Aktenzeichen 25 W (pat) 8/09
Leitsatz
Schokoladestäbchen III
1. Beim Löschungs- bzw. Schutzentziehungsantrag nach §§ 54, 50 bzw. §§ 115 Abs. 1, 50 MarkenG handelt es sich um einen Popularantrag, der auf dem Allgemeininteresse an der Löschung ungerechtfertigt, d. h. entgegen bestehender Schutzhindernisse eingetragener Marken beruht. Trotz des kontradiktorischen Charakters dieses Verfahrens gilt der Amtsermittlungs- bzw. Untersuchungsgrundsatz nach § 59 Abs. 1 bzw. § 73 Abs. 1 MarkenG uneingeschränkt. Angesichts des Allgemeininteresses bzw. öffentlichen Interesses darf die Entscheidung über die Lö-schung bzw. den Verbleib einer Marke im Register nicht von den Fähigkeiten und dem Engage-ment des Löschungsantragstellers bei der Führung des Löschungsverfahrens abhängen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in dem auf eine rasche Erledigung einer großen Anzahl von Fällen angelegten Eintragungsverfahren Fehleintragungen in relevantem Umfang unvermeidbar sind, zumal die Entscheidung in der alleinigen Verantwortung des jeweiligen Markenprüfers liegt. Soweit die praxisrelevanten Eintragungshindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG betroffen sind, sind Fehleintragungen amtsseitig nicht korrigierbar. Das auf Antrag Dritter eingeleitete Löschungs- bzw. Schutzentziehungsverfahren ist in diesen Fällen der einzige vom Gesetz eröffnete Weg einer Registerkorrektur. Insbesondere durch die markenmäßige (Fehl-)Monopolisierung von Warenformen und Warenverpackungen können eigentumsähnliche Rechte Dritter in gravierender Weise betroffen sein und den fairen Wettbewerb gefährden.
2. Eine Warenformmarke kann die für die Bejahung der Unterscheidungskraft erforderliche Herkunftsfunktion grundsätzlich nur dann erfüllen, wenn die fragliche Warengestaltung erheblich von der Norm und Branchenüblichkeit abweicht (st.Rspr. vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rn. 49 – Henkel; GRUR Int. 2004, 631 Rn. 39 – Dreidimensionale Tablettenform I). Auf Warengebieten mit einer großen Vielfalt von Warenformen (z.B. bei Schokoladenwaren) bedarf eine als Marke angemeldete Warenform einer Ausgestaltung, die sie aus dem umfangreich verwendeten Formenschatz in betriebskennzeichnender Weise heraushebt. Nur eine solche Gestaltung stellt eine erhebliche und damit schutzbegründende Abweichung von der Branchenüblichkeit i. S. d. maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH dar.
Verfahrensgang
nachgehend BGH, 6. April 2017, Az: I ZB 39/16, Beschluss
Tenor
In der Beschwerdesache
…
…
betreffend das Schutzentziehungsverfahren S 35/06
in Bezug auf die Marke IR 869 586
hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Knoll, der Richterin Kriener und des Richters am Amtsgericht Dr. Nielsen
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. Mai 2007 aufgehoben, soweit der Schutzentziehungsantrag in Bezug auf die Waren der Klasse 30 „chocolat“ und „produits de chocolaterie“ zurückgewiesen worden ist. Auf den Schutzentziehungsantrag der Antragstellerin hin wird der IR Marke 869 586 der Schutz für die Waren „chocolat“ und „produits de chocolaterie“ für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland entzogen.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
1
In Bezug auf die für die Waren der Klasse 30
2
“Cacao, chocolat, produits de chocolaterie”
3
international unter der Nummer IR 869 586 seit dem 7. September 2005 registrierte dreidimensionale Marke
4
(Beschreibung: La marque est constituée par la forme du produit évoquant un sarment de vigne),
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der die im französischen Markenregister enthaltene Ausgangsanmeldung vom 7. Oktober 2002 bzw. -eintragung 02 3 188 047 zugrunde liegt (Darstellung gemäß französischem Markenregister wie folgt)
6
und deren Schutz seit dem 15. Dezember 2005 auf die Bundesrepublik Deutschland erstreckt ist, hat die Antragstellerin mit einem am 13. Januar 2006 beim DPMA eingegangenen Schriftsatz Schutzentziehung u. a. mit der Begründung beantragt, dass dieser Marke Schutz entgegen § 8 MarkenG gewährt worden sei und außerdem fraglich sei, ob die Marke dem Bestimmtheitsgebot genüge. Der Löschungsantrag ist am 18. Juli 2006 zum Zwecke der Zustellung durch Aufgabe zur Post an die Markeninhaberin zur Postabfertigung gelangt. Diese hat dem Antrag auf Schutzentziehung mit dem am 23. August 2006 beim DPMA eingegangenen Telefax widersprochen.
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Die Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Löschungsantrag mit Beschluss vom 24. Mai 2007 zurückgewiesen.
8
Nach Auffassung der Markenabteilung könne nicht festgestellt werden, dass die angegriffene Marke entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG eingetragen worden sei. Sie hebe sich deutlich von den auf dem hier einschlägigen Warengebiet der Schokolade und Schokoladenwaren üblichen Warenformen ab. Üblich seien neben der klassischen “Riegelform” nur Gestaltungen, die einen ohne weiteres erkennbaren realen Bezug hätten und außerdem von einem gewissen Wert seien. Die Gestaltung der angegriffenen Marke falle aus diesem üblichen Muster heraus. In der Abbildung lasse sich auf den ersten Blick überhaupt nichts aus der realen Welt Bekanntes erkennen. Auch der in der Markenbeschreibung herausgestellte Bezug zu einer “Weinranke” sei kaum nachvollziehbar. Es handele sich auch nicht um eine den üblichen Gestaltungsformen entsprechende Form. Schließlich sei auch der Verkauf von Schokolade in der Form von leicht geschlängelten Stäbchen, anders als in der “echten” Form eines Stabes oder Sticks, nicht allgemein üblich. Es handele sich demgemäß bei der eingetragenen Abbildung um eine willkürliche Form, so dass der Verkehr diese Form nicht als (übliches) Dekor auffasse und die angegriffene Marke daher als betrieblicher Herkunftshinweis wirke.
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Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde.
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Der erkennende Senat hatte mit Beschluss vom 21. Juli 2011, berichtigt durch Beschluss vom 22. September 2011, auf die Beschwerde der Antragstellerin den Beschluss der Markenabteilung 3.4 vom 24. Mai 2007 aufgehoben und der angemeldeten Marke auf den Schutzentziehungsantrag hin den Schutz für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland entzogen. Im Beschluss war ausgeführt worden, dass der Schutzgegenstand der angegriffenen Marke durch die der Schutzgewährung zugrunde liegende bildliche Darstellung nicht hinreichend bestimmt sei, so dass es an einer grundlegenden Voraussetzung für die Schutzgewährung fehle. Für die Schutzfähigkeit einer Registermarke sei erforderlich, dass der Gegenstand der Marke eindeutig festgelegt und definiert sei. Dieses Erfordernis müsse die nach § 8 Abs. 1 MarkenG zwingend vorgesehene grafische Darstellbarkeit in der Weise verwirklichen, dass sich daraus eindeutig ein einziges Zeichen ergebe. Deshalb sei es unzulässig, für eine dreidimensionale Gestaltung eine grafische Darstellungsform zu wählen, die eine Deutung des Zeichens in mehr als eine Richtung zulasse. Die bildlichen Darstellungen müssten den Schutzgegenstand in seiner räumlichen Gestaltung und Ausdehnung eindeutig festlegen. Die streitgegenständliche dreidimensionale Marke erfülle diese Voraussetzungen nicht. Weder die der Eintragung als IR-Marke zugrunde liegende Abbildung noch die Darstellung in der französischen Ausgangsanmeldung ließen erkennen, wie die Marke räumlich gestaltet sei. Es sei nicht ersichtlich, ob die abgebildete Wellenform in einer Ebene verlaufe oder gewunden sei und damit eine weitere Dimension in der Tiefe habe. Ferner bleibe offen, ob das abgebildete Stäbchen im Durchmesser rund oder oval sei. Die erläuternde Beschreibung, wonach die Marke die Form einer Weinranke darstelle, führe zu keinem hinreichend bestimmten Schutzgegenstand. Weinranken seien naturgemäß unterschiedlich gewachsen, die Beschreibung umfasse daher eine gewisse Bandbreite von Gestaltungen.
11
Der Senat hatte zuvor der Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts anheimgestellt, dem Beschwerdeverfahren im Hinblick auf die aufgeworfenen Rechtsfragen, insbesondere die Reichweite des Bestimmtheitsgebotes, wegen deren grundsätzlicher Bedeutung, die über den Einzelfall hinaus auch Auswirkungen auf das Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt haben könnten, beizutreten (siehe dazu den am 15. September 2010 an Verkündungs Statt zugestellten Beschluss des Senats, Bl. 258/270 d. A.). Die Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamts ist dem Verfahren beigetreten.
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Auf die zugelassene und eingelegte Rechtsbeschwerde der Markeninhaberin hin hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 28. Februar 2013 die angefochtene Beschwerdeentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zur Prüfung der Schutzhindernisse nach § 107 Abs. 1, § 115 Abs. 1, § 50 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 MarkenG, Art. 5 Abs. 1 MMA in Verbindung mit Art. 6 quinquies Abschn. B Satz 1 Nr. 2 PVÜ zurückverwiesen (siehe BGH GRUR 2013, 929 – Schokoladenstäbchen II). Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs sei im Beschluss des Bundespatentgerichts zwar zutreffend ausgeführt, dass das Bestimmtheitsgebot zu den wesentlichen Prinzipien des Markenrechts gehöre. Die grafische Darstellung der eingetragenen Marke müsse so klar und eindeutig bestimmt sein, dass eine genaue Identifizierung und Bestimmung des Schutzgegenstandes gewährleistet sei. Das Bundespatentgericht habe die Anforderungen an die Bestimmtheit der Abbildung der angegriffenen dreidimensionalen Marke aber rechtsfehlerhaft überspannt. Entgegen der Auffassung des Bundespatentgerichts genüge die maßgebliche Darstellung in der französischen Ausgangseintragung den Anforderungen, die an die Bestimmtheit der Darstellung des Schutzgegenstandes zu stellen seien. Der Abbildung sei zweifelsfrei zu entnehmen, dass das Stäbchen Kurven und Wellen nur in einer Ebene aufweise. In der Abbildung fehlten Anhaltspunkte dafür, dass die Marke die räumliche Gestalt eines sich in Art eines Korkenziehers um eine gedachte Achse oder Mittellinie drehenden oder sich windenden Stäbchens aufweise. Dem farblich hellen Schnitt am linken Ende und der hellen und dunklen Darstellung der Oberseite des Stäbchens sei in perspektivisch eindeutiger Weise zu entnehmen, dass die Abbildung ein Stäbchen mit einem nicht ovalen, sondern runden Querschnitt zeige. Die Sache sei deshalb an das Bundespatentgericht zurückzuverweisen zur Prüfung der Schutzhindernisse nach § 115 Abs. 1, § 50 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 MarkenG, Art. 5 Abs. 1 MMA in Verbindung mit Art. 6 quinquies Abschn. B Satz 1 Nr. 2 PVÜ.
