Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “CRAFTWERK/Kraftwerk (Unternehmenskennzeichen)” – teilweise unmittelbare klangliche Verwechslungsgefahr – teilweise Branchennähe – keine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne – keine Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft der bekannten geschäftlichen Bezeichnung

Aktenzeichen  26 W (pat) 49/16

Datum:
29.7.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:290719B26Wpat49.16.0
Normen:
§ 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG
§ 65 Abs 1 Nr 4 MarkenG
§ 30 Abs 1 S 2 MarkenV
§ 5 MarkenG
§ 12 MarkenG
§ 6 Abs 4 MarkenG
§ 6 Abs 2 MarkenG
§ 6 Abs 3 MarkenG
§ 5 Abs 2 S 1 MarkenG
§ 15 Abs 4 MarkenG
§ 15 Abs 2 MarkenG
Spruchkörper:
26. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2013 017 420
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 29. Juli 2019 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Kätker und Schödel
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Wortmarke
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CRAFTWERK
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ist am 15. Februar 2013 angemeldet und am 4. April 2013 unter der Nummer 30 2013 017 420 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für Waren der Klasse 32 und Dienstleistungen der Klasse 43 eingetragen worden. Nach einer bestandskräftigen Teillöschung für die Dienstleistungen der Klasse 43 wegen des Widerspruchs des Beschwerdeführers aus seiner älteren Marke „CRAFTWORK“ (305 59 992) ist die angegriffene Marke noch registriert für Waren der
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Klasse 32: Bier, bierähnliche Getränke, Biermischgetränke, Ale (Bier), Porter (Bier), Triple (Bier) (alle vorgenannten Waren auch in alkoholfreier, alkoholarmer oder alkoholreduzierter Form).
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Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 10. Mai 2013 veröffentlicht worden ist, hat der Beschwerdeführer Widerspruch erhoben aus dem Unternehmenskennzeichen
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Kraftwerk
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Zur Begründung hat er ausgeführt, das Unternehmenskennzeichen werde von ihm seit 1970 ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland und im Ausland benutzt. Er sei Gründungsmitglied und Produzent des im Jahre 1970 gegründeten und seitdem international bekannten Musik- und Performance-Projektes „Kraftwerk“, dem die Zeitschrift „musikexpress.“ im Sommer des Jahres 2009 ein 12-seitiges Musik Dossier unter dem Titel „Musik-Arbeiter“ gewidmet habe (Anlagen W 1 u. W 2). Seit Mitte der 1970er Jahre trete „Kraftwerk“ laufend in der ganzen Welt auf (Anlage W 3). „Kraftwerk“ habe viel beachtete und von einem enormen Medienecho begleitete Konzerte gegeben, u. a. acht Konzerte im April 2012 im Museum of Modern Art in New York, über die in der Zeitschrift „Rolling Stone“ und in der „New York Times“ berichtet worden sei (Anlagen W 4 u. W 5). „Kraftwerk“ sei für die „Rock and Roll Hall of fame“, die US-Ruhmeshalle des Rock and Roll, nominiert worden (Anlagen W 6 u. W 7). Im Jahr 2013 habe „Kraftwerk“ eine „triumphale Heimkehr nach Düsseldorf“ gefeiert. In Fernsehsendungen (Anlage W 8) und Presseberichten (Anlagen W 9 bis W 13) im Jahr 2013 sei darauf hingewiesen worden, dass „Kraftwerk“ in der ganzen Welt eine große Nummer sei und den Elektropop erfunden habe. Gerichte und Markenämter hätten zudem anerkannt, dass das Unternehmenskennzeichen des Widersprechenden einen hohen Bekanntheitsgrad besitze (zuletzt: LG Hamburg, Beschl. v. 3. Juli 2012 – 312 O 260/11, Anlage W 13).
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Mit Beschluss vom 2. Februar 2016 hat die Markenstelle für Klasse 32 des DPMA eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es müsse nicht abschließend geprüft werden, ob die innerhalb der Widerspruchsfrist übermittelten Angaben des Widersprechenden den Anforderungen des § 30 Abs. 1 MarkenV genügten und eine ausreichende Spezifizierung des geltend gemachten Rechts zuließen. Selbst wenn man dies unterstelle, sei ein bundesweiter Unterlassungsanspruch gemäß §§ 5 Abs. 2 i. V. m. 12 MarkenG wegen fehlender Identität oder Ähnlichkeit der für die angegriffene Marke registrierten Waren mit dem Geschäftsbereich des Widersprechenden nicht gegeben. Dahinstehen könne, ob „Gründungsmitglied und Produzent des Musik- und Performanceprojekts Kraftwerk“ als Bezeichnung des Geschäftsbereichs eines Unternehmens markenrechtlich hinreichend konkret sei. Denn jedenfalls wiesen die für die angegriffene Marke registrierten Waren der Klasse 32 keine Berührungspunkte hierzu auf. Die beteiligten Verkehrskreise nähmen nicht an, die von der Streitmarke beanspruchten Produkte und das „Musik- und Performanceprojekt“ unterlägen der Kontrolle desselben Unternehmens; etwa deshalb, weil sich das Projekt selbständig auch mit der Herstellung bzw. dem Vertrieb von Getränken befasse, oder sich Hersteller oder Vertreiber dieser Waren auch im Bereich von „Musik- und Performanceprojekten“ selbständig gewerblich betätigten. Zwar träten Getränkehersteller regelmäßig als Sponsoren kultureller Veranstaltungen auf, nicht aber als deren Veranstalter, Künstler oder Produzent. Dies sei dem Verkehr auch bekannt, der insofern nur von einem Imagetransfer und nicht auch von einem Know-how-Transfer ausgehe, so dass er nicht der Meinung sei, die Waren stammten aus demselben oder von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Widersprechenden. Er ist der Ansicht, der Widerspruch erfülle die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 MarkenV. Er habe das Unternehmenskennzeichen „Kraftwerk“ gemeinsam mit seinem damaligen Partner im Jahre 1970 in Gebrauch genommen. Sie hätten die Musikband gemeinsam gegründet und Ende des Jahres 1970 das erste Album unter dem Titel „Kraftwerk“ veröffentlicht. Eine konkretere Festlegung des Datums der Benutzungsaufnahme sei nicht möglich. Seit Ende 2008 führe er das Unternehmen „Kraftwerk“ alleine fort (Anlagen W 4 bis W 13). Gemäß der Auseinandersetzungsvereinbarung vom 19. November 2008 (Anlage W 15) habe er sämtliche Verträge übernommen und seien alle Marken auf ihn umgeschrieben worden. Sein Unternehmen werde mit „Musik- und Performance-Projekt“ präzise bezeichnet. Es gebe viele Musikformationen, die entweder selbst Bier oder bierähnliche Getränke herstellten und/oder vertrieben oder in Lizenz produzieren oder vertreiben ließen. Die Musikformationen „AC/DC“, „The BossHoss“, „KISS“, „Motörhead“, „Queen“, „Rolling Stones“, „Rammstein“ und viele andere sowie Paul McCartney seien als Produzenten von Bier tätig (Anlagen Bf4 u. BF 13). Etliche Musiker seien schon vor 2013 ins Craft-Beer-Geschäft eingestiegen (Anlage Bf3). Ein Online-Shop unter der Domain https://www.rock-drinks.de/bier/ biete diverse Biere an, die von Musikbands produziert würden (Anlage Bf5). Auch auf Festivals, Konzerten und in bandeigenen Online-Shops könnten diese Getränke erworben werden (Anlagen BF 14 u. BF 15). Da die Gruppe „Kraftwerk“ als Pionier der elektronischen Musik gelte, sei nicht fernliegend, dass sich „Kraftwerk“ (auch) auf dem Gebiet der aufstrebenden Craft-Bier-Szene wieder einmal als Pionier betätige. Für Außenstehende sei es deshalb nicht ausgeschlossen, dass auch der Widersprechende ein eigenes Bier herstelle oder zumindest die Bezeichnung „Kraftwerk“ dafür lizenziere, zumal die Inhaberin der angegriffenen Marke ein Craft-Bier unter der Bezeichnung „Tangerine Dream“ anbiete, einer auf dem Gebiet der elektronischen Musik tätigen Gruppe (Anlage Bf1). Der Getränkefachhandel kenne die von Musikformationen selbst oder in Lizenz hergestellten Biere oder wisse zumindest, dass es derartige Angebote gebe. Aber auch Brauereien veranstalteten Feste, schickten eigene Chöre zu Konzerten oder ließen CDs aufnehmen (Anlagen BF 16 bis BF 20). Das Unternehmenskennzeichen „Kraftwerk“ sei bekannt. Dies sei vom Landgericht Hamburg für Ton- und Bildtonträger sowie musikalische Aufführungen festgestellt worden (Urt. v. 3. Juli 2012 – 12 O 260/11, Anlage W 13). Zudem sei das Bundespatentgericht von einer gesteigerten Kennzeichnungskraft der Unternehmensbezeichnung „Kraftwerk“ für Musikdarbietungen (27 W (pat) 88/09 – Kulturkraftwerk/Kraftwerk) ausgegangen. Zum weiteren Nachweis seien von Steuerberatern bestätigte Aufstellungen der Toureinnahmen von 2003 bis 2010 sowie der Einnahmen aus verkauften Ton- und Tonbildträgern von 2003 bis 2012 (Anlagen W 17 – W 19), eine eidesstattliche Versicherung vom 2. Dezember 2013 (Anlage W 20) sowie eine Übersicht über die von 2011 bis September 2018 auch im Inland gegebenen Konzerte (Anlage BF 5) vorgelegt worden. Die Musikgruppe „Kraftwerk“ habe Musikgeschichte geschrieben und sei Vorbild für unzählige Musiker (vgl. RP-Online vom 27. Januar 2014, Anlage BF 6). 