Steuerrecht

Abgewiesene Klage im Streit um Eintritt von Zahlungsverjährung hinsichtlich von Einkommensteuerbescheiden

Aktenzeichen  8 K 2196/15

Datum:
16.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2018, 1509
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 361 Abs. 2
EStG § 36 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

II.
1. Die Klage ist unbegründet.
Der Abrechnungsbescheid vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … ist rechtmäßig. Die im streitgegenständlichen Abrechnungsbescheid festgestellten Zahlungsansprüche des Finanzamts sind nicht durch Eintritt der Zahlungsverjährung (§§ 47, 232 der Abgabenordnung (AO)) erloschen.
a) Ansprüche aus dem Steuerverhältnis unterliegen nach § 228 AO einer besonderen Zahlungsverjährung, die nach fünf Jahren eintritt mit der Folge, dass die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und die davon abhängenden Zinsen erlöschen (§ 232 AO). Die Frist beginnt nach § 229 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO), jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Festsetzung, ihre Aufhebung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 AO wirksam geworden ist, aus der sich der Anspruch ergibt (§ 229 Abs. 1 Satz 2 AO). Sinn und Zweck dieser Vorschriften besteht darin, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist endgültig Rechtssicherheit darüber einkehren soll, was der Steuerpflichtige aufgrund der gegen ihn ergangenen Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung anzurechnender Vorauszahlungen und Abzugssteuern noch zu zahlen hat bzw. was ihm zu erstatten ist (vgl. Bundesfinanzhof (BFH)-Urteil vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08, BStBl II 2010, 382).
Durch Gewährung der AdV wird die Zahlungsverjährung unterbrochen (§ 231 Abs. 1 AO). Die Unterbrechung der Zahlungsverjährung dauert fort, bis die AdV abgelaufen ist (§ 231 Abs. 2 AO). Mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterbrechung geendet hat, beginnt eine neue Verjährungsfrist (§ 231 Abs. 3 AO).
b) Ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen war im Streitfall bei Bekanntgabe des Abrechnungsbescheides keine Zahlungsverjährung der in Streit stehenden Zahlungsansprüche eingetreten.
aa) Der Senat geht zwar davon aus, dass für die sich aus den Änderungsbescheiden vom 21. Dezember 2007 ergebenden Zahlungsverpflichtungen des Klägers mit Ablauf des 31. Dezember 2013 Zahlungsverjährung eingetreten ist. Wenngleich die durch die Bescheide vom 20. Februar 2006 ursprünglich ausgelöste Zahlungsverjährung zunächst durch Gewährung der AdV mit Verfügung vom 21. März 2006 unterbrochen wurde, endete nach dem Dafürhalten des Senates die Unterbrechung im Streitfall nach Erlass der Änderungsbescheide vom 21. Dezember 2007 mit Ablauf des 24. Januar 2008, weshalb bzgl. der Bescheide vom 21. Dezember 2007 gem. § 231 Abs. 3 AO mit Ablauf des Kalenderjahres 2008 eine neue Verjährungsfrist begann.
Nach dem Wortlaut der AdV-Verfügung des Finanzamts vom 21. März 2006 endete die AdV mit Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe des geänderten Bescheides. Diese Formulierung stellt zur Überzeugung des Senates eine auflösende Beendigung für den Fortbestand der AdV dar. Sie ist überdies nicht in dem Sinne der vom Finanzamt vertretenen Auffassung dahingehend eingeschränkt, dass die auflösende Bedingung nur für den Fall des Ergehens eines ändernden Abhilfebescheides eintreten sollte. Zwar steht die weitere auflösende Bedingung (Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung) im Zusammenhang mit einer Beendigung der AdV bei Abschluss des Einspruchsverfahrens. Dass lediglich ein das Einspruchsverfahren (durch Erledigung der Hauptsache) beendender, die bisherige Festsetzung ändernder, Abhilfebescheid dieselbe Rechtswirkung entfaltet, erschließt sich zur Überzeugung des Senates dem für die Auslegung der Wortwahl maßgeblichen objektiven Adressaten der AdV-Verfügung nicht. Der Senat berücksichtigt hierbei insbesondere auch den Umstand, dass die Steuerverwaltung nach ihrer eigenen Verwaltungsanweisung lt. Anwendungserlass Nr. 8.2.2 zu § 361 AO in der bei Gewährung der AdV in 2006 geltenden Fassung bei Ergehen eines Änderungsbescheides von der Erledigung der AdV und der Notwendigkeit einer erneuten Entscheidung über die AdV ausgeht. An diese Verwaltungsanweisung ist sie nach den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung gebunden.