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Der Sach- und Streitstand stellt sich im zurückverwiesenen Verfahren wie folgt dar:
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Die Markeninhaberin vertrieb seit 1983 unter anderem in Deutschland eine der streitgegenständlichen dreidimensionalen Form sehr ähnliche Schokoladenspezialität unter der Bezeichnung „Sarments du Mèdoc“. Es handelt sich bei dieser Ware um ein dünnes Schokoladenstäbchen mit gerundeter Ober- und ebener Unterseite, einer in der Längsrichtung gewellten Form und aufgestreuten Krümeln. Im Unterschied zur streitgegenständlichen dreidimensionalen Form in der Interpretation des Bundesgerichtshofs in der Rechtsbeschwerdeentscheidung ist der Querschnitt der Schokoladenstäbchen nicht rund, sondern in etwa halbrund. Seit dem Jahr 2003 wurde das Produkt unter der Bezeichnung „Finesse de Chocolat“ angeboten. Es wurde in Deutschland über exklusive Vertriebspartner, wie die Weinhändler H… oder J… sowie ausgesuchte Süßwarengeschäfte oder Handelshäuser verkauft. Ende 2004 hat die Markeninhaberin die Form ihres Schokoladenstäbchenprodukts leicht umgestellt. Dabei wurden die in etwa halbrunde, dünne und in der Längsrichtung gewellte Form sowie das Auftragen von Krümeln beibehalten. Die Markeninhaberin erteilte zudem einer Schwestergesellschaft, der Firma „M…“, die Lizenz zum Vertrieb identischer Schokoladenstäbchen in Deutschland. Die Schokoladenstäbchen wurden damit beworben, dass sie einer Weinrebe nachempfunden seien. Die Krümel sollten danach die Knospen der Weinrebe darstellen.
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Die Antragstellerin brachte ihrerseits ein entsprechendes Schokoladenprodukt auf den Markt, das Gegenstand eines zwischen den Verfahrensbeteiligten geführten Verletzungsverfahrens war und das mit der vom Bundesgerichtshof festgestellten streitgegenständlichen dreidimensionalen Form bis auf den in etwa halbrunden Querschnitt weitgehend übereinstimmt und mit den von der Markeninhaberin vertriebenen Schokoladenstäbchen nahezu identisch ist. Die Antragstellerin stellte ihr mit dem streitgegenständlichen Schokoladenstäbchen weitgehend übereinstimmendes Schokoladenprodukt erstmals auf der I… … in K… aus. Ab April 2005 verkaufte sie dieses Produkt unter der Bezeichnung „Les Rameaux du Médoc“ über die Firma A… in D…. Der Antrag der Markeninhaberin auf internationale Registrierung (Date d’enregistrement gemäß Art. 3 Abs. 4 Satz 2 MMA) der streitgegenständlichen Marke ist am 7. September 2005 bei der zuständigen französischen Ausgangsbehörde gestellt worden. Mit der auf Markenverletzung gestützten Klage vom 13. Oktober 2005 erwirkte die Markeninhaberin – nachdem ihre Klage vor dem Landgericht Hamburg durch Urteil vom 14. Februar 2006 abgewiesen worden war vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht ein rechtskräftig gewordenes Ver-zichts-, Teil- und Schlussurteil vom 8. Oktober 2008, mit dem die Antragstellerin zur Unterlassung des Verkaufs ihres Produkts „Les Rameaux du Médoc“ verpflichtet wurde. Die Antragstellerin wurde weiterhin zu Auskunft und Schadensersatz hinsichtlich der vom 7. September 2005 bis zum 10. Januar 2006 erfolgten Verkäufe des Produkts verurteilt (wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgericht vom 8. Oktober 2008 verwiesen, siehe Bl. 160/180 d. A.).
16
Mit der Ladung vom 20./24. September 2013 hat der Senat den Beteiligten Belege in Bezug auf diverse Gestaltungen von Schokoladen- und Backwaren übermittelt, die in Deutschland vertrieben werden bzw. wurden (siehe dazu die mit der Ladung übersandten Rechercheunterlagen Bl. 522/544 d. A.). Mit Verfügung vom 19. Dezember 2013 hat der Senat von den Firmen G…, M1… (früher: K1…), N…, H… … und M2… bzw. M… GmbH Auskünfte darüber erbeten, seit wann Produkte mit den Bezeichnungen „ChocOlé“, „Mikado“, „After Eight Sticks“, „Chocolat d’or“ und „Amicelli“ in der Bundesrepublik Deutschland angeboten werden. Die Anfrage wurde von den Firmen G…, N…, M… GmbH, H… und M1… beantwortet (wegen der Einzelheiten dieser Antworten bzw. Auskünfte wird auf Bl. 631 – 635 und Bl. 686 – 693 d. A. verwiesen).
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Die Antragstellerin behauptet, dass die streitgegenständliche Warenform sich zum Zeitpunkt der Schutzrechtserstreckung bereits in relevantem Umfang auf dem Markt befunden habe. Sie habe mit dem Verkauf ihres Produkts von April 2005 bis zum 31. August 2005 in Deutschland einen Umsatz von … Euro erzielt. Dies entspreche dem Verkauf von … Millionen Packungen. Zudem seien im Zeitpunkt der Schutzrechtserstreckung andere, ähnliche Waren auf dem Markt gewesen. Das Produkt „Chocolat d‘or“ sei bereits 1938 auf dem Markt eingeführt worden. Das Produkt „Mikado“ werde seit 1983 in Europa vertrieben. „Amicelli“ sei im Jahr 2001 als Marke angemeldet worden. Das Produkt „Milky Way Crispy Rolls“ werde seit langem in Deutschland vertrieben. Erfrischungsstäbchen würden seit den 50er Jahren in Deutschland angeboten. Auch wenn das Produkt „After Eight Sticks“ erst 2006 auf den Markt gekommen sei, müsste dieses berücksichtigt werden, da ein mögliches Freihaltebedürfnis nicht nur auf die aktuellen Gegebenheiten im Zeitpunkt der Schutzrechtserstreckung abstellen könne. Die Firma L… … habe von 2001 bis 2003 mehr als … Tonnen des Schokoladenprodukts „fin carrè“ in Deutschland vertrieben. Weiter seien im Jahr 2005 die Schokoladenstäbchen „Madame Truffaut“ und „Droste Chocolate Sticks“ vertrieben worden.
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Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass das angegriffene Zeichen aus der bloßen Abbildung der Ware selbst bestehe, weshalb es vom Verkehr nicht als betrieblicher Herkunftshinweis verstanden werde. Zudem stelle das Zeichen in Bezug auf die eingetragenen Waren lediglich eine beschreibende Angabe dar, an der ein Freihaltebedürfnis bestehe. Schon der Umstand, dass die Antragstellerin selbst vor der Anmeldung der hier angegriffenen IR-Marke eine vergleichbare Form für ein Schokoladenprodukt verwendet habe, verdeutliche das Allgemeininteresse an der freien Verwendbarkeit dieser Form. Den Mitbewerbern müsse die freie Wahl zwischen allen beschreibenden Formen erhalten bleiben. Die eingetragene Marke weise keine tatsächlich an eine Weinranke erinnernde und über die bloße Form eines zylinderförmigen Stäbchens mit Streuseln hinausgehende Ausgestaltung auf. Dementsprechend habe eine in einem französischen Verletzungsverfahren auf Veranlassung der Antragstellerin durchgeführte demoskopische Umfrage ergeben, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der befragten Verkehrsbeteiligten die hier maßgebliche Warenform nicht als Kennzeichen eines bestimmten Herstellers ansehe. Die angegriffene Marke erschöpfe sich in einer Kombination einfacher gestalterischer Merkmale. Der Verkehr werde den Streuseln nur eine geschmackliche bzw. ästhetische Funktion zumessen. Auch die wellenförmige Ausgestaltung des Schokoladenstäbchens hebe sich nicht durch charakteristische, identitätsstiftende Merkmale in hinreichender Weise von anderen Produktgestaltungen im hier maßgeblichen Warenbereich ab. Die Schutz suchende Form sei auch für „cacao“ nicht schutzfähig, da ausweislich der Beschreibung die Marke aus der Form der beanspruchten Ware selbst bestehe. Damit werde keine dreidimensionale Herkunftsbezeichnung etwa in der Art des bekannten Mercedes-Sterns beansprucht, sondern eine Warenformmarke. Als Kakao werde gewöhnlich das aus den Früchten des Kakaobaumes gewonnene Pulver bzw. ein daraus hergestelltes Getränk bezeichnet. Damit sei es faktisch ausgeschlossen, dass aus dieser beanspruchten Ware ein Stäbchen in der streitgegenständlichen Form hergestellt werden könne.
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Die Antragstellerin beantragt,
20
den Beschluss der Markenstelle 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. Mai 2007 aufzuheben und der Marke IR 869 586 den Schutz für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu entziehen.
21
Die Markeninhaberin beantragt,
22
die Beschwerde zurückzuweisen.
23
Ihren ursprünglich im Schriftsatz vom 20. November 2007 gestellten Kostenantrag (Bl. 26 d. A.) hat die Markeninhaberin nach Zurückverweisung der Sache durch den Bundesgerichtshof an das Bundespatentgericht in der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2013 zurückgenommen (siehe dazu das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bl. 601 d. A. bzw. die Reinschrift Bl. 608 d. A.).
24
Die Markeninhaberin bestreitet den von der Antragstellerin behaupteten Vertrieb der Produkte „fin carrè“, „Madame Truffaut“ und „Droste Chocolate Sticks“ in Deutschland. Sie bestreitet weiter, dass das Produkt „Chocolat d’or“ seit 1938 vertrieben werde und dass die Antragstellerin mit dem Produkt „Les Rameaux du Médoc“ von April 2005 bis August 2005 die behaupteten Umsätze erzielt habe. Das von der Antragstellerin vorgelegte demographische Gutachten sei unbrauchbar.
