersoftware; Installation, Wartung und Reparatur von Software für Computersysteme; Konvertieren von Computerprogrammen und Daten [ausgenommen physische Veränderung]; Kopieren von Computerprogrammen; Kundenspezifische Gestaltung von Softwarepaketen; Kundenspezifische Softwareanpassung; Kundenspezifisches Design von Softwarepaketen; Reparatur [Wartung und Aktualisierung] von Software; Server-Hosting; Software as a Service [SaaS]; Softwaredesign und -entwicklung; Technischer Support im Softwarebereich; Vermietung von Computer-Software, Datenverarbeitungsgeräten und Computerperipheriegeräten; Vermietung von Computerhardware und Software; Vermietung von Datenverarbeitungsgeräten; Wartung und Reparatur von Software; Wartung von Software für Internetzugänge; Web-Hosting; Wiederherstellung von Computerdaten; wobei keine der zuvor genannten Dienstleistungen im Zusammenhang mit Überwachungsprodukten und -kameras steht;
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Klasse 45: Lizenzierung von Software.
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Gegen die Eintragung der am 11. April 2014 veröffentlichten Marke hat die Widersprechende als Inhaberin der am 2. Mai 2014 angemeldeten und am 26. September 2014 unter der Nummer 012 839 452 eingetragenen Unionsmarke
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APPIT
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am 2. Juli 2014 Widerspruch erhoben, wobei die Unionswiderspruchsmarke die Priorität der US-Eintragung – dortige Anmeldung am 21. November 2013 – in Anspruch genommen hat.
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Die Unionsmarke 012 839 452 genießt Schutz für die nachfolgenden Dienstleistungen:
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Klasse 42: Software als Dienstleistung (SaaS) mit Software zur Verwendung beim Erstellen, kundenspezifischen Anpassen, Vertrieb, Betrieb und Pflegen von Softwareanwendungen; Plattform als Dienstleistung (PaaS) mit Computersoftwareplattformen zur Verwendung beim Erstellen, kundenspezifischen Anpassen, Vertrieb, Betrieb und Pflegen von Softwareanwendungen.
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Die Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss eines Beamten des höheren Dienstes vom 16. August 2018 die Löschung der angegriffenen Marke 30 2013 064 207 auf den Widerspruch aus der Unionsmarke 012 839 452 hin angeordnet. Der Widerspruch sei form- und fristgerecht erhoben worden und auch in der Sache begründet. Die Widerspruchsmarke sei gegenüber der angegriffenen Marke eine Marke mit älterem Zeitrang im Sinne von § 42 Abs. 1 MarkenG. Maßgeblich für den Zeitrang sei das Datum der Anmeldung der Unionswiderspruchsmarke in den Vereinigten Staaten von Amerika, nämlich der 21. November 2013. Ausgehend von teilweise identischen und teilweise hochgradig bzw. durchschnittlich ähnlichen Waren und Dienstleistungen und einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Unionswiderspruchsmarke halte die angegriffene Marke den erforderlichen Zeichenabstand nicht mehr ein. Die von der Inhaberin der angegriffenen Marke erhobene Einrede der Nichtbenutzung greife nicht durch. Die Widerspruchsmarke sei vom EUIPO erst am 26. September 2014 eingetragen worden und befinde sich damit noch in der fünfjährigen Benutzungsschonfrist, § 43 Abs. 1 Satz 1 MarkenG. Beim Vergleich der sich gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen sei daher von der Registerlage auszugehen. Die Unionswiderspruchsmarke beanspruche Schutz für die Dienstleistungen „Software als Dienstleistung (SaaS)“ und „Plattform als Dienstleistung (PaaS)“ (Klasse 42), die im Sinne eines Oberbegriffs einen Teil der Dienstleistungen der angegriffenen Marke identisch umfassten. Im Übrigen bestehe zumindest eine relevante Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit. Denn der Einsatz von Software als Dienstleistung gestalte sich im Wesentlichen als eine automatisierte Form der persönlichen Betreuung bzw. Beratung von Kunden, weshalb eine durchschnittliche Ähnlichkeit zwischen Software und Beratungsdienstleistungen der Klasse 35 bestehe. Darüber hinaus könne Software (als Dienstleistung) im Rahmen einer Beratung eingesetzt werden bzw. diese ergänzen und aufwerten. Zwischen der Ware „Software“ der Klasse 9 der angegriffenen Marke und den Software-Dienstleistungen der Unionswiderspruchsmarke bestehe gleichfalls Ähnlichkeit, da der Unterschied dieser Produkte lediglich in den verschiedenen Vertriebswegen begründet liege. Die Unionswiderspruchsmarke sei durchschnittlich kennzeichnungskräftig. In klanglicher Hinsicht unterschieden sich die Vergleichszeichen lediglich darin, dass die angegriffene Marke auf den Laut „x/ks“ und die Unionswiderspruchsmarke auf den Laut „t“ endeten. Diese Abweichung im Auslaut falle nicht wesentlich ins Gewicht. Dagegen käme der klanglichen Übereinstimmung der Zeichen am Wortanfang ein besonderes Gewicht zu. Auch die ausschließliche Verwendung von Großbuchstaben seitens der Widerspruchsmarke und die Verwendung von Kleinbuchstaben seitens der angegriffenen Marke stünden der Bejahung einer klanglichen Zeichenähnlichkeit nicht entgegen.
