Aktenzeichen 30 W (pat) 20/15
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2009 020 073
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richter Merzbach und Dr. Meiser
beschlossen:
Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
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Gegen die für die Waren
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„Klasse 5: Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse, nämlich Hormonsubstitute und Kontrazeptiva in Form von Tabletten, jedoch nicht in Form von Pflastern“
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eingetragene Wortmarke 30 2009 020 073
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MICRONETTE
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ist aus der am 10. April 1981 für die Waren
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„Arzneimittel, insbesondere Blasenspasmolytikum für den Humanbedarf“
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eingetragene Wortmarke DD 643 430
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Mictonetten
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Widerspruch erhoben worden.
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Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat mit Schriftsatz vom 8. Februar 2012 die Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten. Die Widersprechende hat daraufhin mit Schriftsatz vom 23. November 2012 zur Glaubhaftmachung der Benutzung der Widerspruchsmarke eine eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Widersprechenden, Herrn N… vom 20. November 2012 sowie weitere Unterlagen insbesondere in Form von Rechnungen und Produktverpackungen vorgelegt.
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Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit zwei Beschlüssen vom 7. November 2011 und 3. März 2015, von denen letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, eine Verwechslungsgefahr zwischen beiden Marken bejaht und die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet.
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Zur Begründung ist im Erinnerungsbeschluss ausgeführt, dass die Inhaberin der angegriffenen Marke die von ihr erhobene Einrede der Nichtbenutzung der Widerspruchsmarke nach Vorlage von Benutzungsunterlagen durch die Widersprechende hinsichtlich der Ware „Blasenspasmolytikum für den Humanbedarf“ nicht mehr aufrecht erhalten habe. Somit stünden sich die Waren „Blasenspasmolytikum für den Humanbedarf“ und „Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse, nämlich Hormonsubstitute und Kontrazeptiva in Form von Tabletten, jedoch nicht in Form von Pflastern“ gegenüber. Trotz unterschiedlicher Indikationsgebiete sei insoweit von einer Ähnlichkeit dieser Waren auszugehen, da es sich in beiden Fällen um Arzneimittel handele, welche von denselben Unternehmen produziert, an denselben Vertriebsstellen angeboten und von denselben Personenkreisen, u. U. auch gleichzeitig, angewendet werden könnten.
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Ferner sei von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen Für eine gesteigerte Kennzeichnungskraft sei nichts ersichtlich.
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Der danach zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr erforderliche Abstand zwischen den Vergleichszeichen werde nicht eingehalten, auch wenn man beachte, dass die sich gegenüberstehenden Waren nur ähnlich seien und der Verkehr bei Waren, die die Gesundheit und das körperliche Wohlbefinden beeinflussen können, eine gewisse Sorgfalt walten ließe.
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Die miteinander zu vergleichenden Markenwörter
MICRONETTE und Mictonetten unterschieden sich bei gleicher Vokalfolge und Silbenzahl sowie übereinstimmendem Sprech- und Betonungsrhythmus lediglich durch die unbetonten Konsonanten „R“ gegenüber „t“ im Wortinneren sowie dem Konsonanten „n“ am Ende der Widerspruchsmarke. Die Betonung liege bei beiden Marken auf der zweiten Worthälfte. Für eine französische Aussprache der angegriffenen Marke bestehe keine Veranlassung, da keine Anlehnung an ein französisches Wort erkennbar sei. Diese minimalen Unterschiede könnten jedoch sehr leicht überhört werden. Es könne auch nicht stets von optimalen Übermittlungsbedingungen sowie einer hinreichend deutlichen Sprechweise ausgegangen werden. Ferner sei zu bedenken, dass Marken meist nicht nebeneinander wahrgenommen würden. Die Marken verfügten auch nicht über einen sich kollisionsmindernd auswirkenden Bedeutungsgehalt.
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Hiergegen hat die Inhaberin der angegriffenen Marke Beschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Widersprechende allenfalls eine Benutzung der Widerspruchsmarke für ein einziges Arzneimittel zur Behandlung von Blasenschwäche und Harninkontinenz von Kindern dargelegt und eine weitergehende Benutzung auch nicht behauptet habe. Von diesen Waren sei dann aber auch auszugehen, da für die Frage einer rechtserhaltenden Benutzung nur auf die konkret benutzten Waren abzustellen sei. Daher könne eine Benutzung für „Blasenspasmolytika für den Humanbedarf“ oder gar für „Urologika“ nicht anerkannt werden.
