Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Hibiskiss/Hibis Kuss” – Kennzeichnungsschwäche – keine relevante Zeichenähnlichkeit aus Rechtsgründen aber die Zeichen kommen sich im Sinne einer komplexen Zeichenähnlichkeit zu nahe – Warenidentität

Aktenzeichen  25 W (pat) 610/17

Datum:
29.5.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:290519B25Wpat610.17.0
Normen:
§ 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG
Spruchkörper:
25. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2015 204 812
hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 29. Mai 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Knoll, der Richterin Kriener und des Richters Dr. Nielsen
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent und Markenamts vom 17. August 2017 in der Hauptsache aufgehoben. Wegen des Widerspruchs aus der Marke 30 2015 010 377 wird die Löschung der Marke 30 2015 204 812 angeordnet.

Gründe

I.
1
Die am 13. April 2015 angemeldete Bezeichnung
2
Hibiskiss
3
ist am 26. Juni 2015 unter der Nr. 30 2015 204 812 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Markenregister für die nachfolgenden Waren eingetragen worden:
4
Klasse 30: Abgepackter Tee [nicht für medizinische Zwecke]; Aromatisierte Tees [ausgenommen für medizinische Zwecke]; Getränke auf Basis von Tee; Getränke auf der Basis von Tee; Getränke auf der Basis von Tee mit Fruchtgeschmack; Nicht medizinische Getränke auf Teebasis; Nicht medizinische Teeessenzen; Nicht medizinische Teegetränke; Nicht medizinische Tees; Nicht medizinische Tees in Beuteln; Nicht medizinischer, lose verkaufbarer Tee; Tee [nicht medizinisch] mit Zitrone; Tee [nicht medizinisch] mit Zitronenaroma; Tee zum Aufgießen; Tee-Essenzen; Teebeutel; Teebeutel [nicht medizinisch]; Teegetränke; Teemischungen;
5
Klasse 32: Alkoholfreie Getränke; Alkoholfreie Getränke mit Fruchtsäften; Alkoholfreie Getränke mit Teegeschmack; Aromatisierte, kohlensäurehaltige Getränke; Aus Früchten hergestellte Getränke; Entalkoholisierte Getränke; Essenzen für die Zubereitung von Getränken; Getränke mit Fruchtgeschmack; Kohlensäurehaltige, alkoholfreie Getränke; Nicht alkoholische, malzfreie Getränke [ausgenommen für medizinische Zwecke]; Nichtalkoholische Getränke; Sirupe für Getränke;
6
Klasse 33: Alkoholhaltige Getränke mit Fruchtgehalt; Alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]; Alkoholische Getränke, ausgenommen Bier; Alkoholische kohlensäurehaltige Getränke, ausgenommen Bier; Genießbare alkoholische Getränke; Getränke mit geringem Alkoholgehalt; Weinhaltige Getränke [Weinschorlen].
7
Gegen die Eintragung der am 31. Juli 2015 veröffentlichten Marke hat die Beschwerdeführerin als Inhaberin der prioritätsälteren, am 27. Januar 2015 angemeldeten und am 29. Juli 2015 unter der Nummer 30 2015 010 377 eingetragenen Wortmarke
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Hibis Kuss
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mit dem am 31. August 2015 vorab per Telefax eingegangenen Schriftsatz vom 28. August 2015 Widerspruch erhoben.
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Die Widerspruchsmarke genießt Schutz für die nachfolgenden Waren:
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Klasse 30: Kaffee; Tee; Kakao; Zucker; Reis; Tapioka; Sago; Kaffee-Ersatzmittel; Mehle; Getreidepräparate; Brot; feine Backwaren; feine Konditorwaren; Pralinen mit und ohne Füllung; Schokoladewaren, soweit in Klasse 30 enthalten; Bonbons; Fruchtgummi; Kaugummi [nicht für medizinische Zwecke]; Zuckerwaren; Speiseeis; Honig; Melassesirup; Hefe; Backpulver; Salz; Senf; Essig; Soßen [Würzmittel]; Gewürze; Kühleis;
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Klasse 32: Biere; Mineralwässer; kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; entalkoholisierte Getränke; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte; Sirupe für die Zubereitung von Getränken; Präparate für die Zubereitung von Getränken;
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Klasse 33: Alkoholische Getränke [ausgenommen Biere].