2014 sei ihr ein Grammy für ihr Lebenswerk verliehen worden (Anlagen BF 6 u. BF 7). Für ihr 2017 veröffentlichtes Box-Set „3D – Der Katalog“ mit Audio- und Videoaufnahmen von Liveauftritten aus den Jahren 2012 bis 2015 habe die Gruppe 2018 den Grammy für das beste Elektro-Album bekommen (Anlagen BF 8 u. BF 9). Sie seien für das Lollapalooza-Festival in Berlin 2018 als Headliner angekündigt worden (Anlage BF 10), hätten im Juli 2018 vor etwa 7.000 Besuchern des Stuttgarter Jazz Open gespielt und ein interstellares Duett mit dem auf der Raumstation ISS stationierten Astronauten Alexander Gerst dargeboten (Anlagen BF 11 u. BF 12). Es bestehe eine hochgradige Zeichenähnlichkeit. Wegen der Übereinstimmungen in Silbenzahl, Vokalfolge und Betonung seien die Kollisionszeichen in ihrer Klangwirkung praktisch identisch. Das unterschiedliche Schriftbild der Anfangsbuchstaben sei unerheblich, weil es sich in der Klangwirkung nicht auswirke. Das dem Buchstaben „C“ nachfolgende „R“ führe zur Aussprache des „C“ als „K“. Zwischen den Vergleichszeichen bestünden keine begrifflichen Unterschiede, weil sich das englische Wort „craft“ in Deutschland nicht als Bezeichnung eines bestimmten Bieres durchgesetzt habe, sondern mit „Kraft“ übersetzt werde. Zwischen den Kollisionszeichen „CRAFTWERK“ und „Kraftwerk“ bestehe sowohl eine unmittelbare Verwechslungsgefahr als auch eine durch gedankliche Verbindung. Infolge der in den beteiligten Verkehrskreisen bekannten „Musikverwandtschaft“ der Gruppen „TANGERINE DREAM“ und „Kraftwerk“, die sich bei den Biersorten wiederfinde, gingen die Verkehrskreise davon aus, dass der Widersprechende den Namen „(C)KRAFTWERK“ lizenziert habe oder selbst einsetze und eine Art „Gedenk-Getränk“ in Anlehnung an die musikalische Verwandtschaft kreiert habe. Der Verkehr fasse die jüngere Marke als Abwandlung des Widerspruchszeichens und naheliegendes Wortspiel auf und nehme an, dass unter dem Dach „(C)KRAFTWERK“ weitere nach Musikgruppen benannte Sorten entwickelt würden. Das Unternehmenskennzeichen könne auch Bekanntheitsschutz nach § 15 Abs. 3 MarkenG beanspruchen. Zwischen der für Waren der Klasse 32 geschützten Marke „CRAFTWERK“ und dem Widerspruchskennzeichen „Kraftwerk“ sei eine „gedankliche Verknüpfung“ gegeben, weil der Begriff „Kraftwerk“ im Inland über seine generische Bedeutung hinaus fast ausschließlich vom Widersprechenden genutzt werde. Bei Eingabe des Begriffs „Kraftwerk“ in die Suchmaske von Google erscheine an erster Stelle die Homepage des Widersprechenden (www.kraftwerk.com), gefolgt vom Wikipedia-Eintrag zur Band des Widersprechenden.
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Der Widersprechende beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 32 des DPMA vom 2. März 2016 aufzuheben und das DPMA anzuweisen, die angegriffene Marke wegen des Widerspruchs aus dem Unternehmenskennzeichen „Kraftwerk“ zu löschen.
12
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie vertritt die Auffassung, der Widerspruch sei unzulässig. Der Widersprechende habe es versäumt, innerhalb der Widerspruchsfrist substantiierte Angaben zum Gegenstand des Unternehmenskennzeichens, seiner Inhaberschaft und zum Zeitpunkt der Benutzungsaufnahme vorzutragen. Die Beschränkung auf die Angabe „Musik- und Performance-Projekt“ verstoße gegen § 30 Abs. 1 MarkenV, weil es an einer eindeutigen Bestimmung der Waren und Dienstleistungen fehle. Auch die Aktivlegitimation des Widersprechenden sei unklar. Bei Bands stünden die Rechte an der geschäftlichen Bezeichnung regelmäßig den Mitgliedern zur gesamten Hand oder als Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu. Aus der vom Widersprechenden vorgelegten Auseinandersetzungsvereinbarung gehe hervor, dass die zwischen den Gründungsmitgliedern von „Kraftwerk“ bestehende Kraftwerk GbR mit Wirkung zum 30. November 2008 auseinandergesetzt und aufgelöst worden sei. Die Fortsetzung der GbR als alleiniger Gesellschafter sei jedoch rechtlich nicht möglich, so dass kein Unternehmen im Sinne von § 5 Abs. 2 MarkenG mehr bestehe, für das ein Unternehmenskennzeichen geführt werden könne. Mit der Angabe „1970“ für den Zeitpunkt der Benutzungsaufnahme sei der Zeitrang nicht hinreichend genau konkretisiert.
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Der Widerspruch sei wegen fehlender Verwechslungsgefahr jedenfalls unbegründet. Es fehle an der erforderlichen Branchennähe. Die Verbraucher hätten keinen Anlass, davon auszugehen, dass die mit der angegriffenen Marke gekennzeichneten Bierprodukte in Lizenz mit dem Widersprechenden hergestellt worden seien. Auch Brauereien engagierten sich nicht selbst im musikalischen Bereich. Aus den vom Widersprechenden vorgelegten Anlagen Bf4 und Bf5 gehe weder eine tatsächliche Übung von Musikern oder Musikgruppen hervor, Bier selbständig herzustellen, noch könne daraus auf eine Lizenzierungspraxis zwischen Musikern und Bierherstellern oder umgekehrt geschlossen werden. Es werde bestritten, dass die in Anlage Bf4 abgebildeten Produkte überhaupt auf den Markt gekommen seien und den deutschen Verbraucher erreicht hätten. Das Produkt „Budweiser Metallica“ sei lediglich bei zwei Konzerten im Jahr 2015 im kanadischen Quebec verkauft worden. Aus Anlage Bf5 folge, dass die unter www.rock-drinks.de angebotenen Biersorten in Deutschland nicht oder nur schwer erhältlich seien. Die Musikgruppe „Tangerine Dream“ sei Verbrauchern nicht bekannt, sondern werde lediglich als Hinweis auf ein Getränk mit Fruchtgeschmack wahrgenommen, weil die Bezeichnung auf die darin verwendete Hopfensorte „Mandarina Bavaria“ und deren traumhaften Geschmack anspiele. Genau in diesem Sinne werde das Produkt auf ihrer Website www.craftwerk.de beschrieben (Anlage Bf1). Eine Ähnlichkeit zwischen (alkoholischen) Getränken und Musikdarbietungen könne auch nicht mittels eines funktionellen Zusammenhangs hergestellt werden, weil Getränke für die Musikdarbietung weder unentbehrlich noch wichtig seien. Die Herstellung und der Vertrieb von Bier zählten ebenso wenig zur Kerntätigkeit von Bands wie die Veranstaltung von Konzerten zu den Kerntätigkeiten von Brauereien zähle. Die Anlagen BF 13 bis BF 15 beträfen zum einen Wein und Whisky und zum anderen ausschließlich Rock- und Metal-Bands und nicht den Bereich elektronischer Musik. Ferner sei zweifelhaft, ob und in welchem Umfang diese Produkte im Inland vertrieben würden. Bei einem Brauereifest gehe der Verbraucher nicht davon aus, dass die Musik von der Brauerei selbst stamme. Es werde bestritten, dass Brauereien tatsächlich eigene Chöre beschäftigten. Allein die angegriffene Marke werde als geistreiches Wortspiel im Hinblick auf Craft-Biere verstanden. Eine solche Assoziation sei bei „Kraftwerk“ ausgeschlossen. Die allgemeinen Verbraucher vermuteten auch keine Lizenzverbindungen zwischen den Verfahrensbeteiligten. Zudem lehne der BGH in gefestigter Rechtsprechung eine branchenübergreifende Lizenzierungspraxis zur Bejahung einer Verwechslungsgefahr ab. Auch wenn Teilnehmer von Musikdarbietungen nicht nur unterhalten, sondern auch verpflegt würden, begründe dies noch keine Dienstleistungsähnlichkeit (BPatG 27 W (pat) 189/09 – Mama/Mami). Unterhaltungs- und Bewirtungsdienstleistungen würden unabhängig voneinander jeweils von darauf spezialisierten Unternehmen angeboten. Hotels, Bars und Restaurants benötigten kein Unterhaltungsprogramm. Der Umstand, dass Musikdarbietungen mit einem Getränkeausschank einhergingen, verleite den Verbraucher nicht dazu, denselben wirtschaftlichen Ursprung anzunehmen, weil sich Vertriebs- und Erbringungsart, Beschaffenheit, Verwendungszweck und Nutzung deutlich unterschieden. Die einzige Verbindung sei das zeitgleiche Angebot auf Veranstaltungen bei völliger wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Dem Widerspruchszeichen komme allenfalls durchschnittliche Kennzeichnungskraft zu. Eine Steigerung habe der Widersprechende