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Hiergegen wendet sich die Markeninhaberin mit ihrer Beschwerde. Sie ist der Auffassung, dass eine Verwechslungsgefahr nicht bestehe. Im Übrigen werde die Unionswiderspruchsmarke nicht rechtserhaltend benutzt. Wie bereits im Parallelverfahren 25 W (pat) 548/17 vorgetragen, benutze die Widersprechende die Unionswiderspruchsmarke nicht in der eingetragenen Form, sondern nur in Form der Bezeichnung „K2 Appit“. Diesen Umstand habe die Markenstelle im angegriffenen Beschluss zu Unrecht nicht beachtet. Soweit das Bundespatentgericht im schriftlichen Hinweis an die Verfahrensbeteiligten vom 6. November 2018 dargelegt habe, dass die Benutzungsschonfrist erst mit der Eintragung der Unionswiderspruchsmarke am 24. September 2014 zu laufen begonnen habe, werde dem entgegengetreten. Denn die Unionswiderspruchsmarke beanspruche zugleich die Priorität einer früheren ausländischen Anmeldung, die bereits am 5. Dezember 2013 erfolgt sei. In einem solchen Fall entspreche es nicht der Billigkeit, auf den Eintragungszeitpunkt der Unionswiderspruchsmarke abzustellen. Dies habe auch der europäische Gesetzgeber erkannt und die Rechtslage mit der VO (EU) 2017/1001 entsprechend angepasst. Lediglich vorsorglich sei darauf hinzuweisen, dass die Markenstelle im Hinblick auf die Ähnlichkeit der betreffenden Dienstleistungen nicht ausreichend differenziert habe. Während unter der Widerspruchsmarke lediglich Plattformsoftware angeboten werde, die es dem Kunden erlaube, eigene Softwareanwendungen zu entwickeln, erhalte der Kunde der Inhaberin der angegriffenen Marke ein fertiges Softwareprodukt. Die von den Verfahrensbeteiligten konkret vertriebenen Produkte seien daher grundverschieden. Darüber hinaus seien die Vergleichszeichen in klanglicher Hinsicht völlig verschieden. Die Widerspruchsmarke werde wie „Äppit“ ausgesprochen, die angegriffene Marke dagegen wie „appiks“. In schriftbildlicher Hinsicht unterschieden sich die Zeichen schon durch die jeweils verwendete Groß- und Kleinschreibung, was aus Sicht des angesprochenen Verkehrs auch zu ganz unterschiedlichen gedanklichen Assoziationen führe. Zudem sei die Unionswiderspruchsmarke aus den Bestandteilen „App“ und „it“ zusammengesetzt, weshalb sie einen eigenen, beschreibenden Aussagegehalt aufweise.
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Die Markeninhaberin regt an, insbesondere zur Klärung der Frage, ob bei Inanspruchnahme einer ausländischen Priorität der Zeitpunkt dieser Priorität auch den Beginn der Benutzungsschonfrist darstellen müsse, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
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Die Markeninhaberin beantragt,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. August 2018 in der Hauptsache aufzuheben und den Widerspruch aus der Unionsmarke 012 839 452 zurückzuweisen.
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Die Widersprechende hat sich im Beschwerdeverfahren nicht zur Sache geäußert und hat trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen. Sie hat lediglich beantragt,
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über die Beschwerde im schriftlichen Verfahren zu entscheiden.