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Die Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch mit Beschluss eines Beamten des gehobenen Dienstes vom 17. August 2017 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Widerspruchsmarke wegen der Anlehnung an den sachbeschreibenden Begriff „Hibiskus“ nur ein sehr geringer Schutzumfang zukomme, den die angegriffene Marke auch im Zusammenhang mit identischen Waren nicht beeinträchtige. Beim Vergleich der sich gegenüberstehenden Waren sei von der Registerlage auszugehen. Der Inhaber der angegriffenen Marke habe zwar mit Schriftsatz vom 22. Februar 2016 die Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten. Die Erhebung der Nichtbenutzungseinrede sei aber nach § 43 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 26 Abs. 5 MarkenG unzulässig, da die Widerspruchsmarke zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke noch keine 5 Jahre im Register eingetragen gewesen sei. Auch die Nichtbenutzungseinrede nach § 43 Abs. 1 Satz 2 1 i. V. m. § 26 Abs. 5 MarkenG sei unzulässig, weil die Widerspruchsmarke zum Zeitpunkt der Erhebung der Einrede noch keine 5 Jahre im Register eingetragen gewesen sei. Die Vergleichswaren seien teilweise identisch. Die Widerspruchsmarke weise aber nur eine äußerst geringe originäre Kennzeichnungskraft auf. Sie lehne sich eng an die bekannte Pflanze „Hibiskus“ an. Klanglich seien die Widerspruchsmarke und der beschreibende Begriff „Hibiskus“ sogar identisch. Sämtliche Vergleichswaren könnten aus oder unter Verwendung von Hibiskus hergestellt werden bzw. einen Hibiskus-Geschmack aufwiesen. Tatsachen, die eine Steigerung der Kennzeichnungskraft durch intensive Benutzung begründen könnten, seien weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Der Schutzumfang der Widerspruchsmarke beschränke sich daher auf ihre eintragungsbegründende Eigenprägung, die von der angegriffenen Marke selbst im Zusammenhang mit identischen Waren nicht berührt werde. Die Ähnlichkeit der Vergleichszeichen „Hibiskiss“ und „Hibis Kuss“ sei in klanglicher Hinsicht trotz der übereinstimmenden Silbenanzahl und der identischen Anfangssilbe gering, weil die Endsilben mit den Vokalen „i“ und „u“ deutliche klangliche Unterschiede aufwiesen. Zudem sei die Widerspruchsmarke aus zwei Wörtern gebildet, was eine markante Zäsur in der Wortmitte und damit einen anderen Sprachrhythmus bewirke. Auch in schriftbildlicher Hinsicht seien die Unterschiede der Vergleichszeichen noch ausreichend, um eine Verwechslungsgefahr zu verneinen. Trotz der Übereinstimmung in den Wortanfängen führten die deutlich unterschiedlichen Konturen der Buchstaben „i“ und „u“ sowie die Leerstelle zwischen den beiden Wortbestandteilen der Widerspruchsmarke zu einer ausreichend unterschiedlichen Umrisscharakteristik. Eine begriffliche Verwechslungsgefahr sei schon deshalb zu verneinen, weil beide Zeichen insoweit nur in dem für Getränke beschreibenden Begriffsgehalt „Hibiskus“ übereinstimmen.
