Aktenzeichen 6 K 1390/16
Leitsatz
1. Die wirtschaftlich höhere Besteuerung der Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden gegenüber Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ausgeschüttet werden, begründet einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 Abs. 1 EG.
2. Die nachträgliche Erstattung einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer kann, wenn die Voraussetzungen des § 50d Abs. 1 EStG 2002 nicht erfüllt sind, die Einbehaltung und Abführung aber gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten verstößt, auf eine analoge Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG 2002 gestützt werden.
3. Steuerausländer sind nicht anders als Steuerinländer gehalten, den Steuerabzug zunächst hinzunehmen und ihr Begehren sodann im Rahmen eines (nachträglichen) Erstattungsverfahrens auf anderer Rechtsgrundlage, in entsprechender Anwendung von § 50d Abs. 1 S. 1 EStG 2002 und gerichtet auf Erlass eines entsprechenden Freistellungsbescheides gemäß § 155 Abs. 1 S. 3 AO, beim örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt durchzusetzen.
Tenor
1. Der Ablehnungsbescheid vom 04.12.2012 und die Einspruchsentscheidung vom 29.08.2016 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, einen Freistellungsbescheid zu erlassen, wonach die Gewinnausschüttung aufgrund Gesellschafterbeschluss vom 28.06.2002 in Höhe von xx € von der Kapitalertragsteuer freigestellt wird, und die bezahlte Kapitalertragsteuer in Höhe von xx € zu erstatten.
3. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
4. Das Urteil ist wegen der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
6. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Gründe
Der Ablehnungsbescheid vom 04.12.2012 und die Einspruchsentscheidung vom 29.08.2016 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte wird verpflichtet, einen Freistellungsbescheid zu erlassen, wonach die Gewinnausschüttung aufgrund Gesellschafterbeschluss vom 28.06.2002 in Höhe von xx € von der Kapitalertragsteuer freigestellt wird, und die bezahlte Kapitalertragsteuer in Höhe von xx € zu erstatten (vgl. § 101 S. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO).
Eine der Kapitalverkehrsfreiheit entsprechende Rechtslage ist in analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) 2002 im Weg der Erteilung eines Freistellungsbescheids nach § 155 Abs. 1 S. 3 Abgabenordnung (AO) und der Erstattung der Kapitalertragsteuer gemäß § 37 Abs. 2 AO herzustellen.
Hinsichtlich der Erteilung eines Freistellungsbescheids ist Festsetzungsverjährung nicht eingetreten. Die analog anzuwendende Regelung des § 50d Abs. 1 S. 7 und 8 EStG 2002 hat Vorrang vor den Vorschriften über die reguläre Verjährung nach §§ 169ff AO.
1. Das Begehren der Klägerin stützt sich zunächst darauf, dass der Steuerabzug als solcher abweichend von einer vergleichbaren Inlandskonstellation bei der ausländischen Muttergesellschaft definitiv wird und deswegen gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt (vgl. BFH-Urteil vom 11.01.2012 I R 25/10, BFH/NV 2012, 871, Rz. 27).
a) Die Körperschaftsteuer für Kapitalerträge i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002, die nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG 2002 i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 KStG 2002 dem Steuerabzug unterliegen, ist bei einer beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft als Bezieherin der Einkünfte nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002 durch den Steuerabzug abgegolten.
Dividenden einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft unterliegen der Quellensteuer, ohne dass es darauf ankommt, ob sie an Gesellschaften mit Sitz in Deutschland oder an Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ausgeschüttet werden (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3 EStG 2002).
Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ausgeschüttet werden, bleiben nach § 8b Abs. 1 S. 1 KStG 2002 bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. Im Rahmen der Veranlagung erfolgt die Anrechnung der Quellensteuer nach § 31 Abs. 1 KStG 2002, § 36 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 EStG 2002. Der betreffende Anrechnungsbetrag wird gemäß § 31 Abs. 1 KStG 2002, § 36 Abs. 2 und 4 S. 2 EStG 2002 erstattet, soweit der Betrag der zu entrichtenden Körperschaftsteuer niedriger ist als der Anrechnungsbetrag.