25
Soweit die Antragstellerin ein Freihaltebedürfnis damit begründe, dass sie die streitige Form der Schokoladenstäbchen schon vor dem Zeitpunkt der Schutzerstreckung am 7. September 2005 vertrieben habe, ist die Markeninhaberin der Auffassung, dass dieser Einwand unerheblich sei, weil das Freihaltebedürfnis aus § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nur auf das Allgemeininteresse und nicht auf das Individualinteresse eines Mitbewerbers abstelle. Das Markenrecht kenne kein Vorbenutzungsrecht. Auch bei einer Wortbezeichnung, die ein Hersteller benutze, ohne eine Markenanmeldung vorzunehmen, erwerbe er keinen Schutz an dieser Bezeichnung und müsse einer später angemeldeten und eingetragenen Marke weichen. Der von der Antragstellerin behauptete Umsatz mit den von ihr vertriebenen entsprechenden Produkten – seine Richtigkeit unterstellt – stelle im Schokoladenwarenbereich nur einen verschwindend geringen Marktanteil von unter einem Prozent dar. Der Vertrieb sei nur kurzzeitig erfolgt und habe sich auf das Gebiet von A… beschränkt. Das Produkt sei somit in Süddeutschland nicht bekannt gewesen. Eine Gewöhnung der Verbraucher an das Produkt sei schon deswegen ausgeschlossen. Es gebe keine nach Nord und Süd gespaltenen Verkehrskreise. Auch der Vertrieb entsprechender Produkte durch die Markeninhaberin selbst bzw. deren Schwesterunternehmen habe nicht zu einer Gewöhnung des Verkehrs geführt, da sich ihr Umsatz in dem relevanten Marktsegment in Deutschland lediglich im Promillebereich bemesse. So habe die Markeninhaberin im Jahr 2004 mit den Schokoladenstäbchen in Deutschland einen Umsatz von … Euro erzielt (bei einem Gesamtmarkt von … Milliarden Euro).
26
Die üblichen Gestaltungsformen auf dem Gebiet der Schokolade und der Schokoladenwaren seien geometrische Formen, wie Rechteck, Quadrat, Dreieck, Kugel oder Talerform. Die hier geschützte Form eines welligen Stäbchens mit einzelnen Punkten (Krümeln) an der Oberfläche gehöre nicht zu den üblichen Gestaltungsformen für Schokoladenwaren. Ob diese Form den Verbraucher an eine Weinranke erinnere, sei daher unerheblich. In Anbetracht der nahezu unerschöpflichen Formenvielfalt bei Schokoladenwaren bestehe auch kein Freihaltebedürfnis an der eingetragenen Warenform. Die vom Senat ermittelten und im Ladungszusatz vom 24. September 2013 angeführten Schokoladenwaren, seien mit dem streitigen Schokoladenstäbchen in ihrer Form nicht vergleichbar. Keines der Produkte weise gleichzeitig eine wellige Form, einen runden Querschnitt und aufgestreute Krümel auf. Die Produkte „After Eight Sticks“, „Mikado“, „Amicelli“ und „Chocolat d’or“, verfügten über eine für Schokoladenwaren übliche geometrische Form (Zylinderform). Das Produkt „Hachez Katzenzungen“ sei am oberen und unteren Ende größer sowie auf der Unterseite flach. Es habe mit der Form der angegriffenen Marke nichts zu tun. Das Produkt „Erfrischungsstäbchen“ habe die Form eines Quaders. Darüber hinaus seien Keksprodukte, wie „Mikado“ oder „Amicelli“, nicht in den Formenkreis der Schokoladenwaren einzubeziehen. Die „After Eight Sticks“ seien nicht zu berücksichtigen, weil sie erst seit dem Jahr 2006 verkauft würden. Hinsichtlich des Produkts „Chocolat d’or“ wie auch hinsichtlich des Produkts „Mikado“ stehe nicht fest, dass diese Waren seit der Markteinführung so vertrieben würden, wie im Ladungszusatz des Senats vom 24. September 2013 bildlich dargestellt. Auch die Mitteilungen der Herstellerfirmen würden nur beinhalten, zu welchem Zeitpunkt die Produkte im Markt eingeführt worden seien. Damit sei keine Aussage über einen ununterbrochenen Vertrieb oder eine unveränderte Produktform getroffen.
27
Im zurückverwiesenen Verfahren hat der erkennende Senat zu den diversen Produktgestaltungen im Bereich der Schokoladenwaren recherchiert und den Beteiligten entsprechende Rechercheunterlagen vorgelegt. Diese Verfahrensweise hat die Markeninhaberin als rechtlich bedenklich gerügt und dazu ausgeführt:
28
Auch wenn im Schutzentziehungsverfahren der Grundsatz der Amtsermittlung gemäß § 73 Abs. 2 MarkenG gelte, erfahre dieser Grundsatz wesentliche Einschränkungen aus der kontradiktorischen Natur dieses Verfahrens. Der Antragsteller trage die Feststellungslast. Das kontradiktorische Verfahren zeichne sich dadurch aus, dass jeder Beteiligte die ihm günstigen Tatsachen vortrage und die zur Entscheidung berufene Stelle über die gestellten Anträge entscheide. Der Senat verändere den Inhalt der kontradiktorischen Entscheidung des DPMA, wenn er eigene Ermittlungen in die eine oder andere Richtung durchführe.
29
Ausgehend von diesen Ausführungen hat die Markeninhaberin bereits im Schriftsatz vom 20. November 2011 mitgeteilt, dass sie sich einen Ablehnungsantrag wegen Besorgnis der Befangenheit vorbehalten müsse (siehe dazu Bl. 572/581 d. A.). Der Senat hat daraufhin mit Verfügung vom 22./25 November 2013 rechtliche Hinweise zur Geltung des Untersuchungsgrundsatzes im Löschungs- bzw. Schutzentziehungsverfahrens gegeben und im Hinblick auf die Regelung nach § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i. V. m. § 43 ZPO (Verlust des Ablehnungsrechts nach Einlassung bzw. Antragstellung in mündlicher Verhandlung) angekündigt, in der auf den 5. Dezember 2013 anberaumten mündlichen Verhandlung vorab über den „vorbehaltenen“ (Ablehnungs-)Antrag zu verhandeln (siehe dazu Bl. 572/581 d. A. und Bl. 582/584 d. A.). In der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2013 hat die Markeninhaberin keinen Befangenheitsantrag gestellt, sondern sich rügelos eingelassen und Sachanträge gestellt (siehe dazu das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2013, Bl. 600/601 d. A.).
30
Den von der Markeninhaberin dann mit Schriftsatz vom 2. Februar 2015 (Bl. 825/828 d. A.) gegen alle an der am 8. Dezember 2014 an Verkündungs Statt zugestellten Senatsentscheidung (Bl. 772/779) beteiligten Mitglieder des erkennenden Senats gestellten Antrag auf Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit hat der Senat nach Rücknahme des Befangenheitsantrags in Bezug auf zwei zwischenzeitlich aus dem Senat ausgeschiedene Senatsmitglieder im verbliebenen Umfang mit Beschluss vom 29. September 2015 zurückgewiesen (Bl. 932/943 d. A.).
31
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den angefochtenen Beschluss der Markenabteilung, auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Hinweise des Senats, die von Dritten erteilten Auskünfte und auf den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
II.
32
Nachdem der Bundesgerichtshof die durch Beschluss vom 22. September 2011 berichtigte erste instanzabschließende Senatsentscheidung vom 21. Juli 2011 (vgl. GRUR 2012, 283 – Schokoladenstäbchen) auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hin im Rechtsbeschwerdeverfahren durch Beschluss vom 28. Februar 2013 aufgehoben und zurückverwiesen hat (vgl. GRUR 2013, 929 –Schokoladenstäbchen II), war das Verfahren vor dem erkennenden Senat des Bundespatentgerichts fortzusetzen.
A)
33
Nach der gemäß § 89 Abs. 4 Satz 2 MarkenG bindenden rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts durch den Bundesgerichtshof in der Rechtsbeschwerdeentscheidung genügt entgegen der Auffassung des erkennenden Senats im Beschluss vom 21. Juli 2011 die der maßgeblichen französischen Ausgangsanmeldung und –eintragung zugrundeliegende Darstellung des dreidimensionalen Schutzgegenstandes den an die Bestimmtheit des Schutzgegenstandes zu stellenden Anforderungen. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage und auch die vom erkennenden Senat aufgeworfene Rechtsfrage, ob bei komplexen dreidimensionalen Gestaltungen nicht regelmäßig mehrere Ansichten des Schutzgegenstandes eingereicht werden müssten, ohne Vorlage an den EuGH abschließend im Sinne der Markeninhaberin beurteilt, so daß insoweit kein Entscheidungsspielraum mehr gegeben ist. Soweit der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit dem Bestimmtheitserfordernis der Markendarstellung in seiner Entscheidung eine von der des erkennenden Senats abweichende tatrichterliche Beurteilung vorgenommen hat, kann der erkennende Senat sie teilweise nicht nachvollziehen. Dies betrifft insbesondere die Beurteilung, wonach dem farblich hellen Schnitt am linken Ende und der hellen und dunklen Darstellung der Oberseite des Stäbchens in perspektivisch eindeutiger Weise zu entnehmen sei, dass die Abbildung ein Stäbchen mit einem nicht ovalen, sondern runden Querschnitt zeige. Dies ist deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Schnittdarstellung kaum erkennbar ist. Zudem dürfte sie von der Inhaberin der angegriffenen Marke weder beabsichtigt noch in ihrem Sinne sein, da sie seit Jahrzehnten ausschließlich Schokoladenstäbchen mit einem allenfalls halbrunden Querschnitt vertreibt, jedenfalls stets mit flacher bzw. ebener Unterseite. Demzufolge benutzt die Markeninhaberin eine Warenform, die von der streitgegenständlichen Warenformmarke in der Interpretation der Markendarstellung durch den Bundesgerichtshof abweicht.