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Hiergegen wendet sich die Widersprechende mit ihrer Beschwerde. Ausgehend von identischen Vergleichswaren und einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei ein deutlicher Markenabstand zu fordern, der von der angegriffenen Marke jedoch nicht eingehalten werde. Entgegen der Auffassung der Markenstelle sei die Widerspruchsmarke trotz ihrer Nähe zu der Bezeichnung „Hibiskus“ ausreichend eigentümlich. Der Anfangsbestandteil „Hibis“ und die Endung „Kuss“ würden in ihrer Gesamtheit als „Kuss des Hibiskus” verstanden. Damit sei die Widerspruchsmarke phantasievoll und besitze eine originär durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Die jüngere Marke weise dieselbe Art der Zeichenbildung auf, nämlich den Anfangsbestandteil „Hibis“ und Endung „Kiss“ (englisch für „Kuss“). Die Vergleichsmarken seien jeweils dreisilbig und stimmten bis auf einen Buchstaben völlig überein. Sie seien mithin fast identisch. In klanglicher Hinsicht komme verwechslungsfördernd hinzu, dass die jeweils beanspruchten Waren häufig in einer geräuschintensiven Umgebung erworben würden (z.B. an Bahnhofkiosken). Wegen der an Zeichenidentität heranreichenden Zeichenähnlichkeit sei selbst dann die Verwechslungsgefahr zu bejahen, wenn man für die ältere Marke nur von einer geringen Kennzeichnungskraft ausgehen wolle. Insoweit könne die Widersprechende nicht nur auf den Identitätsschutz verwiesen werden. So sei der Bundesgerichtshof in der Entscheidung GRUR 2016, 383 – BioGourmet, davon ausgegangen, dass bei unterdurchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke aber hoher Zeichenähnlichkeit und durchschnittlicher bis hoher Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit die Bejahung der Verwechslungsgefahr nicht zu beanstanden sei.
16
Die Widersprechende beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. August 2015 in der Hauptsache aufzuheben und die Marke 30 2015 204 812 aufgrund des Widerspruchs aus der Marke 30 2015 010 377 zu löschen.
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Der Inhaber der angegriffenen Marke hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss der Markenstelle für Klasse 30, die Schriftsätze der Beteiligten, den schriftlichen Hinweis des Senats vom 1. März 2019 und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die nach § 64 Abs. 6 Satz 1 iVm § 66 Abs. 1 Satz 1 MarkenG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache Erfolg. Zwischen den Vergleichsmarken besteht Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, so dass der Beschluss der Markenstelle in der Hauptsache aufzuheben war.
21
1. Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. hierzu z. B. EuGH GRUR 2010, 933 Rn. 32 – BARBARA BECKER; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/HABM; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040 Rn. 25 – pjur/pure; GRUR 2013, 833 Rn. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2016, 382 Rn. 19 – BioGourmet; GRUR 2019, 173 – Combit/Commit). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der relevanten Vergleichsprodukte (Waren und/oder Dienstleistungen), die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr (vgl. dazu EuGH GRUR 2008, 343 Rn. 48 – Il Ponte Finanziaria Spa/HABM; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040 Rn. 25 – pjur/pure; siehe auch Ströbele/ Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Aufl., § 9 Rn. 41 ff. m. w. N.). Darüber hinaus können sich für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren entscheidungserheblich auswirken, wie u. a. etwa die Art der Ware oder der Dienstleistungen, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen.
22
Ausgehend von einer weit unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, jedenfalls in Bezug auf Tee und teehaltige Getränke bzw. Getränke, die Hibiskus bzw. Hibiskusaromen enthalten, und Warenidentität sind an den Zeichenabstand insoweit zwar nur geringe Anforderungen zu stellen, die aber von der angegriffenen Marke gleichwohl nicht mehr eingehalten werden.
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1.1 Soweit der Inhaber der angegriffenen Marke im Verfahren vor der Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts im Schriftsatz vom 22. Februar 2016 zur Widerspruchsmarke vorträgt, das diese nicht benutzt werde und darin eine Nichtbenutzungseinrede gesehen werden könnte, entfaltet dies jedenfalls keine Rechtswirkung. Denn die am 27. Januar 2015 angemeldete und am 29. Juli 2015 eingetragene Widerspruchsmarke befindet sich noch in der Benutzungsschonfrist (siehe dazu § 43 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 MarkenG a.F.), die noch bis 29. Juli 2020 läuft. Insofern ist bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr unabhängig von der Benutzung der Widerspruchsmarke von der Registerlage auszugehen. Da der Widerspruch vor dem 14. Januar 2019 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen ist, sind die §§ 26 und 43 Abs. 1 MarkenG in der bis dahin geltenden Fassung weiter anzuwenden, § 158 Abs. 5 MarkenG.
