Aktenzeichen 3 K 385/13
Leitsatz
Gründe
1. Finanzgericht München
Az.: 3 K 385/13
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
Stichworte:
1. Das in der Abgabenordnung geregelte Verfahrensrecht im Besteuerungsverfahren enthält keine Regelung, die dem Steuerpflichtigen ein Recht auf die Einsicht in die von den Finanzbehörden geführten Akten einräumt. Dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter steht aber ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zu.
2. Daraus, dass die gesetzlichen Vorschriften der AO eine Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren überhaupt nicht vorsehen, ist abzuleiten, dass die Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren nur in Ausnahmefällen in Frage kommt. Das ist bei einer Beurteilung des ausgeübten Ermessens zu berücksichtigen, weil die jeweilige Ermächtigungsvorschrift die gesetzlichen Grenzen des Ermessens normiert.
3. In einem umfassenden steuerlichen Prüfungsverfahren liegt es auf der Hand, dass davon auch die steuerlichen Verhältnisse Dritter – und damit das nach § 30 AO zu beachtende Steuergeheimnis – betroffen sind.
In der Streitsache
A GmbH vertreten durch den Geschäftsführer …
Klägerin
prozessbevollmächtigt: Rechtsanwälte … Az.: …
gegen
Finanzamt … vertreten durch den Amtsleiter StNr.: …
Beklagter
Wegen Akteneinsicht (Umsatzsteuer-Sonderprüfung)
hat der 3. Senat des Finanzgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht … und den Richter am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter … und … ohne mündliche Verhandlung
am 11. Mai 2016 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen.
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.bundesfinanzhof.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26. November 2004 (BGBl. I S. 3091) einzuhalten ist.
Vor dem Bundesfinanzhof müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer zugelassen; zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, deren Partner ausschließlich Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer sind. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des vorhergehenden Satzes zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.
Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/92 31-201.
Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs über die Zulassung der Revision ist jedoch bei dem Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im Revisionsverfahren nach Maßgabe des vierten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt; im Folgenden: FA) zu Recht einen Antrag auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren abgelehnt hat.
Die Klägerin ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom 27. August 2008 gegründete Kapitalgesellschaft mit Sitz in B. Der Gegenstand ihrer Geschäftstätigkeit ist der An- und Verkauf, Verwaltung und Vermittlung von Abonnementaufträgen, An- und Verkauf von Telekommunikationsverträgen sowie An- und Verkauf sowie Vermittlung von Verträgen auf dem Energiesektor (Strom). Geschäftsführer der Gesellschaft war bis zum 28. April 2014 C.
Konkret ist die Klägerin in der Verlagswerbung tätig. Dabei bedient sie sich verschiedener Vermittlungsunternehmen, die wiederum vorwiegend mit Callcentern zusammenarbeiten. Die daraus entstehenden Abonnements werden zu Verwaltungszwecken an eine Firma D KG weitergereicht, welche die anfallenden Verwaltungsaufgaben erledigt. Die umsatzsteuerliche Sachbehandlung der Abrechnung zwischen dieser Firma und der Klägerin basierte auf einer verbindlichen Zusage des Finanzamts K aus dem Jahr 1995, die aber vom FA als steuerlich zweifelhaft erachtet und insoweit einer Prüfung unterzogen wurde. Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 14. Januar 2013 verwiesen.
Da die Klägerin im Rahmen ihrer monatlichen Umsatzsteuer-Voranmeldungen Vorsteuererstattungsansprüche geltend machte, wurde am 9. November 2011 für die Voranmeldungszeiträume Mai bis August 2011 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung veranlasst. Nachfolgend wurde der Prüfungszeitraum auf Januar 2010 bis März 2012 und Mai 2012 ausgedehnt.
Wegen der fehlenden Zustimmung des FA zu mehreren von der Klägerin im Rahmen von Umsatzsteuer-Voranmeldungen errechneten Vorsteuererstattungsansprüchen beantragte der steuerliche Vertreter der Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Mai 2012 Akteneinsicht.
Wegen der fehlenden Entscheidung über die Zustimmung zu Umsatzsteuer-Voranmeldungen der Klägerin und der fehlenden Entscheidung des FA zu dem Akteneinsichtsgesuch legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 18. Mai 2012 Untätigkeitseinsprüche ein.
