Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Heer/HEERA (Unionsmarke)” – Einrede mangelnder Benutzung – abweichende Benutzungsform – keine Veränderung des kennzeichnenden Charakters der Marke – zur Kennzeichnungskraft – Warenidentität und-ähnlichkeit – unmittelbare Verwechslungsgefahr

Aktenzeichen  25 W (pat) 538/19

Datum:
8.6.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2020:080620B25Wpat538.19.0
Normen:
§ 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG
§ 125b Nr 1 MarkenG
Art 15 EGV 207/2009
Art 18 EUV 2017/1001
§ 125b Nr 4 MarkenG
§ 158 Abs 5 MarkenG
§ 43 Abs 1 MarkenG vom 25.10.1994
§ 26 Abs 3 MarkenG vom 25.10.1994
Spruchkörper:
25. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache
 …     
betreffend die Marke 30 2015 107 209
hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der Beratung vom 8. Juni 2020 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Knoll, der Richterin Kriener und des Richters Dr. Nielsen
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 7. Januar 2019 aufgehoben, soweit der Widerspruch hinsichtlich der Waren der Klasse 30 „Reis; Mehle; Salz; Soßen [Würzmittel]; Gewürze“ zurückgewiesen worden ist.
Wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 004 312 146 wird die Löschung der Marke 30 2015 107 209 in Bezug auf die Waren der Klasse 30 „Reis; Mehle; Salz; Soßen [Würzmittel]; Gewürze“ angeordnet.

Gründe

I.
1
Die am 23. Oktober 2015 angemeldete Bezeichnung
2
Heer
3
ist am 8. Februar 2016 unter der Nummer 30 2015 107 209 als Wortmarke für die nachfolgenden Waren der Klasse 30 eingetragen worden:
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Klasse 30: Kaffee; Tee; Kakao; Zucker; Reis; Tapioca; Sago; Kaffeeersatzmittel; Mehle; Getreidepräparate; Brot; feine Backwaren; feine Konditorwaren; Speiseeis; Honig; Melassesirup; Hefe; Backpulver; Salz; Senf; Essig; Soßen [Würzmittel]; Gewürze; Kühleis.
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Gegen die Eintragung der am 11. März 2016 veröffentlichten Marke hat die Widersprechende als Inhaberin der am 13. November 2008 eingetragenen Unionsmarke 004 312 146
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HEERA
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am Montag den 13. Juni 2016 Widerspruch erhoben.
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Die Unionsmarke genießt Schutz für die nachfolgenden Waren:
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Klasse 29: Konserviertes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; getrocknete Linsen; Fruchtmark; Speiseöle;
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Klasse 30: Reis, Mehl; Getreide, Getreideprodukte und mehlhaltige Produkte, alle für die menschliche Ernährung; Lebensmittelpräparate zum Backen, soweit sie in Klasse 30 enthalten sind; feine Backwaren, Soßen, Gewürzmischungen (ausgenommen ätherische Öle) und Würzmittel;
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Klasse 31: Obst und Gemüse; Samenkörner, Nüsse und Sämereien.
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Die Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 7. Januar 2019 durch einen Beamten des gehobenen Dienstes den Widerspruch zurückgewiesen. Die Inhaberin der angegriffenen Marke habe rechtswirksam die Einrede der Nichtbenutzung erhoben. Da aber schon nach Registerlage keine Verwechslungsgefahr bestehe, könnten Benutzungsfragen dahingestellt bleiben. Ausgehend von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke halte die angegriffene Marke auch im Zusammenhang mit identischen Waren den erforderlichen Zeichenabstand ein. In schriftbildlicher Hinsicht folge nur in der älteren Marke auf den gerundeten Buchstaben „R/r“ am Wortende der aus geraden Linien gebildete Buchstabe A, was nicht unbemerkt bleiben werde. Auch beim klanglichen Vergleich der Zeichen bewirke der Buchstabe „A“ am Ende der Widerspruchsmarke „Heera“ einen ausreichend deutlichen Unterschied gegenüber der angegriffenen Marke. Insoweit wirke sich auch der Umstand aus, dass es sich bei den Vergleichszeichen jeweils um Kurzbezeichnungen handle. Begrifflich bezeichne das Wort „Hera“ in der griechischen Mythologie die Gattin des Gottes Zeus. Dagegen sei ein „Heer“ eine Landstreitmacht, so dass sich vorliegend keine Synonyme gegenüberstünden.
