Aktenzeichen 26 W (pat) 13/17
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 306 52 150 – S 71/15 Lösch
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 14. April 2020 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Kätker und Dr. von Hartz
beschlossen:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Markeninhaberin, der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
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Die Wortmarke
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WEINSTEIN
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ist am 22. August 2006 angemeldet und am 20. Dezember 2006 unter der Nummer 306 52 150 als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für Waren und Dienstleistungen der
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Klasse 33: Weine;
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Klasse 35: Einzelhandelsdienstleistungen mit Weinen.
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Am 2. März 2015 hat die Beschwerdeführerin die Löschung der angegriffenen Marke wegen absoluter Schutzhindernisse gemäß § 50 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG sowie die Auferlegung der Kosten zu Lasten der Markeninhaberin beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Markenwort „Weinstein“ bezeichne das Calcium- oder Kaliumsalz bzw. ein Gemisch aus schwer löslichen Salzen der Weinsäure, das während der Gärung und Reifung bei niedrigen Temperaturen auskristallisiert werde und sich am Boden des den Wein enthaltenden Gefäßes ablagere, wenn der Wein nicht hinreichend chemisch oder physikalisch stabilisiert worden sei. Weinstein sei kein Zeichen mangelnder Qualität, sondern das natürliche Produkt von Mineralien und Fruchtsäure im Wein. Er komme zwar nicht nur bei älteren Weinen vor. Bei längerer Lagerung seien aber die Weinsteinkristalle größer. In gelöster Form sei Weinstein in jedem Wein enthalten. Weinstein sei daher eine dem Wein innewohnende Produkteigenschaft. Auch im Rahmen von Einzelhandelsdienstleistungen mit Weinen werde der Begriff gebraucht. Es sei nicht unüblich, dass Einzelhändler als begleitende Information zum Weinkauf auf die Möglichkeit der Entstehung von Weinkristallen hinwiesen. Als unmittelbar beschreibende Angabe sei der Begriff daher freihaltebedürftig und eigne sich nicht als betrieblicher Herkunftshinweis. Weinstein sei zudem längst zum Gattungsbegriff im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG geworden. Es habe vor dem Anmeldezeitpunkt eine Fülle von Weinhandlungen, Restaurants und Weingütern gegeben, die unter der Bezeichnung Weinstein geführt worden seien. Mit Schriftsatz vom 4. Januar 2016, beim DPMA eingegangen am 7. Januar 2016, hat die Beschwerdeführerin ihren Löschungsantrag zusätzlich auf Verfall wegen Nichtbenutzung gemäß § 49 Abs. 1 MarkenG a. F. sowie auf Verfall wegen Umwandlung zur Gattungsbezeichnung nach § 49 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG a. F. gestützt. Die angegriffene Marke werde von der Antragsgegnerin allenfalls regional für eine entsprechend benannte Weinstube mit untergeordnetem Weinhandel in Berlin, nicht aber ernsthaft i. S. d. § 26 Abs. 1 MarkenG für die eingetragenen Waren und Dienstleistungen rechtserhaltend benutzt.
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Die Antragsgegnerin, an die der Löschungsantrag als Übergabeeinschreiben am 11. September 2015 abgesandt worden ist, hat diesem am 15. Oktober 2015 widersprochen und einen Kostenantrag zu Lasten der Beschwerdeführerin gestellt mit der Begründung, „Weinstein“ bezeichne nur den sichtbaren, also auskristallisierten Aggregatzustand der Weinsäure. Weinstein komme weder zwingend in jedem Wein vor, noch handele es sich um ein wesentliches Merkmal dieses Getränks im Sinne der Rechtsprechung des EuG (Urt. v. 19.11.2009 – T-234/06 – CANNABIS). Gegen die Freihaltebedürftigkeit spreche auch, dass der Gehalt von Weinstein in Wein keine Pflichtangabe auf Etiketten sei. Obwohl Weinstein weder einen Fehler des Weins noch einen Hinweis auf schlechte Qualität oder Geschmack darstelle, sei er beim Verkehr grundsätzlich negativ konnotiert, so dass Weinhersteller dem Wein die Weinsäure mit chemischen und thermischen Mitteln entzögen, damit sie nicht später in ihrer kristallisierten Form im Wein ausfalle und nicht die falsche Assoziation hervorrufe, dem Wein sei Zucker zugesetzt worden. Kein Käufer suche bewusst und gezielt nach Wein mit Weinstein oder nehme Einzelhandelsdienstleistungen mit Wein in Anspruch, um in den Genuss von Weinstein zu gelangen. Ihre Unterscheidungskraft ziehe die Streitmarke gerade aus der in der negativen Konnotation liegenden Ambivalenz. In einem zivilgerichtlichen Löschungsverfahren zwischen den Verfahrensbeteiligten vor dem Landgericht Frankfurt am Main sei am 5. April 2016 (3-06 O 94/15) entschieden worden, dass die Antragstellerin u. a. verpflichtet sei, in die Löschung ihrer für Dienstleistungen der Klassen 43 und 41 eingetragenen Wortmarke „Weinstein ums Eck“ (30 2014 016 847) einzuwilligen. Das Landgericht sei sowohl von einer Unterscheidungskraft der vorliegend angegriffenen Marke mangels beschreibenden Charakters als auch von einer rechtserhaltenden Benutzung ausgegangen. Gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. April 2016 (3-06 O 94/15) hat die Antragstellerin allerdings vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (6 U 86/16) Berufung eingelegt. Dem geltend gemachten Löschungsgrund wegen Verfalls ist die Markeninhaberin unter Vorlage einer Vielzahl von Benutzungsunterlagen entgegengetreten.
