Aktenzeichen 29 W (pat) 608/17
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke
30 201
5 038 141
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2019 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Mittenberger-Huber, die Richterin Akintche und die Richterin Seyfarth
beschlossen:
Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Die Wortmarke
WE.RE
2
ist am 8. Mai 2015 angemeldet und am 6. Oktober 2015 als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register unter der Nummer 30 2015 038 141 für die Waren und Dienstleistungen der
3
Klasse 14: Schmuckwaren; Juwelierwaren; Edelsteine;
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Klasse 18: Leder und Lederimitationen; Taschen aus Leder und Lederimitationen; Taschen; Sattlerwaren;
5
Klasse 25: Bekleidung; Bekleidungsstücke; Kopfbedeckungen;
6
Klasse 35: Dienstleistungen des Einzelhandels, auch über das Internet, in den Bereichen Bekleidung, Bekleidungsstücke, Accessoires, nämlich Kopfbedeckungen und Tücher, Taschen und Sattlerwaren, Juwelierwaren, Schmuckwaren, Edelsteine, Wohnaccessoires und Kunstwerke;
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Klasse 41: Organisation und Durchführung von kulturellen Veranstaltungen, Konzerten, Modeschauen für Unterhaltungszwecke, Liveveranstaltungen;
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Klasse 42: Dienstleistungen eines Modedesigners;
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eingetragen worden.
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Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 6. November 2015 veröffentlicht wurde, hat die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben
11
1. aus der Wortmarke UM 007 209 571
WE
12
eingetragen am 22. Juni 2010 für die Waren und Dienstleistungen
13
Klasse 3: Seifen, Parfümerien, ätherische Öle, Kosmetika, Haarwässer;
14
Klasse 9: Brillen, einschließlich Sonnenbrillen; Brillengestelle; Brillenetuis;
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Klasse 14: Edelmetalle und deren Legierungen sowie daraus hergestellte oder damit plattierte Waren, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Juwelierwaren, Schmuckwaren, Edelsteine; Uhren und Zeitmessinstrumente einschließlich Armband- und Taschenuhren;
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Klasse18: Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Regen- und Sonnenschirme; Reise- und Handkoffer; Taschen, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind;
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Klasse 25: Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen;
18
Klasse 35: Geschäftsvermittlung in Bezug auf Kauf und Verkauf, einschließlich im Bereich Einzelhandel in Bezug auf Seifen, Parfümeriewaren, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer, Brillenerzeugnisse, einschließlich Sonnenbrillen, optische Gestelle, Etuis und Behälter für Brillen, Edelmetalle und deren Legierungen sowie daraus hergestellte oder damit plattierte Waren, Juwelierwaren, Schmuckwaren, Modeschmuck, Edelsteine, Uhren und Zeitmessinstrumente, einschließlich Armbanduhren, Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, Regenschirme und Sonnenschirme, Reisekoffer und Koffer, Taschen, Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen; Bereitstellung aller vorstehend genannten Dienstleistungen auch auf elektronischem Weg, einschließlich Internet.
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2. aus der Wortmarke IR 928 676
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WE IS ME
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registriert am 21. Mai 2007 für die Waren und Dienstleistungen
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Klasse 3: Savons, parfumerie, huiles essentielles, cosmétiques, lotions pour les cheveux;
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Klasse 9: Lunettes, y compris les lunettes de soleil, les étuis à lunettes, montures pour lunettes;
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Klasse 14: Métaux précieux et leurs alliages et produits en ces matières ou en plaqué non compris dans d’autres classes; joaillerie, bijouterie, pierres précieuses; horlogerie et instruments chronométriques;
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Klasse 18: Cuir et imitations du cuir, produits en ces matières non compris dans d’autres classes; parapluies et parasols, malles et valises non compris dans d’autres classes;
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Klasse 25: Vêtements, chaussures, chapellerie;
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Klasse 35: Publicité; gestion des affaires commerciales; administration commerciale; travaux de bureau; service d’intermédiaire commercial relatifs à l’achat et à la vente, y compris au commerce de détail, des produits énumérés dans les classes 3, 9, 14, 18 et 25; les services précités également fournis par voie électronique, y compris par le biais du réseau Internet.
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sowie 3. aus der Wort-/Bildmarke IR 1 213 402
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registriert am 20. Mai 2014 für die Waren und Dienstleistungen
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Klasse 18: Leather and imitation leather; leather handbags, wallets, purses and briefcases; umbrellas and parasols; trunks and traveling bags; bags;
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Klasse 25: Clothing, footwear, headgear, bonnets, hats and caps; belts;
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Klasse 35: Advertising; business management; business administration; administrative services; retail business services relating to, and the bringing together (excluding transport) of products made of leather, clothing, clothing accessories, footwear and headgear for third parties in order to enable consumers to view and buy these products; sales promotion; business mediation in the purchase and sale of products; mediation in commercial matters in the marketing of products in the context of the services of wholesalers; administrative services in connection with preparing and concluding of franchise agreements relating to the aforesaid services; the aforesaid services also provided via electronic channels, including the internet.
33
Mit Beschluss vom 14. September 2017 hat die Markenstelle für Klasse 35 des DPMA eine Verwechslungsgefahr verneint und die Widersprüche zurückgewiesen.
