Aktenzeichen 1 K 1388/19
SGB V § 129
FGO § 139 Abs. 3 S. 3
Leitsatz
Tenor
1. Unter Abänderung der Körperschaftsteueränderungsbescheide für die Veranlagungszeiträume 2006 – 2010, jeweils vom 20.09.2017, und der Einspruchsentscheidung vom 27.06.2019 wird die Körperschaftsteuer für 2006 auf xx €, für 2007 auf xx €, für 2008 auf xx €, für 2009 auf xx € und für 2010 auf xx € herabgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist wegen der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Klägerin hat mit ihrer Klage Erfolg, da im Zusammenhang mit den Parallelimporten die Voraussetzungen für eine vGA nicht vorlagen.
Unter einer vGA im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht. Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat die Rechtsprechung die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28.01.2004 I R 50/03, BStBl II 2005, 524).
Eine vGA kann auch ohne Zufluss beim Gesellschafter gegeben sein, wenn der Vorteil dem Gesellschafter mittelbar in der Weise zugewendet wird, dass eine ihm nahestehende Person aus der Vermögensverlagerung Nutzen zieht. Das „Nahestehen“ in diesem Sinne kann familien-, gesellschafts-, schuldrechtlicher oder auch rein tatsächlicher Art sein (BFH-Urteil vom 06.12.2005 VIII R 70/04, BFH/NV 2006, 722).
Eine verhinderte Vermögensmehrung ist gegeben, wenn die Kapitalgesellschaft für eine von ihr erbrachte Leistung kein angemessenes Entgelt erhält.
Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist gegeben, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer die verhinderte Vermögensmehrung gegenüber einem Nichtgesellschafter unter sonst gleichen Umständen nicht hingenommen hätte. Für die Frage, ob eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung vorliegt, ist ein Fremdvergleich durchzuführen.
Diese Voraussetzungen einer vGA sind im vorliegenden Streitfall nicht erfüllt. Das Finanzamt hat den Nachweis im Sinne eines Fremdvergleichs nicht erbracht, dass einem nicht gesellschaftlich mit dem A Konzern verbundenen (ggf. fiktiver) Händler, der – vergleichbar mit A3-GMBH – ausschließlich A Produkte im Inland vertreibt, im Hinblick auf Parallelimporte seitens des A -Konzerns eine höhere Gewinnmarge als A3-GMBH eingeräumt worden wäre.
1. Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung
1.1. In Zusammenhang mit den Parallelimporten hat A3-GMBH – wenn auch in geringerem Umfang als vom Finanzamt unterstellt – eine Vermögensminderung erlitten.
1.1.1. Eine durch die Parallelimporte verursachte Vermögensminderung ist insofern festzustellen, als A3-GMBH branchenübliche Bonuszahlungen an die Außendienstmitarbeiter zu leisten hatte, bei deren Berechnung die Abnehmer-Umsätze aus Parallelimporten anteilig eingeflossen sind.
1.1.2. Im Übrigen hat A3-GMBH die von ihr getragenen Aufwendungen im Eigeninteresse getätigt. Das Marketingkonzept von A3-GMBH erforderte den Einsatz von Handelsvertretern, die die Kundschaft vom Vorteil der A -Produkte gegenüber anderen Konkurrenzprodukten überzeugen sollten. Dieser Aufwand fiel unabhängig davon an, ob vom beratenen Beteiligten tatsächlich ein A -Produkt verordnet wurde oder ob die Abnehmer den Kunden mit Nachahmerprodukten oder mit einem Originalprodukt eines Parallelimporteurs ausstattete.
1.1.3. Soweit A3-GMBH aufgrund der Parallelimporte einen Umsatzrückgang zu erleiden hatte, stellte dies keine Vermögensminderung im Sinne einer vGA dar. Die Umsatzeinbuße war nämlich nicht durch ein verbundenes Unternehmen veranlasst, sondern durch ein Konkurrenzunternehmen, dem gegenüber weder A3-GMBH noch der Mutterkonzern eine rechtliche Verpflichtung eingegangen war.
1.2. Eine verhinderte Vermögensmehrung zugunsten der Konzernmutter ist hingegen nicht ersichtlich.
Das Marketingkonzept von A3-GMBH bestand im Streitzeitraum darin, durch die im Außendienst tätigen Mitarbeiter dahingehend auf die Kundschaft einzuwirken, dass diese bevorzugt A -Produkte in Auftrag geben.