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Mit Beschluss vom 10. November 2016 hat die Markenabteilung 3.4 des DPMA die angegriffene Marke teilweise gelöscht, nämlich für die Waren der
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Klasse 33: Weine
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und den Löschungsantrag im Übrigen sowie die wechselseitigen Kostenanträge zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angegriffene Marke sei sowohl zum Zeitpunkt der Anmeldung als auch zum Entscheidungszeitpunkt für die Ware „Weine“ freihaltebedürftig und nicht unterscheidungskräftig gewesen (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG). Der Begriff „Weinstein“ stelle eine Beschaffenheitsangabe dar, weil er die gängige Bezeichnung auskristallisierter Weinsäure sei, wie sie gelegentlich am Boden von Weinflaschen zu finden sei. Auch wenn Weinstein keinen Einfluss auf die Weinqualität habe, stelle sein Vorhandensein ein Merkmal abgefüllter Weine dar, das vom Käufer bemerkt werde und auch Einfluss auf die Kaufentscheidung haben könne. Dementsprechend werde bei Weinverkostungen das Vorhandensein von Weinstein als Eigenschaft eines verkosteten Weins genannt und Weinhandlungen erklärten den Kunden die Ursache für das Entstehen von Weinstein und den Einfluss auf die Qualität des Weins. Die angegriffene Marke sei damit eine Angabe über Eigenschaften der Ware, die der Allgemeinheit und den Mitbewerbern zur freien Verwendung bleiben müsse. Da Weinstein ein bekannter Bestandteil vieler Weine sei, würden die angesprochenen Verkehrskreise den Begriff nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Ware, sondern als Hinweis auf das Vorhandensein dieses Stoffes verstehen.
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Kein Schutzhindernis bestehe jedoch hinsichtlich der in Klasse 35 eingetragenen „Einzelhandelsdienstleistungen mit Weinen“. Über die Art und Weise, wie diese Dienstleistungen gegenüber dem Kunden erbracht werden, gebe der Begriff „Weinstein“ keine Auskunft. Er sei damit weder eine beschreibende Angabe hinsichtlich der Umstände der Dienstleistungserbringung, noch stelle er einen engen sachlichen Zusammenhang zu ihnen her. Die Erbringung der Dienstleistungen habe mit dem Vorhandensein von Weinstein in den vertriebenen Weinen nur entfernt zu tun. Hier liege es näher, „Weinstein“ als Verballhornung des positiv besetzten Namens „Einstein“ zu verstehen oder als Wortspiel der Begriffe „Wein“ und „Stein“, wobei „Stein“ ein häufiger Name geografischer Stätten oder ein Bestandteil solcher Namen sei. Eine Internetrecherche zeige zwar, dass verschiedene Weinhandlungen in Deutschland unter dem Namen „Weinstein“ existierten, der Name sei jedoch nicht in dem Maße gebräuchlich, dass hieraus auf eine üblich gewordene Bezeichnung im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG geschlossen werden könne.
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Keine Relevanz für das vorliegende Verfahren habe die Frage, ob die angegriffene Marke rechtserhaltend benutzt worden sei. Die mangelnde Benutzung einer Marke könne mit einem Löschungsantrag wegen Verfalls nach § 49 MarkenG a. F. geltend gemacht werden. Dies sei aber ein eigenes Verfahren, das neben dem Verfahren auf Löschung einer Marke wegen absoluter Schutzhindernisse nach § 50 MarkenG beantragt werden könne. Hierfür seien dann auch gesondert Gebühren zu entrichten.
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Für eine Kostenauferlegung nach § 63 Abs. 1 MarkenG habe kein Anlass bestanden. Insbesondere sei keine prozessuale Sorgfaltspflichtverletzung ersichtlich.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Sie wiederholt ihre Argumentation im patentamtlichen Löschungsverfahren und ist der Ansicht, es sei unlogisch, wenn die Markenabteilung einerseits von einer freihaltungsbedürftigen und nicht unterscheidungskräftigen Sachangabe für „Weine“ ausgehe, die Schutzhindernisse andererseits aber nicht vorliegen sollen, wenn das markenrechtlich nicht schutzfähige Produkt ins Regal gestellt, in Prospekten und im Internet beworben, in der Gastronomie angeboten und eventuell sogar im lokalen Umfeld geliefert werde. Dass die Kennzeichnung von Einzelhandelsdienstleistungen mit „Weinstein“ als Verballhornung des positiv besetzten Namens „Einstein“ oder als Wortspiel der Begriffe „Wein“ und „Stein“ zu verstehen sei, stelle reine Spekulation dar und stehe im Widerspruch zu ihrer Auffassung, dass Weinstein ein Hinweis auf das Vorhandensein dieses Stoffes sei. Trotz der ambivalenten Bedeutung von Weinstein und der Verunsicherung der angesprochenen Verkehrskreise über das Vorliegen eines Weinfehlers sei es schwer vorstellbar, dass ein derartiger Begriff zur betrieblichen Herkunftsunterscheidung von Handelsdienstleistungen in der Lage sei. Das EUIPO habe den angemeldeten Marken „myfertilizer“ (R 2114/2016-4) und „ALPINBIKER“ (R 978/2016-5) die Eintragung wegen fehlender Unterscheidungskraft versagt und dabei nicht zwischen Waren und Dienstleistungen unterschieden.