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Zur Begründung der Zurückweisung des Widerspruchs aus der Marke UM 007 209 571 „WE“ hat sie ausgeführt, ungeachtet der Frage der Glaubhaftmachung der Benutzung bestehe zwischen den Vergleichszeichen ein ausreichender Abstand, um Verwechslungen ausschließen zu können. Es stünden sich teilweise identische Waren und Dienstleistungen gegenüber, zwischen den übrigen Waren und Dienstleistungen bestehe gegebenenfalls Ähnlichkeit. Die Widerspruchsmarke besitze durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Ausgehend von dieser Ausgangslage halte die jüngere Marke auch im Identitätsbereich den erforderlichen Abstand ein. Die jüngere Marke grenze sich durch den Bestandteil „.RE“ in nicht verwechselbarer Weise von der Widerspruchsmarke ab. Durch das „.RE“ ergebe sich zum einen eine nicht verwechselbare andere Wortlänge, zum anderen liege ein deutlicher klanglicher Unterschied vor, sowohl in der anzunehmenden deutschen als auch in der englischen Aussprache. Im Übrigen könne der Punkt vor den zwei zusätzlichen Buchstaben „RE“ den Verkehr veranlassen, die jüngere Marke mit einer Pause zwischen „WE“ und „RE“ auszusprechen oder sogar „Punkt“ zu sagen. Schließlich liege keine begriffliche Ähnlichkeit vor, da der Verkehr die Vergleichsmarken als Phantasiewörter bzw. Buchstabenkombination, die lediglich in der Silbe „WE“ übereinstimmten, ansehe. Ein Anhaltspunkt für eine Serienmarke liege ebenfalls nicht vor.
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Die Zurückweisung des Widerspruchs aus der IR-Marke 928 676 „WE IS ME“ erfolgte ebenfalls mit der Begründung, die angegriffene Marke halte den für den Ausschluss der Verwechslungsgefahr erforderlichen Abstand ein.
36
Zur Begründung der Zurückweisung des Widerspruchs aus der Wort-/Bildmarke IR 1 213 402 trägt die Markenstelle vor, ausgehend von der maßgeblichen Registerlage stünden sich teilweise identische Waren und Dienstleistungen gegenüber, zwischen den übrigen Waren und Dienstleistungen bestehe gegebenenfalls Ähnlichkeit. Die Frage der Ähnlichkeit zwischen den Waren und Dienstleistungen könne jedoch dahingestellt bleiben, da die jüngere Marke bei durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auch im Identitätsbereich den erforderlichen Abstand einhalte. Schriftbildlich könne zwischen der angegriffenen Wortmarke und der widersprechenden Wort-/Bildmarke eindeutig keine Verwechslungsgefahr angenommen werden. Auch klanglich und begrifflich gebe es deutliche Unterschiede. Die Widerspruchsmarke werde nach ihrem Wortbestandteil „WE“ benannt. Aus dem in der jüngeren Marke zusätzlich enthaltenen Element „.RE“ resultiere ein deutlicher Unterschied. Dies gelte sowohl für die englische als auch für die vorrangig anzunehmende deutsche Aussprache. Selbst bei einer Aussprache als Buchstabenfolge würden die klanglichen Unterschiede deutlich. Im Übrigen könne der Punkt vor den beiden Buchstaben „RE“ den Verkehr veranlassen, die jüngere Marke mit einer Pause zwischen „WE“ und „RE“ auszusprechen oder sogar „Punkt“ zu sagen. Schließlich liege keine begriffliche Ähnlichkeit vor, da der Verkehr die Vergleichsmarken als Phantasiewörter bzw. Buchstabenkombination, die lediglich in der Silbe „WE“ übereinstimmten, ansehe. Anhaltpunkte für eine mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt des Serienzeichens sowie andere Fälle der Verwechslungsgefahr gebe es nicht.
37
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, mit der sie beantragt,
38
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des DPMA vom 14. September 2017 aufzuheben, soweit die Widersprüche aus den Marken UM 007 209 571 und IR 1 213 402 zurückgewiesen worden sind.
39
Im Übrigen ist die Beschwerdeführerin der Auffassung, dass zwischen den Widerspruchsmarken „WE“ bzw. und der jüngeren Marke „WE.RE“ jeweils Verwechslungsgefahr bestehe. Die sich gegenüberstehenden Marken begegneten sich auf zumindest teils identischen Waren und Dienstleistungen und die Widerspruchsmarken wiesen eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft auf. In klanglicher Hinsicht bestehe sowohl bei der Wortmarke als auch aufgrund ihrer Benennung als „WE“ durch den Verkehr bei der Wort-Bildmarke eine hochgradige Ähnlichkeit zu der angegriffenen Marke, sodass diese nicht den für die Verneinung einer Verwechslungsgefahr erforderlichen Abstand zu den Widerspruchsmarken einhalte. Die Widerspruchsmarke „WE“ bzw. der Wortbestandteil der Wort-/Bildmarke stehe für die englische Übersetzung des Personalpronomens „wir“, die angegriffene Marke „WE.RE“ sei als englischer Ausdruck „we’re“ als Abkürzung von „we are“ aufzufassen. Der angesprochene Verkehrskreis spreche die Zeichen dementsprechend auch in der englischen Aussprache als „u-i“ und „u-i-a“ bzw. „u-i-e“ aus. Hierdurch käme es zu einer klanglichen Ähnlichkeit. Ebenfalls liege schriftbildlich zumindest eine durchschnittliche, sowie begrifflich aufgrund der Bedeutung der Wortzeichen eine hochgradige Ähnlichkeit vor. Die schriftbildliche Ähnlichkeit sei darauf zu begründen, dass die Abweichungen am Wortende der Anmeldemarke kaum ins Gewicht fielen. Die begriffliche Ähnlichkeit beruhe darauf, dass das in erster Person Plural konjungierte Verb „are“ die erweiterte Fortsetzung des Personalpronomens der Widerspruchsmarke sei.
