Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “matosil (IR-Marke)/MITOSYL (IR-Marke)” – Einrede mangelnder Benutzung – abweichende Benutzungsform – keine Veränderung des kennzeichnenden Charakters der Marke – zur Kennzeichnungskraft – Warenähnlichkeit – klangliche Verwechslungsgefahr

Aktenzeichen  30 W (pat) 541/17

Datum:
7.3.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:070319B30Wpat541.17.0
Normen:
§ 119 MarkenG
§ 124 MarkenG
§ 107 MarkenG
§ 114 MarkenG
§ 43 Abs 2 MarkenG
§ 43 Abs 2 S 1 MarkenG
§ 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG
§ 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG
Art 5 MAbk Madrid
Art 6quinquies Abschn B Nr 1 PVÜ
§ 43 Abs 1 S 1 MarkenG vom 25.10.1994
§ 43 Abs 1 S 2 MarkenG vom 25.10.1994
§ 158 Abs 5 MarkenG
§ 119 MarkenG
§ 26 Abs 3 MarkenG
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke IR 1 140 839
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richter Merzbach und Dr. Meiser
beschlossen:
Die Beschwerde der Markeninhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die international unter der Nummer 1 140 839 registrierte Marke
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matosil
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beansprucht Schutz für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für die Waren
4
„Klasse 5: Dressing materials containing silicone”.
5
Die internationale Registrierung dieser Marke ist am 3. Januar 2013 veröffentlicht worden.
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Hiergegen ist Widerspruch erhoben aus der international unter der Nummer IR 222 060 registrierten Marke
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MITOSYL
8
die in Deutschland Schutz für die Waren
9
„Klasse 5: „Produits pharmaceutiques, vétérinaires, hygiéniques et diététiques, emplâtres, matériel pour pansement, désinfectants”
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genießt.
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Die Inhaberin der angegriffenen IR-Marke hat mit Schriftsatz vom 12. September 2013 die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten.
12
Die Widersprechende hat vor der Markenstelle zur Glaubhaftmachung einer rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke eidesstattliche Versicherungen der Frau S… vom 20. Dezember 2013 und vom
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4. November 2014 mit Angaben zu den Jahren 2009 bis 2012 sowie weitere Unterlagen in Form von Faltschachteln, Beipackzetteln, Werbeprospekten und Rechnungen vorgelegt.
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Die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 05 – Internationale Markenregistrierung – des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 11. Mai 2017 der IR-Marke 1 140 839 den Schutz in der Bundesrepublik Deutschland verweigert.
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Auf die sich auf beide Benutzungszeiträume nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG beziehende und insoweit auch statthafte Nichtbenutzungseinrede der Inhaberin der angegriffenen Marke habe die Widersprechende mit den von ihr vorgelegten Unterlagen eine den Anforderungen des § 26 Abs. 1 MarkenG genügende rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für ein Präparat zur Behandlung von Hautentzündungen mit dem Wirkstoff Zinkoxid durch die W…
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GmbH als zur Benutzung berechtigte Dritte i. S. von § 26 Abs. 2 MarkenG glaubhaft gemacht. Die eidesstattlichen Versicherungen der Frau S… sowie die übrigen Unterlagen belegten eine nach Ort, Zeit und Umfang hinreichende Verwendung der Widerspruchsmarke für ein solches Präparat in beiden nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG maßgeblichen Zeiträumen. Soweit Frau S… die eidesstattliche Versicherung vom 20. Dezember 2013 als Marketingdirektorin der W… GmbH ohne nähere Darlegung der rechtlichen Beziehungen zur Widersprechenden abgegeben habe, sei seitens Frau S… mit ihrer weiteren eidesstattlichen Versicherung vom 4. November 2014 klargestellt worden, dass die W… GmbH eine 100 %ige Konzerngesellschaft der Widersprechenden sei und die Widerspruchsmarke mit deren Zustimmung benutze, so dass im Rahmen dieses Verhältnisses davon auszugehen sei, dass die Drittbenutzung im Einverständnis erfolgte. Da Frau Sch. zudem nicht nur Marketingdirektorin der W… GmbH, sondern auch der Widersprechenden sei, verfüge sie auch über entsprechende Kenntnisse.
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Die Widerspruchsmarke sei ausweislich der eingereichten Unterlagen auch in einer der eingetragenen Form entsprechenden Art und Weise benutzt worden. Die aus den Unterlagen ersichtliche Benutzungsform weiche zwar durch die Hinzufügung des Buchstabens „N“ ab. Der Verkehr werde das abweichend benutzte Zeichen jedoch wegen der bei dem Markenwort „Mitosyl“ vorgenommenen Anfügung des „R im Kreis“ trotz der Hinzufügung des Buchstabens „N“ dem Gesamteindruck nach noch mit der eingetragenen Marke gleichsetzen und in der benutzten Form noch dieselbe Marke sehen.
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Danach sei eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für die Waren „Produits pharmaceutiques, vétérinaires“ anzuerkennen. Diese stünden in einem engeren Ähnlichkeitsbereich zu den von der angegriffenen Marke zu Klasse 5 beanspruchten „Dressing materials containing silicone“, weil das Produkt der Widersprechenden an einer entzündlichen Hautpartie angewendet und mit „Dressing materials containing silicone“ haut- und wundschonend abgedeckt werden könne. Es handele es sich daher um einander ergänzende oder miteinander konkurrierende Produkte, so dass der Verkehr der Annahme unterliegen könne, dass die zu berücksichtigenden Waren von ein und demselben Hersteller stammten.