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Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat nach der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2019 mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 29. August 2019 vorgetragen, dass ein in der Republik Indien ansässiges Unternehmen (die A… Ltd.) auf seiner Homepage Software unter der Bezeichnung „appit software“ anbiete. Da die Widersprechende offenkundig nicht gegen diese Benutzung der Bezeichnung „Appit“ vorgegangen sei, erscheine das vorliegende Widerspruchsverfahren rechtsmissbräuchlich. Weiterhin sei die Widersprechende bei der Anmeldung der Unionswiderspruchsmarke bösgläubig im Sinne von Art. 59 Abs. 1 lit. b VO Nr. 2017/1001 gewesen. Die Widersprechende habe die Unionswiderspruchsmarke erst nach dem Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke unter Berufung auf einen früheren Prioritätszeitpunkt allein deswegen angemeldet, um gegen die angegriffene Marke vorgehen zu können. Die Unionswiderspruchsmarke sei – wie bereits dargelegt – nie benutzt worden. Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt daher, die mündliche Verhandlung wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen wiederzueröffnen (§ 82 Abs. 1 MarkenG i. V. m. § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und den Verfall der Unionswiderspruchsmarke 012 839 452 anzuordnen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss der Markenstelle für Klasse 42 vom 16. August 2018, auf die Schriftsätze der Beteiligten, die schriftlichen Hinweise des Senats vom 6. November 2018 und vom 18. Januar 2019, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2019 und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die nach § 66 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 MarkenG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Markeninhaberin hat in der Sache nur zum Teil Erfolg. Zwischen den Vergleichsmarken besteht im Zusammenhang mit den meisten Waren und Dienstleistungen Verwechslungsgefahr nach §§ 125b Nr. 1 MarkenG, 119, 124, 114, 9 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, so dass die Markenstelle für Klasse 42 die angegriffene Marke 30 2013 064 207 insoweit zu Recht gelöscht hat, § 43 Abs. 2 Satz 1 MarkenG. Soweit die Markenstelle die Löschung der angegriffenen Marke auch in Bezug auf die Dienstleistungen der Klasse 35 „Beratung in Bezug auf Marketingmanagement; Business Marketing; Hilfe bei Marketingaktivitäten; Marketing“ angeordnet hat, war der angefochtene Beschluss aufzuheben, weil insoweit keine Ähnlichkeit der Vergleichsdienstleistungen gegeben ist.
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1. Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. hierzu z. B. EuGH GRUR 2010, 933 Rn. 32 – BARBARA BECKER; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/HABM; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040 Rn. 25 – pjur/pure; GRUR 2013, 833 Rn. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2016, 382 Rn. 19 – BioGourmet; GRUR 2019, 173 – Combit/Commit). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der relevanten Vergleichsprodukte (Waren und/oder Dienstleistungen), die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr (vgl. dazu EuGH GRUR 2008, 343 Rn. 48 – Il Ponte Finanziaria Spa/HABM; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040 Rn. 25 – pjur/pure; siehe auch Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Aufl., § 9 Rn. 41 ff. m. w. N.). Darüber hinaus können sich für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren entscheidungserheblich auswirken, wie u. a. etwa die Art der Ware oder der Dienstleistungen, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen.