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Zu Unrecht habe sich die Markenabteilung nicht mit der geltend gemachten Vorschrift des § 49 Abs. 1 und 2 Nr. 1 MarkenG a. F. auseinandergesetzt. Die Voraussetzungen einer Verfallslöschung lägen vor.
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Sie beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenabteilung 3.4 des DPMA vom 10. November 2016 aufzuheben und das DPMA anzuweisen, die angegriffene Marke auch für die Dienstleistungen
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Klasse 35: Einzelhandelsdienstleistungen mit Weinen
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zu löschen.
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Die Markeninhaberin beantragt sinngemäß,
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1. die Beschwerde zurückzuweisen;
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2. der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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den Kostenantrag der Markeninhaberin zurückzuweisen.
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Die Antragsgegnerin hält die teilweise Löschung ihrer Marke zwar nach wie vor für rechtlich nicht haltbar, greift die Entscheidung aber aus außerhalb des Verfahrens liegenden Gründen nicht an. Sie verteidigt die Zurückweisung des Löschungsantrags im Übrigen, wiederholt ihr patentamtliches Vorbringen und vertritt darüber hinaus die Auffassung, dass die Vorschrift des § 23 Nr. 2 MarkenG zu berücksichtigen sei, wonach markenrechtlich geschützte Begriffe zur beschreibenden Angabe von Merkmalen der Waren verwendet werden könnten. Der Begriff „Weinstein“ gebe keine Auskunft über den Inhalt der Dienstleistungen.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 26. März 2019 sind die Verfahrensbeteiligten unter Beifügung von Recherchebelegen (Anlagenkonvolute 1 bis 3, Bl. 56 – 90 GA) auf die vorläufige Auffassung des Senats hingewiesen worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Die Markenabteilung 3.4 des DPMA hat den Antrag auf Löschung der angegriffenen Marke „WEINSTEIN“ für die beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen der Klasse 35 zu Recht zurückgewiesen.
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Da der Löschungsantrag am 2. März 2015 gestellt wurde, ist auf das vorliegende Verfahren gemäß § 158 Abs. 8 Satz 2 MarkenG die Vorschrift des § 50 Abs. 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden.
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Die Eintragung einer Marke wird auf Antrag, der von jedermann gestellt werden kann (§ 54 Abs. 1 Satz 2 MarkenG), nach rechtzeitig erhobenem Widerspruch wegen Nichtigkeit gelöscht, wenn die Marke entgegen §§ 3, 7 oder 8 MarkenG eingetragen worden ist (§ 50 Abs. 1 MarkenG) und wenn Schutzhindernisse gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 MarkenG auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Löschung bestehen (§ 50 Abs. 2 Satz 1 MarkenG). Ist eine solche Feststellung, auch unter Berücksichtigung der von den Beteiligten vorgelegten und von Amts wegen zusätzlich ermittelten Unterlagen nicht möglich, muss es – gerade in Grenz- oder Zweifelsfällen – bei der Eintragung der angegriffenen Marke sein Bewenden haben (BGH GRUR 2014, 483 Rdnr. 38 – test m. w. N.). Für die Prüfung der Schutzhindernisse ist auf den Zeitpunkt der Anmeldung der Marke und das zu diesem Zeitpunkt bestehende Verkehrsverständnis abzustellen (BGH, Beschl. v. 13. September 2018, – I ZB 25/17 Rdnr. 11 – Pippi Langstrumpf II; GRUR 2017, 1262 Rdnr. 13 – Schokoladenstäbchen III; GRUR 2013, 1143 Rdnr. 15 – Aus Akten werden Fakten). Soweit der Löschungsantrag auf Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 MarkenG gestützt wird, kommt eine Löschung gemäß § 50 Abs. 2 Satz 2 MarkenG nur in Betracht, wenn der Antrag innerhalb von zehn Jahren seit dem Tag der Eintragung gestellt worden ist.
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1. Die Antragsgegnerin hat dem Löschungsantrag fristgerecht innerhalb der Zweimonatsfrist mit ihrem am 15. Oktober 2015 beim DPMA eingegangenen Schriftsatz widersprochen (§ 54 Abs. 2 MarkenG). Der Löschungsantrag ist am 11. September 2015 als Übergabeeinschreiben an die Antragsgegnerin abgesandt worden. Gemäß § 94 Abs. 1 MarkenG i. V. m. § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG gilt ein mittels Einschreiben übersandtes Dokument am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass es nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Danach gilt vorliegend die Zustellung als am 14. September 2015 erfolgt.