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Die danach miteinander zu vergleichenden Waren „Hormonsubstitute und Kontrazeptiva in Form von Tabletten, jedoch nicht in Form von Pflastern“ auf Seiten der angegriffenen Marke sowie „Blasenspasmolytika für Kinder“ seien aber nicht ähnlich. Sie wiesen keine Berührungspunkte in Bezug auf medizinische Indikation oder eine mögliche ergänzende Behandlung auf. Es bestehe kein funktionaler Zusammenhang im Sinne einer aus medizinischer Sicht notwendigen Verwendung. Hormonpräparate würden in Zusammenhang mit der Behandlung von Blasenschwäche bzw. im urologischen Bereich nicht angewendet.
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Es fehle auch an einer Ähnlichkeit der Vergleichszeichen. So unterschieden sich bereits die Wortanfänge „MICTO“ bzw. „Micro“ klanglich wie auch schriftbildlich deutlich voneinander. „MICTO“ werde kurz und hart ausgesprochen, „Micro“ hingegen lang und gedehnt und enthalte zudem eine für den Verkehr erkennbare Anlehnung an „klein, minimal“. Auch schriftbildlich wiesen die Wortanfänge eine deutlich unterschiedliche Umrisscharakteristik auf.
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In klanglicher Hinsicht sei ferner zu beachten, dass die angegriffene Marke am Wortende „französisch“ ohne den Endvokal „e“ ausgesprochen werde, während das Wortende der Widerspruchsmarke „en“ besonders betont werde.
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Beachte man ferner, dass der Verkehr Arzneimitteln mit besonderer Aufmerksamkeit begegne, scheide eine Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichszeichen aus.
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Die Markeninhaberin beantragt,
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die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 05 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 7. November 2011 und 3. März 2015 aufzuheben und den Widerspruch aus der Marke DD 643 430 zurückzuweisen.
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Die Widersprechende beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Entgegen der Auffassung der Inhaberin der angegriffenen Marke könnten die vorliegend maßgeblichen Arzneimittel als sich ergänzende oder auch miteinander konkurrierende Produkte Verwendung finden, so dass bereits aus diesem Grunde eine Ähnlichkeit nicht verneint werden könne. Angesichts der weitreichenden klanglichen wie schriftbildlichen Übereinstimmungen bei den Vergleichszeichen könne dann aber unter Zugrundelegung einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke eine Verwechslungsgefahr nicht in Abrede gestellt werden.
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Auf Hinweis des Senats hat die Inhaberin der angegriffenen Marke mit Schriftsatz vom 5. Februar 2018 erklärt, dass die vor der Markenstelle erhobene Benutzungseinrede sich auf beide Benutzungszeiträume nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG beziehe und eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für ein „Blasenspasmolytikum für den Humanbedarf“ weiterhin bestritten werde.
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Die Widersprechende hat daraufhin mit Schriftsatz vom 28. Februar 2018 eine weitere eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Widersprechenden, Herrn B…, vom 23. Februar 2018 sowie weitere Unterlagen insbesondere in Form von Rechnungen, Produktverpackungen und Kopien der Roten Liste eingereicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, da auch nach Auffassung des Senats zwischen den Vergleichsmarken eine Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht. Daher hat die Markenstelle zu Recht die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet (§ 43 Abs. 2 Satz 1 MarkenG).
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A. Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (vgl. z. B. EuGH GRUR 2010, 1098, Nr. 44 – Calvin Klein/HABM; GRUR 2010, 933, Nr. 32 – BARBARA BECKER; GRUR 2011, 915, Nr. 45 – UNI; BGH GRUR 2012, 1040, Nr. 25 – pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 235, Nr. 15 – AIDA/AIDU). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit die Identität oder Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Marken sowie der von diesen erfassten Waren (oder Dienstleistungen). Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und – davon abhängig – der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren (st. Rspr., z. B. BGH GRUR 2013, 833, Nr. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Nr. 25 – pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 1103, Nr. 37 – Pralinenform II; EuGH GRUR 2008, 343 Nr. 48 – Il Ponte Finanziaria Spa/HABM).