Folglich unterliegen gebietsansässige Empfängergesellschaften keiner definitiven steuerlichen Belastung durch die Kapitalertragsteuer. Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, werden wirtschaftlich einer höheren Besteuerung unterworfen als Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ausgeschüttet werden. Darin liegt ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 Abs. 1 EG (BFH-Urteil vom 11.01.2012 I R 25/10, BFH/NV 2012, 871, Leitsatz 2, unter Anschluss an EuGH-Urteil vom 20.10.2011 C-284/09, Slg 2011, I-9879, sowie an BFH-Urteil vom 22.04.2009 I R 53/07, BFH/NV 2009, 1543).
Die nachträgliche Erstattung einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer kann, wenn die Voraussetzungen des § 50d Abs. 1 EStG 2002 nicht erfüllt sind, die Einbehaltung und Abführung aber gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten verstößt, auf eine analoge Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG 2002 gestützt werden (BFH-Urteil vom 11.01.2012 I R 25/10, a.a.O., Leitsatz 3).
Die Klägerin ist nicht anders als Steuerinländer gehalten, den Steuerabzug zunächst hinzunehmen (vgl. § 43 Abs. 1 S. 3 EStG 2002) und ihr Begehren sodann im Rahmen eines (nachträglichen) Erstattungsverfahrens auf anderer Rechtsgrundlage -in entsprechender Anwendung von § 50d Abs. 1 S. 1 EStG 2002 und gerichtet auf Erlass eines entsprechenden Freistellungsbescheides gemäß § 155 Abs. 1 S. 3 AO – beim örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt durchzusetzen (BFH-Urteil vom 11.01.2012 I R 25/10, a.a.O., Rz. 27 und 28).
b) Der BFH nimmt in seinem Urteil I R 25/10 Bezug auf das EuGH-Urteil vom 20.10.2011 C-284/09, Slg 2011, I-9879. Deutschland darf danach Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, wirtschaftlich keiner höheren Belastung unterwerfen als Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ausgeschüttet werden.
c) Im vom EuGH zu entscheidenden Fall C-284/09 war die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der durch die Richtlinie 2003/123 geänderten Fassung (Mutter-Tochter-Richtlinie) vorgesehene Mindestbeteiligung der Muttergesellschaft am Kapital der Tochtergesellschaft nicht erreicht.
Nach EuGH verstößt ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG, wenn er für diesen Fall Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, wirtschaftlich einer höheren Besteuerung unterwirft als Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz im Inland ausgeschüttet werden.
Es sei zwar Sache der Mitgliedstaaten, für die nicht unter die Richtlinie 90/435 fallenden Beteiligungen festzulegen, ob und in welchem Umfang die wirtschaftliche Doppelbesteuerung oder mehrfache Belastung der ausgeschütteten Gewinne vermieden werden solle, und dazu einseitig oder durch mit anderen Mitgliedstaaten geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen Mechanismen zur Vermeidung oder Abschwächung dieser wirtschaftlichen Doppelbesteuerung oder mehrfachen Belastung einzuführen. Dies allein erlaube es ihnen aber nicht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die vom EG-Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten verstießen.
Sobald ein Mitgliedstaat nicht nur die gebietsansässigen, sondern auch die gebietsfremden Gesellschaften hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft bezögen, einseitig oder im Wege eines Abkommens der Einkommensteuer unterwerfe, nähere sich die Situation der gebietsfremden Gesellschaften derjenigen der gebietsansässigen Gesellschaften an. In einem solchen Fall habe der Staat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft dafür zu sorgen, dass die gebietsfremden Empfängergesellschaften hinsichtlich des in seinem nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine Behandlung erfahren, die derjenigen der gebietsansässigen Empfängergesellschaften gleichwertig sei, damit sie sich nicht einer – nach Art. 56 EG grundsätzlich verbotenen – Beschränkung des freien Kapitalverkehrs gegenübersähen.
d) Bei Heranziehung der Regelungen des DBA-Frankreich bleibt es in der vorliegenden Konstellation bei einer Doppelbesteuerung von Dividendeneinkünften.