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2. Der am 2. März 2015 beim DPMA eingegangene Löschungsantrag ist innerhalb der seit der Eintragung der angegriffenen Marke am 20. Dezember 2006 laufenden Zehnjahresfrist gestellt worden (§ 50 Abs. 2 Satz 2 MarkenG).
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3. Der Eintragung der angegriffenen Wortmarke „WEINSTEIN“ haben zum maßgeblichen Anmeldezeitpunkt, dem 22. August 2006, in Bezug auf die beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen der Klasse 35 keine absoluten Schutzhindernisse entgegengestanden (§ 50 Abs. 1 MarkenG). Weder hat der Streitmarke die erforderliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG gefehlt, noch ist sie freihaltebedürftig gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG gewesen. Es hat sich auch nicht um eine übliche Bezeichnung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG gehandelt.
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a) Der Streitmarke kann nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden.
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aa) Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198 Rdnr. 59 f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; BGH GRUR 2018, 932 Rdnr. 7 – #darferdas?; GRUR 2018, 301 Rdnr. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rdnr. 9 – OUI). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2010, 228 Rdnr. 33 – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. – #darferdas?; a. a. O. – OUI). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH a. a. O. Rdnr. 15 – Pippi-Langstrumpf-Marke).
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Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143 Rdnr. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; BGH GRUR 2014, 376 Rdnr. 11 – grill meister).
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Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674 Rdnr. 86 – Postkantoor; BGH a. a. O. Rdnr. 8 – #darferdas?; GRUR 2012, 270 Rdnr. 11 – Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (BGH a. a. O. – #darferdas?; a. a. O. Rdnr. 12 – OUI; GRUR 2014, 872 Rdnr. 21 – Gute Laune Drops). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die beanspruchte Ware oder Dienstleistung zwar selbst nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt ohne weiteres erfasst und in der Bezeichnung kein Unterscheidungsmittel für deren Herkunft sieht (BGH a. a. O. – #darferdas?; a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann (EuGH GRUR 2004, 146 Rdnr. 32 – DOUBLEMINT; BGH GRUR 2014, 569 Rdnr. 18 – HOT).
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bb) Diesen Anforderungen an die Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG hat die angegriffene Wortmarke „WEINSTEIN“ schon zum Anmeldezeitpunkt, dem 22. August 2006, genügt, weil sie für die verfahrensgegenständlichen „Einzelhandelsdienstleistungen mit Weinen“ der Klasse 35 weder einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt aufgewiesen noch einen engen beschreibenden Bezug zu ihnen hergestellt hat.
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aaa) Von den vorgenannten Dienstleistungen werden breite Verkehrskreise, nämlich der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher sowie Weinhandelsbetriebe angesprochen.
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bbb) Mit dem Wort „Weinstein“ wird ein Gemisch aus in Wasser schwer löslichen Kalzium- und Kaliumsalzen der Weinsäure bezeichnet, die sich während der Gärung und Reifung bei niedrigen Temperaturen auskristallisieren und an Fasswänden, Korken oder Flaschenböden ablagern. Weinstein entsteht, wenn sich die von Natur aus im Wein enthaltenen Mineralien wie Kalzium oder Kalium mit der Weinsäure verbinden. Die Löslichkeit sinkt mit abnehmender Temperatur. Mit „Weinstein“ werden somit alle kristallinen Mineralstoffausscheidungen im Wein benannt, die als farblose, weißliche, grauweiße oder bei Rotweinen rötlich gefärbte Kristalle oder feste Kruste beim Gären des Mostes ausgefällt werden. Bei diesem Prozess wird überschüssige Säure abgebaut. Je länger die Weingefäße gelagert werden, desto größer werden die Weinsteinkristalle. Diese Kristalle können somit grundsätzlich in jedem Wein vorkommen, wenn sie nicht durch chemische oder physikalische Stabilisierung entfernt wurden (vgl. Böttiger, Das große Lexikon vom Wein, 1974, S. 246; Hochrain, dtv-Lexikon des deutschen Weins, 1978, S. 176 u. 178; Knoll, Diners Club – Lexikon der Weine und Spirituosen Deutschland, 1991, S. 211; Dippel, Das Weinlexikon, 5. Aufl. 2001, S. 515; Meesters, Taschenlexikon des Weins, 2000, S. 246; Bruckner, Das ABC der Weinsprache, 3. Aufl. 2001, S. 132; Ambrosi, Wein von A bis Z, 2002, S. 368; Der Brockhaus, Wein, 2005, S. 491, Anlagenkonvolut 1 zum gerichtlichen Hinweis; www.probiowein.de/Gut-zu-Wissen/Weinstein sowie zahlreiche weitere Internetlexika, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis). Reiner kristalliner Weinstein wird kommerziell weiterverwendet, z. B. zum Säuern von Lebensmitteln und alkoholfreien Getränken (Robinson, Das Oxford Weinlexikon M – Z, 1995, S. 1297 f.).