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Nach diesen Grundsätzen ist eine markenrechtlich relevante unmittelbare Gefahr von Verwechslungen zwischen den Vergleichsmarken zu besorgen.
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1. Die Markeninhaberin hat mit Schriftsatz vom 8. Februar 2012 die Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten, wobei sie im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 5. Februar 2018 klargestellt hat, dass die Einrede sich auf beide Benutzungszeiträume nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG bezieht und auch eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für ein „Blasenspasmolytikum für den Humanbedarf“ weiterhin bestritten werde.
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a. Die Benutzungseinrede ist hinsichtlich beider nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 MarkenG maßgeblichen Zeiträume statthaft. Die Widerspruchsmarke war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der angegriffenen Marke (9. Oktober 2009) bereits mehr als 5 Jahre eingetragen. Maßgebend ist insoweit nach §§ 4, 5 ErstrG der Zeitpunkt der Eintragung in das Markenregister der DDR am 10. April 1981 mit der Maßgabe, dass die Benutzungsschonfrist erst am 3. Oktober 1995 abgelaufen ist (Einigungsvertrag Anlage I Kapitel III Sachgebiet E Abschnitt II Nr. 1 § 10).
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Deshalb oblag es der Widersprechenden, die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke in den beiden Zeiträumen Oktober 2004 bis Oktober 2009 und März 2013 bis März 2018 hinsichtlich aller maßgeblichen Umstände, insbesondere nach Art, Zeit, Ort und Umfang darzulegen und glaubhaft zu machen.
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b. Offen bleiben kann, ob die Inhaberin der Markeninhaberin im Verfahren vor der Markenstelle die Einrede in Bezug auf ein „Blasenspasmolytikum für den Humanbedarf“ nicht aufrechterhalten hat, wovon die Markenstelle ausgegangen ist. Denn im Beschwerdeverfahren hat sie mit Schriftsatz vom 8. Februar 2018 die Einrede einer Nichtbenutzung auch in Bezug auf diese Waren jedenfalls in zulässiger Weise wieder aufgegriffen. Eine erneute Erhebung der Einrede ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Inhaber angegriffenen Marke auf die Einrede insgesamt oder in Bezug auf einzelne Waren und/oder Dienstleistungen ausdrücklich verzichtet oder die Benutzung der Widerspruchsmarke insoweit anerkennt (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Aufl., § 43 Rdnr. 42). Dafür bieten sich vorliegend keine hinreichenden Anhaltspunkte.
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Allerdings spricht ihr Vorbringen im Schriftsatz vom 7. Juli 2016, wonach die Widersprechende „die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke nur für Blasenspasmolytika für Kinder dargelegt“ habe, dafür, dass eine Benutzung für ein „Blasenspasmolytikum für Kinder“ nicht (mehr) bestritten werden soll, ihr Bestreiten sich letztlich allein gegen die Anerkennung einer Benutzung für ein „Blasenspasmolytikum für den Humanbedarf“ richtet. Insoweit handelt es sich aber nicht um eine einem Bestreiten zugängliche Tatsache, sondern um eine Rechtsfrage, ob und in welchem Umfang eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke auf Basis einer Benutzung für ein „Blasenspasmolytikum für Kinder“ anzuerkennen wäre. Letztlich kann dies aber ebenfalls dahinstehen.
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c. Denn die Widersprechende hat mit den im Widerspruchsverfahren mit Schriftsatz vom 23. November 2012 sowie im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 28. Februar 2018 vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Geschäftsführer der Widersprechenden vom 20. November 2012 und 23. Februar 2018 sowie den weiteren Unterlagen insbesondere in Form von Rechnungen, Produktverpackungen und Kopien der Roten Liste eine nach Art, Zeit, Ort und Umfang ernsthafte und funktionsgemäße Benutzung der Widerspruchsmarke i. S. von § 26 Abs. 1 MarkenG als Produktmarke für ein rezeptpflichtiges „Blasenspasmolytikum für Kinder“ ausreichend belegt, und zwar für beide Benutzungszeiträume nach § 43 Abs. 1 MarkenG. Einwände gegen die zur Glaubhaftmachung einer rechtserhaltenden Benutzung vorgelegten Unterlagen, insbesondere gegen die darin für beide Benutzungszeiträume genannten erheblichen Umsätze sowie die sich aus den Verpackungsmustern bzw. Gebrauchsinformationen ergebende funktionsgemäße Benutzung in einer den kennzeichnenden Charakter der eingetragenen Marke nicht verändernden Form i. S. von § 26 Abs. 3 MarkenG, werden seitens der Inhaberin der angegriffenen Marke nicht erhoben. Da eine weitergehende Benutzung seitens der Widersprechenden auch nicht geltend gemacht wird, ist auf Seiten der Widerspruchsmarke grundsätzlich von diesen Waren nach § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG auszugehen.