Frankreich steht für Ausschüttungen einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft das Besteuerungsrecht zu (Art. 9 Abs. 1 DBA-Frankreich); Deutschland hat nach Art. 9 Abse. 2 und 5 DBA-Frankreich ein Quellenbesteuerungsrecht von 5 von Hundert.
Die Doppelbesteuerung wird nach Art. 20 Abs. 2 a) bb) DBA-Frankreich in der Fassung des Zusatzabkommens vom 20.12.2001 (BGBl. II 2000, 2373) durch einen Anspruch des Empfängers auf einen Anrechnungsbetrag bei der französischen Steuer, in deren Bemessungsgrundlage diese Einkünfte enthalten sind, vermieden. Dieser Steueranrechnungsbetrag entspricht dem Betrag der nach diesen Artikeln (hier Art. 9 Abs. 5 DBA-Frankreich) in der Bundesrepublik gezahlten Steuer, darf jedoch den Betrag der auf diese Einkünfte entfallenden französischen Steuer nicht übersteigen.
Nach dem französischen Code général des impôts – CGI – (Rechtsstand 2002, vgl. https://www.legifrance.gouv.fr) ist der Bezug von Beteiligungserträgen, die im Anwendungsbereich der Regelungen über Muttergesellschaften bezogen werden, in Frankreich steuerfrei, abgesehen von einer Kostenpauschale von 5%. Die Regelungen über Muttergesellschaften finden Anwendung, wenn u.a. eine Beteiligungsquote von 5 v.H. erfüllt ist. Folglich entfällt auf die Beteiligungserträge keine französische Körperschaftsteuer; eine Anrechnung der deutschen Quellensteuer findet nicht statt.
Die Kostenpauschale von 5% schließt Steuergutschriften bzw. Anrechnungsbeträge ein. Eine Anrechnung der ausländischen Kapitalertragsteuer auf den auf die Kostenpauschale entfallenden Steuerbetrag ist nicht möglich (vgl. Viegener in Wassermeyer, Doppelbesteuerungsabkommen, Anh. Frankreich Rz. 104, 105).
2. Rechtsgrundlage des Erstattungsverfahrens ist § 50d Abs. 1 EStG 2002 analog; das Begehren ist auf Erlass eines Freistellungsbescheides gem. § 155 Abs. 1 S. 3 AO gerichtet.
a) Nach § 155 Abs. 1 S. 1 bis 3 AO werden die Steuern, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, von der Finanzbehörde durch Steuerbescheid festgesetzt. Steuerbescheid ist der nach § 122 Abs. 1 AO bekannt gegebene Verwaltungsakt. Dies gilt auch für die volle oder teilweise Freistellung von einer Steuer und für die Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung.
Durch das Steueränderungsgesetz 2001 vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3794) wurde § 50d EStG 2002 mit Wirkung ab 01.01.2002 neu gefasst. § 50d Abs. 1 EStG 2002 lautet:
1) Können Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag oder dem Steuerabzug auf Grund des § 50a unterliegen, nach § 43b oder nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden, so sind die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer durch den Schuldner der Kapitalerträge oder Vergütungen im Sinne des § 50a ungeachtet des § 43b und des Abkommens anzuwenden.