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Gegen die Entscheidung der Markenstelle wendet sich die Widersprechende mit ihrer Beschwerde. Die Markenstelle sei zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Widerspruchsmarke eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zukomme und dass sich die Vergleichszeichen auf ähnlichen bzw. identischen Waren begegnen könnten. Allerdings weise die Widerspruchsmarke gegenüber der angegriffenen Marke lediglich den Unterschied auf, dass sich an deren Ende der Buchstabe „A“ befinde. Im Übrigen seien die Vergleichszeichen in den ersten vier Buchstaben identisch. Dabei wirke sich zusätzlich der Umstand verwechslungsfördernd aus, dass der Verkehr Wortanfänge regelmäßig stärker beachte. Im Ergebnis müsse deswegen von einer hochgradigen Zeichenähnlichkeit ausgegangen werden. Demgegenüber seien etwaige Sinngehalte, welche von der Markenstelle in die sich gegenüberstehenden Zeichen hineininterpretiert würden, nicht geeignet, die Vergleichszeichen ausreichend sicher auseinanderzuhalten bzw. die hochgradige klangliche Ähnlichkeit zu neutralisieren. Selbst wenn man in dem Widerspruchszeichen „HEERA“ den Namen der griechischen Göttin „Hera“ erkennen wollte und in der angegriffenen Marke den Sinngehalt „Streitmacht“, weise keine dieser möglichen Wortbedeutungen einen unmittelbar warenbezogenen Sinngehalt auf. Daher würden sich den beteiligten Verkehrskreisen bei der Wahrnehmung der Vergleichszeichen in Zusammenhang mit den relevanten Waren die betreffenden Bedeutungsgehalte nicht aufdrängten.
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Auf den Ladungszusatz des Senats vom 10. März 2020 hat die Widersprechende ihren Widerspruch mit Schriftsatz vom 5. Mai 2020 in Bezug auf die nachfolgenden Waren der angegriffenen Marke der Klasse 30 zurückgenommen:
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„Kaffee; Tee; Kakao; Zucker; Tapioca; Sago; Kaffeeersatzmittel; Getreidepräparate; Brot; feine Backwaren; feine Konditorwaren; Speiseeis; Honig; Melassesirup; Hefe; Backpulver; Senf; Essig; Kühleis“.
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Die Widersprechende beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 7. Januar 2019 aufzuheben soweit der Widerspruch hinsichtlich der Waren der Klasse 30 „Reis; Mehle; Salz; Soßen [Würzmittel]; Gewürze“ zurückgewiesen worden ist und wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 004 312 146 die Löschung der angegriffenen Marke 30 2015 107 209 in Bezug auf die vorbezeichneten Waren anzuordnen.