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d. Im Rahmen der Integrationsfrage ist die Widersprechende aber entgegen der Auffassung der Markeninhaberin nicht auf das ganz spezielle mit der Widerspruchsmarke gekennzeichnete Produkt festzulegen; andererseits ist aber auch nicht der gesamte mit dem eingetragenen Oberbegriff „Arzneimittel“ umfasste weite Warenbereich einzubeziehen. Anwendung findet vielmehr die sogenannte „erweiterte Minimallösung“. Danach wird einerseits die Beanspruchung des breiten Oberbegriffs ausgeschlossen, andererseits der Markeninhaber aber auch nicht auf das konkrete Einzelprodukt in seiner speziellen Zusammensetzung, Rezeptpflicht usw. beschränkt. Eine rechtserhaltende Benutzung ist vorliegend deshalb für den Bereich anzuerkennen, welcher der jeweiligen Arzneimittelhauptgruppe in der „Roten Liste“ entspricht, und zwar ohne Beschränkung auf bestimmte Wirkstoffe, Darreichungsformen oder auf eine Rezeptpflicht (vgl. BGH GRUR 2012, 64, 65 Rn. 10 – Maalox/Melox-GRY; BPatG 25 W (pat) 79/12 v. 22. Mai 2014 – Tebo/TOBI; 30 W (pat) 37/13 v. 21. Mai 2015 – CIRKALM/BIKLAM; Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 26 Rdnr. 291 m. w. N.). Dies ist hier die Hauptgruppe 81 „Urologika und Mittel zur Behandlung der Hyperkaliämie und Hyperphosphosphatämie“ der „Roten Liste“.
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2. Aber selbst wenn man zugunsten der Inhaberin der angegriffenen Marke lediglich eine Benutzung der Widerspruchsmarke für ein „Blasenspasmolytikum für Kinder“ anerkennt, können sich beide Marken in Bezug auf die von der angegriffenen Marke (konkret) beanspruchten Waren „pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse, nämlich Hormonsubstitute und Kontrazeptiva in Form von Tabletten, jedoch nicht in Form Pflastern” zwar nicht auf identischen, so jedoch vor dem Hintergrund, dass es sich bei beiden Waren um Arzneimittel handelt, auf durchschnittlich ähnlichen Waren begegnen.