nicht nachgewiesen. Die Konzertwoche in Düsseldorf im Jahr 2013 sei nicht geeignet, eine über das Jahr 2009 hinaus fortgeführte kontinuierliche Benutzung des Unternehmenskennzeichens in Deutschland bis mindestens 2018 nachzuweisen, zumal nur 870 Zuschauer pro Konzert anwesend gewesen seien. Für die neun Jahre zwischen den Jahren 2009 und 2018 fehle es an einem Nachweis der fortgeführten Benutzung von „Kraftwerk“ für Musikdarbietungen in Deutschland. Selbst wenn eine erhöhte Kennzeichnungskraft für das Jahr 2009 unterstellt würde, lasse dies neun Jahre später keine Rückschlüsse auf das Jahr 2018 zu. Die vom Widersprechenden vorgelegte Übersicht über die von 2011 bis September 2018 auch im Inland gegebenen Konzerte (Anlage BF 5) sei verspätet erfolgt. Die Presseartikel (Anlagen BF 6 bis BF 12) würden nur von Musikliebhabern eines gewissen fortgeschrittenen Alters wahrgenommen. Klanglich bestehe keine Ähnlichkeit zwischen den Kollisionszeichen. Die angegriffene Marke werde zweisprachig ausgesprochen, nämlich „CRAFT“ englisch und „WERK“ deutsch. Die Betonung bei „CRAFT“ liege auf dem langgezogenen Vokal „A“ und der Konsonant „C“ werde weich ausgesprochen. Demgegenüber werde der Vokal „A“ in dem Wort „Kraft“ nur kurz gesprochen und nicht betont. Der schriftbildliche Unterschied am Wortanfang werde durch den eindeutigen Begriffsgehalt von „Kraftwerk“ im Sinne von „einer Anlage zur Energiegewinnung“ derart verstärkt, dass eine Verwechslungsgefahr zu verneinen sei. „Craft“ für „Handwerk“ oder „von Hand fertigen“ sei von „Craft Beer“ abgeleitet, einer weltweiten, auch in Deutschland schon vor 2013 bekannten Bewegung, die sich mit in Kleinserien-Handwerk hergestelltem Spezialbier befasse, bei dem vom „Mainstream“ abweichende Zutaten und Methoden angewendet würden (Anlagen 4, 7 bis 11). Die jüngere Marke bedeute „Handwerk“, ersetze den Bestandteil „Hand“ durch „Craft“ und führe so in origineller Weise zu einer Verdoppelung des Begriffs „Handwerk“. Die englische Übersetzung von „Kraftwerk“ wäre „power plant“. Eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne scheitere daran, dass die angegriffene Marke die geschäftliche Bezeichnung nicht übernommen habe. Für einen Bekanntheitsschutz fehle es neben der Bekanntheit an präzise bezeichneten Waren und/oder Dienstleistungen sowie an der erforderlichen Zeichenähnlichkeit. Ferner lägen weder Rufausbeutung noch ein Imagetransfer vor. Die jüngere Marke sei weder geeignet, das Widerspruchszeichen in Erinnerung zu rufen, noch schmälere ihre Benutzung dessen Anziehungskraft. Die von ihr beanspruchten Waren und Dienstleistungen hätten keine Eigenschaften, die sich negativ auf das Bild des Widerspruchszeichens auswirken könnten, zumal sie auch für alkoholfreie Getränke geschützt sei. Deshalb werde das Widerspruchszeichen nicht durch andere unpassende Assoziationen – im Rahmen eines sogenannten inkompatiblen Zweitgebrauchs – in seinem Wert unangemessen beeinträchtigt.
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Mit Schreiben vom 24. April 2018 hat der Senat die Beteiligten unter Übersendung von Recherchebelegen (Anlagen 1 bis 4, Bl. 82 – 85 GA) auf seine vorläufige Rechtsauffassung hingewiesen.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Da es sich vorliegend um ein Verfahren über einen Widerspruch handelt, der nach dem 1. Oktober 2009, aber vor dem 14. Januar 2019 erhoben worden ist, ist die Bestimmung des § 42 Absatz 1 und 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 bis 5 MarkenG).
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1. Der Widerspruch ist zulässig.
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Die obligatorischen Angaben, die nach § 65 Abs. 1 Nr. 4 MarkenG i. V. m. § 30 Abs. 1 Satz 2 MarkenV zur Identifizierung des geltend gemachten Widerspruchskennzeichens, insbesondere dessen Art, Wiedergabe, Form, Zeitrang, Gegenstand und Inhaber, innerhalb der Widerspruchsfrist verlangt werden, sind im Widerspruchsformular vom 12. August 2013, in dessen Anlage sowie in den beigefügten Unterlagen (Anlagen W 1 bis W 13, Bl. 27 – 111 VA) enthalten, die per Telefax vorab an demselben Tag beim DPMA eingegangen sind.
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a) Die dreimonatige Widerspruchsfrist gemäß § 42 Abs. 1 MarkenG hat am Tag der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke, also am 10. Mai 2013, zu laufen begonnen (§ 187 Abs. 1 BGB) und hat mit Ablauf des 10. August 2013 geendet. Da der 10. August 2013 ein Samstag gewesen ist, hat sich das Fristende auf Montag, den 12. August 2013, verschoben (§§ 188 Abs. 2, 193 BGB). An diesem Tag ist der Widerspruch per Telefax vorab eingelegt worden.
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b) Als Art des Widerspruchskennzeichens hat der Widersprechende eine geschäftliche Bezeichnung gemäß §§ 5, 12 MarkenG, nämlich ein Unternehmenskennzeichen, angekreuzt und mit dem Wort „Kraftwerk“ wiedergegeben.
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c) Angaben zur Zeichenform fehlen zwar, ergeben sich aber aus der Wiedergabe des Wortes „Kraftwerk“.
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d) Als Zeitrang hat der Widersprechende im Formular das Jahr „1970“ eingetragen. Diese Jahreszahl erläutert er in der Anlage zum Widerspruchsformular mit dem Gründungsdatum des Musik- und Performance-Projektes „Kraftwerk“. Aus der Kraftwerk-Discographie im Dossier der Zeitschrift „musikexpress.“ von 2009 (Anlage W 1, Bl. 36 VA) ergibt sich, dass das mit „KRAFTWERK“ betitelte Debütalbum im Jahr 1970 erschienen ist. In den Stationen der Kraftwerk-Chronologie dieses Dossiers ist angegeben, dass dieses Album Ende des Jahres 1970 erschienen ist (Bl. 33 VA). Ein konkreteres Datum lässt sich den innerhalb der Widerspruchsfrist eingereichten Unterlagen nicht entnehmen. Ob, wie der Wortlaut von § 6 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 und 3 MarkenG nahe legen könnte, eine taggenaue Zeitangabe erforderlich ist, kann dahingestellt bleiben. Da es zur Feststellung des älteren Zeitranges bei dem vorliegenden zeitlichen Abstand von mehreren Jahrzehnten auf den taggenauen Zeitpunkt nicht ankommt, der Widersprechende es aber unterlassen hat, insoweit konkretere Angaben zu machen, ist zugunsten der Markeninhaberin vom Zeitrang 31. Dezember 1970 auszugehen.
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e) Gegenstand des Unternehmenskennzeichens ist laut Anlage zum Widerspruchsformular ein Musik- und Performance-Projekt, wobei der Widersprechende auf die Discographie (Anlage W 1, Bl. 36 VA) und Konzertauftritte seit Mitte der 1970er Jahre (Anlage W 3, Bl. 39 – 67 VA) verweist. Da es bei einem Unternehmenskennzeichen ausreicht, als Gegenstand den Geschäftsbetrieb oder die Branche anzugeben, genügt die Angabe „Musik- und Performance-Projekt“ zur formalen Identifizierung des Unternehmensgegenstandes.
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f) Als Inhaber des Unternehmenskennzeichens ist der Widersprechende aufgeführt. Damit erfüllt der Widerspruch die in § 30 Abs. 1 Satz 2 MarkenV vorgesehene Formalie der Inhaberangabe. Ob der Widersprechende rechtlich wirksam der alleinige Inhaber des Widerspruchszeichens geworden ist, was die Markeninhaberin bestreitet, ist eine Frage der Begründetheit des Widerspruchs.
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g) Der Widersprechende hat in der Anlage zum Widerspruchsformular zudem das Vorliegen eines hohen Bekanntheitsgrades des Unternehmenskennzeichens „Kraftwerk“ unter Bezugnahme auf mehrere beigefügte Presse- und Fernsehberichte (Anlagen W 4 bis W 12, Bl. 68 – 91 VA) sowie das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 3. Juli 2012 – 312 O 260/11 (Anlage W 13, Bl. 92 ff. VA) geltend gemacht.
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2. Der Widerspruch hat aber keinen Erfolg.
30
Die Voraussetzungen für die Löschung der angegriffenen Marke wegen des Widerspruchs aus dem Unternehmenskennzeichen „Kraftwerk“ nach §§ 43 Abs. 2 Satz 1, 42 Abs. 2 Nr. 4, 2. Alt. i. V. m. §§ 12, 5 Abs. 2 Satz 1, 12, 15 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 MarkenG für die beanspruchten Waren der Klasse 32 „Bier, bierähnliche Getränke, Biermischgetränke, Ale (Bier), Porter (Bier), Triple (Bier) (alle vorgenannten Waren auch in alkoholfreier, alkoholarmer oder alkoholreduzierter Form)“ sind nicht gegeben.