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Die Kollisionszeichen können sich im Verkehr auf identischen Waren begegnen. Sämtliche von der angegriffenen Marke beanspruchten Waren werden zumindest oberbegrifflich auch von der Widerspruchsmarke beansprucht (Tee, alkoholfreie Getränke, Sirupe und alkoholische Getränke).
25
1.2 Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist in den hier kritischen Warenbereichen möglicher Identität bzw. großer Warennähe zu den von der prioritätsjüngeren Marke beanspruchten Waren (Tee und teehaltige Getränke bzw. Getränke, die Hibiskus bzw. Hibiskusaromen enthaltenen können) weit unterdurchschnittlich, da sie stark an die Sachangabe „Hibiskus“ angenähert ist. Die Markenstelle hat zutreffend festgestellt, dass sämtliche Waren, die von den Vergleichszeichen identisch beansprucht werden (Tee, alkoholfreie Getränke, Sirupe und alkoholische Getränke), aus Hibiskus bestehen bzw. Hibiskus als Zutat enthalten oder den Geschmack von Hibiskus aufweisen können. Auf die ergänzenden Rechercheunterlagen, die den Verfahrensbeteiligten mit dem Hinweis des Senats vom 1. März 2019 übersandt worden sind, wird Bezug genommen. Demzufolge ist der Schutzbereich der Widerspruchsmarke insoweit sehr gering und beschränkt sich grundsätzlich auf die sogenannte Eigenprägung, also den Schutz durch die Bestandteile, die dem Zeichen aufgrund der Abweichung von der Fachbezeichnung „Hibiskus“ die Eintragungsfähigkeit verleihen. Das sind bei der Widerspruchsbezeichnung die Abweichungen, die darin bestehen, dass die Widerspruchsmarke aus zwei Wörtern gebildet ist und über ein Doppel-S am Wortende verfügt. Vor allem aber beinhaltet die Widerspruchsbezeichnung dadurch eine Art Wortspiel, dass bei dem zweiten Zeichenbestandteil der Begriff „Kuss“ hervorgehoben wird, der in der Sachbezeichnung „Hibiskus“ klanglich bereits enthalten ist.
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1.3 Die Ähnlichkeit von Kollisionszeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können. Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche. Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist auf den durch die Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind. Abzustellen ist dabei auf die Wahrnehmung des angesprochenen Durchschnittsverbrauchers, der eine Marke regelmäßig in ihrer Gesamtheit erfasst und nicht auf die verschiedenen Einzelheiten achtet (so z. B. BGH in GRUR 2016, 283 Rn. 37 – BioGourmet m. w. N.).
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Dabei ist nicht zu verkennen, dass die Vergleichszeichen zwar in klanglicher Hinsicht hochgradig ähnlich sind. Sie unterscheiden sich lediglich in der abweichenden Vokalfolge („i – i – i“ gegenüber „i – i – u“). Gleichwohl liegt aus Rechtsgründen keine relevante Zeichenähnlichkeit vor. Die Markenstelle ist insoweit zutreffend davon ausgegangen, dass eine klangliche Verwechslungsgefahr schon deswegen ausgeschlossen ist, weil die Widerspruchsmarke in dieser Hinsicht mit der Sachbezeichnung „Hibiskus“ identisch ist und keine klangliche Eigenprägung aufweist.
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Auch in schriftbildlicher Hinsicht weisen die Vergleichszeichen
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HIBISKISS / HIBIS KUSS
30
und
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Hibiskiss / Hibis Kuss
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in ihrer Umrisscharakteristik deutliche Übereinstimmungen auf. Jedoch können auch diese Übereinstimmungen aus Rechtsgründen keine Verwechslungsgefahr begründen, da die Widerspruchsmarke sich schriftbildlich von der sachbeschreibenden Bezeichnung „Hibiskus“ nur unwesentlich abhebt. Insoweit kommt gegenüber der klanglichen Zeichenähnlichkeit noch hinzu, dass die Eigenprägung der Widerspruchsmarke (unabhängig von der Frage, ob auch andere Schreibweisen wie „Hibiskuss“ in Betracht gezogen werden müssen) ganz wesentlich auf der Getrenntschreibung der Zeichenbestandteile „Hibis“ und „Kuss“ beruht, ohne dass sich diese Abweichung gegenüber der Sachbezeichnung „Hibiskus“ in der angegriffenen Marke wiederfindet.