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ccc) Obwohl Weinstein in Weinen vorkommen kann, enthält dieser Begriff in Bezug auf die registrierten „Einzelhandelsdienstleistungen mit Weinen“ der Klasse 35 weder einen Sachhinweis, noch stellt er einen engen beschreibenden Bezug zu ihnen her.
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(1) Nach der Rechtsprechung des EuGH (GRUR 2005, 764 Rdnr. 34 – Praktiker) besteht der Zweck des Einzelhandels im Verkauf von Waren an den Verbraucher. Er umfasst neben dem Rechtsgeschäft des Kaufvertrags die gesamte Tätigkeit, die ein Wirtschaftsteilnehmer entfaltet, um zum Abschluss eines solchen Geschäftes anzuregen. Diese Tätigkeit besteht insbesondere in der Auswahl eines Sortiments von Waren, die zum Verkauf angeboten werden, und im Angebot verschiedener Dienstleistungen, die einen Verbraucher dazu veranlassen sollen, den Kaufvertrag mit diesem Händler statt mit einem seiner Wettbewerber abzuschließen. Handelsdienstleistungen unterscheiden sich nach Zielgruppe, Branche, Sortiment, Betriebsform, Flächenintensität, Lage und ggf. nach der Anzahl der Betriebsstätten (BPatG 29 W (pat) 41/12 – CAMOMILLA). Angaben, die diese Umstände charakterisieren, werden von den angesprochenen Verkehrskreisen nur als Sachhinweise, nicht aber als betriebliche Herkunftshinweise aufgefasst.
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(2) Um einen solchen charakteristischen Umstand handelt es sich bei der Streitmarke „WEINSTEIN“ nicht, weil sie sich nicht zur (Teil-)Sortimentsangabe eignet. Eine Spezialisierung von Einzelhändlern auf Weine mit Weinstein, also mit sichtbaren kristallinen Mineralstoffausscheidungen, macht weder Sinn, noch konnte festgestellt werden, dass die angesprochenen Verkehrskreise zum Anmeldezeitpunkt an Weinen mit Weinstein und entsprechenden Einzelhandelsdienstleistungen interessiert gewesen sind.
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(2.1) Der Senat hat bei seiner Recherche festgestellt, dass ein erheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise Weinstein weder als einen Mangel noch als eindeutiges Qualitätsmerkmal der gehandelten Weine einstuft.
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(2.1.1) Zwar gibt es Anhaltspunkte, die für ein Qualitätsmerkmal sprechen könnten, wie die folgenden Belege zeigen, bei denen vor allem der Abbau überschüssiger Säure als positiv hervorgehoben wird:
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– „… Auf diese Weise bauen gute Weine ihre überschüssige Säure ab. Weinstein findet sich daher mitunter in Flaschen guter Weine, ohne daß dadurch die Qualität des Weines in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird. … Das Auftreten von Weinstein (von Unkundigen z. T. als Zucker mißdeutet) ist daher kein Fehler, sondern eher ein Zeichen für Qualität. Immer mehr Güter gehen jedoch heute dazu über, durch Anwendung von Kälte den Weinstein vor der Flaschenabfüllung auszufällen.“ (Dippel, Das Weinlexikon, 5. Aufl. 2001, S. 515);
48
– „… sind stets Ausdruck eines (meist durch niedrige Temperaturen hervorgerufenen) natürlichen Säureabbaus hochwertiger Weine. … Nicht von ungefähr bezeichnet man Weinstein-Kristalle auch als ´Edelsteine von Edelweinen`.“ (Bruckner, Das ABC der Weinsprache, 3. Aufl. 2001, S. 132);
49
– „Weinstein, ´Edelsteine des Weines`. … die Weinqualität wird von ihm allenfalls günstig beeinflußt, denn durch das Absetzen verliert der Wein an Säure und wird runder und angenehmer im Geschmack. Dieser Fingerabdruck der Natur wird denn auch von Kennern als ein verläßlicher Hinweis auf die Weinqualität gewertet. …“ (Hochrain, dtv-Lexikon des deutschen Weins, 1978, S. 176 f.);
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– „… ein besonderes Qualitätsmerkmal und ein guter Indikator für einen höheren Säureanteil im Wein (www.euvino.eu/, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis);
51
– „… Dies hat aber keinen Einfluss auf die Genießbarkeit des Weins. Es ist etwas Positives, ein Qualitätsmerkmal des Weins und ein Zeichen für die gute Arbeit und den Fleiß des Winzers. …“ (https://wein-fuer-laien.de/weinwissen/weinstein/, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis);
52
– „ … Weinstein ist gesundheitlich völlig unbedenklich und beeinflusst in keiner Weise den Geschmack des Weines. Er ist vielmehr das natürliche Produkt von Mineralien und Fruchtsäure im Wein und demnach ein Qualitätsmerkmal des Weins. Denn je reifer die Trauben sind, desto größer ist der Anteil an Weinsäure im Wein. …“ (www.hermeswein.de/, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis).
