Steuerrecht

Abziehbarkeit von Wahlkampfkosten im Zusammenhang mit der Aufstellung als Kandidat für ein Mandat im Europäischen Parlament

Aktenzeichen  10 K 614/17

Datum:
26.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2018, 213
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 2 Abs. 1, § 9 Abs. 1 S. 1, § 22 Nr. 4 S. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

II.
Die Klage ist unbegründet. Zutreffend hat das FA bei der Einkommensteuerfestsetzung 2014 den Abzug der von der Klägerin im Zusammenhang mit der Wahl zum Europäischen Parlament und zur Erlangung des Nachrückerstatus geltend gemachten Aufwendungen als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften abgelehnt.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen; sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 EStG). Aufwendungen, die nicht mit unter § 2 Abs. 1 EStG fallenden steuerbaren Einkünften im Zusammenhang stehen oder als Aufwendungen für den Haushalt des Steuerpflichtigen privat veranlasst sind (§ 12 Nr. 1 EStG), sind hingegen nicht als Werbungskosten abziehbar. Hierzu gehören nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG auch die Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen.
a) Ein Werbungskostenabzug ist grundsätzlich auch dann möglich, wenn der Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt. Solche Aufwendungen sind als vorab entstandene (vorweggenommene) Werbungskosten abziehbar, sofern ein hinreichend konkreter, objektiv feststellbarer Veranlassungszusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Einkunftsart besteht, in deren Rahmen der Abzug begehrt wird (grundlegend Beschluss des Großen Senats des BFH vom 4. Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830). Die vorab entstandenen Aufwendungen können dabei als vergeblicher Aufwand selbst dann zu berücksichtigen sein, wenn es entgegen den Planungen des Steuerpflichtigen nicht zu Einnahmen kommt, sofern nur eine erkennbare Beziehung zu den angestrebten Einkünften besteht (BFH-Beschluss in BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830 sowie BFH-Urteil vom 17. Mai 2017 VI R 1/16, BFHE 258, 365). Dies gilt grundsätzlich für alle Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG.
b) Sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 4 Satz 1 EStG sind u.a. Versorgungsbezüge, die auf Grund des Abgeordnetengesetzes oder des Europaabgeordnetengesetzes, sowie vergleichbare Bezüge, die auf Grund der entsprechenden Gesetze der Länder gezahlt werden. Damit im Zusammenhang stehende Aufwendungen wären danach grundsätzlich als Werbungskosten i.S. von § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG abziehbar, sofern diese Aufwendungen nicht einem steuerlichen Abzugsverbot unterliegen. Ein solches Abzugsverbot ergibt sich aber aus § 22 Nr. 4 Satz 3 EStG. Nach dieser Vorschrift dürfen Wahlkampfkosten zur Erlangung eines Mandats im Bundestag, im Europäischen Parlament oder im Parlament eines Landes nicht als Werbungskosten abgezogen werden.
Nach der Rechtsprechung des BFH gilt dieses Abzugsverbot für Wahlkampfkosten unabhängig davon, ob die Kandidatur erfolgreich oder erfolglos war (grundlegend BFH-Urteil in BFHE 152, 245, BStBl II 1988, 435, nachfolgend BFH-Beschluss vom 8. Juli 1993 X B 212/92, BFH/NV 1994, 175). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat seinerzeit die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und die Anwendung des Abzugsverbots auch für die erfolglose Kandidatur verfassungsrechtlich nicht beanstandet (Beschluss des BVerfG vom 26. Juli 1988 1 BvR 614/88, Höchste Finanzrichterliche Rechtsprechung (HFR) 1988, 532). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
Dass das Abzugsverbot im Anschluss an die Vorschriften über steuerpflichtige und steuerfreie Einnahmen der Abgeordneten und letztlich vor dem Hintergrund des Anspruchs der Abgeordneten auf Wahlkostenerstattung geregelt wurde, steht der Anwendung auf erfolglose Bewerber nicht entgegen. Als ausschlaggebend hat der BFH erachtet, dass der Wortlaut der Vorschrift eine derartige Einschränkung auf die erfolgreiche Kandidatur nicht vorsieht, und überdies sowohl die Gesetzessystematik als auch die Normvorstellungen des Gesetzgebers für eine generelle Geltung des Abzugsverbots für Wahlkampfkosten sprächen (BFH-Urteile vom 8. Dezember 1987 IX R 161/83, BFHE 152, 240, BStBl II 1988, 433 und in BFHE 152, 245, BStBl II 1988, 435). Der Gesetzgeber habe vielmehr bewusst von der steuerlichen Berücksichtigung jeglicher Wahlkampfkosten abgesehen, weil sie wegen der je nach Einkommenshöhe unterschiedlichen Auswirkungen die Gefahr in sich berge, den Grundsatz der Chancengleichheit aller Wahlbewerber zu beeinflussen (BFH-Urteil in BFHE 152, 245, BStBl II 1988, 435).