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Die Widerspruchsmarke verfüge zudem über eine von Haus aus durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Zwar könne der Zeichenbestandteil „MITO“ auf „Mitose“ (Zellteilung), oder aber auch Wirkstoffe wie Mitotan oder Mitoxantron hinweisen, dieser Hinweis werde jedoch durch die Hinzufügung der Silbe „SYL“ hinreichend verfremdet bzw. neutralisiert.
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Bei dieser Ausgangslage halte die angegriffene Marke dann aber den zur Vermeidung von Verwechslungen erforderlichen Abstand zur Widerspruchsmarke nicht ein.
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Beide Marken wiesen bereits in klanglicher Hinsicht eine hinreichende Ähnlichkeit auf, da sie über den gleichen Sprechrhythmus sowie ein identisches Vokal- und Konsonantengerüst verfügten. Beide Markenwörter seien dreisilbig aufgebaut, wobei die am Wortanfang stehenden und insoweit vom Verkehr bevorzugt wahrgenommenen und in Erinnerung behaltenen Silben „mato“ und „MITO-“ nahezu identisch seien. Die letzten Silben beider Zeichen „sil“ und „SYL“ unterschieden sich akustisch ebenfalls kaum voneinander, da die Buchstaben „i“ und „Y“ klangverwandt seien und im Schlusslaut „L“ wiederum Übereinstimmung bestehe. Angesichts der weitreichenden Übereinstimmungen im phonetischen Gesamtbild sorgten die Abweichungen daher nicht für einen ausreichenden Zeichenabstand.
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Entgegen der Auffassung der Inhaberin der angegriffenen Marke wirke sich auch eine Verwendung des Anfangsbestandteile „mato“ der angegriffenen Marke als Stammbestandteil einer Markenserie nicht verwechslungsmindernd aus, zumal die vorgelegten Auszüge zu Marken mit dem Bestandteil „mato“ nicht ausreichten, um beim Verbraucher den Gedanken an eine Serie aufkommen zu lassen.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke, mit der sie zunächst weiterhin geltend macht, dass die zur Glaubhaftmachung einer rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Frau S… widersprüchlich seien und die Widerspruchsmarke in den vorgelegten Benutzungsunterlagen in einer von der Eintragung nicht mehr gedeckten Form verwendet werde. Jedenfalls rechtfertige eine Benutzung der Widerspruchsmarke für eine Zinkoxid-Salbe nicht, eine Verwendung der Widerspruchsmarke für pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse insgesamt anzuerkennen.
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Ferner macht sie geltend, dass die Abweichungen zwischen „MITO“ und „mato“ sehr deutlich seien und für sich genommen bereits eine Unähnlichkeit der relativ kurzen Vergleichszeichen bewirkten, zumal nicht nur der Fachverkehr, sondern auch Endabnehmer allem, was mit Gesundheit zusammenhänge, eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegten.
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Da „MITO“ eine beschreibende Angabe oder zumindest eine erkennbare Anlehnung an eine solche Angabe sei, während „mato“ als Phantasiebegriff verstanden werde, genügten aus Rechtsgründen geringe Unterschiede zwischen den Bestandteilen „mato“ und „MITO“, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen.
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Entgegen der Auffassung der Markenstelle wiesen auch die wie „SIL“ bzw. „SÜL“ artikulierten Endsilben beider Markenwörter ein deutlich unterschiedliches Klangbild auf.
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Ferner vertreibe die Inhaberin der angegriffenen Marke im einschlägigen Warenbereich seit langer Zeit kontinuierlich Produkte, die mit weiteren Marken und Kennzeichnungen mit dem Anfangsbestandteil „mato“ versehen seien.
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Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 05 – Internationale Markenregistrierung – des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 11. Mai 2017 aufzuheben und den Widerspruch zurückzuweisen.
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Die Widersprechende beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Zur Glaubhaftmachung einer rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke hat sie im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 4. Mai 2018 weitere Unterlagen vorgelegt, u. a. eine eidesstattliche Versicherung der Frau S1…- vom 6. April 2018, Abbildungen von Verpackungen sowie Kopien von Rechnungen aus den Jahren 2014 bis 2017 der Firmen W…GmbH und Z …GmbH.
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Ausgehend von einer danach glaubhaft gemachten rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke für ein Zinkoxid-Präparat zur Behandlung von Hautentzündungen könne mit der Markenstelle eine Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichszeichen nicht verneint werden.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 7. März 2019 hat die Inhaberin der angegriffenen Marke Unterlagen zu weiteren Marken mit dem Bestandteil „MITO“ vorgelegt. Der Vertreter der Widersprechenden hat zu Protokoll an Eides Statt versichert, dass die Firma Z… seit ca. einem Jahr aus dem S2… ausgeschieden sei und der Vertrieb des Produktes „Mitosyl“ nunmehr durch die Sanofi3… GmbH erfolge, die ein hundertprozentige Tochter der S2… S.A. Frankreich sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. § 66 MarkenG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Markeninhaberin hat in der Sache keinen Erfolg. Die Markenstelle hat zutreffend angenommen, dass zwischen den Vergleichsmarken eine Verwechslungsgefahr besteht (§§ 119, 124, 107, 114, 43 Abs. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG i. V. m. Art. 5 PMMA, Art. 6quinquies B Nr. 1 PVÜ). Daher hat die Markenstelle zu Recht die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet (§§ 119, 124, 107, 114, 43 Abs. 2 Satz 1 MarkenG).