34
Unabhängig von dieser vom Bundesgerichtshof verfahrenswidrig getroffenen und zudem sachlich in Frage zu stellenden tatrichterlichen Beurteilung, sieht der Senat sich gleichwohl zur Frage der Bestimmtheit der Markendarstellung gemäß § 89 Abs. 4 Satz 2 MarkenG an die Rechtsbeschwerdeentscheidung gebunden, weil sie letztlich mit einer „rechtlichen Kategorie“ dahingehend begründet wird, dass in der Ausgangsentscheidung vom 21. Juli 2011 die Anforderungen an die Bestimmtheit der Abbildung der streitgegenständlichen dreidimensionalen Marke überspannt worden seien. Im Ergebnis relativiert der Bundesgerichtshof damit das zunächst grundsätzlich uneingeschränkt bestätigte Bestimmtheitserfordernis bei der grafischen Darstellung des angemeldeten bzw. eingetragenen Zeichens – möglicherweise unter Berücksichtigung bzw. Tolerierung einer weniger strengen Sichtweise und auch einer seit längerem geübten „großzügigeren“ bzw. nachlässigen Praxis der Markenämter – in gewissem, allerdings nicht näher definierten Umfang.
35
Im zurückverwiesenen Verfahren ist nunmehr über die Frage der Schutzhindernisse nach § 115 Abs. 1, § 50 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG, Art. 5 Abs. 1 MMA in Verbindung mit Art. 6 quinquies Abschn. B Satz 1 Nr. 2 PVÜ zu entscheiden.
B)
36
Zu den Einwendungen der Markeninhaberin zur Verfahrensweise des Senats mit der Durchführung umfangreicher eigener Recherchen, was letztlich auch der Grund für die Ablehnungsanträge in Bezug auf sämtliche Senatsmitglieder wegen Besorgnis der Befangenheit gewesen ist, sind vorab folgende Anmerkungen veranlasst:
37
Entgegen der Auffassung der Markeninhaberin erfährt der Amtsermittlungsgrundsatz des § 73 Abs. 2 MarkenG im Löschungs- bzw. Schutzentziehungsverfahren trotz des grundsätzlich kontradiktorischen Charakters dieses Verfahrens keine Einschränkungen. Im Löschungs- bzw. Schutzentziehungsverfahren wegen Schutzhindernissen nach §§ 8 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 MarkenG gilt zwar nicht die Offizialmaxime, sondern grundsätzlich die Dispositionsmaxime (Verfügungsgrundsatz), d. h. das Verfahren wird nicht von Amts wegen eingeleitet, sondern nur auf Antrag. Ferner wird das Verfahren – anders als dies im patentrechtlichen Einspruchsverfahren gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG nach Rücknahme des Einspruchs vorgeschrieben ist – nach Rücknahme eines Löschungs- bzw. Schutzentziehungsantrags nicht von Amts wegen fortgesetzt. Insofern ist der Offizialcharakter des markenrechtlichen Löschungs- bzw. Schutzentziehungsverfahren zwar etwas schwächer ausgeprägt als dies im patentrechtlichen Einspruchsverfahren der Fall ist. Dies bedeutet aber nicht, dass in diesem Verfahren der Verhandlungsgrundsatz (= Beibringungsgrundsatz) in gleicher Weise Anwendung findet wie im ZPO-Streitverfahren oder etwa auch bei Benutzungsfragen im Rahmen eines markenrechtlichen Widerspruchsverfahrens. Vielmehr gilt auch im Löschungs- bzw. Schutzentziehungsverfahren der Amtsermittlungs- bzw. Untersuchungsgrundsatz des § 73 Abs. 1 MarkenG uneingeschränkt. Soweit ausgehend von einer noch unter der Geltung des Warenzeichengesetzes getroffenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Juni 1993 – I ZB 14/91 (= GRUR 1993, 969, 971 – Indorektal II), in zwei weiteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 16. Juli 2009 – I ZB 53/07 (= GRUR 2010, 231 Rn. 18 – Legostein) und ganz aktuell vom 11. Februar 2016 – I ZB 87/14 – Fünf-Streifen-Schuh ausgeführt ist, dass es sich beim Löschungsverfahren um einen kontradiktorischen Parteienstreit handle, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Insbesondere kann aus der in allen genannten BGH-Entscheidungen vor allem unter dem speziellen Gesichtspunkt der Erörterung der Rechtskraft inter partes nach §§ 322, 325 ZPO getroffenen Klassifizierung als „kontradiktorisches Verfahren“ nicht geschlossen werden, dass insoweit Aussagen zur Frage des Amtsermittlungs- bzw. Untersuchungsgrundsatzes nach § 73 Abs. 1 MarkenG bzw. zur Rolle des Beschwerdesenats bei der Feststellung der entscheidungsrelevanten Umstände getroffen werden sollten.
38
Beim Löschungs- bzw. Schutzentziehungsantrag handelt es sich um einen Popularantrag, der allein auf dem öffentlichen Interesse bzw. Allgemeininteresse an der Löschung ungerechtfertigter, d.h. entgegen bestehende Schutzhindernisse eingetragener Marken beruht (siehe dazu Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 54 Rn. 1). Der Löschungsantragsteller muss in seinem Antrag lediglich wenige formale Kriterien nach § 42 i. V. m. § 41 MarkenV erfüllen, wozu u. a. auch die Angabe des Löschungsgrundes gehört. Nach dem amtlichen Formblatt des DPMA, das zum Zeitpunkt der Stellung des hier maßgeblichen Löschungsantrags verwendet worden ist, war dabei im Rahmen der Angabe des Löschungsgrundes nach § 8 MarkenG noch nicht einmal eine weitergehende Differenzierung nach den einzelnen Tatbeständen der Vorschrift notwendig (vgl. hierzu den aktuellen Beschluss des BGH vom 11. Februar 2016 – I ZB 87/14 – Fünf-Streifen-Schuh wonach nunmehr erforderlich sein soll, dass ein zulässiger Löschungsantrag die Angabe eines konkreten Löschungsgrundes voraussetzt; es darf bezweifelt werden, ob dieses an den zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff angelehnte Erfordernis den registerrechtlichen Gegebenheiten gerecht wird; eine solche streitgegenstandsbezogene Sichtweise müsste nämlich konsequenterweise auch eine auf den konkreten Antrag bezogene eingeschränkte Prüfung zur Folge haben, die jedenfalls in Bezug auf die Fragen der Markenfähigkeit nach § 3 Abs. 1 MarkenG, der grafischen Darstellbarkeit nach § 8 Abs. 1 MarkenG einschließlich des Bestimmtheitserfordernisses der Darstellung und der Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 MarkenG kaum sinnvoll isoliert durchgeführt werden kann; den vom BGH bislang stets unter Hinweis auf die §§ 322, 325 ZPO betonten Gesichtspunkt der endgültigen Befriedung eines kontradiktorischen Parteienstreits verfehlt diese Auffassung jedenfalls im Ergebnis weitgehend, weil nunmehr mehrfach Löschungsantrag gestellt werden kann, wenn nur jeweils ein neuer Löschungsgrund angeführt wird). Eine Begründung des Löschungsantrags ist nicht Voraussetzung für die Durchführung des Löschungsverfahrens. Auch bei Zurückweisung eines Löschungsantrags durch die Markenabteilung kann der Löschungsantragsteller ohne weitere Begründung und sogar ohne jede aktive Teilnahme am Beschwerdeverfahren seinen Löschungsantrag weiterverfolgen und eine Entscheidung zur Frage der Schutzfähigkeit und zum Verbleib der angegriffenen Marke im Register erwirken. Angesichts des öffentlichen Interesses an der Vermeidung der Schutzgewährung für schutzunfähige Marken und an einem gesetzmäßigen Registerstand muss nach den Vorgaben des EuGH bezüglich der Prüfung auf absolute Schutzhindernisse (so st.Rspr., vgl. z. B. EuGH GRUR 2003, 604 Rn. 59 – Libertel) auch im Löschungsverfahren im Rahmen der gestellten Anträge eine sorgfältige, strenge und vollständige Prüfung stattfinden. Diese Prüfungspflicht trifft zunächst die zuständige Markenabteilung des Patentamts gemäß § 59 Abs. 1 MarkenG und nachfolgend im gerichtlichen Verfahren den zuständigen Marken-Beschwerdesenat gemäß § 73 Abs. 1 MarkenG. Der Umstand, dass eingetragene Marken im Eintragungs- bzw. Schutzgewährungsverfahren eine Prüfung durchlaufen haben, rechtfertigt nach Auffassung des Senats weder eine Absenkung der Prüfungsanforderungen im Löschungs- bzw. Schutzentziehungsverfahren noch eine vollständige oder auch nur teilweise Übertragung der Untersuchungs- und Rechercheverpflichtung des Patentamts und des Bundespatentgerichts in Bezug auf das für die Schutzfähigkeitsprüfung relevante Material auf den Löschungsantragsteller, zumal dieser – wie bereits ausgeführt – zu einer eigenen Recherche nicht verpflichtet ist. Im Hinblick auf das unter den Gesichtspunkten fairer Wettbewerb und Vermeidung ungerechtfertigter Rechtsmonopole bestehende öffentliche Interesse an einem gesetzmäßigen Registerstand darf die Entscheidung über die Löschung bzw. den Verbleib einer Marke im Register nicht von den Fähigkeiten und dem Engagement des Antragstellers bei der Verfahrensführung im Löschungsverfahren abhängen.
39
Soweit die Markeninhaberin meint, dass der Grundsatz der Amtsermittlung im Löschungsverfahren auch deshalb eine wesentliche Einschränkung erfahre, weil der Löschungsantragsteller die Feststellungslast in Bezug auf die Voraussetzungen für die Löschung trage (BGH GRUR 2009, 669 Rn. 31 – POST II), kann auch diese Auffassung nicht geteilt werden. Abgesehen davon, dass der Bundesgerichtshof die Feststellungslast im vorstehenden bezeichneten Verfahren nicht nur auf das Bestehen der Schutzhindernisse, sondern sehr weitgehend auch auf das Fehlen der Verkehrsdurchsetzung bezogen hat (siehe dazu die gegenteilige Auffassung des Senats in der Entscheidung vom 8. Juli 2015 – 25 W(pat) 13/14 = GRUR 2015, 796, 802-806 unter II.2.e) bb) (1) bis (10) – Farbmarke Rot – HKS 13 (Sparkassen-Rot II) und auch das Urteil des EuGH vom 19. Juni 2014 – C-217/13 = GRUR 2014, 776 Leitsatz 3 und Rn. 62 ff. und insbesondere Rn. 68 ff.), rechtfertigt die Verteilung der Feststellungslast keine Rückschlüsse in Bezug auf den Umfang der Amtsermittlung. Denn die Feststellungslast (= objektive Beweislast) regelt allein die Frage, wer die Folgen der Beweislosigkeit bzw. des nicht hinreichend geführten Beweises zu tragen hat (siehe dazu die vorgenannte Senatsentscheidung GRUR 2015, 796, 802 unter II.2.e) bb) (1)), nicht dagegen wem die Beweisführung obliegt bzw. wer die Beweisführungslast (= subjektive Beweislast) trägt. Demzufolge können aus der Überbürdung der Feststellungslast keine Rückschlüsse in Bezug auf eine auch nur eingeschränkte Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 73 Abs. 1 MarkenG gezogen werden.