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Die Markeninhaberin beantragt,
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die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen und der Widersprechenden die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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Zur Begründung führt sie aus, dass keine relevante Zeichenähnlichkeit vorliege. Wegen des fehlenden Buchstabens „A“ am Wortende halte die angegriffene Marke den erforderlichen Zeichenabstand ein. Der Vokal „A“ am Wortende der Widerspruchsmarke könne selbst bei undeutlicher Aussprache nicht überhört werden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Vokalen beim klanglichen Zeichenvergleich eine besondere Bedeutung zukomme. Vorliegend führe der zusätzliche Buchstabe darüber hinaus dazu, dass es sich bei der Widerspruchsmarke um ein zweisilbiges Wort, bei der angegriffenen Marke jedoch um ein einsilbiges Wort handle. Dies falle umso mehr ins Gewicht, als die Widersprechende ihre Marke in einer besonderen Schreibweise benutze, nämlich wie „HeeRa“. Weiterhin träten die schriftbildlichen Übereinstimmungen im Erinnerungsbild des angesprochenen Verkehrs gegenüber den klanglichen Unterschieden zurück. Auch der unterschiedliche Bedeutungsgehalt der Vergleichszeichen sei dazu geeignet, etwaige klangliche Ähnlichkeiten der Zeichen zu neutralisieren. Das gelte ungeachtet der Tatsache, dass beide Zeichen im Zusammenhang mit den jeweils beanspruchten Waren keinen sachbeschreibenden Sinngehalt aufwiesen. Bezugnehmend auf den Ladungszusatz vom 10. März 2020 führt die Markeninhaberin noch aus, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Bejahung der Verwechslungsgefahr nicht ausreiche, dass ein Zeichen geeignet sei, bloße Assoziationen an ein fremdes Kennzeichen hervorzurufen. Im Übrigen werde weiterhin die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten.
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Die Widersprechende hat auf die Einrede der Nichtbenutzung im Widerspruchsverfahren verschiedene Unterlagen zum Nachweis der rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke vorgelegt, insbesondere eine eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vom 20. Januar 2017. Nach der Teilrücknahme des Widerspruchs hat der Senat den für den 14. Mai 2020 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung abgesetzt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Markenstelle für Klasse 30, die Schriftsätze der Beteiligten, den Ladungszusatz des Senats vom 10. März 2020, den schriftlichen Hinweis vom 6. Mai 2020, die Abladungsverfügung vom 5./6. Mai 2020 sowie auf den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
II.
23
Die nach § 64 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 Satz 1 MarkenG statthafte und auch ansonsten zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat im zuletzt beschwerdegegenständlichen Umfang Erfolg. Die Widersprechende hat die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für einen Teil der von ihr beanspruchten Waren der Klasse 30 glaubhaft gemacht, nämlich für „Reis; Mehle; Gewürzmischungen (ausgenommen ätherische Öle) und Würzmittel“. Ausgehend hiervon besteht in Bezug auf die zuletzt noch beschwerdegegenständlichen Waren der angegriffenen Marke, nämlich „Reis; Mehle; Salz; Soßen [Würzmittel]; Gewürze“ Verwechslungsgefahr im Sinne von § 125b Nr. 1 i.V.m. §§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, so dass der angefochtene Beschluss der Markenstelle insoweit aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 MarkenG anzuordnen war.
24
1. Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. hierzu z. B. EuGH GRUR 2010, 933 Rn. 32 – BARBARA BECKER; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/HABM; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040 Rn. 25 – pjur/pure; GRUR 2013, 833 Rn. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2016, 382 Rn. 19 – BioGourmet; GRUR 2019, 173 – Combit/Commit). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der relevanten Vergleichsprodukte (Waren und/oder Dienstleistungen), die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr (vgl. dazu EuGH GRUR 2008, 343 Rn. 48 – Il Ponte Finanziaria Spa/HABM; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040 Rn. 25 – pjur/pure; siehe auch Ströbele/ Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Aufl., § 9 Rn. 41 ff. m. w. N.). Darüber hinaus können sich für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren entscheidungserheblich auswirken, wie u. a. etwa die Art der Waren oder der Dienstleistungen, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen.
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Nach diesen Grundsätzen besteht zwischen der angegriffenen Wortmarke
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Heer
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und der Unionswiderspruchsmarke
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HEERA
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im Zusammenhang mit den zuletzt noch beschwerdegegenständlichen Waren eine Verwechslungsgefahr gemäß §§ 125b Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
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1.1 Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat bereits im Verfahren vor der Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts mit Schriftsatz vom 15. August 2016 in rechtswirksamer Weise die Nichtbenutzungseinrede erhoben. Da der Widerspruch vor dem 14. Januar 2019 erhoben worden ist, ist § 43 Abs. 1 MarkenG gemäß § 158 Abs. 5 MarkenG in der vor dem 14. Januar 2019 geltenden Fassung (MarkenG aF) anzuwenden.