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a) Ein Löschungsanspruch besteht, wenn ein anderer vor dem für den Zeitrang der eingetragenen Marke maßgeblichen Tag Rechte an einer geschäftlichen Bezeichnung im Sinne des § 5 MarkenG erworben hat und diese ihn berechtigen, die Benutzung der eingetragenen Marke im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu untersagen (BPatG 29 W (pat) 25/13 – ned tax/NeD Tax/NeD Tax Kanzlei Günter Heenen; 26 W (pat) 2/14 – WEINHANDLUNG MÜLLER/Wein-handlung Müller). Das ältere Kennzeichenrecht muss wirksam entstanden sein, zum Kollisionszeitpunkt, also im Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke, noch bestanden haben und im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch noch fortbestehen (BPatG 30 W (pat) 26/12 – eSPIRIT/E-SPIRIT/e-Spirit).
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b) Ungeachtet des im patentgerichtlichen Verfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes obliegt es in Fällen, in denen ein Widerspruch aus einem nicht registrierten, sondern durch Benutzung entstandenen Recht erhoben wurde, dem Widersprechenden, die Voraussetzungen für das Bestehen des älteren Rechts, seinen Zeitrang und seine Inhaberschaft an diesem Recht darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen. Soweit vorgetragene Tatsachen nicht liquide sind, sind diese also durch die in den §§ 371 ff. ZPO vorgesehenen Beweismittel zu belegen (vgl. BPatG 25 W (pat) 94/14 – REALFUNDUS/Realfundus; 29 W (pat) 25/13 – ned tax/NeD Tax/NeD Tax Kanzlei Günter Heenen; 24 W (pat) 25/14 – LumiCell/lumicell; 26 W (pat) 88/13 – Lehmitz/Weinhaus am Stadtrand Dirk Lehmitz).
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c) Nach § 5 Abs. 1 MarkenG werden als geschäftliche Bezeichnungen neben Werktiteln auch Unternehmenskennzeichen geschützt. Das sind Zeichen, die im geschäftlichen Verkehr als Name, als Firma oder als besondere Bezeichnung eines Geschäftsbetriebs oder eines Unternehmens benutzt werden (§ 5 Abs. 2 Satz 1 MarkenG).
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d) Bei dem Unternehmenskennzeichen „Kraftwerk“ handelt es sich nicht um eine Firma im Sinne von § 17 Abs. 1 HGB, also nicht um den vollständigen Namen eines Kaufmanns, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt, weil der Widersprechende zu keinem Zeitpunkt den in § 19 Abs. 1 Nr. 1 HGB zwingend vorgesehenen Zusatz „eingetragener Kaufmann“, „e.K.“, „e.Kfm“ hinzugefügt hat. Ohne diesen Zusatz ist davon auszugehen, dass es sich um einen Kleingewerbetreibenden handelt, dessen Unternehmen nach Art und Umfang keine kaufmännische Einrichtung erfordert (vgl. § 1 HGB). Das Unternehmenskennzeichen „Kraftwerk“ ist aber als besondere Bezeichnung eines Geschäftsbetriebs anzusehen, weil es bei Musikdarbietungen eine Namensfunktion erfüllt.
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e) Die besondere Geschäftsbezeichnung „Kraftwerk“ verfügt über originäre Unterscheidungskraft.
36
aa) Unterscheidungskräftig ist eine geschäftliche Bezeichnung allgemein dann, wenn der Verkehr sie als namensmäßigen Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen versteht, wobei es genügt, dass sich ein ausschließlich unternehmensbeschreibender Sinngehalt nicht feststellen lässt (BGH GRUR-RR 2010, 205 Rdnr. 22 – Haus & Grund IV; GRUR 2008, 1108 Rdnr. 32 – Haus & Grund III).
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bb) Das Substantiv „Kraftwerk“ bezeichnet eine „Anlage zur Gewinnung elektrischer Energie“ (www.duden.de, Anlage 1 zum gerichtlichen Hinweis). Über ein Musik- und Performance-Projekt trifft der Begriff keine beschreibende Aussage. Da an die Unterscheidungskraft von Unternehmenskennzeichen keine hohen Anforderungen gestellt werden, ist die besondere Geschäftsbezeichnung „Kraftwerk“ aus Sicht der angesprochenen breiten inländischen Verkehrskreise jedenfalls hinreichend geeignet, sich namensmäßig von anderen Unternehmen zu unterscheiden.
38
f) Dieses originär unterscheidungskräftige Unternehmenskennzeichen ist spätestens am 31. Dezember 1970 durch Benutzungsaufnahme entstanden.
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aa) Das Unternehmenskennzeichenrecht entsteht im Falle einer originär kennzeichnungskräftigen Bezeichnung durch ihre tatsächliche namensmäßige und nach außen in Erscheinung tretende Benutzung, die auf den Beginn einer dauerhaften wirtschaftlichen Betätigung schließen lässt, ohne dass es schon ein bestimmtes Maß an Anerkennung im Verkehr gefunden haben muss (BGH GRUR 2016, 1066 Rdnr. 23 – mt-perfect; GRUR 2013, 1150 Rdnr. 34 – Baumann; GRUR 2008, 1099 Rdnr. 16, 36 – afilias.de; GRUR 1997, 903, 905 – GARONOR). Die Entstehung setzt nicht voraus, dass das Unternehmen bereits gegenüber allen Marktbeteiligten oder auch nur seinen künftigen Kundenkreisen in Erscheinung getreten ist (BGH a. a. O. – mt-perfect; a. a. O. – afilias.de). Der Schutz entsteht selbst dann, wenn die Betriebseröffnung erst zeitlich nachfolgt und die Benutzungshandlungen in einem geschäftlichen Vorbereitungsstadium erfolgt sind (BGH GRUR 1980, 114 Rdnr. 15 – Concordia; GRUR 1971, 517, 519 – SWOPS), sofern diese Vorbereitungshandlungen nach außen im Rechtsverkehr auftreten. Rein interne Vorbereitungshandlungen, wie z. B. die Ausarbeitung einer geschäftlichen Konzeption, reichen nicht aus (BGH GRUR 2008, 1108 Rdnr. 42 – Haus & Grund III).
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bb) Der innerhalb der Widerspruchsfrist angegebene und belegte Unternehmensgegenstand „Musik- und Performance-Projekt“ betrifft nur das Geschäftsfeld „Musikdarbietungen“.
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Produktion und Herausgabe von Bild-, Ton- und Datenträgern sind weder im Widerspruchsformular noch in dessen Anlage behauptet worden. Die Bezugnahme auf die beigefügte Discographie (Anlage W 1, Bl. 36 f. VA) reicht dafür nicht aus, weil dieser nicht zu entnehmen ist, ob die Musikband „Kraftwerk“ diese Tonträger selbst hergestellt und vertrieben hat. Dagegen spricht, dass in der Discographie erläutert wird, dass die ersten Platten der Musikgruppe beim Philips-Label veröffentlicht worden sind und diejenigen ab dem Album „AUTOBAHN“ über Kling Klang/EMI erworben werden können (Bl. 37 VA). Die Auflistung von Einnahmen aus verkauften Ton- und Tonbildträgern von 2003 bis 2012 (Anlagen W 17 bis W 19, Bl. 219 – 223 VA) sowie die eidesstattliche Versicherung vom 2. Dezember 2013 (Anlage W 20, Bl. 224 f. VA) sind erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist vorgelegt worden. Damit ist der Verkauf von Ton- und Tonbildträgern nicht rechtzeitig als Gegenstand des Unternehmenskennzeichens geltend gemacht worden. Zur Wahrung der Interessen der Inhaberin der angegriffenen Marke ist es geboten, bei der Prüfung des Widerspruchs aus einem Unternehmenskennzeichen nur die Geschäftsfelder zu berücksichtigen, die bereits innerhalb der Widerspruchsfrist genannt worden sind (BPatG 30 W (pat) 26/12 – eSPIRIT/E-SPIRIT/e-Spirit).
42
Allerdings stellen das Komponieren von Musik und das Veröffentlichen dieser auf von Dritten hergestellten und herausgegebenen Schallplatten von 1970 bis 1991 unter dem Bandnamen „Kraftwerk“ bereits nach außen im Rechtsverkehr auftretende Vorbereitungshandlungen für die anschließenden kontinuierlichen Musikdarbietungen in Form weltweiter Konzertauftritte dar, auch wenn diese innerhalb der Widerspruchsfrist in der Anlage W 3 (Bl. 39 – 67 VA) erst ab dem 23. September 2002 substantiiert dargelegt worden sind. Denn es ist gerichts- und senatsbekannt, dass die Band „Kraftwerk“, die maßgeblich die Entwicklung elektronischer Musik beeinflusst hat, seit über 40 Jahren Musikdarbietungen erbringt (vgl. BPatG 27 W (pat) 88/09 – Kulturkraftwerk/Kraftwerk).
43
Daher ist davon auszugehen, dass das Unternehmenskennzeichenrecht mit der originär kennzeichnungskräftigen Bezeichnung „Kraftwerk“ spätestens am 31. Dezember 1970, also am Ende des Erscheinungsjahrs des mit „KRAFTWERK“ betitelten Debütalbums der gleichnamigen Musikgruppe, entstanden ist. Der Zeitpunkt der Benutzungsaufnahme bestimmt zugleich den Zeitrang des Rechts (§ 6 Abs. 3 MarkenG). Der Umstand, dass es sich in erster Linie um eine künstlerische Tätigkeit handelt, hindert nicht das Entstehen eines Unternehmenskennzeichens, da künstlerische Tätigkeit im Regelfall wie auch im vorliegenden Fall geschäftlicher Natur ist (vgl. Hacker in: Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 14 Rdnr. 51; Raue, KUR 2007, 135, 136).
44
g) Dieses Unternehmenskennzeichen hat auch am Anmeldetag der angegriffenen Marke, dem 15. Februar 2013, noch bestanden und der Widersprechende ist zu diesem Zeitpunkt bereits Inhaber dieser besonderen Geschäftsbezeichnung gewesen.
