Aktenzeichen 26 W (pat) 14/18
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2017 010 212.7
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 2. Oktober 2019 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Schödel und Dr. von Hartz
beschlossen:
Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. Januar 2018 wird aufgehoben.
Gründe
I.
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Das Wortzeichen
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SmAS
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ist am 25. April 2017 unter der Nummer 30 2017 010 212.7 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für Waren der Klassen 9, 14, 16, 18, 20, 25 und 28 angemeldet worden.
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Mit Beschluss vom 9. Januar 2018 hat die Markenstelle für Klasse 18 des DPMA die Anmeldung teilweise wegen eines Freihaltebedürfnisses gemäß § 37 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG zurückgewiesen, nämlich für die Waren der
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Klasse 9: elektronische Bücher;
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Klasse 16: Bücher.
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Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angemeldete Buchstabenfolge sei die Abkürzung für ein medizinisches Verfahren auf dem Gebiet der Schönheitschirurgie, nämlich beim Facelifting. Bei einem SMAS-Facelift werde neben der oberflächlichen Haut auch die darunter liegende Muskel- und Bindegewebsplatte, das „Superficial Muscular Aponeurosis System (SMAS)“, gehoben und redynamisiert. Bei dem Anmeldezeichen handele es sich daher insbesondere für den medizinischen Fachverkehr um eine sofort verständliche Abkürzung. Im Hinblick auf die zurückgewiesenen Waren stelle das Zeichen eine sinnvolle Inhaltsangabe dar, denn diese könnten das spezielle Gesichtsstraffungsverfahren erläutern oder Informationen dazu vermitteln.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie hat auf die gerichtlichen Hinweise vom 15. April 2019 und 8. August 2019 nebst Recherchebelegen (Anlagen 1 bis 3, Bl. 14 – 16, 31 – 42 GA) ihr Verzeichnis am 3. September 2019 hinsichtlich der zurückgewiesenen Waren in den Klassen 9 und 16 wie folgt eingeschränkt:
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Klasse 9: elektronische Kinderbücher; elektronische Sicherheitsfibeln;
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Klasse 16: Kinderbücher; Sicherheitsfibeln.
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Sie vertritt die Ansicht, mit der Beschränkung des Verzeichnisses eigne sich das Anmeldezeichen nicht mehr als Inhaltsangabe. Kinderbücher und Sicherheitsfibeln beschäftigten sich regelmäßig nicht mit Themen der Schönheitschirurgie.
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Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. Januar 2018 aufzuheben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist nach Einschränkung des beschwerdegegenständlichen Warenverzeichnisses begründet.
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Der Eintragung des angemeldeten Wortzeichens „SmAS“ als Marke stehen für die noch beschwerdegegenständlichen Waren der Klassen 9 und 16 keine Schutzhindernisse entgegen, insbesondere fehlt es dem Zeichen nicht an der erforderlichen Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
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1. a) Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198 Rdnr. 59 f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; BGH GRUR 2018, 932 Rdnr. 7 – #darferdas?; GRUR 2018, 301 Rdnr. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rdnr. 9 – OUI). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2010, 228 Rdnr. 33 – Audi AG/HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. – #darferdas?; a. a. O. – OUI). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH a. a. O. Rdnr. 15 – Pippi-Langstrumpf-Marke).
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Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143 Rdnr. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; BGH GRUR 2014, 376 Rdnr. 11 – grill meister).
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Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (EuGH GRUR 2004, 674, Rdnr. 86 – Postkantoor; BGH a. a. O. Rdnr. 8 – #darferdas?; GRUR 2012, 270 Rdnr. 11 – Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (BGH a. a. O. – #darferdas?; a. a. O. Rdnr. 12 – OUI; GRUR 2014, 872 Rdnr. 21 – Gute Laune Drops). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die beanspruchte Ware oder Dienstleistung zwar selbst nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt ohne weiteres erfasst und in der Bezeichnung kein Unterscheidungsmittel für deren Herkunft sieht (BGH a. a. O. – #darferdas?; a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann (EuGH GRUR 2004, 146 Rdnr. 32 – DOUBLEMINT; BGH GRUR 2014, 569 Rdnr. 18 – HOT).
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Auch Buchstaben und Buchstabenkombinationen kann die erforderliche Unterscheidungskraft fehlen, wenn sie gebräuchliche und für die angesprochenen Verkehrskreise verständliche Abkürzungen beschreibender Angaben darstellen. Es muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Annahme bestehen, dass derartige Buchstaben auf dem einschlägigen Gebiet als beschreibende Angaben benutzt und benötigt werden können (vgl. BGH GRUR 2003, 343, 344 – Buchstabe Z; GRUR 2002, 261, 262 – AC).
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b) Diesen Anforderungen genügt das beanspruchte Wortzeichen „SmAS”, weil es weder einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt noch einen engen beschreibenden Bezug zu den noch beschwerdegegenständlichen Waren der Klassen 9 und 16 aufweist.
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aa) Die angesprochenen inländischen Verkehrskreise sind die Endverbraucher und der Fachhandel für Bücher und elektronische Medien.