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Nach diesen Grundsätzen besteht zwischen der angegriffenen Wortmarke
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und der im Hinblick auf die wirksame Inanspruchnahme der Priorität der früheren US-Anmeldung auch prioritätsälteren Unionswiderspruchsmarke
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im Zusammenhang mit den meisten angegriffenen Waren und Dienstleistungen eine Verwechslungsgefahr gemäß §§ 125b Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
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1.1 Beim Vergleich der sich gegenüberstehenden Produkte ist von der Registerlage auszugehen. Die bereits im Amtsverfahren erhobene und im Schriftsatz vom 13. September 2018 im Beschwerdeverfahren ausdrücklich wiederholte Einrede der Nichtbenutzung nach § 43 Abs. 1 MarkenG kann keine Wirkung entfalten, da sich die Unionswiderspruchsmarke noch in der Benutzungsschonfrist befindet. Soweit die Markeninhabervertreterin der Auffassung ist, dass die Benutzungsschonfrist für die Unionswiderspruchsmarke im Falle der Inanspruchnahme einer Priorität, die vor dem Anmeldezeitpunkt liegt, bereits mit dem Prioritätszeitpunkt zu laufen beginnt, vorliegend also bereits mit dem 21. November 2013, entspricht dies nicht der Rechtslage. Nach der Vorschrift des Art. 47 Abs. 2 der Unionsmarkenverordnung, auf den die Markeninhaberin insoweit verweist, bezieht sich der dort genannte Prioritätstag auf die jüngere angegriffene Marke und legt ausgehend von dem jeweiligen Prioritätstag der jüngeren Marke den maßgeblichen rückgerechneten Zeitraum von 5 Jahren fest, für den eine Widersprechende, bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen eine Benutzung glaubhaft machen bzw. nachweisen muss. Maßgeblich für den Beginn der Benutzungsschonfrist von 5 Jahren einer älteren Marke ist in jedem Fall, und zwar sowohl für Unionsmarken gemäß § 47 Abs. 2 UnionsmarkenVO als auch für nationale Marken nach § 43 Abs. 1 Satz 1 MarkenG, der Tag der Eintragung der Widerspruchsmarke, wobei sich der Beginn der Benutzungsschonfrist für nationale Marken nach dem Inkrafttreten des Markenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 11. Dezember 2018 sogar in jedem Fall noch um den Zeitraum nach hinten verschiebt, in dem gegen die Widerspruchsmarke selbst nach Eintragung und Veröffentlichung Widerspruch eingelegt werden kann (vgl. die Neufassung des § 43 Abs. 1 Satz 1 MarkenG nach dem MaMoG). Damit verlängert sich künftig die Benutzungsschonfrist (von grundsätzlich 5 Jahren) für nationale Widerspruchsmarken gerechnet ab dem Zeitpunkt ihrer Eintragung sogar in jedem Fall um einen Zeitraum von mehr als drei Monaten, nämlich um die kumulierten Zeiträume zwischen Eintragung und Veröffentlichung der Marke einerseits und die Widerspruchsfrist von 3 Monaten nach § 42 Abs. 1 MarkenG andererseits. Angesichts der eindeutigen Gesetzeslage bedarf die von der Markeninhaberin aufgeworfene Rechtsfrage zum Beginn der Benutzungsschonfrist keiner höchstrichterlichen Klärung im Rahmen eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nach § 83 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
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Nachdem sich keine Benutzungsfragen stellen und allein von der Registerlage auszugehen ist, kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, welche Dienstleistungen die Widersprechende derzeit konkret unter der Unionswiderspruchsmarke anbietet und in welcher Form die Unionswiderspruchsmarke derzeit konkret benutzt wird. Grundsätzlich unerheblich ist darüber hinausgehend die Frage, welche Waren und Dienstleistungen die Inhaberin der jüngeren Marke konkret anbietet. Bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist bei beiden Kollisionsmarken ausschließlich auf die im Register beanspruchten Waren und Dienstleistungen abzustellen, wobei man die in den Verzeichnissen teilweise enthaltenen Oberbegriffe bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Vergleichsprodukte dergestalt berücksichtigen muss, dass die Verwechslungsgefahr insoweit nur dann verneint werden kann, wenn dies auch für das mit dem geringsten Produktabstand dieser unter den Oberbegriff fallende Produkt gilt (siehe dazu Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 9 Rn. 38).
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Beim Vergleich der sich nach Registerlage gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen ist teilweise von Warenidentität, teilweise von durchschnittlicher Warenähnlichkeit und teilweise von Warenunähnlichkeit auszugehen. Zwischen den Waren der Klasse 9 (Software) der angegriffenen Marke und den Dienstleistungen der Klasse 42 (Software) der Unionswiderspruchsmarke besteht zumindest eine hochgradige Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit. Die Markenstelle hat hierzu zutreffend festgestellt, dass sich die Unterschiede zwischen den jeweiligen Produkten vor allem auf den Vertriebsweg beziehen. Im Wesentlichen wird Software als Dienstleistung nicht auf Datenträgern verkörpert in den Verkehr gebracht, sondern zum Download oder im Sinne einer Cloud-Dienstleistung angeboten. Aus Sicht des angesprochenen Verkehrs stehen diese Unterschiede im Zusammenhang mit der betrieblichen Herkunft von Software aber nicht im Vordergrund, zumal bestimmte Softwareprodukte von denselben Unternehmen sowohl als Ware als auch als Dienstleistung angeboten werden. Zwischen den Dienstleistungen der Klasse 35 der angegriffenen Marke „Automatisierte Zusammenstellung und Systematisierung von Daten in Computerdatenbanken; Beratung in Bezug auf die Zusammenstellung und Systematisierung von Daten in Computerdatenbanken; Systematisierung von Daten in Computerdatenbanken“ einerseits und den Dienstleistungen der Klasse 42 der Unionswiderspruchsmarke andererseits besteht gleichfalls eine zumindest hochgradige Dienstleistungsähnlichkeit, da diese Dienstleistungen der Klasse 35 im Wesentlichen durch Softwareanwendungen erbracht werden. Die sich in den Klassen 42 jeweils gegenüberstehenden Dienstleistungen sind teilweise identisch und im Übrigen zumindest hochgradig ähnlich, wobei der Grad der Ähnlichkeit im Einzelnen als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben kann. Die Dienstleitung der „Lizensierung von Software“ ist gegenüber den Dienstleistungen der Unionswiderspruchsmarke zumindest hochgradig ähnlich, da Software in der Regel im Wege der Einräumung einer Lizenz vertrieben wird.