A3-GMBH trug die dafür anfallenden Kosten im Eigeninteresse, da die Gesellschaft auf diese Weise den eigenen Umsatz, der ausschließlich aus A -Produkten generiert wurde, steigern wollte. Soweit von dieser Marketingmaßnahme auch Parallelimporteure profitierten, handelte es sich um einen bloßen Reflex, der den Eigeninteressen von A3-GMBH entgegenstand. Der Parallelimport erfolgte auch nicht im Interesse der ausländischen Konzernmutter: Die Parallelimporteure exportierten die Produkte aus Drittstaaten mit einem niedrigeren Preisniveau. Zur Wahrung der Gewinnspanne der nationalen Händler war der Mutterkonzern regelmäßig gezwungen, bereits die Drittländer zu einem niedrigeren Abgabepreis zu beliefern. In der Folge war die Gewinnspanne für A für die im Parallelhandel ins Inland gelangten Originalprodukte niedriger als bei den Produkten, die direkt über die inländische Vertriebsgesellschaft A3-GMBH in Deutschland vertrieben wurden. Aufgrund der Struktur der Versorgung in Deutschland ist auch nicht davon auszugehen, dass der reduzierte Abgabepreis zu einer vermehrten Verordnung durch die Kundschaft oder zu einer höheren Abgabemenge von A -Produkten durch die Abnehmer geführt hätte.
2. Sowohl die vom Finanzamt behaupteten als auch die vom Finanzgericht erkannte (s.o.) Vermögensminderung fanden ihre Veranlassung jedoch nicht im Gesellschaftsverhältnis.
2.1. A3-GMBH konnte sich auf keine vertragliche oder rechtliche Grundlage berufen, die ihr eine höhere Provision für eine auf Parallelimporte zurückzuführende Erhöhung des im Inland erzielten Verkaufsvolumens der Muttergesellschaft verschafft hätte. Zwar erbrachte A3-GMBH durch ihre Vermarktungsaktivitäten Leistungen gegenüber der Konzernmutter, die sich im Inland mittelbar auch im Absatz in Form von veräußerten Parallelimporten niederschlugen, jedoch hatte A3-GMBH kein Druckmittel gegenüber der Konzernmutter, um hierfür eine Vergütung einzufordern. Diese schwache Verhandlungsposition war allerdings nicht auf die Gesellschaftsverhältnisse im A -Konzern zurückzuführen; auch einem fremden Dritten hätte insofern keine erfolgversprechende Verhandlungsposition zugestanden.
Das Gericht folgt insofern nicht der Argumentation des Finanzamts, der zu Folge es branchenüblich sei, dass die Umsätze aus Parallelimporten stets gesondert in die Provision / Marge der nationalen Vertriebsgesellschaft einfließen müssten. Soweit es sich hierbei auf den mit Z GmbH geschlossene Co-Promotion Vertrag beruft, hat die Klägerin durch Vorlage der im Streitzeitraum mit den Firmen YGmbH & Co. KG und X-GmbH geschlossenen Mitvertriebsverträge den Nachweis geführt, dass eine solche Vereinbarung in den hier relevanten Vergleichsgruppen nicht der Regelfall war. Eine branchenübliche Verfahrensweise, der zu Folge A3-GMBH innerhalb des A -Konzerns auch eine Vergütung für den Verkauf von Produkten hätte einfordern können, die im Rahmen des Parallelimports ins Inland gelangt sind, kann das Gericht mithin nicht feststellen.
2.2. Der aufgrund der Parallelimporte geminderte Umsatz von A3-GMBH war dem Tätigwerden der Parallelimporteure, die am Markt als Wettbewerber auftraten, geschuldet. Diese wiesen nach dem Kenntnisstand des Gerichts keine wirtschaftliche, gesellschaftsrechtliche oder vergleichbare Verbindung zum A -Konzern auf; das Finanzamt hat dies auch nicht behauptet und auch keinen entsprechenden Nachweis geführt.
2.3 Der Vertrieb von Parallelimporten lag nach Überzeugung des Senats auch nicht im Interesse der Muttergesellschaft. Wegen der höheren Gewinnspanne hatte diese vielmehr ein großes Interesse daran gehabt, dass die Vermarktung ihrer Produkte auf dem für das Inland eingerichteten Vertriebsweg erfolgt. Die Entscheidungen der Europäischen Kommission und des EuGH zeigen, dass die europäischen Grundfreiheiten der Klägerin – wie auch den anderen Konzernen – weitgehend jedoch keine Möglichkeiten einräumten, den für sie missliebigen Vertriebsweg der Parallelimporteure innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten wirksam zu schließen.