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Soweit die Inhaberin der angegriffenen Marke dagegen einwendet, dass diese Arzneimittel keinerlei Ähnlichkeit in Bezug auf die medizinische Indikation oder eine mögliche ergänzende Behandlung aufwiesen und ferner auch kein echter funktionaler Zusammenhang im Sinne einer aus medizinischer Sicht notwendigen Verwendung bestehe, dieser sich insbesondere auch nicht aus einer evtl. möglichen Verwendung von Hormonsubstituten im urologischen Bereich ergebe, verkennt sie, dass bei Arzneimitteln selbst bei einem deutlichen Indikationsabstand im Hinblick auf die generell gegebenen Überschneidungen bei den Herstellerbetrieben, den Vertriebswegen, den Verkaufsstätten und den gemeinsamen Zweck, nämlich der Behandlung von Krankheiten und gesundheitlichen Beschwerden im weitesten Sinne zu dienen, kein ausgeprägter Warenabstand oder gar eine Warenferne angenommen werden kann. Den Widerspruchswaren stehen auf Seiten der angegriffenen Marke Waren gegenüber, die gleichfalls zum Kernbereich der Arzneimittel gehören und deshalb unabhängig von ihrer Indikation und Anwendung ohne weiteres ähnlich sind (vgl. BPatG PAVIS PROMA 25 W (pat) 20/10 v. 26. August 2010 – Ropirol/ ROHYPNOL; 25 W (pat) 65/11 v. 20. August 2012 – Protego/PROTELOS; 25 W (pat) 64/12 v. 11. April 2013 – Rivamed/RIAMET; alle veröffentlicht auf PAVIS PROMA; Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rdnr. 113). Auch der Bundesgerichtshof ist in einer jüngeren Entscheidung ohne weiteres von einer durchschnittlichen Ähnlichkeit zwischen Arzneimitteln unterschiedlicher Indikationsgebiete, nämlich Magen-/Darmmitteln einerseits und Arthrosemitteln andererseits, ausgegangen (vgl. BGH GRUR 2012, 64, 65 Tz. 10 – Maalox/Melox-GRY). Vor diesem Hintergrund bietet dann aber auch die von der Markeninhaberin genannte (ältere) BGH-Entscheidung „Ichthyol II“ (GRUR 2006, 937), in welcher der Bundesgerichtshof im Rahmen der sich bei § 15 Abs. 2 MarkenG stellenden Frage einer Branchennähe die Feststellung des Berufungsgerichts zu einer wenngleich nicht – wie die Markeninhaberin meint – gänzlichen fehlenden, so jedoch geringen Branchennähe zwischen pharmazeutischen Unternehmen, die Arzneimittel unterschiedlicher Indikationsgebiete herstellen, nicht beanstandet hat (vgl. GRUR 2006, 937, 941 Tz. 41 – Ichthyol II), keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.
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Ob darüber hinaus im Hinblick auf verschiedene von der Widersprechenden vorgelegte Unterlagen zur Anwendung von Hormonsubstituten im Bereich der Urologie (zum Beispiel Prostatakrebs, weibliche Harninkontinenz) sogar von einer engeren Ähnlichkeit ausgegangen werden kann, bedarf letztlich keiner Erörterung, da bereits unter Zugrundelegung einer durchschnittlichen Ähnlichkeit eine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken nicht verneint werden kann.
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3. So ist auf Seiten der Widerspruchsmarke von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke auszugehen.
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4. Die Ähnlichkeit der Zeichen ist zumindest durchschnittlich.
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a. Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist grundsätzlich vom jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen auszugehen (vgl. z. B. BGH GRUR 2013, 833, Nr. 45 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, Nr. 25 – pjur/pure; GRUR 2012, 930, Nr. 22 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64, Nr. 15 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 729, Nr. 23 – MIXI). Dabei ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen. Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, (Schrift-)Bild und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH GRUR 2006, 413, Nr. 19 – ZIRH/SIR; GRUR 2005, 1042, Nr. 28 – THOMSON LIFE; GRUR Int. 2004, 843, Nr. 29 – MATRATZEN; BGH GRUR 2015, 1009 Nr. 24 – BMW-Emblem; GRUR 2010, 235, Nr. 15 – AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, Nr. 32 – METROBUS; GRUR 2006, 60, Nr. 17 – coccodrillo; GRUR 2004, 779, 781 – Zwilling/Zweibrüder). Dabei genügt für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Richtung (st. Rspr. vgl. z. B. BGH GRUR 2015, 1009, Nr. 24 – BMW-Emblem; GRUR 2015, 1114, Nr. 23 – Springender Pudel; GRUR 2010, 235, Nr. 18 – AIDA/AIDU m. w. N.; vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rdn. 268 m. w. N.).
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Dabei ist entgegen der Auffassung der Inhaberin der jüngeren Marke nicht allein auf den medizinischen Fachverkehr bestehend aus Ärzten und Apothekern abzustellen, der den Vergleichswaren mit besonderer Fachkenntnis und Aufmerksamkeit begegnet, sondern auch die Wahrnehmung von Personal mit geringeren Fachkenntnissen sowie die Wahrnehmung des Endverbrauchers mit einzubeziehen, welcher jedoch allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl. BGH GRUR 1995, 50, 53 – Indorektal/Indohexal).
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b. Ausgehend davon kommen sich beide Marken bereits im Klangbild so nahe, dass jedenfalls eine mittlere (durchschnittliche) Zeichenähnlichkeit nicht verneint werden kann.