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Die pauschal bzw. undifferenziert erhobene Einrede der Nichtbenutzung ist als zulässige Einrede nach § 125 b Nr. 4 i. V. m. § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG auszulegen, wobei sich die Beurteilung, ob eine Unionsmarke rechtserhaltend benutzt worden ist, nach Art. 15 GMV richtet. Soweit eine Nichtbenutzungseinrede undifferenziert ohne konkrete Bezeichnung der beiden nach dem Gesetz in § 43 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 MarkenG grundsätzlich vorgesehenen Einreden erhoben wird, ist dies regelmäßig als Erhebung beider Einreden zu verstehen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind (vgl. BGH GRUR 2008, 714 Rn. 23 – idw; BPatG GRUR 2016, 286, 288 – Yosaya/YOSOI; vgl. auch Ströbele/Hacker/ Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 43 Rn. 26 m. w. N.). Vorliegend konnte die von der Inhaberin der angegriffenen Marke bereits im Verfahren vor der Markenstelle des DPMA im Schriftsatz vom 15. August 2016 erhobene Nichtbenutzungseinrede wirksam erhoben werden, weil die Widerspruchsmarke bereits seit 2008 im Unionsmarkenregister eingetragen ist und seitdem Schutz genießt. Die fünfjährige Benutzungsschonfrist ist seit 2013 abgelaufen, wobei die Benutzungsschonfrist auch vor der Veröffentlichung der Eintragung der mit dem Widerspruch angegriffenen Marke am 11. März 2016 abgelaufen war. Die Widersprechende hat demzufolge die Benutzung der Widerspruchsmarke für die Zeiträume nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 MarkenG in der bis 14. Januar 2019 gültigen Fassung glaubhaft zu machen (§ 158 Abs. 5 MarkenG). Dies sind die Zeiträume von 11. März 2011 bis 11. März 2016 und im Hinblick auf den Entscheidungstermin von 8. Juni 2015 bis 8. Juni 2020.
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Die von der Widersprechenden in der eidesstattlichen Versicherung vom 20. Januar 2017 an Eides Statt versicherten Umsatzzahlen für die Jahre 2015 und 2016 decken beide Zeiträume jeweils für ein volles Jahr ab, was noch als ausreichend angesehen werden kann.
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Auch im Hinblick auf den Umfang der Benutzung reichen die Angaben in der eidesstattlichen Versicherung aus. Ernsthaft benutzt wird die Unionsmarke, wenn sie in üblicher und sinnvoller Weise für die Waren und Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, in der Union verwendet wird, um für diese einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, wobei die Fälle ausgeschlossen sind, in denen die Marke nur symbolisch verwendet wird, um die durch sie begründeten Rechte zu wahren. Die Ernsthaftigkeit der Benutzung ist anhand sämtlicher Tatsachen und Umstände zu beurteilen, durch die die wirtschaftliche Verwertung der Marke im Geschäftsverkehr belegt werden kann. Dazu gehören vor allem Dauer und Intensität der Benutzung sowie die Art der Waren (vgl. EuGH GRUR 2003, 425 Rn. 38 – Ajax/Ansul; GRUR 2006, 582, 584 Rn. 70 – VITAFRUIT; BGH GRUR 2014, 662 Rn. 12 – Probiotik; GRUR 2013, 925 Rn. 38 – VOODOO). Die Frage der Benutzung der Widerspruchsmarke in den nach § 43 Abs. 1 MarkenG maßgeblichen Zeiträumen unterliegt abweichend von dem das patentamtliche und das patentgerichtliche Verfahren ansonsten beherrschenden Untersuchungsgrundsatz dem Beibringungsgrundsatz und Verhandlungsgrundsatz (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 43 Rn. 5, 66). Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung vom 20. Januar 2017 hat die Widersprechende die Widerspruchsmarke in den genannten Zeiträumen zur Kennzeichnung der Waren „Reis; Mehl; Gewürzmischungen“ benutzt. Dabei ist nicht zu verkennen, dass insbesondere mit der Ware „Mehl“ nur sehr geringe Umsätze erzielt wurden. In den Jahren 2015 und 2016 betrug der jährliche Mindestumsatz in Deutschland lediglich … Englische Pfund. Dieser Betrag ist angesichts des Umstandes, dass es sich bei Mehl um ein billiges Massenprodukt handelt, das in großem Umfang gehandelt wird, sehr gering. Jedoch ist insoweit auch zu berücksichtigen, dass die Widerspruchsmarke zumindest über einen Zeitraum von zwei Jahren kontinuierlich benutzt worden ist. Nachdem auch sonst keine Umstände ersichtlich sind, die für eine Benutzung der Widerspruchsmarke nur zu dem Zweck der Erhaltung des Markenrechts sprechen könnten, reichen vorliegend nach der gebotenen Gesamtschau auch die sehr geringen Umsätze aus, um eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für die Ware „Mehl“ noch zu bejahen.