c) Der Ausschluss des Abzugs von Wahlkampfkosten als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften verstößt nicht gegen das allgemeine Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Wegen der jeweiligen wesentlichen Unterschiede gebietet Art. 3 Abs. 1 GG weder eine Gleichbehandlung der Wahlkampfkosten mit vorab entstandenen Werbungskosten und Betriebsausgaben bei den anderen Einkunftsarten noch eine Gleichbehandlung mit den Wahlkampfkosten zur Erlangung eines kommunalen Spitzenamtes (BFH-Urteile in BFHE 152, 240, BStBl II 1988, 433, und in BFHE 152, 245, BStBl II 1988, 435).
Auch wenn ein Wahlbewerber zur Erlangung eines Mandats in den genannten Parlamenten die Aufwendungen auch erbringt, um die einem Mandatsträger zustehenden Einnahmen zu erlangen, dienen diese Aufwendungen stets zugleich der dem Bereich der Lebensführung zuzurechnenden Verfolgung und Durchsetzung politischer Ziele. Außerdem können die Parteien und Einzelbewerber unter bestimmten Voraussetzungen eine Wahlkampfkostenerstattung erhalten, so dass jedenfalls für parteigebundene Wahlbewerber grundsätzlich ein Ersatz der Aufwendungen für den Wahlkampf durch seine Partei in Betracht kommt (Beschluss des BVerfG in HFR 1988, 532; vgl. auch § 18 des Parteiengesetzes). Ob dem Bewerber im konkreten Einzelfall tatsächlich ein Anspruch gegen seine Partei auf Wahlkampfkostenerstattung zusteht, ist demgegenüber ohne Bedeutung.
Eine Verletzung des Gleichheitssatzes kann auch nicht aus der unterschiedlichen Behandlung der Wahlkampfkosten zur Erlangung eines Mandats im Bundestag oder im Europäischen Parlament einerseits und den Wahlkampfkosten von Bewerbern für ein kommunales Spitzenamt andererseits hergeleitet werden, da diese sich bereits hinsichtlich ihrer jeweiligen Tätigkeiten grundlegend unterscheiden und die Möglichkeit einer entsprechenden Wahlkampfkostenerstattung der Parteien bei Kommunalwahlen nicht besteht (Beschluss des BVerfG in HFR 1988, 532).
d) Wahlkampfkosten i.S. des § 22 Nr. 4 Satz 3 EStG sind im Gegensatz zu den mandatsbedingten Kosten sämtliche Ausgaben, die zur Erlangung oder Wiedererlangung eines Mandats gemacht werden (vgl. auch Blümich/Nacke, EStG, Stand Nov. 2016, § 22 Rz 177 unter Verweis auf die Entscheidung des Hessischen FG vom 16. Februar 1983 I 164/80, EFG 1983, 494).
2. Nach diesen Grundsätzen hat das FA zutreffend bei der Einkommensteuerfestsetzung 2014 den Abzug der von der Klägerin im Zusammenhang mit der Wahl zum Europäischen Parlament und zur Erlangung des Nachrückerstatus geltend gemachten Aufwendungen als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften abgelehnt. Ein Abzug der von der Klägerin geltend gemachten Wahlkampfkosten ist unabhängig von einem ihr im Streitfall gegen ihre Partei zustehenden Erstattungsanspruch nach § 22 Nr. 4 Satz 3 EStG ausgeschlossen.
a) Zu den Wahlkampfkosten i.S. dieser Vorschrift rechnet der Senat -entgegen der Auffassung der Klägerinnicht nur die für den Wahlkampf im engeren Sinne aufgewendeten Kosten, sondern auch solche Aufwendungen, die ihr in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Aufstellung zum Kandidaten und dem Erhalt des Nachrückerstatus sowie den jeweils damit verbundenen organisatorischen Vorbereitungsmaßnahmen entstanden sind. Soweit die Klägerin Aufwendungen im Zusammenhang mit ihrer Nominierung zur Kandidatin und möglichen Nachrückerin nicht als zu den „Wahlkampfkosten zur Erlangung eines Mandats“ zugehörig qualifizieren will, folgt der Senat dieser Auslegung nicht.