53
(2.1.2) Aber in anderen Belegen wird Weinstein weder als positives noch als negatives Merkmal dargestellt, sondern als ein möglicher Inhaltsstoff, der sich auf die Qualität des Weins nicht auswirkt, sondern aus rein ästhetischen Gründen häufig entfernt wird, wie das folgende Rechercheergebnis zeigt:
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– „… Generell kann gesagt werden, dass vorhandener Weinstein kein Weinfehler ist und auch kein Qualitätsmerkmal. Vor allem ist Weinstein kein Merkmal, dass es sich um schlechten Wein handelt, eher im Gegenteil.“ (www.lebouquet.org/, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis);
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– „… Weinstein hat keinen Einfluss auf die Qualität eines Weines. Aber es gibt trotzdem einen interessanten Zusammenhang: Eine langsame Gärung bei geringen Temperaturen schont die Duft- und Aromastoffe im Wein. Je langsamer und länger die Gärung dauert, desto weniger Weinstein bildet sich im Fass und umso eher kann es später in der Flasche ausfallen. Weinstein in der Flasche ist also ein Zeichen für die gute Arbeit des Winzers und des Kellermeisters und kommt in hohen Weinqualitäten häufiger vor.“ (www.weinbiet.de/, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis);
56
– „… Auf unsere Gesundheit hat der kleine Kristall keine Auswirkung. Lediglich im Mund fühlt er sich wie Sand an, … Was sagt Weinstein über die Qualität des Weines aus? Eigentlich nichts. Denn ob sich Weinstein in der Flasche bildet oder nicht, hängt nicht von der Qualität des Weines ab, …“ “ (www.probiowein.de. Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis);
57
– „ … fühlt sich wie scharfkantiger Sand an und schmeckt neutral bis säuerlich. Es handelt sich aber um keinen Weinfehler, sondern er ist aus rein optischen bzw. ästhetischen Gründen unerwünscht (https://glossar.wein-plus.eu/weinstein, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis);
58
– „… Nur der mit diesen Umständen vertraute Verbraucher weiß, daß die Weinsteinkristalle in der Flasche harmlos sind. … Im Weißwein sehen Weinsteinkristalle für den nicht eingeweihten Verbraucher dagegen Glassplittern erschreckend ähnlich. Der moderne Weinbau hat sich im großen und ganzen dafür entschieden, lieber durch Stabilisierung den Weinstein zu entfernen als beim Verbraucher Aufklärungsarbeit zu leisten.“ (Robinson, Das Oxford Weinlexikon, 2. Aufl. 1995, S. 1298);
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– „… wird häufig von unkundigen Konsumenten mit Zucker verwechselt. Fällt in der Regel beim Weinausbau aus. Falls vorhanden, kein Mangel, allenfalls ein kleiner Schönheitsfehler. Weinstein bleibt ohne Einfluss auf den Geschmack, weshalb es eigentlich nicht erforderlich ist, ihn vor Abfüllung durch eine kellertechnische Maßnahme (meist strapaziöse Kühlung) auszuscheiden. Deshalb ist das Vorhandensein von Weinstein eher ein Hinweis auf bessere Qualität.“ (Knoll, Diners Club – Lexikon der Weine und Spirituosen Deutschland, 1991, S. 211);
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– „… Weinstein ist gesundheitlich völlig unbedenklich und beeinflusst in keiner Weise den Geschmack des Weines. Er ist auch kein Zeichen mangelnder oder hoher Qualität, sondern das natürliche Produkt von Mineralien und Fruchtsäure im Wein. …“ (http://magazin.wein.com/, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis);
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– „Kristallniederschläge im abgefüllten Wein sind aus natürlich vorliegenden Most- und Weininhaltsstoffen entstanden und keineswegs ein Mangel an Qualität. Viele Betriebe stabilisieren ihre Weine trotzdem gegen diese Niederschläge, da diese von unaufgeklärten Verbrauchern zumindest als optische Beeinträchtigung empfunden werden. …“ (www.wzw.tum.de/, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis);
62
– „… Es handelt sich dabei um harmlose Kristalle, die wie Glassplitter aussehen. … Viele Konsumenten bevorzugen heute völlig klare Weine (www.nzz.ch/gesellschaft/, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis);
63
– „ … Das Vorhandensein von Weinstein ist weder ein Fehler des Weins noch ein zwingendes Qualitätsmerkmal. Es ist lediglich ein Hinweis darauf, dass beim Weinausbau der Wein nicht oder nur unzureichend chemisch (durch Metaweinsäure) oder physikalisch (durch Kälte) stabilisiert wurde.“ (wikipedia.org/wiki/Weinstein, Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis).
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(2.1.3) Angesichts dieser Widersprüchlichkeit sowohl in der einschlägigen Fachliteratur als auch in den Internetweinlexika hat der Senat nicht einmal beim angesprochenen Fachverkehr oder bei Weinkennern mit der erforderlichen Sicherheit feststellen können, dass Weinstein zum Anmeldezeitpunkt als eine besondere Eigenschaft des Weins oder gar als ein Qualitätsmerkmal angesehen worden ist. Dies ist noch weniger bei einem Großteil der Verbraucher der Fall, bei denen sogar Verunsicherung darüber herrscht, ob Weinstein nicht gar ein Mangel ist. Denn entweder wird Weinstein wegen der Bevorzugung klarer Weine durch chemische oder physikalische Stabilisierung schon bei der Produktion entfernt oder der Verbraucher wird ausdrücklich von den Weingütern und Weinhändlern persönlich oder in allgemeinen Geschäftsbedingungen darüber aufgeklärt, dass es sich bei Weinsteinablagerungen nicht um einen Mangel handelt (s. Anlagenkonvolut 3 zum gerichtlichen Hinweis).