40
Im Eintragungsverfahren werden die angemeldeten Marken zwar von gut ausgebildeten Prüfern des Patentamts regelmäßig sorgfältig geprüft. Gleichwohl handelt es sich um eine Prüfung in einem registerrechtlichen Verfahren, das auf eine rasche Erledigung einer großen Anzahl von Fällen angelegt ist und bei dem deshalb noch nicht einmal durchgängig die rechtliche Vermutung gerechtfertigt ist, dass die eingetragenen Marken auch schutzfähig sind. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Eintragungsentscheidung in der alleinigen Verantwortung des jeweiligen Markenprüfers liegt und im Hinblick auf eine komfortable EDV-Unterstützung in kurzer Zeit ohne Begründung vollzogen werden kann. Hinzu kommt dass die Eintragungsentscheidungen in Bezug auf die praxisrelevanten Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG amtsseitig nicht korrigierbar sind, § 50 Abs. 1 und Abs. 3 MarkenG. Selbst der zuständige Markenprüfer kann eine vollzogene Eintragung schon an dem der Eintragung folgenden Tag nicht mehr korrigieren, sogar wenn er erkennt, dass es sich um eine offensichtliche Fehleintragung handelt. Angesichts der Gesetzeslage und der Abläufe im Patentamt ist es naheliegend, dass schutzunfähige Marken in nennenswertem Umfang ins Register gelangen, was auch der Erfahrung in der Gerichtspraxis entspricht. Dazu dürfte auch die nationale Rechtsprechung in nicht unerheblichem Umfang beigetragen haben, die in der Vergangenheit bei der Schutzfähigkeitsprüfung wiederholt den Eintragungsanspruch nach § 33 Abs. 2 Satz 1 MarkenG hervorgehoben hat (vgl. z. B. BGH BlPMZ 1999, 256, 257 – PREMIERE I und GRUR 2001, 161, 162 – Buchstaben K) und bei der Prüfung der Unterscheidungskraft stets bis in jüngste Zeit auf einen großzügigen Prüfungsmaßstab hinweist (vgl. z. B. BGH GRUR 2015, 1012 Rn. 10 – Nivea–Blau; GRUR 2015, 581 Rn. 9 – Langenscheidt-Gelb; GRUR 2015, 173 Rn. 15 – for you; GRUR 2014, 872 Rn. 12 – Gute Laune Drops und GRUR 2014, 569 Rn. 10 – HOT), was in einem deutlichen Gegensatz zur maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH steht, der in ständiger Rechtsprechung eine strenge und vollständige Prüfung zur Vermeidung von Fehlmonopolisierung anmahnt (vgl. z. B. EuGH GRUR 2003, 604 Rn. 59 -Libertel; GRUR 2004, 674 Rn. 123 – Postkantoor; GRUR 2011, 1035 Rn. 77 -1000). Soweit in der nationalen Rechtsprechung bei der Unterscheidungskraft von einem großzügigen Maßstab gesprochen wird, ist dies zumindest sprachlich verfehlt. Auch wenn die als relevantes Kriterium angesehene Großzügigkeit nur auf den Prüfungsmaßstab bezogen wird, sind Mißverständnisse dahingehend nahegelegt, dass ein Ermessensspielraum bei der Prüfung besteht und auch etwas zugestanden werden kann, worauf kein Anspruch besteht. Das auf Antrag eingeleitete Löschungs- bzw. Schutzentziehungsverfahren mit der auch in diesem Rahmen strengen und vollständigen (Amts-)Prüfung nach § 59 Abs. 1 bzw. § 73 Abs. 1 MarkenG ist das einzige Instrument, um die im Eintragungsverfahren als einem auf die Erledigung einer Vielzahl von Fällen angelegten Registerverfahren unvermeidbaren Fehler zu korrigieren und die Allgemeinheit damit vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen zu schützen. Die Gesetzeslage und das danach vorgesehene Verfahren sind dabei dahingehend angelegt, dass dem Marken-Beschwerdesenat unter Verzicht auf einen Vertreter des öffentlichen Interesses, wie ihn z. B. das Verwaltungsgerichtsverfahren gemäß §§ 35, 36 VwGO kennt, gemäß § 73 Abs. 1 MarkenG nicht nur im einseitigen Anmelderbeschwerdeverfahren sondern auch im zweiseitigen Löschungs- bzw. Schutzentziehungsverfahrens die Rolle des „Untersuchungsrichters“ zugewiesen ist.
C)
41
Zunächst ist festzustellen, dass die Antragstellerin einen zulässigen Schutzentziehungsantrag nach § 115 Abs. 1 MarkenG gestellt hat, dem die Markeninhaberin rechtzeitig innerhalb der Zweimonatsfrist gemäß § 107 Abs. 1 i. V. m. § 54 Abs. 2 Satz 2 MarkenG widersprochen hat und demzufolge die Voraussetzung für die Durchführung des Schutzentziehungsverfahren mit inhaltlicher Prüfung nach § 54 Abs. 2 Satz 3 MarkenG erfüllt ist. Der ursprüngliche Antrag vom 11. Januar 2006, eingegangen beim DPMA am 13. Januar 2006 erfüllte zwar nicht die Zulässigkeitsanforderungen, wie sie der 27. Senat des Bundespatentgerichts in seinem Beschluss vom 1. Juli 2014 – 27 W(pat) 36/13 aufgestellt hat und wie sie der Bundesgerichtshof in seiner jüngst am 11. April 2016 auf der Homepage des Bundesgerichtshofs bekanntgemachten Entscheidung bestätigt hat, wonach die Zulässigkeit des Löschungsantrags gemäß § 54 Abs. 1 MarkenG die Angabe eines konkreten absoluten Schutzhindernisses im Sinne von §§ 8, 50 Abs. 1 MarkenG voraussetzt (vgl. Beschluss vom 11. Februar 2016 – I ZB 87/14 Rn. 9 ff. – Fünf-Streifen-Schuh). Die Löschungsantragstellerin hat aber im Schriftsatz vom 31. Januar 2016, eingegangen am 1. Februar 2006, konkrete Schutzhindernisse, wie die fehlende Bestimmtheit des Schutzgegenstands und die Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG benannt und damit diese Zulässigkeitsanforderungen in Bezug auf den Löschungsantrag erfüllt. Der ursprüngliche Antrag vom 11. Januar 2016 und die Antragsbegründung vom 31. Januar 2006 mit der Benennung der konkreten Schutzhindernisse sind zum Zwecke der Unterrichtung der Markeninhaberin gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 MarkenG am 18. Juli 2006 zum Zwecke der Zustellung durch Aufgabe zur Post an die Markeninhaberin zur Postabfertigung gelangt und gelten gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und Satz 3 MarkenG i. V. m. § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO als am 3. August 2006 zugestellt. Die Markeninhaberin hat dem Antrag auf Schutzentziehung mit dem am 23. August 2006 beim DPMA eingegangenen Telefax, und damit innerhalb der Zweimonatsfrist des § 54 Abs. 2 Satz 2 MarkenG widersprochen.
42
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache insoweit Erfolg, als dem markenrechtlichen Schutz für die Waren „chocolat“ und „produit de chocolaterie“ das Schutzhindernis nach §§ 107 Abs. 1, 115 Abs. 1, 50 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, Art. 5 MMA in Verbindung mit Art. 6 quinquies Abschn. B Satz 1 Nr. 2 PVÜ entgegensteht. Hinsichtlich der beanspruchten Ware „cacao“ ist der Schutzentziehungsantrag zurückzuweisen, da insoweit kein entsprechendes Schutzhindernis im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG festgestellt werden kann.
43
1) Der Schutzrechtserstreckung der angegriffenen Marke auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stand bzw. steht in Bezug auf die beanspruchten Waren „chocolat“ und „produit de chocolaterie“ sowohl bezogen auf den Zeitpunkt der internationale Registrierung am 7. September 2005 mit Schutzerstreckung auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wie auch auf den Zeitpunkt der aktuell anstehenden Entscheidung über die Beschwerde (§ 50 Abs. 2 Satz 1 MarkenG) das Schutzhindernis aus § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen, so dass der Löschungsantrag und die Beschwerde insoweit Erfolg haben. Der angegriffenen Marke in Form der von der Rechtsbeschwerdeinstanz als maßgeblich erkannten Gestaltung (dünnes Stäbchen mit rundem Querschnitt, in der Längsrichtung gewellt, mit aufgestreuten Krümeln) fehlt im Zusammenhang mit Schokolade und Schokoladenwaren das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
44
Unterscheidungskraft im Sinne der Vorschrift des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als betrieblicher Herkunftshinweis aufgefasst zu werden. Denn die Hauptfunktion einer Marke liegt darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rn. 30, 31 – Henkel; BGH GRUR 2006, 850 Rn. 17 – FUSSBALL WM 2006). Auch das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft ist im Lichte des Allgemeininteresses auszulegen, wobei dieses darin besteht, die Allgemeinheit vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen zu bewahren (vgl. EuGH GRUR 2003, 604 Rn. 60 – Libertel). Bei der Beurteilung von Schutzhindernissen ist maßgeblich auf die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise abzustellen, wobei dies alle Kreise sind, in denen die fragliche Marke Verwendung finden oder Auswirkungen haben kann. Dabei kommt es auf die Sicht des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers im Bereich der einschlägigen Waren an (Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 8 Rn. 42 f. m. w. N.). Bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit dreidimensionaler Marken dürfen zwar keine strengeren Anforderungen angelegt werden als bei sonstigen Marken. Gleichwohl sind bei Marken, welche die Form der Ware selbst wiedergeben (= Warenformmarken) wesentliche Unterschiede gegenüber „klassischen“ Wort- oder Bildmarken zu beachten. Marken, die aus der Form einer Ware oder deren Verpackung bestehen, werden tatsächlich nicht in gleicher Weise wie Wort- oder Bildmarken aufgefasst, weil der Durchschnittsverbraucher und gleichermaßen auch der Fachverkehr aus der Form der Ware oder deren Verpackung gewöhnlich nicht auf die betriebliche Herkunft dieser Waren schließt. Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH begründet bei dieser speziellen Markenform ein “bloßes Abweichen” von der Norm oder Branchenüblichkeit noch nicht die Unterscheidungskraft; vielmehr kann eine Marke die erforderliche Herkunftsfunktion nur dann erfüllen, wenn sie von „Norm oder Branchenüblichkeit erheblich abweicht” (EuGH GRUR 2004, 428 Rn. 49 – Henkel; GRUR Int. 2004, 631 Rn. 39 – Dreidimensionale Tablettenform I; GRUR Int. 2004, 635 Rn. 37 – Dreidimensionale Tablettenform II; GRUR Int. 2004, 639 Rn. 37 – Dreidimensionale Tablettenform III; GRUR Int. 2005, 135 Rn. 31 – Maglite; GRUR Int. 2006, 226 Rn. 31 – Standbeutel; GRUR Int. 2006, 842 Rn. 26 – Form eines Bonbons II; siehe auch BGH GRUR 2004, 329, 330 – Käse in Blütenform; GRUR 2004, 507, 509 – Transformatorengehäuse). Solche Abweichungen müssen vom Verkehr auch ohne eingehende, d. h. ohne analysierende und vergleichende Betrachtung oder nähere Prüfung eindeutig erkennbar sein (vgl. Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 8 Rn. 292 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen, insbesondere auch EuGH GRUR 2004, 428 Rn. 49 – Henkel; MarkenR 2004, 461 Rn. 31 – Maglite; MarkenR 2004, 456 – Seifenstück; MarkenR 2006, 19 – Standbeutel).