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Auch die abweichende Verwendungsform der Widerspruchsmarke steht vorliegend einer rechtserhaltenden Benutzung nicht entgegen. Die Widersprechende hat die Widerspruchsmarke ausweislich der vorgelegten Benutzungsunterlagen in der nachfolgend abgebildeten Form benutzt,
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bei der die Widerspruchsbezeichnung „HEERA“ in eine Art Siegel bzw. Emblem eingebunden ist und mit einem Greifvogel mit ausgebreiteten Schwingen als Bildbestandteil sowie zwei weiteren Wortbestandteilen ergänzt wird. Diese Form der Benutzung verändert den kennzeichnenden Charakter der Widerspruchsmarke nicht in entscheidungserheblicher Weise, so dass sie noch als rechtserhaltend nach § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG in der bis 14. Januar 2019 maßgeblichen Fassung (§ 158 Abs. 5 MarkenG) angesehen werden kann. Bei den hinzugefügten Wort- und Bildbestandteilen handelt es sich um werbeübliche dekorative Zusätze ohne eigene kennzeichnende Wirkung. Die Wortbestandteile „Quality“ und „Product“ sind gegenüber dem Wortbestandteil „HEERA“ größenmäßig deutlich untergeordnet und als werbliche Anpreisung für sich genommen ohne Kennzeichnungskraft. Das Bildelement eines Adlers mit ausgebreiteten Schwingen und die Siegelform sind häufig benutzte Bildelemente, die der Verkehr in der vorliegenden Form der Benutzung eher als dekoratives Hervorhebungsmittel wahrnehmen wird (Ströbele/Hacker/ Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 26 Rn. 185, 186; zur „Siegelform“: 25 W (pat) 557/14 – Sieben-Stufen-Bausicherheitspaket; 29 W (pat) 515/16 – Best Basics; die Entscheidungen sind über die Homepage des Bundespatentgerichts öffentlich zugänglich). Der Senat teilt nicht die Auffassung der Inhaberin der angegriffenen Marke, dass bei der oben dargestellten Form der Benutzung der Widerspruchsmarke der Buchstabe „R“ größenmäßig besonders hervorgehoben werde, so dass sich das Widerspruchszeichen wie „HeeRa“ lesen lasse. Vielmehr sind die Buchstaben „e“ und „r“ fast gleich groß. Auch insoweit gilt es zu berücksichtigen, dass der angesprochene Verkehr Marken so aufnimmt, wie sie ihm gegenübertreten, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 9 Rn. 248).
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1.2 Die noch beschwerdegegenständlichen Waren auf Seiten der angegriffenen Marke und die auf Seiten der Widerspruchsmarke zu berücksichtigenden Produkte sind für die breiten Kreise der Verbraucher bestimmt. Dabei werden die Verbraucher dem Kauf dieser preisgünstigen Waren des täglichen Lebens, nur einen relativ geringen Grad an Aufmerksamkeit zukommen lassen.