45
aa) Wie die Firma sind auch die anderen Unternehmenskennzeichen in Entstehung und Fortbestand an ein konkretes lebendes Unternehmen gebunden (Akzessorietätsprinzip: BGH GRUR 2002, 967 – Hotel Adlon; BGH GRUR 2002, 972 – FROMMIA; GRUR 1962, 419, 420 – Leona). Die prioritätswahrende Erhaltung des Kennzeichenschutzes nach § 5 Abs. 2 Satz 1 MarkenG setzt daher grundsätzlich die Fortbenutzung des Kennzeichens für das Unternehmen oder den Geschäftsbetrieb voraus, für den der Schutz begründet worden ist. Die Voraussetzung für eine wirksame Übertragung des Rechts an der Geschäftsbezeichnung ist daher der gleichzeitige Übergang des Geschäftsbetriebs. Dazu bedarf es nicht der Übertragung des gesamten Geschäftsbetriebs, aber es ist erforderlich, dass der Unternehmenskern, also die Werte übertragen werden, die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten den Schluss rechtfertigen, dass die mit dem Kennzeichen verbundene Geschäftstradition vom Erwerber fortgesetzt wird (BGH GRUR 2004, 790, 792 – Gegenabmahnung; GRUR a. a. O., 975 – FROMMIA). Der Schutz endet mit der endgültigen Aufgabe des Kennzeichengebrauchs bzw. mit der endgültigen Aufgabe des Geschäftsbetriebs (BGH GRUR 2013, 1150 Rdnr. 29 – Baumann; GRUR 2005, 871, 872 – Seicom; GRUR 2016, 1066 Rdnr. 22 – mt-perfect; GRUR 1997, 749, 752 – L’Orange; GRUR 1985, 567 – Hydair; GRUR 1962, 419, 420 – Leona; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2003, 8, 10 – START; GRUR-RR 2008, 80, 81 – Mannesmann).
46
bb) Mit dem Auszug aus der notariellen Auseinandersetzungsvereinbarung vom 19. November 2008 (Anlage W 15, Bl. 176 – 182 VA) hat der Widersprechende nachgewiesen, dass die beiden Gründer und Produzenten des Musikprojekts „KRAFTWERK“ ihre im Jahre 1970 gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts „KRAFTWERK GbR“ mit Wirkung zum 30. November 2008 einvernehmlich aufgelöst haben und der Widersprechende gemäß Präambel Ziffer 4 der Vereinbarung den Geschäftsbetrieb als Alleininhaber fortführt, sämtliche Vermögenswerte übernimmt und den Partner dafür abfindet. Entgegen der Auffassung der Markeninhaberin ist damit nicht vereinbart worden, dass die GbR nach Ausscheiden der übrigen Gesellschafter vom verbleibenden Gesellschafter als GbR weitergeführt wird. Diese Regelung ist bei einer Zwei-Personen-GbR vielmehr dahingehend auszulegen, dass die Parteien wollten, dass das gesamte Gesellschaftsvermögen dem verbleibenden Gesellschafter zuwächst und dieser den Geschäftsbetrieb als Einzelunternehmen fortführt.
47
cc) Von einem befugten Gebrauch des Widerspruchskennzeichens (vgl. BGH GRUR 2002, 706, 707 – vossius.de; BPatG 29 W (pat) 25/13 – ned tax/NeD Tax/NeD Tax Kanzlei Günter Heenen) durch den Beschwerdeführer ist auch deshalb auszugehen, weil ihm unter Ziffer II 4 der Vereinbarung das alleinige und übertragbare, zeitlich, örtlich und gegenständlich unbeschränkte Recht übertragen worden ist, u. a. die Bezeichnung „KRAFTWERK“ im geschäftlichen Verkehr zu nutzen und in jeglicher Form zu verwerten sowie gegenüber rechtswidrigen Benutzungen durch Dritte zu verteidigen. Ferner ist er danach berechtigt, unter der Bezeichnung „KRAFTWERK“ auf Veranstaltungen jeglicher Art allein oder mit Dritten aufzutreten und Tourneen durchzuführen.
48
dd) Damit steht fest, dass der Widersprechende seit Ablauf des 30. November 2008 alleiniger Inhaber des Unternehmenskennzeichens „Kraftwerk“ ist. Dieses hat für Musikdarbietungen auch noch zum Anmeldezeitpunkt, dem 15. Februar 2013, bestanden, wie sich aus der Aufstellung der regelmäßigen jährlichen Konzertauftritte vom 23. September 2002 bis zum 28. Juni 2013 (Anlage W 3, Bl. 39 – 67 VA), den Fernsehberichterstattungen in Nachrichten- und Kulturmagazinen im Januar 2013 (Anlage W 8) sowie einer Vielzahl von Berichten in der allgemeinen Presse, wie etwa Die Welt, Frankfurter Rundschau oder Frankfurter Allgemeine, im Januar 2013 (Anlagen W 9 bis W 13, Bl. 78 – 91 VA) ergibt.
49
h) Der Widersprechende hat das Unternehmenskennzeichen zudem bundesweit im Sinne von § 12 MarkenG benutzt. Der räumliche Schutzbereich einer von Hause aus unterscheidungskräftigen Bezeichnung gemäß § 5 Abs. 2 MarkenG erfasst regelmäßig das gesamte Bundesgebiet.
50
i) Der Widersprechende hat auch dargelegt und nachgewiesen, dass das Unternehmenskennzeichen – ohne relevante Unterbrechung – noch im gegenwärtigen Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch fortbesteht.
51
Er hat eine Übersicht über die von 2011 bis September 2018 auch im Inland gegebenen Konzerte (Anlage BF 5, Bl. 192 – 208 GA) eingereicht. Laut einer Vielzahl vorgelegter Presseberichte hat die Musikgruppe „Kraftwerk“ mit der Erfindung des Elektropop Musikgeschichte geschrieben und unzählige Musiker weltweit musikalisch beeinflusst (Anlagen W 9 bis W 13, Bl. 78 – 91 VA; Anlage BF 6, Bl. 209). 2014 ist ihr ein Grammy für ihr Lebenswerk verliehen worden (Anlagen BF 6 u. BF 7, Bl. 209 – 212 GA). Für ihr 2017 veröffentlichtes Box-Set „3D – Der Katalog“ mit Audio- und Videoaufnahmen von Liveauftritten aus den Jahren 2012 bis 2015 hat die Gruppe 2018 den Grammy für das beste Elektro-Album bekommen (Anlagen BF 8 u. BF 9, Bl. 213 f. GA). Für das Lollapalooza-Festival in Berlin 2018 ist sie als Headliner angekündigt worden (Anlage BF 10, Bl. 215 f. GA). Im Juli 2018 hat sie vor etwa 7.000 Besuchern des Stuttgarter Jazz Open gespielt und ein interstellares Duett mit dem auf der Raumstation ISS stationierten Astronauten Alexander Gerst dargeboten (Anlagen BF 11 u. BF 12, Bl. 217 – 221 GA). Anhaltspunkte für eine Aufgabe der Geschäftstätigkeit sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich.
52
j) Dennoch hat der Widersprechende aufgrund dieses Rechts in Bezug auf die von der angegriffenen Marke beanspruchten Waren der Klasse 32 „Bier, bierähnliche Getränke, Biermischgetränke, Ale (Bier), Porter (Bier), Triple (Bier) (alle vorgenannten Waren auch in alkoholfreier, alkoholarmer oder alkoholreduzierter Form)“ keinen bundesweiten Unterlassungsanspruch gegen die Beschwerdegegnerin, weil die für den Unterlassungsanspruch nach § 15 Abs. 4 MarkenG erforderliche unmittelbare Verwechslungsgefahr nach § 15 Abs. 2 MarkenG nicht vorliegt.
53
aa) Die Beurteilung, ob eine Verwechslungsgefahr vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Ähnlichkeitsgrad der einander gegenüberstehenden Bezeichnungen, der Kennzeichnungskraft des Widerspruchszeichens und der wirtschaftlichen Nähe der Tätigkeitsgebiete (st. Rspr.: BGH GRUR 2010, 738 Rdnr. 22 – Peek & Cloppenburg I; GRUR 2008, 1104 Rdnr. 21 – Haus & Grund II; GRUR 2008, 801 Rdnr. 20 – Hansen-Bau). Die genannten Kriterien stehen zueinander in einem Wechselwirkungsverhältnis derart, dass ein Weniger in einem Bereich durch ein Mehr in einem anderen Bereich kompensiert werden kann und umgekehrt (BGH GRUR 2012, 635 Rdnr. 12 – METRO/ROLLER’s Metro; OLG Köln WRP 2015, 630). Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist von einer fiktiven Benutzung der eingetragenen angegriffenen Marke auszugehen (BPatG 29 W (pat) 25/13 – ned tax/NeD Tax/NeD Tax Kanzlei Günter Heenen).