Mit Bescheiden über die Festsetzungen der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate April bis Dezember 2011 jeweils vom 18. Juni 2012 setzte das FA die Umsatzsteuer fest. Über die dagegen eingelegten Einsprüche ist bisher nicht entschieden worden.
Mit Bescheid vom 20. Juli 2012 lehnte das FA den Antrag auf Akteneinsicht ab. Zur Begründung verwies das FA darauf, dass eine Akteneinsicht während einer laufenden Prüfung nicht vorgesehen sei und im Übrigen auch kein berechtigtes Interesse der Klägerin daran vorliege. Zudem stünde einer Akteneinsicht das schutzwürdige Interesse Dritter in Form des Steuergeheimnisses entgegen.
Dagegen war der mit Schriftsatz vom 26. Juli 2012 eingereichte Einspruch gerichtet.
Mit Bescheiden über die Festsetzungen der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate April bis Oktober 2012 jeweils vom 6. und 28. November 2012 sowie vom 10. Januar 2013 setzte das FA die Umsatzsteuern für diese Besteuerungszeiträume fest. Über die dagegen eingelegten Einsprüche ist bisher nicht entschieden worden.
Mit Einspruchsentscheidung vom 14. Januar 2013 wies das FA den Einspruch gegen die Versagung der Akteneinsicht als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das FA im Wesentlichen aus, dass die Vorschriften der Abgabenordnung den Beteiligten kein Akteneinsichtsrecht einräumten. Dieses könne den Beteiligten nur unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs gestattet werden. Nach den Verwaltungsregelungen könne den Beteiligten Akteneinsicht nur auf Antrag in begründeten Einzelfällen unter Darlegung eines berechtigten Interesses und unter genauer Bezeichnung der Daten, in die Einsicht begehrt wird, gewährt werden. Die Entscheidung erfolge dann nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung sowohl etwaiger schutzwürdiger Belange der Beteiligten sowie Dritter, als auch der öffentlichen Interessen der Steuerverwaltung. Auch nach Auffassung des Bundesfinanzhofs habe der Gesetzgeber die Einsichtnahme in die Verfahrens- und Ermittlungsverfahren in einem laufenden Besteuerungsverfahren nur als Ausnahme angesehen. Vorliegend sei daher der Informationsanspruch der Klägerin (Einspruchsführerin) mit den Ermittlungsinteressen der Steuerverwaltung abzuwägen. Da die begehrte Akteneinsicht nach den Einlassungen der Klägerin (Einspruchsführerin) letztlich der Überprüfung von Amtshaftungsansprüchen gegen die involvierten Beamten dienen sollte und andererseits die Informationsinteressen der Klägerin (Einspruchsführerin) durch den dokumentierten umfangreichen Schriftverkehr und die telefonischen Unterredungen ausreichend erfüllt worden seien, sei hier die Akteneinsicht ermessensfehlerfrei versagt worden, auch weil ihr schutzwürdige Interessen Dritter in Form des Steuergeheimnisses entgegengestanden hätten.
Dagegen ist die Klage vom 6. Februar 2013 gerichtet.
Mit Schriftsatz (Stellungnahme) vom 11. März 2013 legte das FA dem Gericht einen Ordner „Rechtsbehelfsakte“, eine Umsatzsteuerakte und eine Akte „Dauerunterlagen“ vor.
In diese Unterlagen nahm der Vertreter der Klägerin am 23. April 2013 beim Amtsgericht H Akteneinsicht.
Auf Anfrage des Gerichts vom 15. Mai 2013, ob der Rechtsstreit durch diese Akteneinsicht erledigt sei, teilte der Vertreter der Klägerin mit Schriftsatz vom 14. Juni 2013 mit, dass der Rechtsstreit aus seiner Sicht deshalb nicht erledigt sei, weil erhebliche Zweifel an der Vollständigkeit der vorgelegten Akten bestünden.
Am 11. September 2013 wurde dem Geschäftsführer der Klägerin die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekanntgegeben.
Am 20. November 2013 nahm der Vertreter der Klägerin erneut beim Amtsgericht H Einsicht in die dem Gericht vorliegenden Akten.
Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2013 teilte das FA mit, dass bei der Klägerin durch die Steuerfahndungsstelle beim Finanzamt E strafprozessuale Maßnahmen durchgeführt würden. Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2014 übersandte das FA eine weitere Akte mit dem Bericht einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung (vom 14. Oktober 2014) und dem Bericht der Steuerfahndungsprüfung (vom 9. Juli 2014).
Mit Schreiben vom 2. September 2015 fragte das Gericht bei der Klägerin an, ob das Verfahren in Anbetracht der möglichen Akteneinsicht im Strafverfahren fortgeführt werden solle.
Mit Schriftsatz vom 14. September 2015 teilte der Vertreter der Klägerin mit, dass der Rechtsstreit nicht für erledigt erklärt werden könne, weil die Akten auch im Strafverfahren nicht vollständig vorgelegt worden seien.
Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2015 beantragte der Vertreter der Klägerin bei Gericht erneut Akteneinsicht. Diese erfolgte am 11. November 2015 wieder beim Amtsgericht H.
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass sie mit Rücksicht auf die nicht nachvollziehende Dauer einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung und die ausbleibenden Entscheidungen des FA Akteneinsicht beantragt habe. Die ablehnende Entscheidung des FA vom 20. Juli 2012 sowie die Einspruchsentscheidung vom 14. Januar 2013
seien ermessensfehlerhaft, zudem wende das FA hier eine die Akteneinsicht betreffende Verwaltungsanweisung falsch an. Hier hätte insbesondere deshalb ein Informationsbedürfnis der Klägerin vorgelegen, weil sie auf Basis der Akte hätte ermitteln wollen, weshalb es dem FA seit mehr als einem Jahr nicht gelungen sei, den Sachverhalt so zu ermitteln, dass Entscheidungen hätten getroffen werden können. Die Ermittlung der Tatsachengrundlagen sei hier ein legitimes Interesse der Klägerin gewesen. Das FA habe sich auch zu Unrecht darauf berufen, dass der Akteneinsicht schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstanden. Das FA habe hier vielmehr nur scheinbar eine Interessenabwägung durchgeführt, die einzelnen Argumente hätten sich ausnahmslos als nicht tragfähig erwiesen. Auch die dem Finanzgericht im vorliegenden Verfahren vorgelegten Akten seien unvollständig, was schon aus der fehlenden chronologischen Reihenfolge des Verlaufs des Prüfungsverfahrens ersichtlich sei und im Übrigen auch aus der nachträglich einheitlich erstellten Nummerierung des Ordners „Rechtsbehelfsakte“ erkennbar sei. Dies sei ein Hinweis darauf, dass diese Akte nachträglich erstellt worden sei, das FA habe hier eine von ihm erst zusammengestellte Akte an das Gericht übersendet. Dem Gericht seien im finanzgerichtlichen Verfahren aber alle Akten vollständig vorzulegen, dagegen habe das FA verstoßen. Das Gericht könne deshalb nicht überprüfen, ob das FA hier sein Ermessen bei der Ablehnung des Antrags auf Akteneinsicht fehlerhaft ausgeübt habe. Auch der Verweis des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vom 16. März 2016 auf die im noch laufenden Einspruchsverfahren bestehende Möglichkeit zur Akteneinsicht gehe fehl, denn dadurch würde der Klägerin ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verweigert. Im Übrigen würde wegen des Ruhens des Einspruchsverfahren keine Möglichkeit auf Akteneinsicht bestehen und das FA habe zu erkennen gegeben, dass es die Akteneinsicht generell verweigern würde.