45
Bei Warenformen und Warenverpackungen kommt hinzu, dass deren markenmäßige Monopolisierung unter Umständen sehr viel stärker in subjektive Rechte Dritter eingreifen kann, z. B. in absolute eigentumsähnliche Rechte wie das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, als dies bei herkömmlichen Wort- und Bildmarken der Fall ist. Denn durch die Monopolisierung beschreibender Angaben im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG oder schutzunfähiger Werbewörter etwa nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG sind die Wettbewerber häufig weit weniger betroffen als durch die Beschränkung bei der Gestaltung ihrer Waren oder ihrer Warenverpackungen. Dies gilt z. B. dann, wenn die Wettbewerber in Unkenntnis bestehender Markenrechte entsprechende Investionen in Bezug auf bestimmte Warenformen oder Warenverpackungen getätigt haben. Dies trifft die Wettbewerber erst recht, wenn zum Zeitpunkt entsprechender Investitionen überhaupt noch keine entgegenstehenden Markenrechte existiert haben, weil in diesem Fall noch nicht einmal ein vorwerfbares Verhalten in Bezug auf eine unterlassene Markenrecherche entgegengehalten werden kann.
46
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fehlt dreidimensionalen Marken, die die Form der Ware darstellen im Allgemeinen die erforderliche (konkrete) Unterscheidungskraft. Die dreidimensionale naturgetreue Wiedergabe eines der Gattung nach im Warenverzeichnis genannten Erzeugnisses ist häufig nicht geeignet, die Ware ihrer Herkunft nach zu individualisieren. Bei dreidimensionalen Waren ist danach regelmäßig zu prüfen, ob die Form lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt verkörpert. Soweit die Form darüber hinaus geht und sie sich durch besondere Merkmale auszeichnet, ist zu prüfen, ob der Verkehr in ihnen nur bloße Gestaltungsmerkmale sieht oder sie als Hinweis auf die Herkunft der Waren versteht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr in einer bestimmten Formgestaltung nur dann einen Herkunftshinweis sehen wird, wenn er diese Form keiner konkreten anderen Funktion der Ware oder ganz allgemein dem Bemühen zuschreibt, ein ästhetisch ansprechendes Produkt zu schaffen. Hierfür kann es eine Rolle spielen, ob der Verkehr bei der in Rede stehenden Warenart daran gewöhnt ist, dass die Warenform auf die konkrete betriebliche Herkunft hinweist (BGH, GRUR 2010, 138 Rn. 25 – ROCHER-Kugel; GRUR 2008, 71 Rn. 24 – Fronthaube; GRUR 2004, 329, 330 – Käse in Blütenform).
47
Der Zeitpunkt, für den die Norm und Branchenüblichkeit zu prüfen ist, ist neben dem Tag der Beschwerdeentscheidung auch der 7. September 2005. Der für die Beurteilung der Schutzfähigkeit maßgebliche erste Zeitpunkt im Sinne des § 50 Abs. 1 MarkenG ist nach neuerer Rechtsprechung zu nationalen Marken nicht mehr der Tag der Eintragung, sondern der Tag der Anmeldung (BGH, GRUR 2013, 1143 Rn. 9 ff., Rn. 12 ff. – Aus Akten werden Fakten). Diesem Tag entspricht bei international registrierten Marken der Tag des Gesuchseingangs um internationale Registrierung im Ursprungsland, zu dem auch die Schutzwirkung in Deutschland eingetreten ist, §§ 107 Abs. 1, 112 Abs. 1 MarkenG i. V. m. Art. 3 Abs. 4 Satz 3 MMA. Da in § 112 Abs. 1 letzter Halbsatz MarkenG dieser Tag sowohl mit dem Anmelde- als auch mit dem Eintragungstag gleichgesetzt wird, hat die neuere Rechtsprechung in den Fällen der internationalen Registrierung keine Auswirkung gegenüber der früheren Spruchpraxis, die bei nationalen Marken auf den Zeitpunkt der Eintragung abgestellt hat.
48
Ausgehend von diesen Maßstäben werden die angesprochenen Verkehrskreise die angegriffene dreidimensionale Gestaltung in Form eines dünnen Stäbchens mit rundem Durchschnitt, in der Längsrichtung gewellt und mit aufgestreuten Krümeln versehen, nicht als betrieblichen Herkunftshinweis wahrnehmen, da die Gestaltung jedenfalls nicht erheblich von der Branchenüblichkeit entsprechender Produktgestaltungen auf dem fraglichen Produktsektor der Schokoladenwaren abweicht. Der Verkehr wird in der angemeldeten Form ein bloßes Gestaltungsmerkmal sehen, das eine geschmackliche bzw. ästhetische Funktion hat. Die vorliegend beanspruchten Waren der Klasse 30 sind an breiteste Verkehrskreise der allgemeinen Verbraucher gerichtet.
49
a) Auf dem einschlägigen Warengebiet der Schokolade und der Schokoladenwaren gibt es eine große und nahezu unüberschaubare Vielfalt von Warengestaltungen, was die Senatsmitglieder nicht nur als Angehörige der angesprochenen Verkehrskreise, sondern auch aufgrund ihrer langjährigen Befassung mit Marken auf dem Gebiet der Warenklasse 30 und der dadurch erlangten Branchenkenntnis beurteilen können. Neben den üblichen Schokoladentafeln und Schokoriegeln gibt es Schokoladenwaren in den unterschiedlichsten Formen. Der Formenschatz beschränkt sich weder – wie von der Markeninhaberin angenommen – auf geometrische Grundformen wie Kugeln, Quader oder Zylinder, noch auf gegenständliche Darstellungen. Tatsächlich werden Schokolade und Schokoladenwaren auch in allen denkbaren Zwischenstufen der Gegenständlichkeit (z. B. Katzenzungen) und in unregelmäßigen, nicht geometrischen Gestaltungen angeboten (z. B. die bekannten „Choco Crossies“). Die Vielfalt der Gestaltungen bezieht sich neben den unterschiedlichen Formen der Produkte auch auf die Gestaltung der Oberflächen. Bei Schokolade und Schokoladenwaren sind die verschiedensten Varianten möglich und üblich (Nusssplitter, Zuckerperlen, Streusel, Schokoladenfäden, welliger oder glatter Schokoladenüberzug, etc.). Die Formenvielfalt ist zum einen dadurch begründet, dass Schokolade vergleichsweise leicht zu verarbeiten und zu formen ist. Vor allem aber sind die Waren regelmäßig nur zum Verzehr bestimmt und haben zudem keine technische Funktion zu erfüllen, welche die Formgebung einschränken könnte. Der Verkehr beurteilt die Qualität von Schokolade und Schokoladenwaren vornehmlich nach dem Geschmack und nach dem Aussehen der Produkte. Bei der Form der Schokoladenwaren steht daher die ästhetische Gestaltung der Produkte im Vordergrund. Der Verkehr ist nicht zuletzt auch daran gewöhnt, dass ihm auf dem Markt der Schokoladenwaren ständig innovative Produkte und neue Warenformen entgegentreten. Insoweit ist der Verkehr auch daran gewöhnt, sich von dem bisherigen Formenschatz mehr oder weniger abhebende Warenformen wahrzunehmen, ohne damit einen Herkunftshinweis zu verbinden. Wegen dieser unüberschaubaren Formenvielfalt liegt es nahe, bei Schokolade und Schokoladenwaren in der Warenform selbst grundsätzlich keinen Herkunftshinweis zu sehen. Letztlich kann offen bleiben, ob bei Waren, deren Qualität auch nach ihrer ästhetischen Ausgestaltung beurteilt wird und die deswegen in immer neuen Formen angeboten werden (z. B. Schokoladenwaren und Zuckerwaren), grundsätzlich in Frage gestellt werden muss, ob die Warenform überhaupt eine Herkunftsfunktion gewährleisten kann. In jedem Fall bedingt schon die branchenübliche Formenvielfalt bei Schokoladeprodukten, dass es einer besonderen Ausgestaltung bedarf, um sie aus dem Formenschatz mit vielfältigen Formen in einer betriebskennzeichnenden Weise herauszuheben. Nur eine solche besondere Ausgestaltung stellt nach Auffassung des Senats dann im Sinne der Rechtsprechung eine erhebliche Abweichung von der Branchenüblichkeit dar.
50
b) Eine solche, die Unterscheidungskraft für Schokolade und Schokoladenwaren begründende besondere Ausgestaltung, welche die Bejahung einer erheblichen Abweichung von der Branchenüblichkeit rechtfertigen könnte, lässt sich für die streitgegenständliche dreidimensionale Gestaltung letztlich nicht feststellen. Mit Blick auf die Merkmale der hier streitgegenständlichen Warenformmarke, ist zwar festzustellen, dass – abgesehen von den Produkten der Beteiligten bzw. deren Schwesterunternehmen – kein identisches oder nahezu identisches Produkt auf dem Markt angeboten wurde und wird. Die einzelnen Merkmale des streitgegenständlichen Zeichens sind aber dem bekannten Formenschatz entnommen. Weder diese einzelnen Merkmale noch deren Kombination weichen letztlich erheblich von der Branchenüblichkeit ab. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Verkehr möglicherweise in dem dreidimensionalen Zeichen eine Weinranke erkennt oder das Zeichen als eine mehr oder weniger „abstrakte“ Form ansieht.