40
Die Inhaberinnen der angegriffenen Marke und Beschwerdegegnerinnen beantragen,
41
die Beschwerde zurückzuweisen.
42
Bereits im amtlichen Widerspruchsverfahren haben sie mit Schriftsatz vom 10. Juni 2016 die Benutzung der Wortmarke UM 007 209 571 bestritten sowie inhaltlich zur Frage der Verwechslungsgefahr vorgetragen.
43
Der Widerspruch aus der IR-Marke 1 213 402 sei unbegründet, da selbst bei Waren- und Dienstleistungsidentität keine Verwechslungsgefahr gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG bestehe. Die Widerspruchsmarke weise eine eher schwache Kennzeichnungskraft auf, da es sich um ein allgegenwärtiges, in den verschiedensten Sparten verwendetes Wort handele, das nicht als Herkunftshinweis verstanden werde. Schriftbildlich würden sich die gegenüber stehenden Zeichen durch den in der jüngeren Marke enthaltenen Wortbestandteil „RE“ unterscheiden sowie durch die schwarze Hinterlegung des in weiß gehaltenen Wortbestandteiles „WE“, wodurch ein völlig anderer Gesamteindruck entstehe. Außerdem könnten in der Widerspruchsmarke nicht ohne weiteres die Buchstaben „W“ und „E“ gesehen werden, es könne sich auch um die umgedrehte Ziffer „3“ handeln. Klanglich bestehe wiederum keine Ähnlichkeit, da die Zeichen aufgrund ihrer unterschiedlichen Schreibweise und Länge unterschiedlich ausgesprochen und akustisch aufgenommen würden. Eine begriffliche Ähnlichkeit scheide aus, da es sich bei der Widerspruchsmarke um das englische Personalpronomen für das deutsche Wort „wir“ handele, während sich die jüngere Marke aus Teilen der Nachnamen der Anmelderinnen zusammensetze (We…, Re…).
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Auch zu der schwach kennzeichnungskräftigen Widerspruchsmarke UM 007 209 571 „WE“ halte die jüngere Marke selbst bei identischen Waren und Dienstleistungen den erforderlichen Abstand ein. Das Kurzzeichen „WE“ trete allgegenwärtig in Erscheinung und werde in zahlreichen anderen Marken eingesetzt, ohne dass dies zu Verwirrung im relevanten Markt führe. Die abstrakte potentielle Kennzeichnungskraft sei außergewöhnlich gering, weshalb „WE“ isoliert betrachtet keinesfalls ein exklusives Kollisionsrecht begründen könne. Ein Vergleich der sich gegenüberstehenden Marken offenbare erhebliche Unterschiede. Da der Gesamteindruck der Marken maßgeblich sei, seien sie in allen Bestandteilen gegenüberzustellen. Schriftbildlich unterschieden sich „WE“ und „WE.RE“ deutlich durch den in der Widerspruchsmarke nicht enthaltenen Bestandteil „.RE“. Auch klanglich bestehe keine Ähnlichkeit, da die Zeichen aufgrund ihrer unterschiedlichen Schreibweise und Länge verschieden ausgesprochen und akustisch aufgenommen würden. Aus denselben Gründen wie im Verhältnis zu der Widerspruchsmarke bestehe auch keine begriffliche Ähnlichkeit.
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In Erwiderung auf die Einrede der Nichtbenutzung hat die Beschwerdeführerin bereits im Widerspruchsverfahren eine Reihe von Unterlagen zur Glaubhaftmachung der Benutzung der Wortmarke UM 007 209 571 „WE“ vorgelegt, darunter eidesstattliche Versicherungen mit Umsatzzahlen, Konzept-Handbücher für die Betreiber der „WE“ Ladengeschäfte, Website-Auszüge und Werbematerial.
46
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die nach §§ 66, 64 Abs. 6 MarkenG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
48
Soweit die Markenstelle den Widerspruch aus der Marke IR 928 676 „WE IS ME“ zurückgewiesen hat, greift die Widersprechende den Beschluss nicht an. Dieser Widerspruch ist somit nicht beschwerdegegenständlich.
49
Da die Anmeldung der angegriffenen Marke zwischen dem 1. Oktober 2009 und dem 14. Januar 2019 eingereicht worden ist, ist für die gegen diese Eintragung erhobenen Widersprüche gemäß § 158 Abs. 3 MarkenG in der seit dem 14. Januar 2019 geltenden Fassung (MarkenG n. F.) weiterhin die Vorschrift des § 42 Abs. 1 und Abs. 2 MarkenG in der bis zum 14. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (im Folgenden „MarkenG“).
50
A.
Widerspruch aus der Wortmarke UM 007 209 571
51
Zwischen der angegriffenen Marke und der (Unions-)Widerspruchsmarke besteht keine Verwechslungsgefahr im Sinne der §§ 125 b Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
52
Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. EuGH MarkenR 2014, 245 ff. – Bimbo/HABM [BIMBO DOUGHNUTS/DOGHNUTS]; GRURInt. 2012, 754 Rn. 63 – XXXLutz Marken GmbH/HABM [Linea Natura Natur hat immer Stil]; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/ HABM [CK CREATIONES KENNYA/CK CAKVIN KLEIN]; GRUR-RR 2009, 356 Rn. 45 f. – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2019, 1058 Rn. 17 – KNEIPP; GRUR 2018, 79 Rn. 9 – OXFORD/Oxford Club; WRP 2017, 1104 ff. – Medicon-Apotheke/Medico Apotheke; GRUR 2016, 1301 Rn. 44 – Kinderstube; GRUR 2016, 382 Rn. 19 – BioGourmet m. w. N.). Darüber hinaus können für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren relevant sein, wie unter anderem etwa die Art der Ware, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen.