Zu dem weiteren Vorbringen der Klägerin wird auf ihre Schriftsätze vom 5. Februar 2013, vom 4. April 2013, vom 14. Juni 2013, vom 29. Juli 2013, vom 6. September 2013, vom 14. September 2015, vom 20. November 2015, vom 3. März 2016, vom 6. April 2016 und vom 19. April 2016 nebst Anlagen verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
das Finanzamt unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Juli 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Januar 2013 zu verpflichten, der Klägerin Akteneinsicht zu gewähren,
hilfsweise, das Finanzamt zu verpflichten, den Antrag auf Akteneinsicht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist das FA im Wesentlichen auf die bereits in der Einspruchsentscheidung genannten Erwägungen zur Rechtmäßigkeit der Versagung der Akteneinsicht. Hinsichtlich der Vollständigkeit der an das Finanzgericht übersendeten Akten führt das FA aus, dass diese Akten die für die Entscheidung über die vorliegende Klage betreffenden Unterlagen enthielten. Zudem weist das FA darauf hin, dass die Gewährung von Akteneinsicht während eines laufenden Verfahrens eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellen würde. Im vorliegenden Verfahren sei auch die Frage nach den im finanzgerichtlichen Verfahren vorzulegenden Akten von der Frage der ermessensfehlerfreien Ablehnung des Antrags auf Akteneinsicht der Klägerin im Verwaltungsverfahren zu trennen. Zwischenzeitlich sei aufgrund eines Berichtes der Steuerfahndung am 6. Oktober 2014 eine geänderte Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 2010 ergangen. Die derzeit beim FA anhängigen Einspruchsverfahren würden von einem anderen Prozessvertreter betreut, auf dessen Antrag die Bearbeitung bis zur Beendigung des laufenden Strafverfahrens ruhe.
Zu den weiteren Einzelheiten des Vorbringens des FA wird auf die Einspruchsentscheidung vom 14. Januar 2013 und die Stellungnahmen vom 11. März 2013, vom 29. April 2013, vom 12. Juni 2013, vom 28. August 2013, vom 10. Dezember 2013, vom 13. Juli 2015, vom 12. Oktober 2015 und vom 30. Dezember 2015 verwiesen.
In der mündlichen Verhandlung vom 16. März 2016 erklärten die Beteiligten zu Protokoll -auf das hier verwiesen wird – die Hauptsache für erledigt, hinsichtlich der Klägerin mit der Maßgabe, dass diese bis zum 6. April 2016 die Erledigungserklärung widerrufen kann und im Fall des Widerrufs auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet. Das FA hatte sich bereits mit Schriftsatz vom 11. März 2013 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Mit Telefax vom 6. April 2016 widerrief die Klägerin ihre Erledigungserklärung.
II.
Die Klage ist in ihrem Haupt- und Hilfsantrag unbegründet. Das FA hat der Klägerin die Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren ermessensfehlerfrei versagt.
1. Das in der Abgabenordnung (AO) geregelte Verfahrensrecht im Besteuerungsverfahren enthält weder für das reguläre Besteuerungsverfahren noch für die Fälle der Außenprüfung eine Regelung, die dem Steuerpflichtigen ein Recht auf die Einsicht in die von den Finanzbehörden geführten Akten einräumt.
a) Der Bundesfinanzhof (BFH) und verschiedene Finanzgerichte haben in einigen zur Frage der Gewährung von Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren vor den Finanzbehörden ergangenen Entscheidungen ausdrücklich festgestellt, dass die AO – anders als andere Verfahrensordnungen wie z. B. § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (Überschrift: Akteneinsicht durch Beteiligte) – für das Verwaltungsverfahren einen Anspruch auf Gewährung von Einsicht in die Verfahrens- und Ermittlungsakten nicht vorsieht (vgl. nur BFH-Urteil vom 7. Mai 1985 VII R 25/82, BStBl II 1985, 571; i. d. S. auch das Finanzgericht Köln, Urteil vom 3. Mai 2000 11 K 6922/98, EFG 2000, 903 und das Finanzgericht München, Urteil vom 8. Juli 2015 4 K 2738/14, EFG 2015, 1886).
Der BFH hat auch geklärt, dass ein solches Einsichtsrecht weder aus dem in § 91 Abs. 1 AO niedergelegten Grundsatz des rechtlichen Gehörs und dem hierzu ergangenen Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) der Verwaltung in der Nr. 4, noch aus § 364 AO und dem dazu ergangenen AEAO abzuleiten sei (BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 1993 VIII B 121/92, BFH/NV 1994, 311 und vom 8. Juni 1995 IX B 168/94, BFH/NV 1996, 64; vgl. auch Finanzgericht München, Urteil vom 8. Juli 2015 4 K 2738/14, EFG 2015, 1886).