51
aa) Die wesentlichen Merkmale der streitgegenständlichen Form, insbesondere die dünne, längliche Grundform und der runde Durchmesser, finden sich auch bei den Produkten „Amicelli“, „Chocolat d’or“ und „Mikado“, die mit Hinweisbeschluss vom 24. September 2013 in das Verfahren eingeführt worden sind. Bei dem Produkt „Amicelli“ handelt es sich um ein gerades, längliches Waffelröllchen mit rundem Querschnitt und einem unregelmäßig geformten Schokoladenüberzug. Bei dem Produkt „Chocolat d’or“ handelt es sich um ein gerades, längliches Schokostäbchen mit einem halbrunden Querschnitt. Der Schokoladenüberzug ist in Längsrichtung unregelmäßig geriffelt. Bei dem Produkt „Mikado“ handelt es sich um ein gerades, langes, dünnes Keksstäbchen mit rundem Querschnitt, das größtenteils mit einem glatten Überzug aus Schokolade versehen ist.
52
(1) Die drei Produkte sind bei der Bestimmung der Branchenüblichkeit von Schokolade bzw. Schokoladenwaren zu berücksichtigen, auch wenn sie nicht vollständig aus Schokolade gefertigt sind. Schokolade ist ein wesentlicher Bestandteil der genannten Produkte. Es ist nicht hinderlich, dass die Marke „Mikado“ für die Ware „Kekse“ im Register eingetragen ist. Die registerrechtliche Benennung durch den Anmelder bindet Amt und Gericht bei der Prüfung der Eintragung der entsprechenden Marke. Sie beschränkt aber das erkennende Gericht nicht bei seiner Beurteilung in Bezug auf die Branchenüblichkeit im Löschungsverfahren. Die Bestimmung der Branchenüblichkeit richtet sich – anders als die Prüfung der Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit im Kollisionsverfahren – nach der tatsächlichen Erscheinungsform der Vergleichswaren, wobei die unter der Bezeichnung „Mikado“ vertriebene Ware einen Schokoladenüberzug aufweist und deshalb rein tatsächlich eine deutliche Nähe zu den Schokoladenwaren aufweist. Im Übrigen mag es sein, dass das von der Markeninhaberin vertriebene Produkt vollständig bzw. ausschließlich (möglicherweise mit Ausnahme der Krümel) aus Schokolade gefertigt ist. Für die streitgegenständliche Warenformmarke ist dies aber registermäßig jedenfalls in Bezug auf „Schokoladenwaren“ nicht festgelegt.
53
(2) Die Produkte „Amicelli“, „Chocolat d’or“ und „Mikado“ wurden im Zeitpunkt der Schutzrechtserstreckung in Deutschland angeboten. Das Schokoladenprodukt „Amicelli“ der Firma M… GmbH wird seit 1999 auf dem deutschen Markt vertrieben (bis 2007 unter der Bezeichnung „Dove Amicelli“). Das Produkt „Chocolat d’or“ wurde von der Firma H… GmbH & Co KG zumindest von 2000 bis 2014 in Deutschland vertrieben. Ob das Produkt bereits 1938 angeboten worden war, kann dahingestellt bleiben, da das Produkt jedenfalls im Zeitpunkt der Schutzrechtserstreckung vertrieben wurde. Das Produkt „Mikado“ der Firma K1… … bzw. M1… wird seit 1985 in Deutschland vertrieben und angeboten.
54
Soweit die Markeninhaberin die Überlegung in den Raum stellt, dass die Waren möglicherweise seit dem Zeitpunkt ihrer Markteinführung nicht durchgehend bzw. nicht in unveränderter Form angeboten worden sein könnten, lassen sich keine konkreten Hinweise finden, die das Bestehen einer solchen Möglichkeit nahelegen würden. Die Hersteller der Produkte sind auf dem Markt der Schokoladen- und Süßwaren bekannte und führende Firmen. Sie haben über die Produkte Auskunft erteilt, ohne entsprechende Einschränkungen mitzuteilen. Damit liegt die Überlegung der Markeninhaberin fern und gibt jedenfalls keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen bzw. Beweiserhebungen. Im Übrigen ist der Vertrieb der Produkte dem Senat als Teil der angesprochenen Verkehrskreise jedenfalls im Wesentlichen, wenn auch nicht in Bezug auf die genauen Zeiträume des Vertriebs, aus eigener Anschauung bekannt. Aus diesen Gründen besteht kein Anlass dazu, hypothetischen Varianten der Gestaltung bzw. hypothetischen Unterbrechungen des Vertriebs der drei Produkte nachzugehen.
55
(3) Den drei genannten Produkten und der streitgegenständlichen dreidimensionalen Form ist die dünne, längliche Grundform gemeinsam. „Mikado“ und „Amicelli“ teilen mit der vom Bundesgerichtshof festgestellten streitgegenständlichen Form auch den runden Querschnitt. Beim Vergleich des Verhältnisses, in dem der Querschnitt des Stäbchens zu dessen Länge steht, sind die Produkte als unterschiedlich dünn zu bezeichnen. Hier kommt das Produkt „Mikado“ dem streitgegenständlichen Zeichen am nächsten. Dagegen haben „Amicelli“ und „Chocolat d’or“ mit dem streitgegenständlichen Zeichen gemeinsam, dass die Oberfläche des Produkts nicht glatt, sondern unregelmäßig geformt ist.
56
bb) Auch die weiteren Gestaltungselemente des streitgegenständlichen Zeichens – nämlich die Krümel auf der Oberfläche und die Wellenform – sind im Formenschatz der Schokolade bzw. Schokoladenwaren bekannt und entsprechen damit der Branchenüblichkeit. Es ist allgemein bekannt, dass z. B. bei Pralinen eine unregelmäßige bzw. krümelige Oberfläche zumindest nicht ungewöhnlich ist. Eine unregelmäßige, leicht wellige Form findet sich auch bei den bekannten und seit Jahrzehnten verkauften Katzenzungen, wobei hier die Wellenform weniger ausgeprägt ist, als bei der angegriffenen Marke.
57
cc) Insgesamt hebt sich das streitgegenständlichen Zeichen nur darin vom bekannten Formenschatz ab, dass das im Verhältnis von Querschnitt und Länge sehr dünne Stäbchen stärker gewellt ist als andere Produkte. Dies reicht aber im vorliegenden Produktbereich nicht aus, um ein erhebliches Abweichen von der Branchenüblichkeit bejahen zu können.
58
Nachdem schon die oben genannten Produkte belegen, dass das streitgegenständliche Zeichen jedenfalls nicht erheblich vom üblichen Formenschatz abweicht, war es nicht veranlasst, Feststellungen hinsichtlich der weiteren von der Antragstellerin genannten und von der Markeninhaberin streitig gestellten Schokoladenwaren („fin carrè“, „Madame Truffaut“, „Chrispy Rolls“ und „Droste Chocolate Sticks“) zu treffen. Auch der mögliche Erkenntnisgewinn und die Verwertbarkeit des von der Antragstellerin vorgelegten demoskopischen Gutachtens können dahingestellt bleiben.
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c) Im Übrigen hebt sich das streitgegenständliche Zeichen schon deswegen nicht erheblich von branchenüblichen Gestaltungen ab, weil vor dem Zeitpunkt der Schutzrechtserstreckung der streitgegenständlichen Marke am 7. September 2005 von der Antragstellerin Schokoladenwaren in Deutschland in einem relevanten Zeitraum und in relevantem Umfang vertrieben wurden, die mit dem streitgegenständlichen Zeichen – mit Ausnahme des runden Querschnitts – nahezu identisch waren. Entgegen der Ansicht der Markeninhaberin sind auch diese von der Antragstellerin vertriebenen Produkte dem Warensortiment zuzurechnen, das die Verkehrsauffassung zur Frage der Branchenüblichkeit beeinflusst. Die Frage, welche Waren in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sind, also welche konkreten Faktoren (Dauer, Umfang, Verbreitungsgebiet der Verwendung) erfüllt sein müssen, um eine Warengestaltung als normgerecht oder zumindest branchenüblich ansehen zu können, ist von der Rechtsprechung im Einzelnen noch nicht beantwortet worden. Im vorliegenden Fall ist das Produkt „Les Rameaux de Médoc“ nach Auffassung des Senats jedenfalls ausreichend lange und in genügendem Umfang in Deutschland vertrieben worden, um die Verkehrsanschauung insoweit in ausreichend relevanter Weise zu beeinflussen, dass zumindest bereits von einer Branchenüblichkeit gesprochen werden kann.
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aa) Die Antragstellerin bot das Produkt „Les Rameaux du Médoc“ von April 2005 bis Januar 2006 über die Firma A… in D… an und hat mit dem Produkt bis zum 31. August 2005 einen Umsatz von … Euro erzielt, was dem Verkauf von etwa … Millionen Packungen des Produkts entspricht. Dies steht aufgrund der vorgelegten Unterlagen und der Gesamtumstände zur Überzeugung des Senats fest, ohne dass es einer weiteren Beweiserhebung bedarf. Die Markeninhaberin hat die Umsätze zwar bestritten. Die Umsatzzahlen sind nach Auffassung des Senats jedoch ausreichend dargelegt durch die vorgelegten Umsatzübersichten datiert von 7. April bis 8. September 2005 (siehe Anlage AS 25), aus der sich (bei Addition der einzelnen Beträge) der genannte Gesamtumsatz ergibt. Außerdem hatte die Antragstellerin auf Grund des Urteils des OLG Hamburg der Markeninhaberin über die Umsätze von 7. September 2005 bis 10. Januar 2006 Auskunft erteilt. Nach Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung bewegten sich diese Umsätze – ohne eine genaue Zahl angeben zu können – unstreitig in der Größenordnung eines einstelligen Millionenbetrages (ca. … Mio. Euro). Insgesamt ergibt dies zahlenmäßig bezogen auf die jeweiligen Zeiträume ein schlüssiges Gesamtbild und rechtfertigt die Feststellung, dass die Antragstellerin das Produkt „Les Rameaux du Médoc“ vor dem Schutzerstreckungsantrag am 7. September 2005 im Zeitraum von April 2005 bis 7. September 2005 in einem relevanten Umfang in einer Größenordnung von über … Mio. Euro verkauft hat, zumal diese Umsätze einen Discounter wie A… betreffen, der regelmäßig in allen Produktbereichen sehr hohe Umsätze erzielt. Auch der Umstand, dass die Markeninhaberin bereits am 13. Oktober 2005 Verletzungsklage eingereicht hat, ist ein Indiz für eine relevante Umsatzhöhe und die Richtigkeit der genannten Zahlen. Von der Rechtsprechung ist im Übrigen bislang für die Feststellung, dass ein bestimmtes Produkt Teil des bekannten Formenschatz ist, nicht gefordert worden, dass ein bestimmter Marktanteil erreicht sein muss. Es erscheint in jedem Fall ausreichend, wenn ein Produkt aus dem Bereich der Schokoladenwaren über eine große Supermarktkette vertrieben und dabei ein Umsatz von über 2 Millionen Euro erzielt wird. Insofern kommt es nicht darauf an, welcher Anteil am Gesamtmarkt, gemessen in Tonnen, dem Produkt der Antragstellerin zuzurechnen ist.