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A. Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (vgl. z. B. EuGH GRUR 2010, 1098, Nr. 44 – Calvin Klein/HABM; GRUR 2010, 933, Nr. 32 – BARBARA BECKER; GRUR 2011, 915, Nr. 45 – UNI; BGH GRUR 2012, 1040, Nr. 25 – pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 235, Nr. 15 – AIDA/AIDU). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit die Identität oder Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Marken sowie der von diesen erfassten Waren (oder Dienstleistungen). Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und – davon abhängig – der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren (st. Rspr., z. B. BGH GRUR 2013, 833, Nr. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Nr. 25 – pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 1103, Nr. 37 – Pralinenform II; EuGH GRUR 2008, 343 Nr. 48 – Il Ponte Finanziaria Spa/HABM).
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Nach diesen Grundsätzen ist eine markenrechtlich relevante unmittelbare Gefahr von Verwechslungen zwischen den Vergleichsmarken zu besorgen.
39
1. Die seitens der Markeninhaberin mit Schriftsatz vom 12. September 2013 undifferenziert und sich daher auf beide nach §§ 119, 124, 107, 114, 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG (in der bis zum 13. Januar 2019, hier gemäß § 158 Abs. 5 MarkenG anzuwendenden Fassung) relevanten Benutzungszeiträume beziehende Einrede ist auch hinsichtlich beider vorgenannten Benutzungszeiträume statthaft. Nach § 116 Abs. 1 i. V. m. § 43 Abs. 1 Satz 1, § 115 Abs. 2 MarkenG a. F. unterliegt eine international registrierte Marke der Einrede der Nichtbenutzung, wenn im Zeitpunkt der Veröffentlichung des angegriffenen Zeichens (hier am 3. Januar 2013) die Frist des Art. 5 Abs. 2 MMA seit mindestens fünf Jahren abgelaufen war. Dies ist hier der Fall.
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Deshalb oblag es der Widersprechenden, die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke gemäß § 26 MarkenG sowohl für den nach § 43 Abs. 1 Satz 1 MarkenG relevanten Zeitraum vom 3. Januar 2008 bis 3. Januar 2013 als auch für den nach § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG maßgeblichen Zeitraum der letzten fünf Jahre vor der Entscheidung über den Widerspruch, welcher vorliegend dem Tag der mündlichen Verhandlung am 7. März 2019 entspricht (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Aufl., § 43 Rdnr. 17), hinsichtlich aller maßgeblichen Umstände, insbesondere nach Art, Zeit, Ort und Umfang darzulegen und glaubhaft zu machen.
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Dem ist die Widersprechende nachgekommen. Sie hat für beide Benutzungszeiträume eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke durch die W… GmbH bzw. durch die Z… GmbH für ein Mittel zur Behandlung von Hautentzündungen mit dem Wirkstoff Zinkoxid glaubhaft gemacht.
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a. Ausweislich der von der Widersprechenden vor der Markenstelle mit Schriftsatz vom 20. Januar 2014 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Frau S… vom 20. Dezember 2013 sowie der im Beschwerdeverfahren für den nach § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG maßgeblichen Zeitraum vom 07. März 2014 bis 7. März 2019 eingereichten eidesstattlichen Versicherung der Frau S1 vom 6. April 2018 wurde die Widerspruchsmarke für ein solches Präparat in den die Benutzungszeiträume betreffenden Jahren 2008 bis 2012 bzw. 2014 bis 2017 verwendet, was auch durch die weiter dazu vorgelegten Unterlagen wie Beipackzettel, Werbeanzeigen e t c. belegt wird.
43
b. Die dazu von Frau S… benannten Umsatzzahlen von ca.… € für das Jahr 2009 sowie jährlich mehr als … € in den Jahren 2010 bis 2012 sowie die in der eidesstattlichen Versicherung von Frau S1 aufgeführten Umsätze von jährlich mehr als € für die Jahre 2014 bis 2017 sind für eine ernsthafte Benutzung i. S. von § 26 Abs. 1 MarkenG ohne weiteres ausreichend, zumal der Absatz dieses Produkts auch kontinuierlich über mehrere Jahre hinweg erfolgte.
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Unerheblich ist, dass Frau S… als Director Marketing CHC/Cosmetics der W… GmbH in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 20. Dezember 2013 entsprechende Aussagen zunächst für die Widersprechende abgegeben hat („…von unserer Tochtergesellschaft W… GmbH mit unserer Zustimmung in Deutschland für … benutzt“). Denn mit ihrer weiteren eidesstattlichen Versicherung vom 4. November 2014 hat sie erklärt bzw. an Eides Statt versichert, dass die vorgenannte Gesellschaft als 100 % ige Konzerntochter der Inhaberin der Widerspruchsmarke diese mit deren Zustimmung benutzt. Vor diesem Hintergrund konnte Frau S… dann aber auch – ebenso wie Frau H… als „DIRECTEUR JURIDIQUE MARQUES“ der Muttergesellschaft und Widersprechenden S2… A.S. – Aussagen zu den Verkaufszahlen der mit der Widerspruchsmarke versehenen Produkte treffen.
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Soweit den eidesstattlichen Versicherungen nicht explizit zu entnehmen ist, dass die genannten Umsatzzahlen Inlandsumsätze betreffen – wenngleich sich die in beiden eidesstattlichen Versicherungen dazu enthaltene Formulierung „zu den dabei erzielten Umsätzen“ wohl auf die zuvor versicherte Benutzung der Widerspruchsmarke in Deutschland durch die W… GmbH beziehen soll –, so lassen jedenfalls die vor der Markenstelle als Anlagenkonvolut 6 zum Schriftsatz der Widersprechenden vom 20. Januar 2014 vorgelegten und allein Inlandsumsätze zu der unter der Widerspruchsmarke vertriebenen Salbe ausweisenden Rechnungskopien sowie die weiteren im Beschwerdeverfahren mit Anlage FPS 3 zum Schriftsatz vom 4. Mai 2018 vorgelegten und ebenfalls Inlandsumsätze betreffenden Rechnungsbelege, welche bis auf die am 07. Januar 2014 und am 7. Februar 2014 ausgestellten Rechnungen in den relevanten Zeitraum fallen, keine vernünftigen Zweifel an einer wirtschaftlich sinnvollen und damit ernsthaften Inlandsbenutzung der Widerspruchsmarke zu.