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So wird der Verkehr entgegen der Auffassung der Inhaberin der angegriffenen Marke das angegriffene Zeichen deutschen Ausspracheregeln entsprechend viersilbig wie „MI-CRO-NET-TE“ aussprechen. Er wird darin kein französisches, sondern ein Phantasiewort erkennen, so dass er keinen Anlass hat, die angegriffene Marke französischen Ausspracheregeln entsprechend ohne den Endvokal „e“ wiederzugeben.
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Die danach wie „MI-CRO-NET-TE“ und „Mic-to-net-ten“ artikulierten Markenwörter stimmen dann aber nicht nur formal in 9 von 11 Buchstaben (MIC-ONETTE-) überein, sondern verfügen über die gleiche Silbenzahl sowie eine identische, das Gesamtklangbild maßgeblich beeinflussende Vokalfolge „I-O-E-E“.
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Angesichts dieser weitreichenden Übereinstimmungen, auf die bei der Prüfung der Zeichenähnlichkeit der zu vergleichenden Marken grundsätzlich mehr abzuheben ist als auf die Abweichungen, weil erstere stärker im Erinnerungsbild zu haften pflegen (vgl. BGH GRUR 1998, 924 Tz. 24 – salvent/Salventerol), stellen die Abweichungen in den Konsonanten „R“ bzw. „t“ im Wortinneren sowie in dem „n“-Laut am ohnehin weniger beachteten Ende der Widerspruchsmarke kein ausreichendes Gegengewicht dar, um ein sicheres Auseinanderhalten der Markenwörter in klanglicher Hinsicht zu ermöglichen. So wird insbesondere die konsonantische Abweichung „R/t“ im Wortinnern durch den identischen Wortanfang „MI“ sowie die sie umgebende klangtragende Vokalfolge „i-o“ überlagert. Soweit diese eine abweichende Zuordnung des in beiden Markenwörtern übereinstimmend als klangstarker „K-Laut“ hervortretenden Konsonanten „C/c“ als Anlaut der zweiten Silbe der angegriffenen Marke „MI-CRO-NET-TE“ bzw. Endlaut der ersten Silbe der Widerspruchsmarke „Mic-to-net-ten“ nach sich zieht, tritt der dadurch bewirkte Unterschied im Sprech- und Betonungsrhythmus gegenüber dem durch den identischen Wortanfang, den weitgehenden konsonantischen Übereinstimmungen sowie der identischen Vokalfolge geprägten Gesamtklangbild beider Markenwörter nicht so deutlich hervor, um für eine hinreichende klangliche Differenzierung zu sorgen. Durch diese gegenüber den weitreichenden Übereinstimmungen eher geringfügigen Unterschiede wird der Klangeindruck beider Marken daher insgesamt nicht so prägnant beeinflusst, dass ein Verhören mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Dies gilt umso mehr, als die Vergleichszeichen im Verkehr nicht gleichzeitig nebeneinander aufzutreten pflegen, sondern ein Vergleich aufgrund eines undeutlichen Erinnerungsbildes erfolgt (vgl. u. a. EuGH GRUR Int. 1999, 734 Tz. 26 – Lloyd; BGH GRUR 2000, 506 – ATTACHÉ/ TISSERAND; GRUR 2003, 1047 – Kellogg`s/Kelly`s).
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Allein ein begrifflicher Anklang des Markenbestandteils „MICRO“ innerhalb des angegriffenen Zeichens MICRONETTE wirkt sich nicht kollisionsmindernd aus, da das angegriffene Zeichen zum einen als einheitliches Phantasiewort wahrgenommen wird und zum anderen ein solcher Anklang angesichts der weitgehenden Überschneidungen und Gemeinsamkeiten beider Zeichen bei mündlicher Wiedergabe bzw. Übermittlung gerade nicht erfasst bzw. bemerkt wird (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rn. 312 m. w. N.).
51
5. Angesichts einer durchschnittlichen Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Waren, der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und der zumindest mittleren (durchschnittlichen) Ähnlichkeit der Kollisionszeichen kann dann aber in der Gesamtabwägung eine Verwechslungsgefahr zwischen beiden Marken nicht verneint werden.
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B. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich sind.