Gleichwohl geht der BFH in ständiger Rechtsprechung – ebenso wie die Finanzverwaltung in Nr. 4 AEAO zu § 91 AO und dem darin in Bezug genommen BMFSchreiben vom 17. Dezember 2008 (BStBl I 2009, 6) – davon aus, dass dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter jedenfalls ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zusteht, weil die Behörde nicht gehindert sei, in Einzelfällen Akteneinsicht zu gewähren (BFH in ständiger Rechtsprechung, vgl. Urteile vom 6. August 1965 VI 349/63 U, BStBl III 1965, 675 und vom 7. Mai 1985 VII R 25/82, BStBl II 1985, 571 sowie BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 1993 VIII B 121/92, BFH/NV 1994, 311; vom 26. Mai 1995 VI B 91/94, BFH/NV 1995, 1004 und vom 8. Juni 1995 IX B 168/94, BFH/NV 1996, 64; i.d.S. auch das Finanzgericht München, Urteil vom 8. Juli 2015 4 K 2738/14, EFG 2015, 1886). Grundlage dieses Anspruchs ist das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. dem Prozessgrundrecht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BFH-Urteile vom 19. März 2013 II R 17/11, BStBl II 2013, 639, Rz. 11 und vom 5. Oktober 2006 VII R 24/03, BStBl II 2007, 243, Rz. 9).
b) Das Gericht kann eine solche behördliche Ermessensentscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht gemäß § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur daraufhin überprüfen, ob die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht hat, die Grenzen ihres Ermessens überschritten oder dieses Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise ausgeübt hat. Eigene Ermessenserwägungen darf das Gericht nicht anstellen (BFH-Urteil vom 6. November 2012 VII R 72/11, BStBl II 2013, 141).
Der Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Stapperfend, in Gräber, Kommentar zur FGO, 8. Auflage 2015, § 102 Rz. 13 m. w. N.); vorliegend mithin der Erlass der Einspruchsentscheidung am 14. Januar 2013, als Abschluss des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens.
Der BFH sieht den Anspruch des „Einsichtsuchenden“ auf fehlerfreie Ermessensentscheidung als gewahrt an, wenn das FA im Rahmen einer Interessenabwägung dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Juni 1995 IV B 168/94, BFH/NV 1996, 64, 65 und Urteil vom 7. Mai 1985 VII R 25/82, BStBl II 1985, 571). Eine Überprüfung der Ermessensentscheidung durch das Gericht ist dabei nur möglich, wenn die Finanzbehörde den zu beurteilenden Sachverhalt umfassend ermittelt und die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art mitgeteilt hat (vgl. nur Stapperfend, in Gräber, Kommentar zur FGO, 8. Auflage 2015, § 102 Rz. 19 m. w. N.).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat die Klage weder in ihrem Haupt- noch in ihrem Hilfsantrag Erfolg.
a) Das FA hat den Antrag der Klägerin auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren ermessensfehlerfrei abgelehnt; auch eine Ermessensreduzierung auf null, bei der nur die Gewährung von Akteneinsicht rechtmäßig gewesen wäre, lag hier nicht vor. Der streitgegenständliche Ablehnungsbescheid vom 20. Juli 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Januar 2013 ist deshalb rechtmäßig.
aa) Ist eine Finanzbehörde – wie im Streitfall – dazu ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend des Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 5 AO). Bezogen auf den Inhalt des „Ermessens“ bei der Gewährung von Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren ist hierbei zunächst zu berücksichtigen, dass die gesetzlichen Vorschriften der AO eine solche im steuerlichen Verwaltungsverfahren überhaupt nicht vorsehen (s. o. in Tz. II.1.a). Das FA ist lediglich nicht daran gehindert, in Einzelfällen Akteneinsicht zu gewähren (BFH-Beschluss vom 4. Juni 2003 VII B 138/01, BStBl II 2003, 790, Rz. 6 m. w. N.). Daraus ist abzuleiten, dass eine Gewährung von Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren nur in Ausnahmefällen in Frage kommt. Das ist bei einer Beurteilung des ausgeübten Ermessens zu berücksichtigen, denn die jeweilige „Ermächtigungsvorschrift“ normiert die gesetzlichen Grenzen des Ermessens (Drüen, in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 5 AO Rz. 35).
bb) Vorliegend hat das FA bereits in seinem ablehnenden Bescheid vom 20. Juli 2012 zu dem Antrag auf Akteneinsicht konkrete Ermessenserwägungen genannt, warum der Klägerin zu diesem Zeitpunkt keine Akteneinsicht habe gewährt werden können. So verwies das FA darauf, dass die im Verwaltungsverfahren angekündigte Prüfung von Amtshaftungsansprüchen kein berechtigtes Interesse zur Einsicht begründe, dass die laufenden Prüfungshandlungen durch eine Akteneinsicht behindert würden und dass zudem – wegen der schutzwürdigen Interessen Dritter – das Steuergeheimnis einer Einsicht entgegenstehen würde.