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c. Dieses Mittel zur Behandlung von Hautentzündungen mit dem Wirkstoff Zinkoxid fällt unter den für die Widerspruchsmarke eingetragenen Warenoberbegriff „Produits pharmaceutiques“, entgegen der Auffassung der Markenstelle nicht jedoch unter die Waren „Produits vétérinaires“, da es sich ganz offensichtlich um ein allein zur Anwendung bei Menschen bestimmtes Präparat handelt.
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d. Die in der eidesstattlichen Versicherung der Frau S… in Bezug genommenen Verpackungsmuster in Form von zwei Faltschachteln sowie die der eidesstattlichen Versicherung vom 6. April 2018 beigefügten Verpackungsmuster belegen auch eine funktionsgerechte Verwendung der Widerspruchsmarke in den beiden nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG relevanten Zeiträumen.
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Zwar sind die jeweiligen Verpackungsmuster nicht selbst Bestandteil der eidesstattlichen Versicherung, sondern werden lediglich in Bezug genommen. Jedoch bestehen seitens des Senats keine vernünftigen Zweifel an einer Verwendung der Widerspruchsmarke in einer aus den vorgenannten Unterlagen ersichtlichen Form, zumal abweichende Benutzungs- und Verwendungsformen weder vorgetragen noch ersichtlich sind.
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e. Ausweislich der mit der vorgenannten eidesstattlichen Versicherung der Frau S… eingereichten Abbildung einer Verpackungsfaltschachtel ist die Widerspruchsmarke in folgender Form
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und ausweislich der mit der eidesstattlichen Versicherung vom 6. April 2018 eingereichten Abbildung einer Verpackung wie folgt verwendet worden:
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
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aa. Die Widerspruchsmarke wird auf den vorgelegten Abbildungen der Produktverpackungen sowohl in einem der Eintragung entsprechenden Schriftbild in Großbuchstaben wie auch in Kleinbuchstaben mit lediglich großgeschriebenen Anfangsbuchstaben „M“ verwendet, wobei das Markenwort „MITOSYL/Mitosyl“ jeweils mit einem hochgestellten „®“ versehen ist.
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bb. Die Produktverpackungen weisen allerdings keine Verwendung des Markenworts „MITOSYL/Mitosyl“ in Alleinstellung, sondern unter Hinzufügung des von dem Markenwort „MITOSYL/Mitosyl“ zwar abgesetzten, aber unmittelbar neben diesem angeordneten Großbuchstabens „N“ sowie weiterer, unterhalb von „MITOSYL/Mitosyl“ und „N“ platzierten Angaben wie „27 %“ und „Salbe“ aus.
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Die Ergänzung einer an sich unveränderten Marke durch Zusätze stellt keine Benutzung der Marke in der eingetragenen Form gemäß § 26 Abs. 1 MarkenG dar, wenn die Zusätze mit dem Zeichen erkennbar verbunden sind. In diesem Fall handelt es sich um eine Verwendung der Marke in einer von der Eintragung abweichenden Form (vgl. BGH GRUR 2017, 1023 Nr. 19 – Dorzo). Dies ist vorliegend zwar nicht hinsichtlich der glatt beschreibenden Beschaffenheitsangaben wie „27 %“ und „Salbe“, jedoch in Bezug auf den Großbuchstaben „N“ der Fall. Denn auch wenn dieser zwar weder direkt noch indirekt z. B. durch einen Bindestrich mit dem Markenwort „MITOSYL/Mitosyl“ verbunden ist, so ist er doch in gleicher schriftbildlicher Ausgestaltung und Größe unmittelbar neben dem Markenwort angeordnet und erweckt dadurch den Eindruck, dass er mit zu der Marke gehört. Diese Verbindung des Markenworts „MITOSYL/Mitosyl“ mit dem Buchstaben „N“ stellt dann aber keine Benutzung der Marke in der eingetragenen Form nach § 26 Abs. 1 MarkenG dar, sondern führt zu der nach § 26 Abs. 3 MarkenG Vorzunehmenden Prüfung, ob die von der Eintragung abweichende Benutzung als rechtserhaltende Benutzung der Marke angesehen werden kann (vgl. BGH GRUR 2017, 1043 Tz. 21 – Dorzo).
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cc. Danach stellt die auf den Verpackungen verwendete, von der eingetragenen Form abweichende Benutzungsform nur dann eine Benutzung der Widerspruchsmarke dar, wenn die Abweichungen den kennzeichnenden Charakter der Widerspruchsmarke nicht verändern (§ 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG). Maßgeblich ist dabei, ob der Verkehr das abweichend benutzte Zeichen gerade bei Wahrnehmung der Unterschiede dem Gesamteindruck nach noch mit der eingetragenen Marke gleichsetzt, d. h. in der benutzten Form noch dieselbe Marke sieht (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2017, 1043 Nr. 23 – Dorzo; GRUR 2013, 840, Nr. 20 – PROTI II; GRUR 2013, 68, Nr. 14 – Castell/VIN CASTEL; GRUR 2010, 729, Nr. 17 – MIXI; GRUR 2009, 766, Nr. 50 – Stofffähnchen I; GRUR 2005, 515 – FERROSIL).