54
bb) Für die Beurteilung der Branchennähe kommt es in erster Linie auf die Produktbereiche und Arbeitsgebiete an, die nach der Verkehrsauffassung typisch für die sich gegenüberstehenden Unternehmen sind. Anhaltspunkte für eine Branchennähe können ausreichend sachliche Berührungspunkte der Waren oder Dienstleistungen der Unternehmen auf den Märkten sowie Gemeinsamkeiten der Vertriebswege und der Verwendbarkeit der Produkte und Dienstleistungen sein. In die Beurteilung einzubeziehen sind naheliegende und nicht nur theoretische Ausweitungen der Tätigkeitsbereiche der Parteien (BGH GRUR 2009, 484 Rdnr. 73 – METROBUS). Im Einzelfall können auch Überschneidungen in Randbereichen der Unternehmenstätigkeiten zu berücksichtigen sein. Von einer Unähnlichkeit der Branchen kann nur ausgegangen werden, wenn trotz (unterstellter) Identität der Kennzeichen die Annahme einer Verwechslungsgefahr wegen des Abstands der Tätigkeitsfelder von vornherein ausgeschlossen ist. Dabei gibt es eine (absolute) Branchenunähnlichkeit, die auch bei Identität der Zeichen nicht durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft des prioritätsälteren Unternehmenskennzeichens ausgeglichen werden kann (BGH GRUR 2011, 831 Rdnr. 23 – BCC). Bei gegebener Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit nach markenrechtlichen Grundsätzen als dem sachlich engeren Kriterium kann regelmäßig auch von Branchennähe ausgegangen werden (BPatG 30 W (pat) 26/12 – eSPIRIT/E-SPIRIT/e-Spirit)).
55
aaa) Eine markenrechtliche Ähnlichkeit ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die sich gegenüberstehenden Waren und/oder Dienstleistungen unter Berücksichtigung aller für die Frage der Verwechslungsgefahr erheblicher Faktoren wie insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsart, ihres Verwendungszwecks und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sowie ihrer Eigenart als miteinander konkurrierender oder einander ergänzender Produkte oder Leistungen so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben Unternehmen oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 65 – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2014, 488 Rdnr. 12 – DESPERADOS/DESPERADO; GRUR 2015, 176 Rdnr. 16 – ZOOM).
56
bbb) Nach diesen Grundsätzen besteht zwischen den von der angegriffenen Marke beanspruchten Produkten „Bier, bierähnliche Getränke, Biermischgetränke, Ale (Bier), Porter (Bier), Triple (Bier) (alle vorgenannten Waren auch in alkoholfreier, alkoholarmer oder alkoholreduzierter Form)“ der Klasse 32 und dem Tätigkeitsfeld „Musikdarbietungen“ keine Branchenähnlichkeit.
57
(1) Von den vorgenannten Getränke werden breite Verkehrskreise, nämlich sowohl der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 1999, 723 Rdnr. 29 – Chiemsee) als auch Gastronomiebetriebe und der Getränkefachhandel angesprochen.
58
(2) Das mit dem Unternehmenskennzeichen „Kraftwerk“ gekennzeichnete Geschäftsfeld „Musikdarbietungen“ richtet sich sowohl an den Durchschnittsverbraucher als auch an Fachkreise der Musikindustrie.
59
(3) Die angesprochenen Verkehrskreise begegnen sowohl Biergetränken als auch Musikdarbietungen in der Regel mit durchschnittlicher bis leicht erhöhter Aufmerksamkeit.
60
(4) Die von der angegriffenen Marke beanspruchten Biere, bierähnlichen Getränke und Biermischgetränke weisen zu „Musikdarbietungen“ des Widersprechenden keine im markenrechtlichen Sinne maßgebliche Ähnlichkeit auf.
61
Brauereien mögen zwar Förderer und mitunter Veranstalter von Musikdarbietungen sein. In erster Linie sind sie aber nur Lieferant der dort konsumierten Getränke. Als solche nimmt sie der Verbraucher auch wahr, womit die Überschneidungen dieser Waren und Dienstleistungen viel zu gering und zu selten sind, als dass von einer gemeinsamen Produkt- bzw. Dienstleistungsverantwortlichkeit ausgegangen werden könnte (vgl. BPatG 28 W (pat) 165/04 – OKTOBIER-FEST/OKTOBERFEST-BIER; 28 W (pat) 246/02 – Alpkönig/Alpkönig). Zu einer anderen Auffassung gelangt man auch nicht aufgrund der vom Widersprechenden angeführten Entscheidung des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) zur Kollision der Unionsmarken „Oktobierfest/OKTOBERFEST-BIER“ (R 873/2004-1 u. R 915/2004-1), in der eine geringe Ähnlichkeit zwischen „Musikdarbietungen“ und „Bier“ angenommen worden ist. Denn die Regelungen über die Unionsmarken nach der Rechtsprechung des EuGH stellen ein aus einer Gesamtheit von Vorschriften bestehendes autonomes System dar, mit dem ihm eigene Ziele verfolgt werden und dessen Anwendung von jedem nationalen System unabhängig ist, so dass die vom EUIPO aufgrund der Unionsmarkenverordnung getroffenen Entscheidungen für Verfahren in anderen Mitgliedstaaten unverbindlich sind (vgl. GRUR 2018, 1146 Rdnr. 72 – Neuschwanstein). Sie vermögen nicht einmal eine Indizwirkung zu entfalten (vgl. zum Eintragungsverfahren: BGH GRUR 2014, 569 Rdnr. 30 – HOT; GRUR 2009, 778 Rdnr. 18 – Willkommen im Leben).
62
(5) Allerdings geht der Begriff der Branchennähe über den der markenrechtlichen Waren-/Dienstleistungsähnlichkeit hinaus, so dass eine zur Verwechslungsgefahr führende Branchennähe auch zwischen Unternehmen bestehen kann, deren Waren bzw. Dienstleistungen nicht ähnlich sind (BGH GRUR 2006, 937 Rdnr. 38 – Ichthyol II). Das Kriterium der gemeinsamen betrieblichen Herkunft tritt bei der Branchennähe hinter der Vermutung von geschäftlichen Zusammenhängen zurück.
63
(5.1) Der Verkehr ist zum Kollisionszeitpunkt jedoch nicht davon ausgegangen, dass Musikbands zugleich wirtschaftlich selbständig Brauereien betreiben bzw. ernsthaft ins Biergeschäft einsteigen und Bier oder bierähnliche Getränke herstellen und/oder vertreiben. Es ist im Februar 2013 auch nicht üblich gewesen, dass Unternehmen, die Bier herstellen oder vertreiben zugleich Musikdarbietungen erbringen. Selbst wenn vereinzelt Musiker ihr eigenes Craft-Bier produziert und veräußert hätten, wäre dadurch noch keine Branchenübung begründet worden.
64
(5.2) Die vom Widersprechenden eingereichten Belege über einen Ex-Rockmusiker, der Craft Beer in einem Münchener Restaurant anbietet (Anlage Bf2, Bl. 34 ff. GA), sowie über die Musikformationen „AC/DC“, „The BossHoss“, „KISS“, „Motörhead“, „Rammstein“, „Metallica“, „The National“, „Die Toten Hosen“, „Amigos“ u. a., die unter ihren Bandnamen in Online-Shops Bier anbieten (Anlage Bf3, Bl. 121 – 127 GA; Anlage Bf4, Bl. 129 – 131 GA; Anlagenkonvolut BF 13, Bl. 230 – 232, 238 – 247; Anlage BF 14, Bl. 248 – 249, Anlage BF 15, Bl. 254 – 256, 261 GA), ebenso wie Paul McCartney, der Bier mit Zutaten aus eigenem Anbau produziert (BF 14, Bl. 128 GA), oder wie die „Rolling Stones“ Wein oder Spirituosen mit ihrem Namen kennzeichnen (Anlagenkonvolut BF 13, Bl. 222 – 229, 233 – 237, Anlage BF 15, Bl. 250 – 253, 257 – 260, 262 f. GA), stammen alle aus einer Zeit nach dem 15. Februar 2013 und können daher die Verkehrsauffassung zum Kollisionszeitpunkt nicht beeinflusst haben. Hinzu kommt, dass die „Amigos“ ihr Bier lediglich als „Fanartikel“ vertreiben und Paul McCartney sein Bier für private Zwecke herstellt („The concoction is bottled on his land in East Sussex and given as gifts to colleagues and friends“, Anlage BF 14, Bl. 128 GA). Dass in den USA schon lange vor dem Anmeldezeitpunkt Musiker gleichzeitig als Mitarbeiter in einer Craft-Bier-Brauerei tätig gewesen sind (Anlage Bf2, Bl. 32 GA), oder ein Bandsänger 1996 in den USA eine Craft Brewerie gegründet hat (Anlage Bf2, Bl. 38 ff. GA), ist dem inländischen Verkehr nicht bekannt gewesen. Abgesehen davon, dass nur ein Teil der angesprochenen Verkehrskreise die ebenfalls auf dem Gebiet der elektronischen Musik tätige Musikformation „Tangerine Dream“ kennen dürfte, ist nur für den 29. Juni 2016 und damit lange nach dem Anmeldezeitpunkt nachgewiesen, dass die Inhaberin der angegriffenen Marke ein Craft-Bier unter der Bezeichnung „CRAFTWERK TANGERINE DREAM“ in ihrem Online-Shop angeboten hat (Anlage Bf1, Bl. 30 f. GA). Hinzu kommt, dass sie dieses nicht einmal damit beworben hat, dass „Tangerine Dream“ eine Musikband ist, sondern sie hat vielmehr den raffiniert fruchtigen Geschmack des Mandarina Bavaria Hopfens hervorgehoben, der auf der Zunge explodiere und zum Träumen verführe. Da die englische Wortkombination „Tangerine Dream“ mit „Mandarine Traum“ übersetzt wird (https://dict.leo.org/englisch-deutsch/tangerine%20dream), haben die Verbraucher die Bezeichnung nur als beschreibenden Hinweis auf den zauberhaften Fruchtgeschmack, aber nicht als Hinweis auf die gleichnamige Musikband aufgefasst.