In der Einspruchsentscheidung vom 14. Januar 2013 begründete das FA die Ablehnung der Akteneinsicht neben den vorgenannten Erwägungen weiter damit, dass die Klägerin wegen des umfangreichen Schriftverkehrs mit dem FA über die wesentlichen Schritte des FA und die entscheidungserheblichen Sachverhalte fortlaufend informiert worden sei. So sei es der Klägerin insbesondere bekannt gewesen, dass die Auszahlung der Vorsteuerbeträge aus den Rechnungen einzelner Subunternehmer deshalb nicht erfolgte sei, weil Zweifel daran bestünden, dass es sich bei diesen Rechtssubjekten um tatsächlich existierende Unternehmen handeln würde. Das FA brachte in der Einspruchsentscheidung weiter vor, dass der Steuerpflichtige in einem laufenden Prüfungsverfahren nicht über jeden einzelnen Ermittlungsschritt zu unterrichten sei, weil dies dem Interesse der Geheimhaltung gewisser Informationen widerspreche. Bei der gebotenen Abwägung der Interessen der beteiligten Parteien müssten vorliegend auch die schutzwürdigen Interessen Dritter Berücksichtigung finden, denn die Unterlagen des FA würden in nicht unerheblichem Umfang Daten enthalten, deren Offenlegung durch das Steuergeheimnis geschützt sei. Die Akteneinsicht sei zudem abzulehnen, weil die Klägerin auf diese Weise Einsicht in interne Vermerke und Aufzeichnungen erhalte und zudem die Motive des Verwaltungshandelns herausfinde.
cc) Im Streitfall kann hinsichtlich der Entscheidung des FA über die Gewährung von Akteneinsicht zunächst nicht von einer Ermessensreduzierung auf null ausgegangen werden. Eine derartige Ermessensreduzierung auf null setzt voraus, dass durch die Sachlage des Einzelfalls die Ermessensgrenzen so eingeengt sind, dass nur eine bestimmte Entscheidung möglich ist, während jede andere notwendig zu einem Ermessensfehler führen müsste (vgl. Drüen, in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 5 AO Rz. 76 m. w. N.). Eine solche Bindung des Ermessens des FA im Sinne einer zwingenden Verpflichtung zur Akteneinsicht liegt hier nicht vor; die Klage bleibt deshalb in ihrem Hauptantrag ohne Erfolg.
dd) Darüber hinaus liegt hier aufgrund der vorgenannten Ermessenserwägungen des FA (Tz. II.2.a.bb) auch kein Ermessensfehler wegen einer Überschreitung oder Unterschreitung der Grenzen des Ermessens oder der Ausübung des Ermessens in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise durch das FA vor. Damit ist die Klage auch in ihrem Hilfsantrag unbegründet.
So lässt bereits die Gründlichkeit und Ausführlichkeit, mit der sich das FA in der Einspruchsentscheidung vom 14. Januar 2013 mit dem Rechtsvortrag der Klägerseite auseinandergesetzt hat, deutlich erkennen, dass dabei sorgfältig und ermessensfehlerfrei das Pro und Kontra hinsichtlich der begehrten Akteneinsicht abgewogen wurde (Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 19. März 2001 2 K 5327/99, juris, Rz. 42). Das FA hat auch den zu beurteilenden Sachverhalt ausreichend ermittelt und die für seine Ermessensausübung maßgeblichen Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art mitgeteilt.