2.4. In diesem Zusammenhang ist es auch unbeachtlich, dass A3-GMBH bei der Vergütung seiner Außendienstmitarbeiter im Rahmen des Bonussystems die von den Abnehmern veräußerten Parallelimporte in branchenüblicher Weise mitberücksichtigt hat, da verschiedene Aspekte mit der jeweiligen Vergütung honoriert werden sollten:
Während mit der Vergütung für A3-GMBH zulässigerweise primär der Vertrieb von A -Produkten über den im Konzern installierten Absatzweg vergütet werden sollte, berücksichtigte die Vergütung der Außendienstmitarbeiter, dass die Kundschaft zur Verordnung von A -Produkten bewegt werden konnte, unabhängig davon, aus welcher Bezugsquelle der Abnehmer die Kunden / Patienten letztendlich beliefert wurden.
Ergänzend ist hierzu anzumerken, dass das Finanzamt nicht den für eine vGA erforderlichen Nachweis geführt hat, dass die der A3-GMBH in den Streitjahren eingeräumte Marge in Höhe von 6% – 6,5% nicht auch eine Kompensation der aus Parallelimporten resultierenden Umsätze beinhaltete; hierfür spricht, dass diese Marge im branchenvergleich zwar als fremdüblich, jedoch als überdurchschnittlich anzusehen ist.
3. Der erkennende Senat sieht zudem die vom Finanzamt angesetzten vGA-Beträge der Höhe nach als nicht nachgewiesen bzw. hinreichend glaubhaft gemacht an.
3.1. Soweit sich die Beteiligten im Rahmen der Betriebsprüfung dahingehend geeinigt haben, dass A3-GMBH in den Streitjahren fremdüblich mit einer Nettomarge von 6,0 – 6,5% des von ihr erzielten Umsatzes vergütet worden sei, hat das Finanzamt keine Anhaltspunkte dargelegt, aus denen zu schließen wäre, dass diese Marge – die nach unbestrittenem Vortrag der Klägerin deutlich oberhalb des Medians der Vergleichsunternehmen liegt und von der Finanzverwaltung in zahlreichen Fällen als fremdüblich anerkannt wurde – nicht auch die Parallelimporte in den Streitjahren abgegolten hat.
3.2. Soweit es sich diesbezüglich auf veröffentlichte Marktstudien stützt, ist zu bedenken, dass es sich hierbei um privat veranlasste, ggf. interessensorientierte Marktforschungsberichte handelt, die die Finanzverwaltung ohne weitere Überprüfung ihren Berechnungen zu Grunde gelegt hat. Den Beweiswert dieser Berichte stuft der erkennende Senat daher als sehr niedrig und als nicht relevant ein.
3.3. Bei seinen Berechnungen hat das Finanzamt Erkenntnisse aus der Prüfung anderer Steuerpflichtiger der Branche einfließen lassen. Hierbei hat es seine Erkenntnisquellen jedoch unter Berufung auf das Steuergeheimnis nicht offengelegt. Nachdem das Finanzamt insofern dem Aufklärungsersuchen der Klägerin nicht nachgekommen ist und sich zu den geäußerten Zweifeln an dem Zahlenmaterial nicht substantiiert geäußert hat, kann seitens des Gerichts keine Überprüfung dieser Daten erfolgen. Den für den Ansatz einer vGA erforderlichen Nachweis hat das Finanzamt mithin bzgl. des betragsmäßigen Ansatzes der behaupteten vGA nicht erbracht.
4. Steuerberechnung
Die Kosten des Verfahrens hat das Finanzamt zu tragen, da es im Klageverfahren unterlegen ist (§ 135 Abs. 1 FGO).
Die Tätigkeit eines Bevollmächtigten im Vorverfahren diente der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten der Klägerin sowie die Abwendungsbefugnis, der von Amts wegen zu erfolgen hat, ergibt sich aus den §§ 151 Abs. 1 Satz 1 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da es sich um eine bisher ungeklärte Rechtsfrage mit großer wirtschaftliche Bedeutung handelt, die mit ihrer Breitenwirkung über das hier gegenständliche Klageverfahren hinausgreift.