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Davon ist bei der auf den Verpackungen verwendeten, von der eingetragenen Form abweichenden Benutzungsform auszugehen. Dazu trägt nicht nur das dem Markenwort „MITOSYL/Mitosyl“ beigefügte und sich daher nur auf dieses beziehende hochgestellte ® bei, welchem der Verkehr regelmäßig den Hinweis entnimmt, dass es eine Marke genau dieses Inhalts gibt (vgl. BGH GRUR 2017, 1043 Tz. 26 – Dorzo; GRUR 2013, 840 Nr. 35 – PROTI II; GRUR 2014, 662 Nr. 25 – Probiotik), sondern vor allem die auf dem Arzneimittelsektor bekannte Übung, Arzneimittelmarken verschiedene Buchstabenzusätze anzufügen, um z. B. auf Änderungen der arzneilich wirksamen Bestandteile oder auch ganz allgemein auf eine geänderte, neue, überarbeitete Version eines unter einer bestimmten Marke vertriebenen Präparats hinzuweisen. Diese Zusätze bestehen häufig nur aus einem Buchstaben und stehen regelmäßig unmittelbar nach der Markenbezeichnung (vgl. BPatG GRUR 2001, 61, 62 – ATLAVIT C / Addivit).
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Solche Buchstabenzusätzen sind wegen ihres beschreibenden Charakters grundsätzlich bereits aus Rechtsgründen nicht geeignet, i. S. von § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG (a. F.) den kennzeichnenden Charakter der eingetragenen Widerspruchsmarke zu verändern (BGH GRUR 2015, 587 Nr. 19 – PINAR). Aber auch in tatsächlicher Hinsicht wird für den mit den Bezeichnungsgewohnheiten im Arzneimittel- und Gesundheitsbereich vertrauten Verkehr, wenn ihm die Widerspruchsmarke in der auf den Produktverpackungen erkennbaren Form mit einem hinzugefügten Großbuchstaben „N“ begegnet, die Vermutung naheliegen, es handele sich bei der erweiterten Bezeichnung um die ihm bekannte Marke der Widersprechenden, welche mit einem z. B. auf eine Spezialausführung, auf eine überarbeitete (neue) Zusammensetzung eines Präparats oder einem auf ein neue/ geänderte Wirkstoffzusammensetzung hinweisenden Zusatz „N“ angeboten wird. Auch soweit er die genaue Bedeutung dieses Zusatzes nicht erfasst, wird er in einem Einzelbuchstaben, der einem normal kennzeichnungskräftigen Markenwort folgt, auf Grund der dargelegten vielfachen Übung ohne weiteres einen beschreibenden Hinweis/Zusatz vermuten (vgl. BPatG GRUR 2001, 61, 62 – ATLAVIT C / Addivit), diesem daher neben dem Markenwort „MITOSYL/Mitosyl“ keine eigene herkunftshinweisende Bedeutung beimessen und allein in dem Markenwort die maßgebliche markenrechtliche Bezeichnung erkennen.
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dd. Bei der auf den Verpackungen erkennbaren Verwendung der Widerspruchsmarke MITOSYL in einer gegenüber der eingetragenen Wortmarke veränderten, aber dennoch verkehrsüblichen Schriftzeichengestaltung stellt sich von vornherein nicht die Frage einer Veränderung des kennzeichnenden Charakters gemäß § 26 Abs. 3 MarkenG, weil insoweit die Identität der Marke nicht berührt wird (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 26 Rdnr.164). Eine über diese verkehrsübliche Schriftzeichengestaltung hinausgehende graphische Ausgestaltung – wie sie in der von der Inhaberin der angegriffenen Marke benannten Entscheidung BPatG 27 W (pat) 171/02 v. 8. Juli 2003 – Linette/Ginette vorlag – ist bei den Verwendungsformen der Widerspruchsmarke auch nicht ansatzweise zu erkennen.
58
f. Einer rechtserhaltenden Benutzung steht ferner nicht entgegen, dass die Widersprechende die Widerspruchsmarke ihrem eigenen Vorbringen nach nicht selbst benutzt hat und auch die vorgelegten Rechnungen nicht die Widersprechende, sondern die W… GmbH bzw. – was den nach § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG relevanten Benutzungszeitraum betrifft – auch die Z… GmbH als Aussteller ausweisen, da insoweit jeweils von einer Benutzung der Widerspruchsmarke mit Zustimmung der Widersprechenden auszugehen ist, was gemäß § 26 Abs. 2 MarkenG einer Benutzung durch den Inhaber gleichzusetzen ist.
