Aktenzeichen 26 W (pat) 506/19
Tenor
In der Beschwerdesache
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betreffend die Markenanmeldung 30 2018 016 545.8
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 26. August 2019 unter Mitwirkung der Richter Kätker, Dr. von Hartz und Schödel
beschlossen:
1. Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 33 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 16. Oktober 2018 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
Gründe
I.
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Das Wortzeichen
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Dein neuer Stecher
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ist am 6. Juli 2018 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register angemeldet worden für folgende Waren der
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Klasse 30: Kaffee; Tee; Kakao; Zucker; Reis; Tapioka; Sago; Kaffee-Ersatzmittel; Mehle; Getreidepräparate; Brot; feine Backwaren; Konditorwaren; Pralinen mit und ohne Füllung; Schokoladewaren, soweit in Klasse 30 enthalten; Bonbons; Fruchtgummi; Kaugummi [nicht für medizinische Zwecke]; Zuckerwaren; Speiseeis; Honig; Melassesirup; Hefe; Backpulver; Salz; Senf; Essig; Soßen [Würzmittel]; Gewürze; Kühleis;
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Klasse 32: Biere; Mineralwässer; kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; entalkoholisierte Getränke; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte; Sirupe für die Zubereitung von Getränken; Präparate für die Zubereitung von Getränken;
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Klasse 33: Alkoholische Getränke [ausgenommen Biere].
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Mit Beschluss vom 16. Oktober 2018 hat die Markenstelle für Klasse 33 des DPMA die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angesprochenen Verkehrskreise entnähmen dem Anmeldezeichen lediglich die Sachaussage „Dein neuer Liebhaber“ oder „Dein neuer Lover“ und keinen betrieblichen Herkunftshinweis.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie ist der Ansicht, der Zeichenbestandteil „Stecher“ sei ein nicht unerheblich verbreiteter Familienname. Zudem habe er nach dem Duden mehrere ganz unterschiedliche Bedeutungen wie „Graveur“ und in der Jägersprache „Schnabel der Schnepfe“. Der Begriff stehe auch als Kurzform für „Messerstecher“ und bezeichne zudem eine Vorrichtung an Jagdgewehren, die es ermögliche, den Abzug so einzustellen, dass bei leichtester Berührung der Schuss ausgelöst werde. Daher könne dem Anmeldezeichen nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden.
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Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 33 des DPMA vom 16. Oktober 2018 aufzuheben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig und führt gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt.
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1. Das Verfahren vor dem DPMA leidet an einem wesentlichen Mangel, weil die Entscheidung ohne irgendeine Recherche und ohne jegliche Bezugnahme auf die im Einzelnen beanspruchten Waren ergangen ist.
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a) Nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG kann das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn das Verfahren vor dem Patent- und Markenamt an einem wesentlichen Mangel leidet. Von einem wesentlichen Mangel des Verfahrens im Sinne des § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG ist auszugehen, wenn es nicht mehr als ordnungsgemäße Grundlage für die darauf beruhende Entscheidung des DPMA anzusehen ist (BGH GRUR 1962, 86, 87 – Fischereifahrzeug). Das gilt insbesondere für völlig ungenügende oder widersprüchliche Begründungen (BPatGE 7, 26, 31 ff.; 21, 75).
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b) Bei der Prüfung der absoluten Schutzhindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 MarkenG sind grundsätzlich alle beanspruchten Waren und/oder Dienstleistungen zu würdigen (EuGH GRUR 2007, 425 Rdnr. 32, 36 – MT&C/BMB; BGH GRUR 2009, 952 Rdnr. 9 – DeutschlandCard), wobei eine globale Begründung ausreicht, soweit dieselben Erwägungen eine Kategorie oder Gruppe der angemeldeten Waren und/oder Dienstleistungen betreffen (EuGH a. a. O. Rdnr. 37 – MT&C/BMB; GRUR 2008, 339 Rdnr. 91 – Develey/HABM). Das bedeutet aber nur, dass dieselbe für verschiedene Waren und/oder Dienstleistungen maßgebliche Begründung nicht für jede einzelne Position des Waren-/Dienstleistungsverzeichnisses wiederholt werden muss, sondern dass Gruppen von Waren und/oder Dienstleistungen zusammengefasst beurteilt werden können. Gegen diese Begründungspflicht wird daher verstoßen, wenn verschiedene Waren und/oder Dienstleistungen ohne weitere Begründung gleich behandelt oder überhaupt nicht gewürdigt werden.
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c) Die Markenstelle hat nur pauschal behauptet, dass die angesprochenen Verkehrskreise der Wortfolge „Dein neuer Stecher“ die Sachaussage „Dein neuer Liebhaber“ oder „Dein neuer Lover“ entnähmen. Eine Begründung zum Bedeutungsgehalt des Anmeldezeichens für die zahlreichen Waren des angemeldeten Verzeichnisses fehlt dagegen völlig.
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d) Das Amt hat sich auch nicht ausreichend damit befasst, welche vielfältigen Bedeutungen das Substantiv „Stecher“ besitzt, insbesondere ob es mit dem Sinngehalt „Liebhaber“ eher abwertend gebraucht wird. Ebenso wenig hat das Amt recherchiert, ob die beanspruchten Produkte in der Lebensmittel- und Getränkebranche mit den Schlagwörtern „Liebhaber“ oder „Lover“ bzw. ähnlichen Synonymen zu dem Substantiv „Stecher“ beworben werden. Die Markenstelle hat es damit vorliegend versäumt, den verfahrensgegenständlichen Zurückweisungsbeschluss zu begründen (vgl. § 61 Abs. 1 Satz 1 MarkenG).
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e) Da eine inhaltliche Auseinandersetzung der Markenstelle mit dem angemeldeten Warenverzeichnis nicht im Ansatz erkennbar ist, sieht der Senat nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG von einer eigenen abschließenden Sachentscheidung ab und verweist die Sache an das DPMA zurück. Ungeachtet der Bedeutung, die dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie im Rahmen der gebotenen Ermessensausübung zukommt, kann es nicht zu den Aufgaben des Patentgerichts gehören, in der Sache die dem DPMA obliegende differenzierte Erstprüfung einer Anmeldung zu übernehmen (vgl. BPatG 24 W (pat) 524/15 – kerzenzauber; 26 W (pat) 518/17 – modulmaster). Dabei sind ferner sowohl der sonst eintretende Verlust einer Entscheidungsinstanz als auch die Belastung des Senats mit einem hohen Stand an vorrangigen Altverfahren zu berücksichtigen, der eine zeitnahe Behandlung des vorliegenden, erst im Jahr 2019 anhängig gewordenen Verfahrens nicht zulässt.
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Die Markenstelle wird daher erneut in die Prüfung einzutreten haben, ob und gegebenenfalls für welche konkreten Waren eine fehlende Unterscheidungskraft des angemeldeten Zeichens festzustellen ist.
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2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr war nach § 71 Abs. 3 MarkenG anzuordnen. Dies entspricht der Billigkeit, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beschwerde bei korrekter Sachbehandlung vermieden worden wäre.