53
1. Die Inhaberinnen der angegriffenen Marke haben im Amtsverfahren mit Schriftsatz vom 10. Juni 2016 die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten. Nach § 158 Abs. 5 MarkenG n. F. sind – weil der Widerspruch vor dem 14. Januar 2019 erhoben wurde – die §§ 26 und 43 Abs. 1 MarkenG in ihrer bis dahin geltenden Fassung anzuwenden. In dem undifferenzierten Bestreiten der Benutzung ist die Erhebung beider Einreden nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG zu sehen (BGH GRUR 2008, 719 Rn. 20 – idw Informationsdienst Wissenschaft). Da die Widerspruchsmarke zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke am 6. November 2015 bereits über fünf Jahre im Register eingetragen war (Eintragung am 22. Juni 2010), sind beide Einreden zulässig. Für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr sind nach §§ 125 b Nr. 4, 43 Abs. 1 S. 3 MarkenG nur die Waren und Dienstleistungen zu berücksichtigen, für die eine rechtserhaltende Benutzung glaubhaft gemacht worden ist.
54
Maßgeblich für die Frage der Benutzung in zeitlicher Hinsicht sind vorliegend nach § 43 Abs. 1 Satz 1 MarkenG der Fünfjahreszeitraum vor Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke am 6. November 2015 und nach § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG der weitere Fünfjahreszeitraum vor der Entscheidung durch das Bundespatentgericht (vgl. BGH a. a. O. – idw Informationsdienst Wissenschaft). Damit oblag es der Widersprechenden, die wesentlichen Umstände der Benutzung der Marke, insbesondere Zeit, Art, Ort und Umfang in den Benutzungszeiträumen November 2010 bis November 2015 sowie Oktober 2014 bis Oktober 2019 darzutun und glaubhaft zu machen.
55
Nach ständiger Rechtsprechung wird eine Marke dann ernsthaft benutzt, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion verwendet wird, d. h. die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen und zu sichern (EuGH GRUR 2003, 425 Rn. 38 – Ansul/Ajax; BGH GRUR 2013, 725 Rn. 38 – Duff Beer). Der Nachweis der Benutzung ist in Abgrenzung zur bloßen Scheinhandlung zu verstehen, die nur zu dem Zweck vorgenommen wird, die formalen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung von Rechten aus einer Marke zu erfüllen (EuGH, GRUR 2013, 182 Rn, 29 – Leno Merken/Hagelkruis Beheer [Onel/Omel]; GRUR 2008, 343 Rn. 72 – Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]; BGH GRUR 2012, 832 Rn. 49 – ZAPPA; GRUR 2010, 729 Rn. 15 – MIXI; GRUR 2009, 60 Rn. 37 – LOTTOCARD). Ausgeschlossen sind somit die Fälle, in denen die Marke nur symbolisch benutzt wird, um die durch sie begründeten Rechte zu wahren. Die Ernsthaftigkeit der Benutzung der Marke ist anhand sämtlicher Tatsachen und Umstände zu beurteilen, durch die die wirtschaftliche Verwertung der Marke im Geschäftsverkehr belegt werden kann. Dazu rechnen insbesondere der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke (vgl. EuGH GRUR 2008, 343 Rn. 72 – Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]; BGH GRUR 2010, 729 Rn. 15 – MIXI). Die Glaubhaftmachung ist der Beschwerdegegnerin und Widersprechenden allenfalls für einen geringen Teil der Widerspruchswaren gelungen.
56
Die Widersprechende und Beschwerdeführerin hat zur Glaubhaftmachung der Benutzung im Verfahren vor dem DPMA u. a. folgende Unterlagen vorgelegt:
57
– Eidesstattliche Versicherung des Managers und International Brand Directors der Widersprechenden vom 13. Februar 2017 (Anlage A d. VA);
58
– Erklärung („to whom it may concern“) des ehemaligen Chief Financial Officers vom 4. April 2014 (Anlage B d. VA);
59
– Abbildung eines Werbeplakates aus dem Jahr 2011 und zweier Werbeplakate aus 2012 (Anlage C und K d. VA);
60
– Katalog einer „WE Fashion“-Werbekampagne aus dem Jahr 2011 (Anlage D d. VA);
61
– Zwei Veröffentlichungen zu 2011und 2012 in Frankreich erschienenen Presseberichterstattungen (Anlagen E und H d. VA);
62
– Fotos des Pressebuches Frühjahr/Sommer 2011 (Anlage F d. VA);
63
– Foto einer Rechnung vom 15. November 2011 sowie vom 23. April 2012 (Anlagen G und M d. VA);
64
– Handbuch über das Konzept der „WE“-Ladengeschäfte (Anlage I d. VA);
65
– Auszüge aus der Website der Widersprechenden mit unter der Marke „WE“ angebotenen Bekleidungstücken jeweils aus den Jahren 2012, 2014, 2015 und 2016, mit Schuhen aus den Jahren 2012 und 2016 sowie mit Parfum aus den Jahren 2015 und 2016 – teilweise – (Anlage J, L, O, P, S, V, W, X, Y, Z und AE, AG, AI d. VA);
66
– Fotos mit Abbildungen von mit „WE“ gekennzeichneten – undatierten – Waren (Knöpfe, Oberteile, Gürtel, Schmuckwaren, Uhren) vermutlich aus den Jahren 2012, 2013 und 2015 (Anlage Z, AD und AF d.VA);
67
– undatiertes Foto eines Schildes von „WE“, das auf die Sicherung von Waren hinweist (Anlage N d. VA);
68
– undatiertes Fotos eines neu eröffneten Ladengeschäfts (Anlage Q d. VA);
69
– redaktionelle Berichterstattungen über „WE“ aus dem Jahr 2013 aus unterschiedlichen fremdsprachigen Zeitschriften (Anlage R und T d. VA);
70
– schlecht leserliche „WE FASHION APP“ – undatiert – (Anlage AC d. VA);
71
– die Anlagen U, AB, AH der Vorakte beziehen sich auf die nicht verfahrensgegenständliche Marke „WE IS ME“.