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Soweit beide Zeichen in ihrem gedanklichen Sinngehalt auf die Sachbezeichnung „Hibiskus“ anspielen, kann auch eine insoweit bestehende begriffliche Übereinstimmung aus Rechtsgründen nicht zur Bejahung einer relevanten Zeichenähnlichkeit führen. Darüber hinausgehend vermitteln beide Zeichen in ihrer Gesamtheit keinen konkreten gedanklichen Inhalt, insbesondere nicht im Sinne von „Der Kuss/Kiss des Hibis“. Ein solches Verständnis liegt fern, weil eine Person bzw. ein Subjekt mit dem Namen oder der Bezeichnung „Hibis“ nicht existiert bzw. nicht bekannt ist. Daher vermitteln Interpretationen wie „Der Kuss des Hibis“ für sich genommen keinen Sinn und liegen somit auch aus Sicht des angesprochenen Verkehrs fern.
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Im vorliegenden Fall ist nach Auffassung des Senats aber davon auszugehen, dass sich die Zeichen über die drei Wahrnehmungskategorien der klanglichen, schriftbildlichen und begrifflichen Zeichenähnlichkeit hinaus im Sinne einer komplexen Zeichenähnlichkeit zu nahe kommen. Denn die Eigenprägung der Widerspruchsmarke beruht wesentlich auf dem in ihr enthaltenen Wortspiel bzw. auf der in ihr enthaltenen sprachlichen Verfremdung der beschreibenden Bezeichnung „Hibiskus“. Diese sprachliche Verfremdung wird durch die Abwandlung der dritten Wortsilbe der Bezeichnung „Hibiskus“ dahingehend erzeugt, dass die Silbe sprachlich so hervorgehoben wird, dass der angesprochene Verkehr in ihr das Substantiv „Kuss“ wiedererkennt. Das Substantiv „Kuss“ ist in der Sachbezeichnung „Hibiskus“ klanglich zwar enthalten, es kommt jedoch in begrifflicher oder gedanklicher Hinsicht innerhalb der Gesamtbezeichnung „Hibiskus“ nicht zum Tragen. Dabei ist nach Auffassung des Senats davon auszugehen, dass der angesprochene Verkehr in der Widerspruchsmarke die sprachliche Abwandlung und die Hervorhebung des klanglichen Bestandteils „-kus“ häufig erkennen wird, ohne zugleich die Bezugnahme auf die sachbeschreibende Bezeichnung „Hibiskus“ im Sinne einer Zutat bzw. Geschmacksrichtung zu vernachlässigen. In genau dieser Hinsicht liegt es aber für den angesprochenen Verkehr nahe, das eine Vergleichszeichen für das andere zu halten, da beide Zeichen die Bezeichnung „Hibiskus“ in der gleichen Weise abwandeln, ohne zugleich – wie oben dargelegt – einen neuen, konkreten gedanklichen Inhalt zu vermitteln. Ausschlaggebend für die Frage der Zeichenähnlichkeit ist vorliegend, dass sich die jüngere Marke der älteren Marke gerade in Bezug auf die Art und Weise der sprachlichen Abwandlung annähert, die der älteren Marke ihre Eigenprägung verleiht. Ein klanglicher, schriftbildlicher oder begrifflicher Unterschied zwischen den Vergleichszeichen ist in diesem Rahmen nur dahingehend festzustellen, als das jüngere Zeichen statt des deutschen Begriffes „Kuss“ den bedeutungsidentischen und allgemein geläufigen englischen Begriff „kiss“ verwendet.
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Insoweit berührt die angegriffene Marke unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls aller trotz der Kennzeichnungsschwäche der Widerspruchsmarke noch deren Schutzbereich, so dass im Ergebnis die Verwechslungsgefahr zu bejahen ist.
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2. Die Auferlegung von Kosten war bei der gegebenen Sachlage nicht veranlasst, § 71 Abs. 1 MarkenG.

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