65
ccc) Es hat daher nicht festgestellt werden können, dass zum Kollisionszeitpunkt bekannte Musikgruppen im Inland in marktrelevantem Umfang selbst Bier hergestellt und zur Erzielung von Einnahmen vertrieben haben. Auch die wenigen Belege des Widersprechenden über das von der Holsten-Brauerei veranstaltete Fest mit Musik von Punk bis Rock, den Chor der Brauerei Becker in St. Ingbert, der auch schon mehrere CDs aufgenommen hat, sowie den Bitburger Brauerei-Chor (Anlagen BF 16 bis BF 20, Bl. 264 – 271 GA) sind nicht geeignet, eine Nähe zum Geschäftsfeld des Widersprechenden herzustellen. Abgesehen davon, dass bei dem genannten Brauereifest die Brauerei nicht selbst Musikdarbietungen, sondern Veranstalterdienstleistungen erbringt, genügen zwei Brauereichöre nicht, um beim Publikum den Eindruck zu erwecken, dass Brauereien auch Musikdarbietungen anbieten.
66
Damit ist eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zu verneinen.
67
ddd) Im Rahmen einer Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne müssen die Geschäftsbereiche der Unternehmen für die Annahme einer Branchennähe nur gewisse Berührungspunkte aufweisen, die zu einer irrtümlichen Annahme vertraglicher, organisatorischer oder sonstiger wirtschaftlicher Beziehungen zwischen den konkurrierenden Unternehmen führen (BGH GRUR 2011, 831 Rdnr. 23 – BCC; GRUR 2009, 484 Rdnr. 52, 79 – Metrobus). Hierfür reicht es nach der bisherigen Rechtsprechung bereits aus, wenn das Publikum zu der Annahme gelangen kann, das eine Unternehmen benutze das Kennzeichen des anderen als dessen Lizenznehmer (BGH GRUR 1986, 402, 403 f. – Fürstenberg; GRUR 1999, 582, 582 – Max). Daran fehlt es hier.
68
eee) Für ein „Kennzeichen-Merchandising“, also die Vermarktung von Kennzeichen weit über das eigentliche Kerngeschäft hinaus im Wege von Lizenzverträgen, das eine relevante Branchennähe begründen könnte, während im Markenrecht eine branchenübergreifende Lizensierungspraxis für die Annahme eine Waren-/Dienstleistungsähnlichkeit nicht ausreicht, fehlen jegliche Anhaltspunkte. Denn es ist nicht ersichtlich und vom Widersprechenden auch nicht substantiiert dargelegt worden, dass und in welchem Umfang es in der Branche der „Musikdarbietungen“ oder im „Biergeschäft“ vor dem Kollisionszeitpunkt bereits zu branchenübergreifenden Lizensierungen gekommen ist. Daher ist das angesprochene Publikum auch nicht davon ausgegangen, dass zwischen beiden wirtschaftliche Verbindungen bestehen.
69
Da dem überwiegenden Teil der beteiligten Verkehrskreise die „Musikverwandtschaft“ zwischen den Gruppen „TANGERINE DREAM“ und „Kraftwerk“ nicht bekannt ist, wird bei ihnen entgegen der Annahme des Widersprechenden weder der Eindruck erweckt, dass der Widersprechende den Namen „(C)KRAFTWERK“ lizenziert habe oder selbst einsetze und eine Art „Gedenk-Getränk“ in Anlehnung an die musikalische Verwandtschaft kreiert habe, noch dass unter dem Dach „(C)KRAFTWERK“ weitere nach Musikgruppen benannte Sorten entwickelt würden.
70
Nach alledem ist eine Verwechslungsgefahr wegen Branchenunähnlichkeit ausgeschlossen.
71
b) Ein Unterlassungsanspruch kann aber auch nicht aus § 15 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 MarkenG hergeleitet werden.
72
aa) Die Eintragung einer Marke ist auf den Widerspruch aus einer prioritätsälteren, im Inland bekannten geschäftlichen Bezeichnung zu löschen, wenn zwar keine Verwechslungsgefahr besteht, ihre Benutzung aber geeignet ist, die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der geschäftlichen Bezeichnung ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise auszunutzen oder zu beeinträchtigen.
73
bb) Bei dem Widerspruchskennzeichen „Kraftwerk“ dürfte es sich um ein bekanntes Unternehmenskennzeichen für Musikdarbietungen handeln.
74
aaa) Ein Unternehmenskennzeichen ist bekannt, wenn es einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt ist, das von dem Tätigkeitsgebiet betroffen ist, ohne dass bestimmte Prozentsätze des Bekanntheitsgrades zu fordern sind. Erforderlich ist eine Bekanntheit gerade als Unternehmenskennzeichen. Maßgeblich sind bei der Prüfung dieser Voraussetzungen alle relevanten Umstände des Falles, also insbesondere der Marktanteil, die Intensität, die geographische Ausdehnung und die Benutzungsdauer sowie der Umfang der Investitionen, die das Unternehmen zur Bekanntheitsförderung getätigt hat (vgl. EuGH GRUR 2009, 1158 Rdnr. 25 – PAGO/Tirolmilch; BGH GRUR 2017, 75 Rdnr. 37 – WUNDERBAUM II). Tatsachen, aus denen sich die Bekanntheit einer geschäftlichen Bezeichnung ergibt, können allgemein geläufig und deshalb offenkundig im Sinne des § 291 ZPO sein.
75
bbb) Dass dem Unternehmenskennzeichen „Kraftwerk“ für den Geschäftsbereich „Musikdarbietungen“ nach diesen Kriterien eine entsprechende Bekanntheit zukommt, ist gerichtsbekannt, wird aber auch glaubhaft gemacht durch die zahlreichen vom Widersprechenden eingereichten Unterlagen über die jahrzehntelange Benutzung, die schon vor dem Anmeldetag der Streitmarke nicht nur zu einer gesteigerten Kennzeichnungskraft (vgl. BPatG 27 W (pat) 88/09 – Kulturkraftwerk/Kraftwerk; 24 W (pat) 513/14 – Kraft am Werk/Kraftwerk), sondern auch zu einer entsprechenden Bekanntheit geführt hat (LG Hamburg, Beschl. v. 3. Juli 2012 – 312 O 260/11, Anlage W 13, Bl. 92 ff., 100 VA).
76
(1) Seit Mitte der 1970er Jahre tritt „Kraftwerk“ in der ganzen Welt auf (Anlage W 3, Bl. 39 – 67 VA). Dieser Musikgruppe hat die Zeitschrift „musikexpress.“ im Sommer des Jahres 2009 ein 12-seitiges Musik Dossier unter dem Titel „Musik-Arbeiter“ gewidmet (Anlage W 1, Bl. 27 – 57 VA). „Kraftwerk“ ist für die „Rock and Roll Hall of fame“, die US-Ruhmeshalle des Rock and Roll, nominiert worden (Anlagen W 6 u. W 7, Bl. 73 – 75 VA). In Fernsehsendungen (Anlage W 8) und Presseberichten im Januar 2013 (Anlagen W 9 bis W 13, Bl. 78 – 91 VA) ist darauf hingewiesen worden, dass „Kraftwerk“ den Elektropop erfunden, damit Musikgeschichte geschrieben und unzählige Musiker weltweit musikalisch beeinflusst hat (Anlagen W 9 bis W 13, Bl. 78 – 91 VA; Anlage BF 6, Bl. 209 f.).
77
(2) Aufgrund der vorgelegten Übersicht über die von 2011 bis September 2018 auch im Inland von der Musikgruppe „Kraftwerk“ unter dem gleichnamigen Unternehmenskennzeichen gegebenen Konzerte (Anlage BF 5, Bl. 192 – 208 GA), den von Steuerberatern bestätigten Aufstellungen der Toureinnahmen von 2003 bis 2010 (Anlage W 17, Bl. 219 f. VA), der eidesstattlichen Versicherung des Widersprechenden vom 2. Dezember 2013 (Anlage W 20, Bl. 224 f. VA) sowie der 2014 für ihr Lebenswerk (Anlagen BF 6 bis BF 7, Bl. 209 – 212 GA) und 2018 für das beste Elektro-Album 2017 verliehenen Grammys (Anlagen BF 8 bis BF 9, Bl. 213 f. GA) einschließlich des interstellaren Duetts mit dem Astronauten Alexander Gerst (Anlagen BF 11 u. BF 12, Bl. 217 – 221 GA) dürfte das ältere Widerspruchskennzeichen einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt sein, was sowohl für den Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke im Februar 2013 als auch für den gegenwärtigen Zeitpunkt gelten dürfte. Letztlich kann das jedoch dahinstehen. Denn selbst wenn man von einer Bekanntheit ausginge, sind die übrigen Voraussetzungen für den Bekanntheitsschutz nicht erfüllt, weil es in Bezug auf die Waren der Klasse 32 schon an der erforderlichen gedanklichen Verknüpfung fehlt.
78
ccc) Die Frage, ob eine gedankliche Verknüpfung zwischen zwei Kennzeichen stattfindet, ist unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des konkreten Falles zu beurteilen, zu denen der Grad der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Kennzeichen, die Art der Branchen einschließlich des Grades ihrer Nähe, das Ausmaß der Bekanntheit des älteren Kennzeichens sowie dessen originäre oder durch Benutzung erworbene Unterscheidungskraft zählen (vgl. EuGH GRUR Int. 2011, 500 Rn. 56 – TiMi KINDERJOGHURT/KINDER; GRUR 2009, 56 Rdnr. 60 – Intel Corporation/CPM United Kingdom; BGH GRUR 2019, 165 Rdnr. 18 – keine-vorwerk-vertretung; GRUR 2015, 1114 Rdnr. 33 – Springender Pudel).