59
aa. So beruft sich die Widersprechende hinsichtlich des nach § 43 Abs. 1 Satz 1 MarkenG relevanten Zeitraums nicht nur selbst ausdrücklich auf eine berechtigte Benutzung der Widerspruchsmarke durch die auch auf den für diesen Zeitraum vorgelegten Rechnungen als Benutzerin ausgewiesene W… GmbH, was bereits eine gewisse Vermutung dafür begründet (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering,a. a. o., § 26 Rdnr. 148). Verstärkt wird diese Vermutung durch die (ergänzende) eidesstattliche Versicherung der Frau S… vom 4. November 2014, in welcher sie als Director Marketing CHC/Cosmetics der W… GmbH an Eides Statt versichert, dass es sich bei der vorgenannten Gesellschaft um eine (100 %ige) Konzerntochter der Widersprechenden handelt, welche die Widerspruchsmarke mit deren Zustimmung im nach § 43 Abs. 1 Satz 1 MarkenG relevanten Zeitraum benutzt hat. Die Zugehörigkeit der W… Arzneimittel GmbH zum Konzern der Widersprechenden wird auch durch die in den Benutzungszeitraum fallenden Rechnungen, welche die W… GmbH als „ein Unternehmen der S2… Gruppe“ ausweisen, sowie den von der Widersprechenden mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2014 als Anlage 8 vorgelegten Wikipedia-Auszug zu „W…“ belegt, in welchem diese Firma als „Teil des Konzerns S2…“ bezeichnet wird. Angesichts der danach glaubhaft gemachten engen wirtschaftlichen Verbindungen zwischen der Inhaberin der Widerspruchsmarke und deren Benutzerin kann dann aber auch ohne weitere Nachweise vom Vorliegen des nach § 26 Abs. 2 MarkenG erforderlichen Einverständnisses der Markeninhaberin ausgegangen werden, da eine Benutzung der Marke ohne Wissen und Einwilligung der Markeninhaberin als wirklichkeitsfremd erscheinen muss (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 26 Rdnr. 148 m. w. N.)
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bb. Dies gilt auch für den nach § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG maßgeblichen Zeitraum vom 7. März 2014 bis 7. März 2019. Auch für diesen Zeitraum beruft sich die Widersprechende auf eine Benutzung der Widerspruchsmarke durch die W… GmbH, welche durch die eidesstattliche Versicherung vom 6. April 2018 bestätigt wird. Zwar weisen die als Anlagenkonvolut FPS 2 vorgelegten Rechnungen insoweit nicht nur eine Verwendung durch die W… GmbH, sondern in einem jedenfalls nicht unbeträchtlichen Umfang auch durch eine „Z… GmbH“ auf. Dazu hat der Vertreter der Widersprechenden jedoch in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2019 zu Protokoll an Eides Statt versichert, dass die Firma Z… seit ca. einem Jahr aus dem S2… Konzern ausgeschieden ist, so dass für den vorliegend relevanten Benutzungszeitraum aufgrund der Konzernzugehörigkeit der Fa. Z… ebenso wie bei der W… GmbH von einer Benutzung der Widerspruchsmarke durch diese Firmen mit Zustimmung der Markeninhaberin ausgegangen werden kann (§ 26 Abs. 2 MarkenG).
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g. Es ist daher auf Seiten der Widerspruchsmarke von einer rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke für ein rezeptfreies Mittel zur Behandlung von Hautentzündungen mit dem Wirkstoff Zinkoxid auszugehen. Da eine weitergehende Benutzung seitens der Widersprechenden nicht geltend gemacht wird, ist auf Seiten der Widerspruchsmarke grundsätzlich von dieser Ware nach § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG auszugehen.
62
Im Rahmen der Integrationsfrage ist die Widersprechende aber entgegen der Auffassung der Markeninhaberin nicht auf das ganz spezielle mit der Widerspruchsmarke gekennzeichnete Produkt festzulegen; andererseits ist aber auch nicht der gesamte mit dem eingetragenen Oberbegriff „Produits pharmaceutiques“ umfasste weite Warenbereich einzubeziehen. Anwendung findet vielmehr die sogenannte „erweiterte Minimallösung“. Danach wird einerseits die Beanspruchung des breiten Oberbegriffs ausgeschlossen, andererseits der Markeninhaber aber auch nicht auf das konkrete Einzelprodukt in seiner speziellen Zusammensetzung usw. beschränkt (vgl. BGH GRUR 2012, 64, 65 Nr. 10 – Maalox/Melox-GRY; BPatG 25 W (pat) 79/12 v. 22. Mai 2014 – Tebo/TOBI; 30 W (pat) 37/13 v. 21. Mai 2015 – CIRKALM/BIKALM; Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O, § 26 Rdnr. 291 m. w. N.). Ausgehend davon ist eine Benutzung der Widerspruchsmarke für die Hauptgruppe 85 „Wund- und Narbenbehandlungsmittel“ der ROTEN LISTE anzuerkennen.
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2. Unter Zugrundelegung dieser Benutzungslage können sich beide Marken auf zumindest durchschnittlich ähnlichen Waren begegnen.
64
a. Eine Ähnlichkeit der beiderseitigen Waren ist anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen – insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte und Leistungen oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlicher Gründe – so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus denselben oder gegebenenfalls wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, sofern sie – was zu unterstellen ist – mit identischen Marken gekennzeichnet sind (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, 923 f., Nr. 22 – 29 – Canon; EuGH GRUR 2006, 582 ff., Nr. 85 – VITAFRUIT; BGH GRUR 2006, 941 ff., Nr. 13 – TOSCA BLU; GRUR 2004, 241, 243 – GeDIOS; GRUR 2001, 507, 508 – EVIAN/REVIAN; Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rdnr. 59 m. w. N.).