Aus den Abrechnungsteilen der Einkommensteuerbescheide der Streitjahre jeweils vom 21. Dezember 2007 lässt sich nichts Anderes ableiten. Diese enthalten keinerlei Regelung des für die AdV-Gewährung zuständigen Festsetzungsfinanzamts hinsichtlich des Fortbestandes bzw. einer Neubewilligung der AdV und entbehren insoweit der Eigenschaft eines Verwaltungsakts (§ 118 Satz 1 AO). Die Abrechnungen ergingen nach ihrem Wortlaut von der Finanzkasse als der mit der Steuererhebung – nicht aber mit der Steuerfestsetzung und AdV-Bewilligung – befassten Abteilung des Finanzamts (die bei Ergehen der Änderungsbescheide vom 21. Dezember 2007 noch als eigenständiges Finanzamt geführt wurde). Hinzukommt, dass, obschon die Abrechnungen bei der Berechnung der verbleibenden Steuer von der Vollziehung ausgesetzte Beträge mindernd berücksichtigen, dabei auf den Stichtag 13. Dezember 2007 abgestellt wird, einem Zeitpunkt, zu dem unabhängig von der Rechtsfrage, ob durch Ergehen des Änderungsbescheides die auflösende Bedingung für die AdV eingetreten ist, diese in jedem Fall noch bestand. Ein verständiger Adressat konnte der Abrechnung demnach nicht entnehmen, dass sie zugleich einen Verwaltungsakt zur künftigen Aufrechterhaltung der AdV beinhaltet hätte. Dass der Bearbeiter des Finanzamts durch Eingabe des Werts „1“ der Kz. 30.28 die Aufrechterhaltung der AdV zu verfügen beabsichtigte, ist unbeachtlich, da dieser finanzamtsinternen Dateneingabe wegen fehlender Außenwirkung des beabsichtigten Regelungsgehaltes nicht die Qualität eines Verwaltungsaktes zukommt.
bb) Die Bekanntgabe der gem. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO und im Hinblick auf die seinerzeit schwebenden Rechtsbehelfsverfahren innerhalb der Festsetzungsverjährung (§ 171 Abs. 3 a AO) ergangenen Änderungsbescheide vom 21. Oktober 2014 setzt jedoch im Streitfall nach §§ 228, 229, 220 AO neue Zahlungsverjährungsfristen für die sich aus diesen Bescheiden resultierenden Abschlusszahlungen in Gang. Der Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist der Vorbescheide vom 21. Dezember 2007 steht dem nicht – auch nicht teilweise – entgegen.
Zwar kann die Änderung der Anrechnungsverfügung der Bescheide vom 21. Dezember 2007 nach Ablauf der durch die Bekanntgabe dieser Steuerfestsetzungen gemäß § 220 Abs. 2 Satz 2, § 229 Abs. 1 AO in Lauf gesetzten Frist ungeachtet dessen nicht mehr erfolgen, ob es um die nachträgliche Anrechnung durch Steuerabzug entrichteter Beträge und eine daraus folgende Verringerung der Abschlusszahlung bzw. eine Erstattungsforderung des Steuerpflichtigen geht oder umgekehrt um die Korrektur einer solchen Anrechnung zu Lasten des Steuerpflichtigen mit der Folge einer Erhöhung der Abschlusszahlung bzw. einer Steuernachforderung des Finanzamts (BFH-Urteil vom 25. Oktober 2011 VII R 55/10, BStBl II 2012, 220 m. w. N.).
Ändert sich dagegen (innerhalb der Festsetzungsfrist) die Festsetzung der Einkommensteuer, ist im Umfang dieser Änderung auch die mit dem Änderungsbescheid verbundene Anrechnungsverfügung anzupassen, ohne dass der Anpassung bis dahin ggf. bereits abgelaufene Zahlungsverjährungsfristen bezüglich früher entstandener Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entgegenstehen könnten (vgl. BFH-Urteil vom 29. Oktober 2013 VII R 68/11, BStBl II 2016, 115). Dies folgt aus der durch § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes – in der in den Streitjahren geltenden Fassung – (EStG, ab 20. Dezember 2003 § 36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG) hergestellten Verknüpfung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren, die dem Steuerbescheid eine einem Grundlagenbescheid ähnliche bindende Wirkung für ihm folgende Anrechnungsverfügungen bzw. Abrechnungsbescheide verleiht (BFH-Urteile vom 19. Dezember 2000 VII R 69/99, BStBl II 2001, 353, vom 12. November 2013 VII R 28/12, BFH/NV 2014, 339). Die Anrechnungsverfügung ist der geänderten Steuerfestsetzung anzupassen, indem der geänderte festgesetzte Betrag in sie eingestellt wird. Dies hat innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist des § 228 AO zu geschehen, die mit der Bekanntgabe des Steueränderungsbescheids (insoweit erneut) in Lauf gesetzt wird (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2016, 115 m. w. N.). Die Zahlungsverjährung kann demnach grundsätzlich nicht vor der Festsetzungsverjährung eintreten, letztere praktisch überholen (so auch Urteil des FG Köln vom 19. Oktober 2011 9 K 1772/10, EFG 2012, 200, bestätigt durch BFH-Urteil in BStBl II 2016, 115).
Bei Anwendung dieser Grundsätze im Streitfall können die mit den Änderungsbescheiden vom 21. Oktober 2014 angeforderten Steuern und steuerlichen Nebenleistungen noch erhoben werden.