79
(1) Der Grad der Ähnlichkeit zwischen der angegriffenen Marke „CRAFTWERK“ und dem Widerspruchszeichen „Kraftwerk“ ist in klanglicher Hinsicht überdurchschnittlich.
80
(1.1) Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2013, 922 Rdnr. 35 – Specsavers/Asda; BGH GRUR 2013, 833 Rdnr. 30 – Culinaria/Villa Culinaria), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH GRUR 2012, 64 Rdnr. 14 – Maalox/Melox-GRY). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen. Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, wobei für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche ausreicht (EuGH GRUR 2007, 700 Rdnr. 35 – Limoncello/LIMONCHELO; BGH GRUR 2016, 382 Rdnr. 37 – BioGourmet). Zu berücksichtigen ist, dass der Verbraucher nur selten die Möglichkeit hat, verschiedene Zeichen unmittelbar miteinander zu vergleichen. Deshalb fallen die übereinstimmenden Merkmale in einem undeutlichen Erinnerungseindruck regelmäßig stärker ins Gewicht als die Unterschiede (EuGH GRUR Int. 1999, 734 Rdnr. 26 – Lloyd; BGH GRUR 2015, 1114 Rdnr. 20 – Springender Pudel). Bei der mündlichen Wiedergabe der Zeichen sind alle naheliegenden Aussprachevarianten zu beachten (vgl. BPatG 29 W (pat) 537/15 – qonsense/conlance; OLG Stuttgart GRUR-RR 2005, 307, 308 – e-motion/iMotion).
81
(1.2) Die angegriffene Marke setzt sich aus den Wörtern „CRAFT“ und „WERK“ zusammen.
82
(1.2.1) Das Substantiv „craft“ gehört zum englischen Grundwortschatz (Langenscheidts Schulwörterbuch Englisch, 1986, S. 70) und wird mit „(Kunst-)Handwerk, (Kunst-)Fertigkeit, Geschicklichkeit, (Handwerks-)Zunft, Gewerbe, Gewerk“ übersetzt (https://dict.leo.org/englisch-deutsch/craft). Die Wortzusammensetzungen „Craft Beer“, „Craft-Bier“ oder „Craftbier“ haben für ein handwerklich von einer konzernunabhängigen Brauerei hergestelltes Bier schon vor dem Kollisionszeitpunkt Eingang in den deutschen Sprachgebrauch gefunden, wie die von der Markeninhaberin vorgelegten Anlagen 4, 7 und 9 (Bl. 140 – 146, 251, 256, 263 f., 271 ff., 278 f., 330, 333 ff., 336 ff. VA) zeigen.
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(1.2.2) Das Hauptwort „Werk“ bedeutet „einer bestimmten [größeren] Aufgabe dienende Arbeit, Tätigkeit; angestrengtes Schaffen, Werken“. Es bezeichnet das „Produkt schöpferischer Arbeit“ oder die „Gesamtheit dessen, was jemand in schöpferischer Arbeit hervorgebracht hat“. Auch ein „mit Wall und Graben befestigter, in sich geschlossener [äußerer] Teil einer größeren Festung“ stellt ein „Werk“ dar. Es bezeichnet aber auch eine „technische Anlage, Fabrik, [größeres] industrielles Unternehmen“ oder einen „Mechanismus, durch den etwas angetrieben wird; Antrieb, Uhrwerk o. Ä.“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Werk, Anlage 5 zum gerichtlichen Hinweis). Das Suffix „-werk“ bezeichnet in Bildungen mit Substantiven entweder die Gesamtheit von etwas, wie z. B. „Blätter-, Karten-, Mauerwerk“, oder kennzeichnet ein Werk, das etwas darstellt oder herbeiführt, als groß, umfangreich, wie z. B. „Einigungs-, Reform-, Vertragswerk“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/_werk).
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(1.2.3) In der Gesamtheit kommen der lexikalisch nicht nachweisbaren Streitmarke „CRAFTWERK“ die Bedeutungen „Handwerktätigkeit“, „Handwerkfabrik“, „Handwerkantrieb“ oder „Handwerkwerk“ zu, von denen keine eine sinnvolle Aussage über Biere, bierähnliche Getränke und Biermischgetränke trifft. Auch wenn der erste Bestandteil der Marke „CRAFT“ eine Assoziation zu Craft Beer oder Craft-Bier herstellen sollte, führt das zweite Element „WERK“ insgesamt zu einem Kunstbegriff.
85
(1.2.4) Bei deutscher Aussprache der Streitmarke stimmen die Kollisionskennzeichen in der Silbenzahl, der Vokal- und Konsonantenfolge sowie in der zweiten Silbe vollkommen überein. Der jeweils abweichende Anfangsmitlaut bewirkt keine Veränderung, weil die beiden Konsonanten „C“ und „K“ im inländischen Sprachgebrauch klanglich identisch sind (vgl. „Cousine/Kusine“, „Cord/Kord“, „Calcium/Kalzium“, „Creme/Kreme“, „Clown/Klown“, BPatG 28 W (pat) 15/16 – INJEX/INJEKT/INJEKT). Wegen desselben Sprech- und Betonungsrhythmus wird bei deutscher Aussprache der angegriffenen Marke eine phonetische Identität mit dem Widerspruchskennzeichen „Kraftwerk“ erreicht.
86
(1.2.5) Eine geringfügig hörbare Abweichung bewirkt demgegenüber die ebenfalls mögliche englische Aussprache der ersten Silbe [kra:ft], weil dann der langgezogene Vokal „a“ dem nur kurz betonten Selbstlaut „a“ des deutschen Begriffs „Kraftwerk“ gegenübersteht, so dass dann nur noch von einer überdurchschnittlichen klanglichen Zeichenähnlichkeit ausgegangen werden kann.
87
(1.2.6) Im Hinblick darauf, dass die zweite Silbe „WERK“ ein sofort erkennbares deutsches Wort ist, liegt die englische Aussprache auch der zweiten Silbe der angegriffenen Marke nicht nahe.
88
(1.2.7) Begriffliche Unterschiede der Vergleichszeichen wirken der hohen phonetischen Zeichenähnlichkeit nicht entgegen.
89
Zwar verfügt das im deutschen Sprachgebrauch geläufige Widerspruchszeichen „Kraftwerk“ als „Anlage zur Gewinnung elektrischer Energie“ für die angesprochenen Verkehrskreise über einen klaren Bedeutungsgehalt, während die lexikalisch nicht nachweisbare Marke „CRAFTWERK“ aus Elementen der englischen und deutschen Sprache keinen klaren Sinngehalt vermittelt. Aber den angesprochenen Verkehrskreisen nützt die begriffliche Abgrenzung nichts, wenn sie sich wegen der großen Klangähnlichkeit verhören (EuGH MarkenR 2011, 22 Rdnr. 47 – Clina/CLINAIR; BGH GRUR 1986, 253, 255 – Zentis; BPatG GRUR 2007, 154, 155 Chrisma/Charisma).
90
ddd) Trotz der überdurchschnittlichen akustischen Zeichenähnlichkeit erschließt sich dem Publikum eine gedankliche Verknüpfung zwischen der angegriffenen Marke „CRAFTWERK“ für Biere, bierähnliche Getränke und Biermischgetränke einerseits und dem bekannten Unternehmenskennzeichen „Kraftwerk“ für Musikdarbietungen andererseits nicht. Da der im Bereich des Elektropop bekannten Musikformation „Kraftwerk“ ein deutlich geringerer Bekanntheitsgrad zukommt als weltweit erfolgreicheren Musikgruppen wie beispielsweise The Rolling Stones, The Beatles, Pink Floyd, Queen oder U2, und zwischen der Herstellung von Brauereiprodukten und Musikdarbietungen im Kollisionszeitpunkt eine ganz erhebliche Branchenferne bestanden hat, kann trotz hoher Klangähnlichkeit nicht davon ausgegangen werden, dass die angesprochenen breiten Verkehrskreise die angegriffene Marke mit dem bekannten Widerspruchskennzeichen assoziieren. Die Verwendung der Streitmarke nutzt daher weder die Unterscheidungskraft der bekannten geschäftlichen Bezeichnung aus, noch liegt eine Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft vor. Auch die Wertschätzung des bekannten Widerspruchskennzeichens wird durch die Benutzung der angegriffenen Marke weder ausgenutzt noch beeinträchtigt.
91
Die vom Widersprechenden verlangte Abwehr eines sog. inkompatiblen Zweitgebrauchs, also negativer Einflüsse auf ein positives Markenimage des bekannten Widerspruchskennzeichens (EuGH GRUR 2011, 1124 Rdnr. 73 – Interflora/M&S; a. a. O. Rdnr. 40 – L’Oréal/Bellure), ist nicht erforderlich. Die Benutzung der Marke „CRAFTWERK“ für Bierprodukte kann sich schon mangels gedanklicher Verknüpfung nicht negativ auf den Ruf des bekannten Widerspruchszeichens für Musikdarbietungen auswirken. Ferner ist die Streitmarke auch für alkoholfreie oder alkoholarme Biergetränke geschützt. Schließlich ist der Genuss alkoholischer Getränke, insbesondere von Bieren, bierähnlichen Getränken und Biermischgetränken vor, während oder in Pausen von Musikdarbietungen üblich und gesellschaftlich akzeptiert, so dass es an einem negativen Imagetransfer fehlt. Eher weist die Kennzeichnung der Biergetränke mit der angegriffenen Marke auf etwas Besonderes, Exklusives, nämlich auf handwerklich hergestellte Spezialbiere hin.
III.
92
Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich sind.

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