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bb) Der Zurechnung des Produkts „Les Rameaux du Médoc“ zum bekannten Formenschatz steht auch nicht entgegen, dass der Vertrieb nur von April 2005 an erfolgte. Eine längerfristige Gewöhnung des Verkehrs, den die Markeninhaberin für erforderlich erachtet, ist nach Auffassung des Senats nicht zu verlangen. Nach der ständigen Praxis des Bundespatentgerichts werden bei der Recherche der Waren, welche die Norm und Branchenüblichkeit definieren alle aufgefundenen Waren berücksichtigt, sofern deren Bedeutung am Markt nicht erkennbar so gering ist, dass sie zu vernachlässigen wären. Auch Produkte, die nicht oder noch nicht „in aller Munde“ sind, können zu den Waren zählen, aus denen sich die Branchenüblichkeit bestimmt. Der Vertrieb über einige Monate erscheint dem Senat ausreichend.
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cc) Der Vertrieb des Produkts „Les Rameaux du Médoc“ erfolgte auch in einem ausreichenden räumlichen Umfang. Es trifft zwar zu, dass die Firma A… nur in einem bestimmten Gebiet Deutschlands Filialen unterhält. Soweit die Markeninhaberin meint, dass bei dieser Sachlage von einer gespaltenen Verkehrsauffassung gesprochen werden müsse, trifft dies tatsächlich nicht zu. Die steigende Mobilität bedingt, dass auch Verbraucher, die ihren Wohnsitz nicht im Vertriebsgebiet von A… haben, dort einkaufen, etwa auf Reisen. Zudem sind Schokolade und Schokoladenwaren Produkte, die häufig verschenkt werden und deswegen dem Verkehr über das eigentliche Verkaufsgebiet hinaus entgegentreten. Selbst wenn man annehmen wollte, dass nur der Verkehr im Vertriebsgebiet von A… … die Waren der Antragstellerin wahrgenommen hätte, käme dem im Ergebnis keine Bedeutung zu. Der vollständige, bundesweite Vertrieb eines Produkts kann nicht als erforderlich angesehen werden, um ein Produkt zum bekannten Formenschatz zu rechnen. Anderenfalls wären etwa auch bedeutende regionale Spezialitäten grundsätzlich nicht im Hinblick auf die Norm und Branchenüblichkeit relevant. Ohne im vorliegenden Fall die aufgeworfene Frage abschließend zu beantworten, genügt jedenfalls der Vertrieb über die Supermarktkette A…, die in etwa die Hälfte des Gebiets der Bundesrepublik abdeckt mit sämtlichen neuen Bundesländern und den „alten“ Bundesländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, den Stadtstaaten Hamburg und Bremen und einem großen Teil der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Hessen.
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Die Markeninhaberin hat in diesem Zusammenhang noch die Überlegung in den Raum gestellt, es sei nicht nachgewiesen, dass die Produkte in allen Filialen der Firma A… verkauft worden seien. Es ist aber allgemein bekannt, dass die Firma A… in ihren Filialen kein unterschiedliches Sortiment vorhält. Das Sortiment ist im Wesentlichen in allen Filialen gleich. Es gibt im vorliegenden Fall keinen Grund zu der Annahme, dass dies hinsichtlich des Produktes „Les Rameaux du Médoc“ ausnahmsweise anders gewesen sei. Selbst wenn das Produkt in einzelnen Filialen nicht verkauft worden sein sollte, käme dem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu.
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dd) Der Zurechnung des Produkts „Les Rameaux du Médoc“ zum bekannten Formenschatz steht zuletzt auch nicht entgegen, dass sich die Antragstellerin und die Markeninhaberin wegen des Vertriebs des Produkts in einem Rechtsstreit vor dem LG Hamburg bzw. dem OLG Hamburg gegenüberstanden. Der Antrag auf Löschung einer Marke bzw. die Untersagung der Schutzrechtserstreckung ist ein Popularantrag, so dass die Motivation der Antragstellerin grundsätzlich keine Bedeutung hat. Auch das Argument, dass die Waren der Antragstellerin unbeachtlich seien, weil es im Markenrecht kein Vorbenutzungsrecht gebe, führt zu keiner anderen Beurteilung. Es ist zwar zutreffend, dass es im Markenrecht anders als im Patentrecht das Konstrukt der „offenkundigen Vorbenutzung“ nicht gibt, die im Patentrecht zur fehlenden Neuheit führt (§ 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 PatG) und damit ein Schutzhindernis nach § 1 Abs. 1 PatG und im Einspruchsverfahren einen Widerrufsgrund und im Nichtigkeitsverfahren einen Grund für die Nichtigerklärung darstellt (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 61 PatG bzw. § 22 Abs. 1 i. V. m. § 81 PatG). Dies schließt aber nicht aus, dass eine entsprechende Vorbenutzung – wie bereits ausgeführt – das Verkehrsverständnis in Bezug auf die Branchenüblichkeit einer entsprechenden Warenform in maßgeblicher Weise beeinflusst. Gleiches gilt im Übrigen grundsätzlich für die Vorbenutzung entsprechender Warenformen durch einen Markeninhaber selbst.
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Schließlich ist – ohne dass es entscheidungserheblich wäre – auch nicht zu verkennen, dass die Markeninhaberin bei ihrem Schutzerstreckungsantrag selbst jedenfalls Teilaspekte einer „bösgläubigen Anmeldung“ bzw. eines „bösgläubigen Schutzerstreckungsantrags“ nach § 113 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG erfüllt haben dürfte. Denn es spricht angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs alles dafür, dass sie ihren Schutzerstreckungsantrag vom 7. September 2005 in Kenntnis der Schokoladenformbenutzung durch die Antragstellerin und wohl letztlich auch zur Vorbereitung der gegen diese bereits am 13. Oktober 2005 eingereichten Verletzungsklage gestellt hat. In Frage gestellt werden kann nur, ob die Löschungsantragstellerin durch die Benutzung im Rahmen des Vetriebs durch Aldi Nord im Zeitraum von April 2005 bis 7. September 2005 bereits einen schutzwürdigen Besitzstand erworben hat, wobei im Rahmen dieser Beurteilung auch der Vertrieb der entsprechenden Schokoladenform im Inland seit 1983 durch die Markeninhaberin bzw. ihre Schwesterfirma und der dadurch möglicherweise entgegenstehende Besitzstand eine Rolle spielen kann.
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d) Da die Schutzunfähigkeit der angegriffenen dreidimensionalen Gestaltung nach Auffassung des Senats hinreichend festgestellt ist, kann dahingestellt bleiben, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass die Markeninhaberin selbst, bzw. auch ihr Schwesterunternehmen „Mademoiselle de Margaux“, bereits seit 1983 Schokoladenstäbchen in Deutschland vertrieben hatte, die der streitgegenständlichen dreidimensionalen Form sehr ähnlich sind, so dass möglicherweise schon deswegen das dreidimensionale Zeichen dem üblichen Formenschatz im Zeitpunkt der Schutzrechtserstreckung zuzurechnen wäre.
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2) Es kann im Übrigen dahinstehen, ob der Schutzrechtserstreckung bezüglich der beanspruchten Waren „chocolat“ und „produit de chocolaterie“ auch ein Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegensteht.
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3) Hinsichtlich der beanspruchten Ware „cacao“ stehen der Schutzrechtserstreckung keine Eintragungshindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG entgegen. Soweit mit dem streitgegenständlichen dreidimensionalen Zeichen „cacao“ gekennzeichnet wird, hebt sich dies erheblich von der Norm und der Branchenüblichkeit ab. Kakao wird in der Regel in Pulverform verpackt angeboten. Schon aus diesem Grund ist der Verkauf in Form eines dünnen, gewellten Stäbchens nicht gebräuchlich. Auch Kakao, der (ggf. mit anderen Zutaten vermengt) gegenständlich geformt ist (z. B. Kugeln aus Kakao, mit denen der Verbraucher Trinkschokolade herstellen kann), wird nicht in der Form des streitgegenständlichen Zeichens angeboten bzw. ist bei der Recherche des Senats nicht aufgefunden worden. Auch die Antragstellerin hat keine entsprechenden Waren dargelegt.
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Dabei kann offen bleiben, ob das streitgegenständliche Zeichen derzeit oder auch in Zukunft aus Kakao hergestellt werden kann. Diese Überlegung zielt dem Grunde nach nicht auf die Frage der Unterscheidungskraft ab, sondern auf die Frage der Markenfähigkeit des Zeichens im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 MarkenG (zur Systematik Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl. § 3 Rn. 25). Die Markenfähigkeit setzt voraus, dass die Marke grafisch darstellbar und abstrakt unterscheidungskräftig ist. Dabei sind dreidimensionale Gestaltungen, die die Form einer Ware darstellen, grundsätzlich abstrakt zur Unterscheidung von Waren und Dienstleistungen geeignet (BGH, GRUR 2010, 138, Rn. 12 – ROCHER Kugel). Die grafische Darstellbarkeit und die ausreichende Bestimmtheit des streitgegenständlichen Zeichens sind vom Bundesgerichtshof bereits abschließend beurteilt worden. Eine Überprüfung der Herstellbarkeit des Zeichens als Voraussetzung für seine registerrechtliche Eintragung ist bislang nicht gefordert worden. Diese Frage kann im vorliegenden Fall aber offen gelassen werden, da, wie oben dargelegt, auf dem Gebiet der Trinkschokoladen geformter Kakao angeboten wird.
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4) Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt nach § 83 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
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5) Für eine Auferlegung von Kosten aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG bestand kein Anlass.