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Anderes gilt lediglich für die Dienstleistungen der Klasse 35 der angegriffenen Marke „Beratung in Bezug auf Marketingmanagement; Business Marketing; Hilfe bei Marketingaktivitäten; Marketing“. Diese weisen gegenüber den Dienstleistungen, die von der Unionswiderspruchsmarke in Klasse 42 beansprucht werden, keine ausreichend relevanten Berührungspunkte auf, so dass eine Dienstleistungsähnlichkeit nicht zu bejahen ist. Dabei kann als richtig unterstellt werden, dass die genannten Dienstleitungen der Klasse 35 auch mittels oder zumindest mit Hilfe von Software (als Service) erbracht werden können. Dies hat aber nicht zur Folge, dass die zu vergleichenden Dienstleistungen aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise von denselben Unternehmen erbracht werden. Die Anbieter von Software stellen in der Regel Marketingunternehmen bzw. im Bereich des Marketings tätigen Beratungsunternehmen lediglich ein Werkzeug zur Verfügung, mit dessen Hilfe diese Dienstleister ihre Leistungen anbieten. Dieser Umstand gibt aber dem Verkehr keinen Anlass davon auszugehen, dass es sich bei dem Nutzer der Software und dem Anbieter der Software um dasselbe Unternehmen oder zumindest um miteinander verbundene Unternehmen handelt. Der Senat hat bei seiner Recherche keine Anbieter von Software auffinden können, deren Produkte die Beratung in Bezug auf Marketing bzw. das Angebot von Marketing als Dienstleistung (vollständig) substituieren sollen. Ausgehend davon war die Entscheidung der Markenstelle insoweit aufzuheben.
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1.2. Die Kennzeichnungskraft der Unionswiderspruchsmarke ist durchschnittlich. Die originäre Kennzeichnungskraft wird durch die Eignung einer Marke bestimmt, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer zu unterscheiden (vgl. z. B. BGH GRUR 2016, 382 Rn. 31 – BioGourmet). Soweit die Inhaberin der angegriffenen Marke darauf verweist, dass sich das Widerspruchszeichen aus den Bestandteilen „app“ und „it“ zusammensetze, woraus sich ein beschreibender Sinngehalt ergeben könnte, gibt dies keinen Anlass, von einer originär unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft auszugehen. Der angesprochene Verkehr hat keinen Anlass, das Widerspruchswortzeichen in zwei Bestandteile aufzuspalten und als Wortkombination aus den Begriffen „App“ und dem englischen Wort „it“ zu verstehen. Eine solche Aufspaltung könnte möglicherweise in Betracht zu ziehen sein, wenn die Bestandteile „App“ und „it“ getrennt geschrieben würden. Nachdem der Verkehr Zeichen so wahrnimmt, wie sie ihm gegenübertreten, ohne sie einer analysierenden Betrachtung zu unterziehen, wird er die Unionswiderspruchsmarke als eine einheitliche Fantasiebezeichnung ohne sinnhaften Begriffsinhalt verstehen.
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1.3 Ausgehend von einer normalen Kennzeichnungskraft der Unionswiderspruchsmarke hat die angegriffene Marke im Zusammenhang mit identischen bzw. hochgradig ähnlichen Vergleichsprodukten von der Unionswiderspruchsmarke einen deutlichen Zeichenabstand einzuhalten, der nach Auffassung des Senats zumindest in klanglicher Hinsicht nicht mehr gewahrt ist.