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(2.1.4) Weinsortimente werden handelsüblich nach Herkunftsland oder -lage, Rebsorte, Herstellungsprozess, Geschmacksrichtung oder Qualitätsstufen etc. eingeteilt. Eine Einteilung in Weine mit und ohne Weinstein gibt es bisher nicht. Im Hinblick darauf, dass schon aus Sicht des Fachverkehrs unklar ist, ob es sich bei Weinstein überhaupt um ein Qualitätsmerkmal handelt, und der unaufgeklärte Durchschnittsverbraucher Weinstein eher als Mangel oder zumindest als Schönheitsfehler ansieht, ist ein Einzelhandel mit ausschließlich weinsteinbehafteten Weinen nicht nur unwahrscheinlich, sondern wirtschaftlich völlig abwegig. Daher ist das Markenwort „WEINSTEIN“ schon zum Anmeldezeitpunkt nicht als eine sachlich-beschreibende Benennung des Sortiments bzw. Teilsortiments eines Weineinzelhändlers und damit nicht als Merkmal der beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen in Betracht gekommen. Soweit es schon vor dem Anmeldezeitpunkt Weinhandlungen und Weingüter gegeben hat, die unter der Bezeichnung Weinstein geführt worden sind, wie die Antragstellerin belegt hat, handelt es sich um eine firmen- oder markenmäßige, nicht aber um eine beschreibende Verwendung.
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b) Die angegriffene Streitmarke ist auch nicht freihaltebedürftig.
67
aa) Nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sind solche Marken von der Eintragung ausgeschlossen, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geographischen Herkunft, der Zeit der Herstellung der Waren oder der Erbringung der Dienstleistungen oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Waren oder Dienstleistungen dienen können. Mit diesem Schutzhindernis wird das im Allgemeininteresse liegende Ziel verfolgt, dass Zeichen oder Angaben, die Merkmale der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen beschreiben, von allen Wirtschaftsteilnehmern frei verwendet werden können und nicht aufgrund ihrer Eintragung als Marke einem Unternehmen vorbehalten werden (EuGH GRUR 2011, 1035 Rdnr. 37 – 1000; BGH GRUR 2017, 186 Rdnr. 38 – Stadtwerke Bremen).
68
bb) Da „WEINSTEIN“, wie bereits bei der Unterscheidungskraft eingehend dargelegt, vom Verkehr nicht als Benennung des Sortiments oder eines Teilsortiments von Weinhändlern verstanden wird, fehlt es an einer unmittelbar beschreibenden Merkmalsangabe im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG für die registrierten „Einzelhandelsdienstleistungen mit Weinen“ der Klasse 35.
69
c) Eine übliche Bezeichnung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG liegt ebenfalls nicht vor.
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aa) Nach § 8 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG sind solche Marken von der Eintragung ausgeschlossen, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten zur Bezeichnung der Waren oder Dienstleistungen üblich geworden sind.
71
bb) Wie bereits eingehend bei der Prüfung der Unterscheidungskraft erörtert, ist der Begriff „Weinstein“ zur Bezeichnung von „Einzelhandelsdienstleistungen mit Weinen“ schon vor dem Anmeldezeitpunkt nicht üblich, sondern ungewöhnlich und eher überraschend gewesen.
72
d) Die von der Antragstellerin angeführten Entscheidungen des EUIPO zu „myfertilizer“ (R 2114/2016-4) und „ALPINBIKER“ (R 978/2016-5) rechtfertigen keine andere Beurteilung.
73
Abgesehen davon, dass diese erst im März und April 2017 und damit mehr als 10 Jahre nach dem maßgeblichen Anmeldezeitpunkt ergangen sind, sind die im Ausland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union auf der Grundlage des harmonisierten Markenrechts oder vom Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) aufgrund der Unionsmarkenverordnung getroffenen Entscheidungen über absolute Eintragungshindernisse für Verfahren in anderen Mitgliedstaaten unverbindlich (EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 63 – Henkel; GRUR 2004, 674 Rdnr. 43 f. – Postkantoor). Sie vermögen nicht einmal eine Indizwirkung zu entfalten (BGH a. a. O. Rdnr. 30 – HOT; GRUR 2009, 778 Rdnr. 18 – Willkommen im Leben).
74
e) Ein Löschungsgrund nach § 50 Abs. 1 MarkenG i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr.1 bis 3 MarkenG ist damit zu verneinen.