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1.3 Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist durchschnittlich. Die originäre Kennzeichnungskraft einer Marke wird durch die Eignung einer Marke bestimmt, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. BGH GRUR 2017, 75 Rn. 19 – Wunderbaum II; GRUR 2016, 283 Rn. 10 – BSA/DSA DEUTSCHE SPORTMANAGEMENTAKADEMIE). Bei der Bestimmung der Kennzeichnungskraft sind alle relevanten Umstände zu berücksichtigen, zu denen insbesondere die Eigenschaften, die die Marke von Haus aus besitzt, der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, die geografische Verbreitung und die Dauer der Benutzung der Marke, der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke und der Teil der beteiligten Verkehrskreise gehören, die die Waren oder Dienstleistungen auf Grund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennen (st. Rspr.; EuGH GRUR Int 1999, 734 – Lloyd; GRUR Int 2000, 73 – Chevy; GRUR 2005, 763 – Nestle/Mars; BGH GRUR 2013, 833 Rn. 41 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2007, 1071 Rn. 27 – Kinder II; GRUR 2007, 1066 Rn. 33 – Kinderzeit; GRUR 2009, 766 Rn. 30 – Stofffähnchen I; GRUR 2009, 672 Rn. 21 – OSTSEE-POST). Der Begriff „Heera“ weist im Zusammenhang mit den auf Seiten der Widerspruchsmarke zu berücksichtigenden Waren keinen sachbeschreibenden Sinngehalt auf, so dass insoweit von einer originär durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen ist. Hinweise für eine Schwächung oder Stärkung der originär durchschnittlichen Kennzeichnungskraft sind weder von den Verfahrensbeteiligten vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
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1.4 Die sich gegenüberstehenden Waren sind identisch bzw. hochgradig ähnlich. Eine Ähnlichkeit der beiderseitigen Waren bzw. der Dienstleistungen besteht, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder anderer, für die Frage der Produktähnlichkeit wesentlicher Gründe, so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten regelmäßig aus denselben oder gegebenenfalls wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Aufl., § 9 Rn. 59, vgl. z. B. BGH GRUR 2004, 241, 243 – GeDIOS; GRUR 2015, 176 Rn. 16 – ZOOM/ZOOM). Die Waren „Mehle“ bzw. „Mehl“ und „Reis“ werden von den Kollisionszeichen identisch beansprucht. Die angegriffenen Waren „Salz; Soßen [Würzmittel]; Gewürze“ sind gegenüber den auf Seiten der Widerspruchsmarke zu berücksichtigenden Waren „Gewürzmischungen (ausgenommen ätherische Öle) und Würzmittel“ identisch bzw. hochgradig ähnlich. Gewürzmischungen enthalten regelmäßig sowohl Gewürze als auch Salz. So handelt es sich beispielsweise bei dem Produkt „Kräutersalz“ um eine Mischung aus Salz und getrockneten Kräutern bzw. Gewürzen. Weiterhin stammen die Vergleichswaren „Salz; Soßen [Würzmittel]; Gewürze“ und „Gewürzmischungen“ regelmäßig von denselben Herstellungsbetrieben her und sind für denselben Zweck bestimmt. Darüber hinaus werden im allgemeinen Sprachgebrauch die Begriffe „Gewürz“ und „Gewürzmischung“ synonym gebraucht. So wird das Produkt „Currypulver“ häufig als „Gewürz“ bezeichnet, auch wenn es sich bei Currypulver stets um eine „Gewürzmischung“ handelt.
39
1.5 Ausgehend hiervon wird die angegriffene Marke den strengen Anforderungen an den erforderlichen Zeichenabstand nicht mehr gerecht. Die Frage der Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können. Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche. Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist auf den durch die Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl. z.B. BGH GRUR 2018, 79 Rn. 37 – Oxford/Oxford Club). Abzustellen ist dabei auf die Wahrnehmung des angesprochenen Durchschnittsverbrauchers, der eine Marke regelmäßig in ihrer Gesamtheit erfasst und nicht auf die verschiedenen Einzelheiten achtet (so z.B. BGH in GRUR 2016, 283 Rn. 37 – BioGourmet m.w.N.). Maßgebend für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente.