2) Unberührt bleibt der Anspruch des Gläubigers der Kapitalerträge oder Vergütungen auf völlige oder teilweise Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer.3Die Erstattung erfolgt auf Antrag des Gläubigers der Kapitalerträge oder Vergütungen auf der Grundlage eines Freistellungsbescheids; der Antrag ist nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck bei dem Bundesamt für Finanzen zu stellen.4Der zu erstattende Betrag wird nach Bekanntgabe des Freistellungsbescheids ausgezahlt. (…) 7Die Frist für den Antrag auf Erstattung beträgt vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Kapitalerträge oder Vergütungen bezogen worden sind.8Die Frist nach Satz 7 endet nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer.9Für die Erstattung der Kapitalertragsteuer gilt § 45 entsprechend (…).
b) Auf einen (erfolgreichen) Antrag nach § 50d Abs. 1 S. 2 EStG 2002 erteilt das BfF/BZSt einen Freistellungsbescheid (§ 50d Abs. 1 S. 3 EStG 2002) im Sinn von § 155 Abs. 1 S. 3 AO (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 37. Aufl., § 50d, Rz. 37).
c) Bei wörtlicher Anwendung des § 50d Abs. 1 S. 2 ff EStG 2002 kann die Klägerin im Streitfall die begehrte Freistellung und Erstattung nicht erlangen, da sie in der Rechtsform einer S.A.S. nicht Muttergesellschaft i.S.v. § 43b EStG in der für den Streitzeitpunkt geltenden Fassung ist (vgl. BFH-Urteil vom 11.01.2012 I R 25/10, a.a.O., Leitsatz 1, Rz. 19). Eine Kapitalgesellschaft französischen Rechts in der Rechtsform der S.A.S. fällt im streitgegenständlichen Bescheinigungszeitraum nicht unter den entsprechenden Katalog begünstigter Kapitalgesellschaften. Wie sich abschließend aus dem EuGH-Urteil vom 01.10.2009 C-247/08, Slg. 2009, I-9225 ergibt, ist in diesem Umstand kein Verstoß gegen Unionsrecht zu sehen.
Der BFH hat auch eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung des § 43b EStG verneint (BFH-Urteil vom 11.01.2012 I R 25/10, a.a.O., Rz. 20ff).
d) Der BFH hat wiederholt über Fälle des vom zuständigen Finanzamt zu erteilenden Freistellungsbescheids nach § 155 Abs. 1 S. 3 AO außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs von § 50d EStG entschieden, so durch BFH-Urteile vom 19.11.2003 I R 22/02, BStBl II 2004, 560, vom 28.06.2005 I R 33/04, BStBl II 2006, 489, vom 20.12.2006 I R 13/06, BStBl II 2007, 616, und vom 22.04.2009 I R 53/07, BFH/NV 2009, 1543, m.w.N.
– Im BFH-Urteil vom 19.11.2003 I R 22/02, BStBl II 2004, 560, Leitsatz 6, Rz. 29, 30, wird ausgeführt, im Freistellungsverfahren nach § 50d EStG (Streitjahr 1998) sei nur darüber zu befinden, ob aus den dort genannten Gründen eine Freistellung von der deutschen Steuer geboten ist. Die Frage, ob steuerpflichtige Einkünfte vorliegen oder ob diese Einkünfte aus anderen Gründen von der Besteuerung freizustellen sind, sei demgegenüber außerhalb des Verfahrens nach § 50d EStG zu entscheiden. Diese Entscheidung obliege nicht dem Bundesamt für Finanzen, sondern dem nach den allgemeinen Regeln zuständigen Finanzamt.