75
4. Soweit die Antragstellerin ihren Löschungsantrag auch auf Verfall wegen Nichtbenutzung gemäß § 49 Abs. 1 MarkenG a. F. sowie auf Verfall wegen Umwandlung zur Gattungsbezeichnung nach § 49 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG a. F. stützt, macht sie Gründe geltend, die im Rahmen des vorliegenden Löschungsverfahrens wegen absoluter Schutzhindernisse nach § 54 Abs. 1 MarkenG, § 50 Abs. 1 und 2 MarkenG nicht zu prüfen sind. Dieses Löschungsbegehren setzt einen gesonderten Antrag beim DPMA voraus (§ 53 Abs. 1 MarkenG, § 41 MarkenV), für den eine eigene Gebühr nach Nr. 333 400 des Gebührenverzeichnisses (Anlage zu § 2 Abs. 1 PatKostG) zu zahlen ist. Zudem ist die Löschung einer Marke wegen Verfalls durch das DPMA und die Überprüfung durch das BPatG nur auf eine formelle Prüfung nach § 53 Abs. 3 MarkenG beschränkt. Die materiell-rechtliche Prüfung der Verfallslöschung bei rechtzeitigem Widerspruch der Markeninhaberin ist allein den ordentlichen Gerichten vorbehalten (§ 53 Abs. 4 MarkenG).
III.
76
1. Das DPMA hat auch den Antrag der Beschwerdeführerin, der Markeninhaberin die Kosten des patentamtlichen Löschungsverfahrens aufzuerlegen, zu Recht zurückgewiesen.
77
a) Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Kostenentscheidung im patentamtlichen Verfahren ist § 63 Abs. 1 Satz 1 MarkenG, wonach das DPMA die Kosten des Verfahrens einem Beteiligten ganz oder teilweise auferlegen kann, wenn dies der Billigkeit entspricht. § 63 Abs. 1 Satz 3 MarkenG geht im Grundsatz davon aus, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt. Für ein Abweichen von diesem Grundsatz bedarf es stets besonderer Umstände (BGH GRUR 1972, 600, 601 – Lewapur; GRUR 1996, 399, 401 – Schutzverkleidung). Solche Umstände sind insbesondere dann gegeben, wenn ein Verhalten vorliegt, das mit der prozessualen Sorgfalt nicht zu vereinbaren ist. Davon ist auszugehen, wenn ein Verfahrensbeteiligter in einer nach anerkannten Beurteilungsgesichtspunkten aussichtslosen oder zumindest kaum Aussicht auf Erfolg versprechenden Situation sein Interesse am Erhalt oder Erlöschen des Markenschutzes durchzusetzen versucht und dadurch dem Verfahrensgegner vermeidbare Kosten aufbürdet (vgl. BGH a. a. O. – Lewapur; BPatG 29 W (pat) 504/15 – Vital You!®/VITAL/VITAL regional; 27 W (pat) 14/13 – SOLITUDE REVIVAL; 27 W (pat) 40/12 – mcpeople/McDonald′s; BPatGE 12, 238, 240 – Valsette/Garsette). Dabei ist stets ein strenger Maßstab anzulegen, der dem Umstand Rechnung trägt, dass die Kostentragung aus Billigkeitsgründen nur ausnahmsweise bei einem sorgfaltswidrigen Verhalten in Betracht kommt. Demnach ist auch der Verfahrensausgang in der Hauptsache für sich genommen kein Grund, einem Beteiligten Kosten aufzuerlegen (BGH a. a. O. – Lewapur; a. a. O. – Schutzverkleidung). Im Löschungsverfahren sind solche besonderen Umstände gegeben, wenn der Markeninhaber trotz einer ersichtlich begründeten Löschungsaufforderung an einer gemäß § 8 MarkenG schutzunfähigen Marke festhält und damit den Löschungsantrag provoziert, oder wenn eine bösgläubige Markenanmeldung vorliegt.
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b) Derartige besondere Umstände liegen hier jedoch nicht vor.
79
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Markeninhaberin hinsichtlich der Waren „Weine“ der Klasse 33, für die der Löschungsantrag erfolgreich war, in einer nach anerkannten Beurteilungsgesichtspunkten aussichtslosen oder zumindest kaum Aussicht auf Erfolg versprechenden Situation ihr Interesse am Erhalt des Markenschutzes durchzusetzen versucht hat. Der Senat hat trotz aufwändiger Recherche nicht mit Sicherheit feststellen können, dass „Weinstein“ einen für die Abnehmer bedeutsamen Umstand darstellt.
80
2. Auch der Antrag der Markeninhaberin, der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, hat keinen Erfolg.
81
a) Nach § 71 Abs. 1 MarkenG gelten die gleichen Grundsätze wie für die Kosten des patentamtlichen Verfahrens nach § 63 Abs. 1 MarkenG.
82
b) Bereits die differenzierte Beurteilung des Markenworts „Weinstein“ für die eingetragenen Waren und Dienstleistungen durch die Markenabteilung spricht dagegen, dass die Beschwerde von vornherein als aussichtslos oder zumindest als kaum Aussicht auf Erfolg versprechend erscheinen musste. Für die markenrechtliche Beurteilung war erst eine nähere Auseinandersetzung mit den Eigenschaften des Weinsteins und dessen Bedeutung für den Weinhandel erforderlich.