Die Bescheide vom 21. Oktober 2014 wurden bestandskräftig. Das Finanzamt war überdies im Streitfall befugt, die Änderungsbescheide vom 21. Oktober 2014 zu erlassen. Der Ablauf der Festsetzungsfrist war insoweit aufgrund des noch nicht beendeten Einspruchsverfahrens gem. § 171 Abs. 3a EStG gehemmt. Das Einspruchsverfahren war erst mit Ergehen der Abhilfebescheide vom 21. Oktober 2014 beendet; insbesondere sind die Schreiben des Klägers vom 5. August 2014 und 6. Oktober 2014 nicht als Erklärungen zur Rücknahme der Einsprüche (§ 362 AO) auszulegen. Der Kläger wies mit den vorbezeichneten Schreiben lediglich auf den nach seiner Auffassung bestehenden Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist hin, ohne den Willen zur Rücknahme der Einsprüche zu bekunden.
Der Senat folgt im Streitfall nicht der in der Literatur vertretenen Auffassung, wonach eine Teilverjährung eintreten kann (vgl. Heuermann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 228 AO, Rn. 14 [November 2017], Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 228 AO, Rn 5 m. w. N., Lindwurm in Leopold/Madle/Rader, Praktikerkommentar Abgabenordnung, Rn. 9 zu § 228 AO, Rüsken in: Klein, Kommentar zur AO, 13. Auflage 2016, Rn. 5a zu § 229 AO, Fritsch in: König, Kommentar zur AO, 3. Auflage 2014, Rn. 8 zu § 229 AO). Diese Auffassung, wonach die formell durch die Änderungsbescheide vom 20. Februar 2006 begründete Zahlungsverpflichtung unabhängig von der materiellen Richtigkeit der dort getroffenen Steuerfestsetzung und ungeachtet später ergehender Änderungsbescheide der isolierten Zahlungsverjährung unterliegen solle, würde zu dem nicht nachvollziehbaren Ergebnis führen, dass der einheitliche Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis für denselben Veranlagungszeitraum bei mehrfach geänderter Steuerfestsetzung – wie im Streitfall – in unterschiedliche Steuerzahlungs- bzw. Erstattungsansprüche aufgespaltet werden könnte, die bezogen auf die jeweils ergangenen Steuerbescheide unterschiedlichen Verjährungsfristen unterlägen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Februar 1996 VII R 50/95, BStBl II 1997, 112, Rn. 30).
Den in der Literatur vorgebrachte Einwand, es könne mit der vom Senat vertretenen Auffassung nie zu einer teilweisen Zahlungsverjährung kommen, die das Gesetz aber in § 231 Abs. 4 AO grundsätzlich vorsehe (vgl. Heuermann, a. a. O.), teilt der Senat nicht. Die gewählte Formulierung übersieht in ihrer Allgemeinheit, dass in Fällen einer auf einen Teilbetrag der Abschlusszahlung anzuwendenden Maßnahme zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung (etwa teilweise Stundung, aber auch bei einer auf einen Teilbetrag begrenzten AdV) Teilverjährung stets in Betracht kommt, sofern auf den den ursprünglichen Zahlungsanspruch auslösenden Bescheid innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist keinerlei Zahlungen erfolgen und ein Änderungsbescheid nicht ergehen sollten. Die Notwendigkeit, im Falle einer nach Eintritt der Zahlungsverjährung der sich aus dem Ausgangsbescheid ergebenden Zahllasten geänderten Steuerfestsetzung den Beginn einer durch den Änderungsbescheid ausgelösten (neuen) Zahlungsverjährung nur insoweit in Betracht zu ziehen, als sich durch den Änderungsbescheid ein höheres Leistungsgebot ergibt, lässt sich daher aus der in der Literatur vertretenen Auffassung nicht ableiten.
Die vom Senat vertretene Auffassung steht überdies im Einklang mit dem Umstand, dass der (im Streitfall im Rechtsbehelfsverfahren ergangene) Änderungsbescheid den bisherigen Steuerbescheid in seinen Regelungsgehalt aufnimmt, der, solange der Änderungsbescheid Bestand hat, keine Wirkung mehr entfaltet (vgl. BFH-Beschluss GrS 1/72, BStBl II 1973, 231). Für den Eintritt der Zahlungsverjährung resultiert hieraus zur Überzeugung des Senates, dass eine ggf. für den Ausgangsbescheid (im Streitfall die Bescheide vom 21. Dezember 2007) eingetretene Zahlungsverjährung nicht zu berücksichtigen ist, sofern ein nachfolgender Änderungsbescheid (im Streitfall die Bescheide vom 21. Oktober 2014) wirksam ist.
c) Da nach den vorstehenden Ausführungen Zahlungsverjährung nicht eingetreten ist, beinhaltet der Abrechnungsbescheid vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … zutreffend für die Streitjahre gem. §§ 218 Abs. 1 Satz 1 2. HS, 240 AO entstandene Säumniszuschläge, die das Finanzamt der Höhe nach mit 1% der jeweils zugrundeliegenden Steuern – ausgehend von der jeweiligen Fälligkeit am 24. November 2014 – ermittelt hat, ohne dass der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wäre.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

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