– Auch im Urteil vom 28.06.2005 I R 33/04, BStBl II 2006, 489, Rz. 14, stellt der BFH klar, dass die Regelungslage des § 50d Abs. 1 und 3 EStG 1997/1999 nach dem eindeutigen Wortlaut nur für steuerabzugspflichtige Einkünfte gelte, für die sich eine Beschränkung der Besteuerung entweder aus § 43b EStG 1997/1999 oder aus einem Doppelbesteuerungsabkommen ergebe. Sie greife deshalb nicht ein, wenn geltend gemacht werde, dass Zahlungen keinem Steuerabzug nach § 50a EStG 1997/ 1999 unterlägen oder aus anderen Gründen richtigerweise keine deutsche Steuer auslösten. Auf derartige Sachverhalte sei § 50d EStG 1997/1999 weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Der Vergütungsgläubiger könne einen Erstattungsanspruch oder ein Freistellungsbegehren in dieser Situation vielmehr nur in der Weise geltend machen, dass er entweder die Steueranmeldung des Vergütungsschuldners oder den ihr entsprechenden Verwaltungsakt (z.B. Haftungsbescheid) anfechte oder außerhalb des Verfahrens nach § 50d EStG 1997/1999 einen Freistellungsbescheid beantrage und um Erstattung nachsuche (vgl. § 37 Abs. 2 AO). Ein in diesem Sinne „allgemeiner“ Freistellungsbescheid sei nicht vom BfF zu erlassen, dessen Zuständigkeit sich nach dem ebenfalls klaren Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 2 FVG auf die Fälle des § 50d EStG 1997/1999 beschränke. Hierfür sei vielmehr das Finanzamt zuständig.
– In der Entscheidung vom 20.12.2006 I R 13/06, BStBl II 2007, 616, geht der BFH – über die unmittelbar den Streitfall betreffende (Haftungs-)Problematik hinaus für ein Freistellungs- bzw. Erstattungsverfahren – davon aus (Rz. 22ff), dass § 50d Abs. 1 S. 1 EStG 1990 nach dem eindeutigen Wortlaut nur für steuerabzugspflichtige Einkünfte gelte, für die sich eine Beschränkung der Besteuerung entweder aus § 44d EStG 1990 [als Vorgängerregelung des § 43b EStG] oder aus einem Doppelbesteuerungsabkommen ergebe. Er greife deshalb nicht -auch nicht entsprechend-, wenn geltend gemacht werde, dass dem Steuerabzug unterworfene Zahlungen aus anderen Gründen richtigerweise keine deutsche Steuer auslösten.
Allerdings kommt er zu der Aussage (Rz. 26), bei einer aus den gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten abzuleitenden weiteren Reduzierung der gemäß § 44d Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG 1990 bereits auf 5 v.H. herabgesetzten Besteuerung der Kapitalerträge bliebe es -jedenfalls für die Zwecke des § 50d Abs. 1 EStG 1990- bei § 44d Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 1990 als einheitlicher Rechtsgrundlage für die gesamte Steuerermäßigung. Die Anwendung des Abzugs- und Erstattungsverfahrens für die gesamte Steuerreduzierung wäre nach Auffassung des BFH in diesem Fall gerade auch im Interesse des haftungsbedrohten Vergütungsschuldners geboten, dem es nicht zumutbar wäre, sich im Zusammenhang mit jeder Ausschüttung zunächst vergewissern zu müssen, inwiefern im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft eine Anrechnung oder Vergütung überbezahlter Kapitalertragsteuer möglich sei und in welchem Umfang danach eine Kapitalertragsteuer in Höhe von 5 v.H. für die Ausschüttungsempfängerin noch definitiv werden könnte.
Zweifel aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit ergeben sich für den BFH (Rz. 21 m.w.N.) aus der bis 30.06.1996 praktizierten Besteuerung von Gewinnausschüttungen an gebietsfremde Muttergesellschaften mit dem auf 5 v.H. reduzierten Steuersatz auch dann, wenn die Kapitalertragsteuer für die Muttergesellschaft definitiv würde. Hierin könnte eine Diskriminierung der gebietsfremden Muttergesellschaft liegen, weil in Deutschland ansässige Muttergesellschaften die zu ihren Lasten abgeführte Kapitalertragsteuer in vollem Umfang auf ihre Körperschaftsteuerschuld anrechnen konnten und gegebenenfalls -soweit im jeweiligen Veranlagungszeitraum keine Körperschaftsteuer in entsprechender Höhe entstanden istausgezahlt erhielten.