40
In klanglicher Hinsicht unterscheiden sich die Vergleichszeichen zwar in Bezug auf die Vokalfolge, die Wortlänge und die Silbenzahl aufgrund des in der Widerspruchsmarke zusätzlich vorhandenen Vokals „a“. Auf der anderen Seite stimmen sie im erfahrungsgemäß stärker beachteten Wortanfang bzw. in den ersten vier Buchstaben „Heer“ identisch überein, wobei die jüngere Marke nur aus diesen vier Buchstaben besteht. Die angegriffene Marke ist damit vollständig in der Widerspruchsmarke enthalten. Auch in schriftbildlicher Hinsicht stimmen die Vergleichsbezeichnungen in den ersten vier Buchstaben überein, wobei in beiden Vergleichsbezeichnungen der schriftbildlich auffällige Doppelvokal „EE“ enthalten ist. Ausgehend hiervon besteht die Gefahr, dass es bei der Kennzeichnung von identischen Waren trotz der vorhandenen verwechslungsmindernden Faktoren zu fehlerhaften Zuordnungen in Bezug auf die betriebliche Herkunft der so gekennzeichneten Waren kommt, so dass eine Verwechslungsgefahr zu bejahen ist. Nach Auffassung des Senats wirkt sich auch der Sinngehalt der Vergleichszeichen nicht verwechslungsmindernd aus. Insbesondere handelt es sich bei der Widerspruchsmarke um ein Fantasiewort, da der Name der griechischen Göttin „Hera“ ohne Doppelvokal geschrieben wird. Soweit die Bezeichnung „Heer“ eine Begrifflichkeit im Sinne des militärischen Begriffs der Landstreitkräfte darstellt („Heer, Marine, Luftwaffe“), ist auch dieser Umstand nicht geeignet, die Verwechslungsgefahr in relevantem Umfang zu reduzieren, weil auch durch die Widerspruchsmarke aufgrund des Doppelvokals „EE“ entsprechende Assoziationen ausgelöst werden bzw. ausgelöst werden können.
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1.6 Unter Abwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, der Warenidentität bzw. faktischen Warenidentität und dem geringen Grad der Aufmerksamkeit des angesprochenen Verkehrs, sind die Unterschiede zwischen den Kollisionszeichen nicht mehr ausreichend, um eine Gefahr von Verwechslungen zu verneinen, so dass der angegriffene Beschluss insoweit aufzuheben war.
42
2. Ein Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung war nur von der Widersprechenden gestellt worden, die im zuletzt beschwerdegegenständlichen Umfang voll obsiegt hat. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung war demzufolge nicht mehr erforderlich, § 69 Nr. 1 und 3 MarkenG.
43
3. Zur Auferlegung der Kosten aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG bietet der Streitfall keinen Anlass. Das markenrechtliche Registerverfahren ist von dem Grundsatz geprägt, dass jeder Beteiligte die ihm entstandenen Kosten selbst zu tragen hat. Nur in Ausnahmefällen kann es aus Billigkeitsgründen aufgrund besonderer Umstände angezeigt sein, die Kosten ganz oder teilweise einem Beteiligten aufzuerlegen. Solche besonderen Umstände sind insbesondere dann gegeben, wenn ein Verhalten vorliegt, das mit der prozessualen Sorgfalt nicht zu vereinbaren ist bzw. der Verfahrensbeteiligte in einer nach anerkannten Beurteilungsgesichtspunkten aussichtslosen Situation sein Interesse an dem Erhalt der Marke bzw. an der Löschung der angegriffenen Marke durchzusetzen versucht (BGH GRUR 1972, 600, 601 – Lewapur; GRUR 1996, 399, 401 – Schutzverkleidung; siehe auch Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 71 Rn. 13 m. w. N.). Hiervon kann vorliegend schon deswegen nicht ausgegangen werden, weil die Widersprechende nach der Teilrücknahme ihres Widerspruchs im Übrigen obsiegt hat.

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