65
b. Die von der angegriffenen Marke zu Klasse 05 beanspruchten „Dressing materials containing silicone“ unterscheiden sich zwar von den auf Seiten der Widerspruchsmarke zu berücksichtigenden Präparaten der Hauptgruppe 85 der Roten Liste nach ihrer stofflichen Beschaffenheit, Herstellung etc. deutlich. Diese Waren können jedoch insoweit nebeneinander zur Anwendung kommen, als sie beide der Wundversorgung oder der Behandlung von (Haut-)Entzündungen und/oder Erkrankungen dienen können. Zwar reicht allein der Umstand, dass sich Waren in irgendeiner Hinsicht ergänzen können, zur Feststellung einer (durchschnittlichen) Ähnlichkeit nicht aus. Erforderlich ist vielmehr ein enger funktioneller Zusammenhang in dem Sinne, dass die eine Ware (oder Dienstleistung) für die Verwendung der anderen unentbehrlich oder wichtig ist, so dass dadurch die Annahme gemeinsamer oder doch miteinander verbundener Ursprungsstätten zumindest nahegelegt wird (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rdnr. 95 m. w. Nachw.). Dies aber trifft auf die bei den Vergleichsmarken zu berücksichtigenden Waren zu. Diese können nämlich z. B. gemeinsam einer umfassenden Wundversorgung oder Behandlung einer entzündeten Hautstelle dienen, indem zunächst das Produkt der Widersprechenden aufgetragen und die betreffende Wunde bzw. Stelle dann mit einem (silikonhaltigen) Verbandsmaterial abgedeckt wird. Vor dem Hintergrund, dass Verbands- und Pflastermaterialien oftmals bereits selbst entzündungshemmende Stoffe und Präparate enthalten, liegt für den Verkehr die Annahme einer gemeinsamen betrieblichen Herkunft dieser Mittel jedenfalls nicht so fern, als dass eine zumindest (noch) durchschnittliche Ähnlichkeit zwischen diesen Waren verneint werden könnte.
66
3. Die Widerspruchsmarke MITOSYL verfügt über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft.
67
Dies gilt auch dann, wenn man dem in einigen anderen Arzneimittelmarken nachweisbaren Markenbestandteil „MITO“ einen Hinweis auf die Mitochondrien als Stoffwechselorte von Zellen oder auch auf die Mitose (Zellteilung) bzw. zytostatische Wirkstoffe wie Mitotan oder Mitoxantron (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 264. Aufl., S. 1343 f.) entnimmt, wenngleich ein solches Verständnis sich in Zusammenhang mit den vorliegenden, der Behandlung von Hautentzündungen und/oder Wunden dienenden Waren nicht ohne weiteres aufdrängt.
68
Denn auch bei einer Kennzeichnungsschwäche des Bestandteils „MITO“ kann der Widerspruchsmarke jedenfalls in ihrer Gesamtheit eine von Haus aus durchschnittliche Kennzeichnungskraft nicht abgesprochen werden, da der entsprechende Sachhinweis durch die Endung „-SYL“ hinreichend verfremdet ist und die Widerspruchsmarke damit als Phantasiebegriff eine ausreichend schutzbegründende Eigenprägung aufweist.
69
4. Die Vergleichszeichen weisen ferner eine mindestens durchschnittliche Zeichenähnlichkeit auf.
70
a. Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist grundsätzlich vom jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen auszugehen (vgl. z. B. BGH GRUR 2013, 833, Nr. 45 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Nr. 25 – pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 15 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 729, Nr. 23 – MIXI). Dabei ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen. Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, (Schrift-)Bild und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH GRUR 2006, 413, Nr. 19 – ZIRH/SIR; GRUR 2005, 1042, Nr. 28 – THOMSON LIFE; GRUR Int. 2004, 843, Nr. 29 – MATRATZEN; BGH GRUR 2015, 1009, Nr. 24 – BMW-Emblem; GRUR 2010, 235, Nr. 15 – AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, Nr. 32 – METROBUS; GRUR 2006, 60, Nr. 17 – coccodrillo; GRUR 2004, 779, 781 – Zwilling/ Zweibrüder). Dabei genügt für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Richtung (st. Rspr. vgl. z. B. BGH GRUR 2015, 1009, Nr. 24 – BMW-Emblem; GRUR 2015, 1114, Nr. 23 – Springender Pudel; GRUR 2010, 235, Nr. 18 – AIDA/AIDU m. w. N.; vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rdn. 268 m. w. N.).
71
b. Ausgehend davon kommen sich beide Marken bereits im Klangbild so nahe, dass eine zumindest mittlere (durchschnittliche) Zeichenähnlichkeit nicht verneint werden kann.
72
aa. Die beiden einheitlichen Markenwörter MITOSYL und matosil stimmen nicht nur formal in fünf von sieben Buchstaben überein, sondern verfügen auch über die gleiche Silbenzahl sowie einen übereinstimmenden Sprech- und Betonungsrhythmus. Sie unterscheiden sich lediglich in den Vokalen „I“ bzw. „a“ der Anfangssilben sowie in den Mittelkonsonanten „Y/i“ der Endsilben. Die Übereinstimmungen in den Anlauten „M“, „T“ und „S“ der einzelnen Wortsilben, in der Mittelsilbe „TO/to“ sowie im Endlaut „l“ sorgen dabei für einen weitreichenden Gleichklang beider Marken. Gegenüber diesen weitreichenden Übereinstimmungen, auf die bei der Prüfung der Zeichenähnlichkeit der zu vergleichenden Marken grundsätzlich mehr abzuheben ist als auf die Abweichungen, weil erstere stärker im Erinnerungsbild zu haften pflegen (vgl. BGH GRUR 1998, 924 – salvent/Salventerol), treten die Abweichungen nicht so deutlich hervor, dass sie die weitgehend übereinstimmende Gesamtstruktur beider Markenwörter im Klangbild wesentlich beeinflussen könnten. So wird nicht nur die Abweichung in den Vokalen „I“ bzw. „a“ bei den Anfangssilben beider Marken durch den übereinstimmenden Anfangskonsonanten „M/m“ sowie die identische klangstarke Mittelsilbe „TO/to“ überlagert, sondern auch die Endsilbe „sil“ der angegriffenen Marke hebt sich nicht so deutlich von der Endsilbe „syl“ der Widerspruchsmarke ab, um im Gesamtklangbild beider Markenwörter für eine hinreichende klangliche Differenzierung zu sorgen. Durch diese gegenüber den weitreichenden Übereinstimmungen eher geringfügigen Unterschiede wird der Klangeindruck beider Marken daher insgesamt nicht so prägnant beeinflusst, dass ein Verhören mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Dies gilt umso mehr, als die Vergleichszeichen im Verkehr nicht gleichzeitig nebeneinander aufzutreten pflegen, sondern ein Vergleich aufgrund eines undeutlichen Erinnerungsbildes erfolgt (vgl. u. a. EuGH GRUR Int. 1999, 734 Tz. 26 – Lloyd; BGH GRUR 2000, 506 – ATTACHÉ/ TISSERAND; GRUR 2003, 1047 – Kellogg`s/Kelly`s).