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Die Ähnlichkeit von Kollisionszeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können. Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche. Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist auf den durch die Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind. Abzustellen ist dabei auf die Wahrnehmung des angesprochenen Durchschnittsverbrauchers, der eine Marke regelmäßig in ihrer Gesamtheit erfasst und nicht auf die verschiedenen Einzelheiten achtet (so z. B. BGH in GRUR 2016, 283 Rn. 37 – BioGourmet m. w. N.).
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In klanglicher Hinsicht stimmen die Vergleichszeichen im stärker beachteten Wortanfang, in der Vokalfolge, in der Silbenzahl und in dem auffälligen Doppelkonsonanten „p“ in der Wortmitte identisch überein. Nach Auffassung des Senats besteht für den angesprochenen Verkehr insbesondere kein Anlass, die Unionswiderspruchsmarke ausschließlich wie „äppit“ auszusprechen. Wie oben dargelegt wird der Verkehr das Zeichen als Fantasiebezeichnung wahrnehmen, so dass eine anglisierte, auf das Wort „App“ im Sinne von „Application software“ anspielende Aussprache nicht naheliegt. Dabei kann als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben, ob ein Teil des Verkehrs, der an englische Fachbegriffe und entsprechende Aussprachen im Bereich der Software gewöhnt ist, die Unionswiderspruchsmarke möglicherweise doch wie „Äppit“ ausspricht. Der überwiegende oder jedenfalls ein ausreichend relevanter Teil der angesprochenen Verkehrskreise wird die Unionswiderspruchsmarke wie „appit“ wiedergeben. Gegenüber den auffälligen klanglichen Übereinstimmungen der Vergleichszeichen am Wortanfang und in der Wortmitte reicht der klangliche Unterschied im jeweils abweichenden Schlusskonsonanten („x“ bzw. „t“) nicht aus, um einen ausreichenden klanglichen Zeichenabstand herzustellen, auch wenn es sich bei dem Schlusskonsonanten „x“ der angegriffenen Marke grundsätzlich um einen markanten bzw. klangstarken Konsonanten handelt.
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2. Der Vortrag der Inhaberin der angegriffenen Marke im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 29. August 2019 gibt zu keiner anderen Entscheidung Anlass. Unabhängig davon, dass die Voraussetzungen für die Wiedereröffnung der mündliche Verhandlung nach § 82 Abs. 1 MarkenG i. V. m. § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen, weil insoweit die Voraussetzungen einer Restitutionsklage nach § 580 ZPO vorliegen müssten (also im Wesentlichen strafrechtlich relevante Sachverhalte), ist das neue tatsächliche Vorbringen der Inhaberin der angegriffenen Marke ohne jede rechtliche Relevanz. Die Inhaberin der angegriffenen Marke übersieht, dass das Markenrecht grundsätzlich nur eine territorial begrenzte Wirkung hat. Die Inhaberschaft einer deutschen Marke oder einer Unionsmarke begründet selbstverständlich keine Unterlassungsansprüche in der Republik Indien. Weiterhin übersieht die Inhaberin der angegriffenen Marke, dass der Einwand einer bösgläubigen Markenanmeldung im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 14 MarkenG (§ 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG a. F.) im Widerspruchsverfahren nicht vorgebracht werden kann. Insoweit sind das DPMA und das Bundespatentgericht grundsätzlich an die Eintragung der Widerspruchsmarke gebunden (vgl. hierzu Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 41, Rn. 9, § 42, Rn. 62). Sofern die Inhaberin der angegriffenen Marke der Auffassung ist, dass die Unionswiderspruchsmarke bösgläubig angemeldet worden sei, wird anheimgestellt, ein Löschungsverfahren zu betreiben, wobei bei der Stellung entsprechender Anträge zu berücksichtigen ist, dass für die Entscheidung insoweit keine Zuständigkeit des DPMA bzw. des Bundespatentgerichts besteht. Darüber hinaus dürfte auch nach europäischem Markenrecht keine bösgläubige Markenanmeldung gegeben sein, wenn bei der Anmeldung der Widerspruchsmarke von der im Gesetz vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, eine vor dem Anmeldezeitpunkt liegende ausländische Priorität in Anspruch zu nehmen.
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3. Zur Auferlegung der Kosten aus Gründen der Billigkeit gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG besteht bei der vorliegenden Sachlage keine Veranlassung.