72
Was den Benutzungszeitraum angeht, hält es der Senat noch für ausreichend, dass Unterlagen nur bis 2015 vorliegen. Denn für eine ernsthafte Benutzung ist keine kontinuierliche Verwendung der Marke während des gesamten in Rede stehenden Zeitraums erforderlich (EuGH, GRUR 2008, 343 Rn. 72 bis 74 – Il Ponte Finanzaria/HABM [BAINBRIDGE], BGH GRUR 2013, 925 – VOODOO). Es kommt vielmehr darauf an, dass die Benutzungshandlungen deutlich über eine lediglich der rein formalen Aufrechterhaltung der Marke dienende Scheinbenutzung hinausgehen, was angesichts der insgesamt kontinuierlichen Umsätze anzunehmen ist.
73
Dass die Benutzung – wie den Unterlagen zu entnehmen ist – in der Regel als Wortbildmarke erfolgt ist, ist ebenfalls unschädlich. Auch die Wortbildmarke wird der Verkehr mit dem Wort „WE“ benennen, so dass der kennzeichnende Charakter der Marke nicht entscheidend verändert wird (vgl. Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Auflage, § 26 Rn. 197, 211).
74
Darüber hinaus sind die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen jedoch, gemessen an den vorgenannten Benutzungskriterien, teilweise wenig aussagekräftig und lückenhaft. Laut eidesstattlicher Versicherung vom 13. Februar 2017 hat die Widersprechende die Marke „WE“ in den Jahren 2010 bis 2015 für die Waren „Clothing, footwear, belts, leather, goods made of precious metals, jewellery, watches, fragrances, sunglasses“ und für „retail business services relating to“ in den Ländern Niederlande, Belgien, Deutschland, Frankreich und Luxemburg benutzt. Dazu werden Gesamtumsätze aus den Jahren 2012 bis 2015 genannt, die jedoch nicht nach den oben genannten Waren spezifiziert sind, so dass unklar bleibt, welche Umsätze z. B. auf „Bekleidung“ „Schuhwaren“, „Kopfbedeckungen“ oder „Parfümerien“ fallen. Eine Zuordnung der Umsatzzahlen erfolgt lediglich bezogen auf „jewellery“, „leather bags“ und „leather belts“ sowie „leather wallets“ und „sunglasses“. Ebenso wenig ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung, welche Umsätze auf den Verkauf der Waren und welche auf die in Klasse 35 beanspruchten „Geschäftsvermittlungs“-Dienstleistungen fallen.
75
In der Gesamtschau ergeben sich daher allenfalls ausreichende Anhaltspunkte für eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für „Sonnenbrillen, Juwelierwaren, Schmuckwaren, Ledergürtel, Ledertaschen, Brieftaschen aus Leder“. Ob insoweit tatsächlich eine rechtserhaltende Benutzung zu bejahen ist, braucht aber nicht abschließend geprüft werden.
76
2. Denn selbst wenn man zugunsten der Widersprechenden eine rechtserhaltende Benutzung jedenfalls für die Waren „Sonnenbrillen, Juwelierwaren, Schmuckwaren, Ledergürtel, Ledertaschen, Brieftaschen aus Leder“ zugrunde legt, besteht keine Verwechslungsgefahr, da der Abstand zwischen den Vergleichsmarken auch bei identischen Waren und Dienstleistungen ausreicht, um Verwechslungen ausschließen zu können.
77
a) Zwischen den vorgenannten Waren der Widerspruchsmarke und den für die angegriffene Marke eingetragenen Waren und Dienstleistungen besteht teilweise Identität bzw. Ähnlichkeit, teilweise Unähnlichkeit.
78
Eine Ähnlichkeit von beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen ist dabei grundsätzlich anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder Leistungen oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlichen Gründe so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR Int. 2009, 397 Rn. 65 – P Les Éditions Albert René Sàrl/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH MarkenR 2016, 157 Rn. 21 – BioGourmet; GRUR 2015, 176 Rn. 16 – ZOOM/ZOOM; GRUR 2004, 601 – d-c-fix/CD-FIX; GRUR 2001, 507, 508 – EVIAN/REVIAN).
79
Die Waren der Klasse 14 der angegriffenen Marke „Schmuckwaren;
Juwelierwaren“ sind wortgleich im Verzeichnis der Widerspruchsmarke enthalten. Zwischen den „Edelsteinen“ der jüngeren Marke und „Schmuckwaren“ besteht hochgradige Ähnlichkeit. Gleiches gilt für „Ledergürtel, Ledertaschen, Brieftaschen aus Leder“ der Widerspruchsmarke, die hochgradig ähnlich zu „Leder und Lederimitationen; Taschen aus Leder und Lederimitationen; Taschen“ der angegriffenen Marke sind.