Dabei kann es hier dahingestellt bleiben, ob das FA seine Ermessenserwägungen tatsächlich darauf stützen durfte, dass die Verfolgung zivilrechtlicher Haftungsansprüche gegen ein Bundesland oder einen Mitarbeiter keine Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren rechtfertige, weil es sich hierbei um außersteuerliche Gründe handele. Dieser in Tz. 3 des BMFSchreibens vom 17. Dezember 2008 (BStBl I 2009, 6, auf das Nr. 4 AEAO zu § 91 AO Bezug nimmt) genannte „Ausschlussgrund“ könnte allerdings deshalb gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen, weil sich der Staat damit generell unter Berufung auf ein Ausforschungsverbot berechtigten zivilrechtlichen Ansprüchen entziehen könnte (vgl. dazu ausführlich Seer, in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 91 AO, Rz. 27 m. w. N.). Letztlich kommt es darauf im Streitfall aber deshalb nicht an, weil das FA weitere Ermessenserwägungen genannt hat, welche seine Entscheidung tragen.
So liegt es nach Überzeugung des Gerichts auf der Hand, dass in einem umfassenden Prüfungsverfahren – indem wie vorliegend wegen der Gewährung des Vorsteuerabzugs die „Lieferanten“ eines Steuerpflichtigen in eine Prüfung einzubeziehen sind – die steuerlichen Verhältnisse Dritter – und damit das nach § 30 AO zu beachtende Steuergeheimnis – betroffen sind. Allein schon aus diesem Grund durfte das FA vorliegend eine Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren ermessensfehlerfrei verweigern.
Darüber hinaus erachtet das Gericht auch das in dem ablehnenden Bescheid vom 20. Juli 2012 genannte Argument der Verzögerung und der Behinderung einer laufenden Prüfung als eine zutreffende Ermessenserwägung des FA zur Verweigerung der Akteneinsicht in diesem Verfahrensstadium. Schon zur Wahrung des Steuergeheimnisses Dritter hätte das FA hier sämtliche Akten im Vorfeld sichten und eventuell aussortieren oder schwärzen müssen, was zweifellos einen erheblichen Aufwand erfordert hätte. Insoweit ist ergänzend zu berücksichtigen, dass das Besteuerungsverfahren ein Massenverfahren darstellt, in dem die Akteneinsicht während des laufenden Verwaltungsverfahrens auch aus Gründen der Verfahrensökonomie (Verwaltungsaufwand) grundsätzlich nicht vorgesehen ist (vgl. dazu Seer, in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 91 AO, Rz. 25 mit Nachweisen auf die Gesetzesmaterialien). Der Steuerpflichtige wird dadurch aber nicht rechtlos gestellt, denn die Besteuerungsgrundlagen werden für ihn immer erst in einem nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens erstellten Steuerbescheid festgestellt, gegen den er mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs nach § 347 AO vorgehen kann. Im Verfahren einer Außenprüfung – wie im Streitfall – ist zudem vor dem Erlass von Änderungsbescheiden gemäß § 201 Abs. 1 AO eine Schlussbesprechung über das Ergebnis der Außenprüfung abzuhalten.
b) Im Ergebnis erkennt das Gericht in der ablehnenden Entscheidung des FA keinen Ermessensfehler, so dass es hier auf die weiteren Einwendungen der Klägerin nicht ankommt, auch weil sich diese in weiten Bereichen auf die Vollständigkeit der Akten im finanzgerichtlichen Verfahren – und damit auf einen anderen Verfahrensabschnitt – beziehen. Im vorliegenden Verfahren geht es ausschließlich um die Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren während einer laufenden Umsatzsteuer-Sonderprüfung.
Im Streitfall mussten die vom FA dem Gericht in dem vorliegenden Verfahren vorgelegten Akten auch nicht sämtliche Unterlagen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung, der Steuerfahndungsprüfung und des Strafverfahrens umfassen, denn hier ist nur über die Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung über die Versagung einer Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren während einer laufenden Umsatzsteuer-Sonderprüfung zu befinden. Im Hinblick auf diese Entscheidung waren die dem Gericht vom FA vorgelegten Akten ausreichend, zudem ist dem Gericht insbesondere der Bericht der Steuerfahndung vom 9. Juli 2014 vorgelegt worden. Das FA ist nicht verpflichtet, dem Gericht Akten oder Aktenteile zu übermitteln, um deren Einsichtnahme im finanzgerichtlichen Verfahren gestritten wird (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Juni 2015 VII S 11/15, BFH/NV 2015, 1100).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.