73
Auch ein zugunsten der Inhaberin der angegriffenen Marke unterstellter, wenngleich vorliegend nicht sonderlich naheliegender beschreibender bzw. begrifflicher Anklang des Markenbestandteils „MITO“ innerhalb des Zeichens MITOSYL wirkt sich nicht kollisionsmindernd aus. Dieser kann entgegen der Auffassung der Inhaberin der angegriffenen Marke insbesondere nicht damit begründet werden, dass „MITO“ für sich gesehen als Abwandlung einer beschreibenden Angabe über einen eng zu bemessenden Schutzumfang verfügt, aus dem der abweichende Vokal „a“ des Bestandteils „mato“ herausführt. Denn es stehen sich nicht die Marken „MITO“ und „mato“, sondern MITOSYL und matosil gegenüber, deren Zeichenähnlichkeit nicht zergliedernd, sondern dem Gesamteindruck nach zu beurteilen ist. Bei diesen Markenwörtern verschmelzen die Anfangsbestandteile „MITO“ bzw. „mato“ mit den Endsilben „SYL“ bzw. „sil“ zu einheitlichen Phantasie- und Kunstwörtern, die so weder in der Umgangs- noch in der Fachsprache vorkommen und die daher auch keinen einer Verwechslungsgefahr entgegenwirkenden sofort erfassbaren Begriffsinhalt aufweisen.
74
Die Gemeinsamkeiten beider Markenwörter beschränken sich auch nicht auf begriffliche bzw. beschreibende Markenbestandteile – wie es z. B. bei der von der Inhaberin der angegriffenen Marke zitierten Entscheidung BPatG 25 W (pat) 42/03 – Agnukadin/AGNUCASTON, veröffentlicht in PAVIS PROMA sowie auf der Internetseite des BPatG, der Fall war –, da beide Markenwörter in ihrer für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit allein maßgeblichen Gesamtheit aus den obengenannten Gründen weitreichende Übereinstimmungen aufweisen, die zu einem weitgehenden Gleichklang führen.
75
In rechtlicher Hinsicht scheidet eine kollisionsmindernde Wirkung des Zeichenteils „MITO“ der Widerspruchsmarke auch deshalb aus, weil sich die Vergleichsmarken sowohl an den Fachverkehr als auch an das allgemeine Publikum richten. Unterscheidet sich das Verständnis der Marken in diesen Verkehrskreisen, so dass von einer gespaltenen Verkehrsauffassung auszugehen ist, so kann eine relevante Zeichenähnlichkeit schon dann zu bejahen sein, wenn lediglich ein Verkehrskreis die Zeichen als ähnlich wahrnimmt (vgl. BGH GRUR 2012, 64 Nr. 9 – Maalox/Melox-GRY). Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass sich die möglichen beschreibenden Anklänge von „MITO“ allenfalls dem Fachverkehr, nicht aber dem allgemeinen Publikum erschließen (vgl. BPatG 30 W (pat) 528/11 v. 31. Januar 2013 – KONZEPT DR. STUTE MITOZell/MITOSYL, veröffentlicht in juris).
76
bb. Offen bleiben kann, ob die Inhaberin der jüngeren Marke über eine Zeichenserie mit dem Stammbestandteil „mato“ verfügt.
77
Zwar kann der Stammbestandteil einer benutzten Zeichenserie bei identischer oder wesensgleicher Übernahme in ein jüngeres Zeichen eine mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt eines Serienzeichens begründen; weiterhin kann eine solche Verwechslungsgefahr auch dann vorliegen, wenn eine ältere Marke, die z. B. als Firmenschlagwort benutzt ist, zum Stammbestandteil eines jüngeren Zeichens gemacht wird (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz a. a. O., § 9 Rdnr. 522).
78
Hingegen vermag allein die Verwendung eines eigenständigen Wortstamms einer jüngeren Marke als Stammbestandteil einer Zeichenserie bestehende Ähnlichkeiten zu einer rangbesseren älteren Marke nicht zu beseitigen und diesen in kollisionsmindernder Weise entgegenzuwirken. Die Verwendung eines eigenständigen Wortstamms als Stammbestandteil kann sich daher allenfalls kollisions
begründend
, nicht jedoch kollisions
mindernd
auswirken.
79
4. Ausgehend von zumindest durchschnittlicher Zeichenähnlichkeit kann in der Gesamtabwägung aller für die Frage der Verwechslungsgefahr maßgeblichen Faktoren angesichts der erheblichen Ähnlichkeit der Waren sowie der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke eine Verwechslungsgefahr zwischen beiden Marken nicht verneint werden.
80
B. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich sind.

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