80
Die in Klasse 18 enthaltenen „Sattlerwaren“ der jüngeren Marke sind ähnlich zu „Taschen“ der Widerspruchsmarke (vgl. BPatG, Beschluss vom 29.11.2005, 27 W (pat) 246/04 Rn. 31 – NORDSTURM/NORDSTROM). Darüber hinaus besteht zwischen den auf Seiten der Widersprechenden zu berücksichtigenden Waren und den Waren der angegriffenen Marke keine bzw. nur entfernte Ähnlichkeit.
81
Die von der angegriffenen Marke beanspruchten Einzelhandelsdienstleistungen der Klasse 35 beziehen sich zum Teil auf Waren, die identisch oder ähnlich auch im Verzeichnis der Widerspruchsmarke enthalten sind. Es liegt jedenfalls insoweit Ähnlichkeit vor, als die Verkehrskreise annehmen, dass die Waren und Dienstleistungen aus demselben oder miteinander verbundenen Unternehmen stammen.
82
Ob und in welchem Maße Ähnlichkeit zwischen den vorgenannten Waren und Dienstleistungen besteht, kann letztlich jedoch dahingestellt bleiben, da selbst im Identitätsbereich der Vergleichswaren und -dienstleistungen die unter dem Durchschnitt liegende Ähnlichkeit zwischen den Vergleichsmarken ausreicht, um eine Verwechslungsgefahr zu verneinen.
83
b) Die Widerspruchsmarke „WE“ verfügt über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft und damit über einen normalen Schutzumfang. Ausreichende Anhaltspunkte für eine Schwächung oder Steigerung der Kennzeichnungskraft sind nicht erkennbar. Die originäre Kennzeichnungskraft wird durch die Eignung einer Marke bestimmt, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. vgl. EuGH GRUR 2010, 1096 Rn. 31 – BORCO/HABM [Buchst. a]; BGH GRUR 2017, 75 Rn. 19 – Wunderbaum II; BGH, GRUR 2016, 382 Rn. 31 – BioGourmet). In Bezug auf die hierfür geschützten Waren und Dienstleistungen kann kein beschreibender Bezug oder ein sonstiger die Kennzeichnungskraft schwächender Sinngehalt festgestellt werden. Weder die „allgegenwärtige Erscheinung“ noch die Kürze des Wortes „WE“ führen, entgegen dem Vortrag der Beschwerdegegnerinnen, zu einer Schwächung der Kennzeichnungskraft. Darüberhinausgehende Tatsachen, die eine Stärkung bzw. Schwächung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
84
c) Die relevanten Vergleichswaren richten sich überwiegend an den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Endverbraucher, der den Waren – je nach Preissegment – mit normaler bzw. leicht erhöhter Aufmerksamkeit begegnet. Soweit auch Fachkreise angesprochen sind, ist ebenfalls von etwas erhöhter Aufmerksamkeit auszugehen.
85
d) Die angegriffene Marke hält auch den im Bereich der Warenidentität und bei Annahme durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke erforderlichen weiten Abstand zur Widerspruchsmarke noch ein.
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Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2013, 922 Rn. 35 – Specsavers/Asda; BGH GRUR 2014, 1101 Rn. 54 – Gelbe Wörterbücher; GRUR 2013, 833 Rn. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 930 Rn. 22 – Bogner B/Barbie B; GRUR 2012, 64 Rn. 15 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2010, 729 Rn. 23 – MIXI; GRUR 2009, 672 Rn. 33 – OSTSEE-POST; BPatG, Beschluss vom 18.04.2011, 26 W (pat) 30/07 – CITIPOST), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428, Rn. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2005, 1042 Rn. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 14 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2009, 487 Rn. 32 – Metrobus; GRUR 2009, 672 Rn. 33 – OSTSEE-POST). Der Grad der Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen ist im Klang, im (Schrift)Bild und im Bedeutungs-(Sinn)Gehalt zu ermitteln. Für die Annahme einer Verwechslungsgefahr reicht dabei regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einem der Wahrnehmungsbereiche aus (BGH GRUR 2017, 1104 Rn. 27 – Medicon-Apotheke/Medico Apotheke; GRUR 2015, 114 Rn. 23 – Springender Pudel; GRUR 2015, 1009 Rn. 24 – BMW-Emblem; GRUR 2009, 1055 Rn. 26 – airdsl; BGHZ 139, 340, 347 – Lions; MarkenR 2008, 393, Rn. 21 – HEITEC).
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aa) Die sich gegenüberstehenden Marken
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WE.RE und WE
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unterscheiden sich schriftbildlich deutlich durch die nur in der angegriffenen Marke enthaltenen Buchstaben „RE“ mit dem davor gesetzten Punkt, der die Bestandteile „WE“ und „RE“ trennt.
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bb) In klanglicher Hinsicht ist maßgeblich, wie die Marken von den angesprochenen Verkehrskreisen mündlich wiedergegeben werden, wenn sie die Marke in ihrer registrierten Form vor sich haben (BPatG GRUR 2010, 441, Rn. 39 – pn printnet/PRINECT). Bei der Beurteilung der Frage, ob die Vergleichszeichen sich verwechselbar nahekommen, ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass es sich bei den Markenwörtern „WE“ und „WE.RE“ um relativ kurze Vergleichswörter handelt, bei denen auch einzelne Unterschiede stärker ins Gewicht fallen als bei längeren Vergleichsbezeichnungen (vgl. BPatG Beschluss vom 08.08.2013 25 W (pat) 104/12 Talo/tilo; Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rn. 285). Auch bleiben kurze Wörter besser und genauer in der Erinnerung. Daraus ergibt sich, dass hier mitunter Abweichungen in nur einem Laut Verwechslungen ausschließen können (BPatG, Beschluss vom 09.03.2015, 28 W (pat) 24/13 – 3E/E3; Beschluss vom 08.08.2013, 25 W (pat) 104/12 – Talo/tilo; Beschluss vom 12.01.2011, 29 W (pat) 51/10 – E-tat/ETAX; Beschluss vom 13.05.2009, 26 W (pat) 324/03 – WELT/WEST; vgl. auch neuerdings EuG, Urteil vom 04.05.2018, T-241/16 – EW/WE). Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei Kurzwörtern geringere Anforderungen an die Unterscheidbarkeit gestellt werden dürften, wovon die Markenstelle allerdings auch nicht ausgegangen ist.