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bb) Die Buchstabenfolge „SMAS“ ist die Abkürzung für den englischen Ausdruck „superficial musculoaponeurotic system“, der mit „oberflächliches muskulär-aponeurotisches System“ übersetzt wird. Dabei handelt es sich um die fibromuskuläre Gewebeschicht des Kopfbereichs, die oberflächliche mimische Muskeln, Galea aponeurotica und im Gesichtsbereich eine faszienartige Bindegewebsplatte beinhaltet, die das subkutane Binde- und Fettgewebe in eine oberflächliche und eine tiefe, die Äste des Nervus facialis führende Schicht teilt. Es fixiert die Nervenäste an oberflächlichen Knochenstrukturen, z. B. Jochbogen, seitlicher Orbitarand, die hier bei chirurgischen Eingriffen stärker verletzungsgefährdet sind (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl. 2014; s. Anlage 2 zum gerichtlichen Hinweis vom 8. August 2019).
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cc) Nach der Recherche des Senats findet die Abkürzung „SMAS“ in diesem Sinne sowohl in Alleinstellung als auch in zusammengesetzten Wörtern in der Fachliteratur zu ästhetischer Medizin im Bereich Facelifting umfangreiche Verwendung. Unter einem „SMAS-Facelift(-ing)“ versteht man Gesichtsoperationen, bei denen altersbedingte Hautfalten durch das Herausheben und Redynamisieren der darunter liegenden Muskel- und Bindegewebsplatte beseitigt werden (s. Anlage 3 zum gerichtlichen Hinweis vom 8. August 2019). Daher hat zumindest der medizinische Fachverkehr, dessen Verständnis allein von ausschlaggebender Bedeutung sein kann (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 682 Rdnr. 26 – Bostongurka; BPatG 26 W (pat) 507/17 – SMART SUSTAINABILITY; 24 W (pat) 18/13 – CID; 26 W (pat) 550/10 – Responsible Furniture; MarkenR 2007, 527, 529 f. – Rapido), die Buchstabenfolge „SmAS“ zum Anmeldezeitpunkt, dem 25. April 2017, trotz der Kleinschreibung des Buchstaben „m“ als geläufige Abkürzung eines medizinischen Fachbegriffs aufgefasst.
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dd) Im Hinblick auf die zurückgewiesenen Waren „elektronische Bücher“ der Klasse 9 und „Bücher“ der Klasse 16 hat sich die beanspruchte Buchstabenfolge daher am maßgeblichen Anmeldetag grundsätzlich in einer Inhaltsangabe medizinischer Fachliteratur erschöpft, so dass ihr die erforderliche Unterscheidungskraft gefehlt hat (vgl. BGH GRUR 2013, 522 Rdnr. 17 – Deutschlands schönste Seiten; BPatG 29 W (pat) 535/15 – Safe@Work; 29 W (pat) 24/12 – We love your problems). Denn gedruckte und elektronische Bücher können sich mit dem Thema Schönheitschirurgie im Gesichtsbereich und damit auch mit dem SMAS-Facelift befassen.
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ee) Durch die zulässige positive Einschränkung des Verzeichnisses auf die Waren „elektronische Kinderbücher; elektronische Sicherheitsfibeln“ der Klasse 9 und „Kinderbücher; Sicherheitsfibeln“ der Klasse 16 als spezifische Untergruppen der zurückgewiesenen Waren „Bücher; elektronische Bücher“ ist dieses Schutzhindernis entfallen. Denn das Anmeldezeichen ist weder geeignet, die nunmehr beanspruchten Waren unmittelbar zu beschreiben, noch enthält es einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsgehalt oder stellt einen engen beschreibenden Bezug zu ihnen her.
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aaa) An Kinder adressierte Bücher – auch in elektronischer Form – enthalten grundsätzlich keine komplizierten medizinischen Themen. Für spezielle Methoden des Faceliftings interessieren sich nur ärztliches Fachpersonal und Menschen im vorangeschrittenen Erwachsenenalter.
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bbb) Auch „Sicherheitsfibeln“ in Printform oder elektronisch befassen sich nicht mit Verfahren der ästhetischen Medizin. Eine „Fibel“ ist ein „Lehrbuch, das in die Anfangsgründe eines bestimmten Fachgebietes einführt“ und eine veraltete Bezeichnung eines Lesebuchs, „nach dem die Schüler der ersten Klasse lesen und schreiben lernen“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Fibel_Buch). Sie vermittelt daher regelmäßig nur einen Grundriss oder Überblick. Hinzu kommt, dass sich Sicherheitsfibeln mit (mechanischen und elektronischen) Sicherheitsmaßnahmen zur Vermeidung von (Arbeits-, Kinder-) Unfällen im Verkehr oder beim Umgang mit Maschinen oder Spielzeug, mit Brandschutz oder mit der Bekämpfung anderer Gesundheitsgefahren beschäftigen und allenfalls allgemeine notfallmedizinische Themen, aber keine Spezialthemen der Schönheitschirurgie behandeln.
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2. Wegen der fehlenden Eignung des Anmeldezeichens zur unmittelbaren Beschreibung der noch beschwerdegegenständlichen Waren kann auch ein Freihaltebedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht bejaht werden.