Denn diese Aufwendungen sind untrennbar mit dem Wahlkampf im engeren Sinne verbunden. Beginn und Ende eines Wahlkampfes sind gesetzlich nicht geregelt und daher zeitlich nicht eindeutig eingrenzbar. Zum Wahlkampf gehört nicht nur die Schlussphase der letzten Wochen vor dem Wahltag, sondern jedenfalls auch die Vorbereitungsphase und die Vorwahlkampfzeit. Der Wahlkampf dient den Parteien dazu, durch Präsentation ihrer Ziele und Kandidatinnen und Kandidaten ihre Stammwähler zu motivieren, Wähler anderer Parteien zum Wechsel zur eigenen Partei zu bewegen und Nichtwähler zu veranlassen, sich für ihre Partei zu entscheiden, um am Wahltag einen möglichst hohen Stimmenanteil zu erreichen (vgl. auch die Definition des Begriffes „Wahlkampf“ auf der Homepage des Bundeswahlleiters https://www.bundeswahlleiter.de/service/glossar/w/wahlkampf.html). Die Aufstellung der einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten und die Erstellung der Wahlvorschlagsliste ist mithin notwendige Vorstufe für die nachfolgende Präsentation der Kandidaten und deren Schlusswahlkampf für die Partei. Dass sich die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Bewerbung um einen Listen Platz nicht in erster Linie an die Wähler richten und die hiermit verbundenen Aufwendungen zu einem großen Teil im Eigeninteresse des Bewerbers getragen werden, schließt ihre Zuordnung zu den Wahlkampfkosten i.S. des § 22 Nr. 4 Satz 3 EStG nicht aus. Sowohl der Schlusswahlkampf der Kandidatinnen und Kandidaten für ihre Partei als auch deren Bewerbung im Vorfeld innerhalb der Partei für die Aufnahme in die Wahlvorschlagsliste und den Erhalt eines aussichtsreichen Listenplatzes erfolgen mit dem Ziel, ein Mandat für die Partei zu erlangen oder wiederzuerlangen.
b) Hinsichtlich der Bewerbung um einen Nachrücker Platz gilt dabei nichts anderes. Nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (EuWG) erfolgt die Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl mit Listenwahlvorschlägen. Wahlvorschläge können nach § 8 Abs. 1 EuWG nur von Parteien und sonstigen -näher definiertenpolitischen Vereinigungen eingereicht werden. In dem eingereichten Wahlvorschlag der Partei müssen die Namen der Bewerber in erkennbarer Reihenfolge aufgeführt sein (§ 9 Abs. 2 EuWG). Die auf die Wahlvorschläge je nach Stimmenanteil entfallenden Sitze werden sodann in der dort festgelegten Reihenfolge besetzt. Für die Bewerbung als Listennachfolger gilt insoweit nichts anderes. Anders als die Klägerin meint, bewirbt sich ein Kandidat nicht gesondert für die Position eines Nachrückers, sondern steht bereits bei Aufstellung und Einreichung des Wahlvorschlags als möglicher Listennachfolger fest. So wird für den Fall, dass ein nach diesen Grundsätzen gewählter Bewerber stirbt oder dem Bundeswahlleiter die Ablehnung der Wahl erklärt oder ein Abgeordneter stirbt oder sonst nachträglich aus dem Europäischen Parlament ausscheidet, der Sitz nach § 24 Abs. 1 EuWG durch seinen Ersatzbewerber oder, sofern ein solcher nicht existiert, durch den nächsten noch nicht für gewählt erklärten Bewerber aus dem Wahlvorschlag besetzt.
c) Auch der Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf die Regelung des § 22 Nr. 4 Satz 2 EStG führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Regelung lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht entnehmen, dass Aufwendungen, die einem Bewerber für die Erlangung und Erhaltung des Kandidatenstatus im Vorfeld einer Wahl entstehen, als vorab entstandene mandatsbedingte Aufwendungen anzusehen sind. Für den werdenden Mandatsträger hält der Senat die Regelung in § 22 Nr. 4 Satz 3 EStG für spezieller.
d) Aber selbst wenn man dies anders beurteilen und die Kosten, die die Klägerin zur Aufstellung als Kandidatin und mögliche Nachrückerin aufgewendet hat, nicht den Wahlkampfkosten i.S. des § 22 Nr. 4 Satz 3 EStG zurechnen wollte, müssten diese Aufwendungen nach § 12 Nr. 1 EStG zu den steuerlich nicht berücksichtigungsfähigen Kosten der privaten Lebensführung gerechnet werden und könnten demzufolge nicht als vorab entstandene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften nach § 22 Nr. 4 EStG abgezogen werden. § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG schließt einen Werbungskostenabzug für Aufwendungen der Lebensführung, die die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch dann aus, wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen. Obschon die Klägerin diese Aufwendungen auch erbracht hat, um die einem Mandatsträger zustehenden Einnahmen zu erlangen, dienten sie noch in größerem Maße als die Wahlkampfkosten im engeren Sinne allgemein der dem Bereich der privaten Lebensführung zuzurechnenden Verfolgung und Durchsetzung politischer Ziele und können bereits deshalb nicht als vorab entstandene Werbungskosten abgezogen werden (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 152, 240, BStBl II 1988, 433).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

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