91
Bei den sich gegenüberstehenden Zeichen handelt es sich jeweils um als Wort aussprechbare Buchstabenzusammenstellungen. Die Widerspruchsmarke besteht aus den Buchstaben „W“ und „E“. Es sind alle im Bereich der Wahrscheinlichkeit liegenden Aussprachemöglichkeiten zu berücksichtigen. Damit kommt sowohl die deutsche Aussprache „WE“ bzw. „ve“ als auch die englische Aussprache „wi“ in Betracht, wobei, anders als die Markenstelle angenommen hat, angesichts der Verbreitung der englischen Sprache im Modesektor eher von der englischen Aussprache auszugehen sein dürfte. Dies gilt auch für die Aussprache der jüngeren Marke, wobei die Benennung der Buchstaben nicht gleichermaßen eindeutig auf der Hand liegt. Denn die in der Mitte des Zeichens gesetzte Interpunktion kann die klangliche Wiedergabe beeinflussen (vgl. Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O. § 9 Rn. 295). Der Verkehr wird gerade wegen des dazwischen gesetzten Punktes die beiden Buchstabenpaare „WE“ und „RE“ gesondert wahrnehmen und sie gleichermaßen deutlich aussprechen. Es spricht nichts dafür, dass er die zweite Silbe verschlucken würde. Bei deutscher Aussprache „WE RE“ oder „WE Punkt RE“ würden beide Silben gleich betont werden. Bei englischer Aussprache könnte der Verkehr das Zeichen entweder als „wi-dot-ri“ oder trotz des Punktes als Kurzform „we´re“ von „we are“ lesen. Wegen der Ersetzung des Apostrophs durch einen Punkt und der Tatsache, dass die Anspielung an die Kurzform „we´re“ nicht in einen Satz eingebunden ist, wird der Verkehr die deutliche Aussprache „we are“ wählen, mithin nicht die zweite Silbe verschlucken. Die Betonung liegt damit gleichermaßen auf beiden Silben. Zudem wird der Teil des Verkehrs, der die englische Aussprache wählt, dem Zeichen einen bestimmten Begriffsinhalt („wir sind“) zuordnen, was zu einer stärkeren Wahrnehmung der klanglichen Unterschiede führt (vgl. EuGH GRUR 2006, 237, Rn. 20 – PICASSO/PICARO; BGH GRUR 2003, 1047, Rn. 36 – Kellog`s/Kelly`s; GRUR 2010, 235, Rn. 19 – AIDA/AIDU). Somit ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin bei allen relevanten Aussprachemöglichkeiten ein deutlich wahrnehmbarer klanglicher Unterschied. Die Ähnlichkeit der Vergleichsmarken ist allenfalls unterdurchschnittlich. Soweit die Beschwerdeführerin meint, bei Warenidentität und durchschnittlicher Kennzeichnungskraft sei auch im Bereich nur unterdurchschnittlicher Markenähnlichkeit eine Verwechslungsgefahr zu bejahen, greift diese „mathematische“ Betrachtung zu kurz. Denn in die Gesamtabwägung sind sowohl der Umstand, dass es sich um Kurzzeichen handelt wie auch die Tatsache, dass sich bei englischer Aussprache der abweichende Bedeutungsgehalt mit „wir“ einerseits und „wir sind“ andererseits deutlich aufdrängt und zur Verringerung einer Verwechslungsgefahr führt, in den Blick zu nehmen. In der Gesamtabwägung ist der Grad der Markenähnlichkeit mithin zu gering, um die Annahme einer Verwechslungsgefahr zu begründen.
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Ein höherer Grad der Markenähnlichkeit und somit eine unmittelbare Verwechslungsgefahr ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Prägung der angegriffenen Marke durch den Bestandteil „WE“, da „WE“ keine kollisionsbegründende Stellung einnimmt. Die Annahme einer Prägung des Gesamteindrucks eines zusammengesetzten Zeichens durch einen Bestandteil kommt nur in Betracht, wenn die anderen Bestandteile für die angesprochenen Verkehrskreise weitgehend in den Hintergrund treten, so dass sie für den Gesamteindruck vernachlässigt werden können (vgl. EuGH GRUR 2016, 80 Rn. 37 – BGW/Scholz; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 15 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2004, 778, 779 – URLAUB DIREKT). Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Angesichts der in Betracht zu ziehenden englischen Aussprache werden die angesprochenen Verkehrskreise die Buchstaben „WE“ und „RE“ als Gesamtbegriff lesen. Doch auch bei deutscher Aussprache besteht keine Veranlassung, den Bestandteil „RE“ zu vernachlässigen.
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cc) Anhaltspunkte für eine begriffliche Verwechslungsgefahr bestehen ebenfalls nicht. Unmittelbare begriffliche Verwechslungen sind zu befürchten, wenn sich Wörter der deutschen oder einer gängigen Fremdsprache gegenüberstehen, die ihrem Sinn nach vollständig oder doch im Wesentlichen übereinstimmen, also Synonyme darstellen (BGH NJW -–RR 1991, 1066 – Jenny/Jennifer; BPatG, Beschluss vom 30.03.2012, 29 W (pat) 96/10 Rn 55 – HUMANPOWER/MANPOWER; GRUR 1998, 1025, 1026 – Rebenfreund/Traubenfreund). Dies ist hier nicht der Fall. Die Argumentation der Beschwerdeführerin überzeugt insoweit nicht. Auch wenn man von dem jeweiligen Sinngehalt „wir“ bzw. „wir sind“ ausgeht, stehen sich damit gerade keine Synonyme gegenüber. Es ist wenig wahrscheinlich, dass das Personalpronomen „wir“ als Subjekt immer mit dem Prädikat „sind“ ergänzt würde. Ebenso unwahrscheinlich erscheint es, dass der angesprochene Verkehr den aus Subjekt und Prädikat bestehenden Satzteil „wir sind“ auf das bloße Pronomen „wir“ verkürzen, und damit einen Teil der Aussage weglassen würde.
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dd) eine Verwechslungsgefahr durch gedankliches Inverbindungbringen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 MarkenG ist ebenfalls zu verneinen.
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Eine mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt einer Serienzeichenbildung mit einem Stammbestandteil „WE“ scheidet schon deswegen aus, weil die Widersprechende nicht vorgetragen hat, dass sie eine Serie mehrerer Zeichen, in die die angegriffene Marke sich einfügt, benutzt (vgl. BGH GRUR 2013, 840 Rn. 23 – Proti II; GRUR 2013, 1239 Rn. 48 – VOLKSWAGEN/Volksinspektion).
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ee) Für darüberhinausgehende Fälle der Verwechslungsgefahr hat die Beschwerdeführerin weder vorgetragen noch bestehen hierfür irgendwelche Anhaltspunkte.
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Ein Löschungsgrund nach § 42 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist daher nicht gegeben.
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B.
Widerspruch aus der Marke IR 1 213 402
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Auch zwischen der Widerspruchsmarke und der angegriffenen Marke besteht keine Verwechslungsgefahr, §§ 119, 124, 112, 9 Abs. 1 Nr. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
100
1. Da Benutzungsfragen nicht aufgeworfen wurden, ist für die Beurteilung der Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit bzw. –identität die jeweilige Registerlage maßgeblich.
101
Zwischen den sich gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen besteht zum Teil Identität bzw. Ähnlichkeit, zum Teil ist von unähnlichen Waren und Dienstleistungen auszugehen. Soweit Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit vorliegt, ist eine Verwechslungsgefahr schon aus diesem Grunde zu verneinen. Im Übrigen bedarf es keiner weiteren Differenzierung beim Ähnlichkeitsgrad, da der Abstand zwischen den Vergleichszeichen selbst im Identitätsbereich ausreicht, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen.
102
2. Die Widerspruchsmarke verfügt über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Ausreichende Anhaltspunkte für eine Schwächung oder Steigerung der Kennzeichnungskraft sind, ebenso wie bei der Wortmarke „WE“, nicht erkennbar.
103
3. Die relevanten Vergleichswaren bzw. –dienstleistungen richten sich überwiegend an den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Endverbraucher, der den Waren – je nach Preissegment – mit normaler bzw. leicht erhöhter Aufmerksamkeit begegnet. Soweit auch Fachkreise angesprochen sind, ist ebenfalls von etwas erhöhter Aufmerksamkeit auszugehen.
104
4. Die angegriffene Marke hält den bei dieser Ausgangslage erforderlichen Abstand ein.
105
a) Eine schriftbildliche Ähnlichkeit zwischen den sich gegenüberstehenden Marken
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WE.RE und
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liegt wegen der in der jüngeren Marke enthaltenen Buchstaben „RE“, die sich in der Widerspruchsmarke nicht wiederfinden, sowie wegen der von der jüngeren Marke abweichenden grafischen Ausgestaltung der Widerspruchsmarke nicht vor.
108
b) Für den phonetischen Zeichenvergleich ist maßgeblich, wie die Marken von den angesprochenen Verkehrskreisen mündlich wiedergegeben werden, wenn sie die Marke in ihrer registrierten Form vor sich haben. Hierbei ist von dem allgemein anerkannten Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr in der Regel dem Wort als einfachster und kürzester Bezeichnungsform die prägende Bedeutung zumisst (vgl. Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rn. 455 m. w. N.). Da der Verkehr an die Verwendung besonderer Schriftarten in der Werbung gewöhnt ist, wird er, anders als die Beschwerdegegnerinnen vortragen, den Buchstaben „W“ in der Widerspruchsmarke ohne weiteres als solchen erkennen. Sollten die angesprochenen Verkehrskreise dagegen tatsächlich eine liegendes „E“ bzw. eine umgekehrte Drei wahrnehmen, wären die Vergleichszeichen ohnehin unähnlich. Aber auch wenn die sich gegenüberstehenden Zeichen als „WE.RE“ und „WE“ ausgesprochen würden, unterscheiden sie sich ausreichend voneinander, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen. Zur Begründung kann auf die Ausführungen unter Ziffer 2. d) verwiesen werden. Die Konstellation der Vergleichszeichen entspricht insoweit dem Widerspruch aus der (Unions)Wortmarke UM 007 209 571.
109
Auch zwischen der Wort-/Bildmarke und der angegriffenen Marke ist die Ähnlichkeit nach alledem zu gering, um die Annahme einer Verwechslungsgefahr zu begründen. Ein Löschungsgrund nach § 42 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist daher nicht gegeben.
110
C. Für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG besteht kein Anlass.