– Im Streitfall des BFH-Urteils vom 22.04.2009 I R 53/07, BFH/NV 2009, 1543, ficht die Klägerin, eine in der Schweiz ansässige Gesellschaft, die Anmeldung der Kapitalertragsteuer nicht an; der BFH kommt letztlich zur abgeltenden Wirkung des Kapitalertragsteuerabzugs.
In diesem Zusammenhang erfolgt in Rz. 15 die Prüfung des § 50d Abs. 1 EStG 2002 in analoger Anwendung: „Deshalb ist eine Kapitalertragsteuer, die über die Steuerbarkeit von Einkünften nach Maßgabe von § 49 EStG 2002 hinausgeht, ohne materiell-rechtlichen Grund erhoben und daher in entsprechender Anwendung von § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 zu erstatten; für diesen Antrag ist (..) das FA zuständig (…).“ Im dortigen Streitfall vermochte § 50d Abs. 1 EStG 2002 in analoger Anwendung nicht weiterzuhelfen.
e) Im Urteil vom 11.01.2012 I R 25/10 folgt der BFH dieser Linie, benennt jedoch für das durch die Klägerin anzustrengende Erstattungsverfahren auf anderer Rechtsgrundlage in entsprechender Anwendung § 50d Abs. 1 S. 1 EStG (Rz. 27) bzw. § 50d Abs. 1 EStG (Leitsatz 3); in Rz. 28 ist vom Erstattungsverfahren analog § 50d Abs. 1 S. 2 EStG 2002 die Rede.
Die ausdrückliche Aussage des BFH im Urteil vom 11.01.2012, wonach § 50d Abs. 1 bzw. § 50d Abs. 1 S. 1 oder S. 2 EStG analog anzuwenden seien, geht damit über die bisherige Rechtsprechung des BFH hinaus, der in Anwendungsfällen außerhalb der in § 50d EStG genannten Gründe regelmäßig lediglich auf § 155 Abs. 1 S. 3 AO bzw. auf das Institut des Freistellungsbescheids verwiesen hat. Lediglich im Urteil vom 22.04.2009 I R 53/07 war § 50d Abs. 1 EStG in analoger Anwendung geprüft worden.
Allerdings deutet sich aus Sicht des Senats bereits in der BFH-Entscheidung vom 20.12.2006 I R 13/06, BStBl II 2007, 616, Rz. 26, – für eine Gewinnausschüttung im Jahr 1996 und damit im Bereich des seinerzeitigen § 44d EStG – das Verständnis an, dass das Abzugs- und Erstattungsverfahren des § 50d Abs. 1 EStG 1990 für die gesamte europarechtskonforme Steuerreduzierung geboten ist. Insofern stellt sich für den Senat die Aussage des BFH im Urteil vom 11.01.2012 I R 25/10 als Weiterführung dieses Gedankens dar.
Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 20.10.2011 C-284/09, Slg 2011, I-9879, die vom BFH im Urteil vom 20.12.2006 I R 13/06 (unter der Geltung des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens) geäußerten Zweifel an der Vereinbarkeit der Definitivbelastung gebietsfremder Muttergesellschaften mit Kapitalertragsteuer gegenüber gebietsangehörigen Muttergesellschaften in Bezug auf Gemeinschaftsrecht bestätigt.
f) Aus dem späteren BFH-Urteil vom 26.06.2013 I R 48/12, BStBl II 2014, 367, (Rz. 27) ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht, dass der I. Senat nicht mehr von einer analogen Anwendung des § 50d Abs. 1 EStG 2002 ausgeht.
In dieser Entscheidung ist zwar (für die Konstellation des Kapitalertragsteuerabzugs zulasten einer USamerikanischen Kapitalgesellschaft, die für die Besteuerung als sog. „S-Corporation“ auf der Ebene der Gesellschafter optiert hat und bei der ein Verstoß gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit, der auch gegen Drittstaaten wirkt, vorliegt) für den möglichen Erstattungsanspruch gegenüber dem zuständigen Finanzamt nur mehr von „anderer Rechtsgrundlage“ ohne Bezugnahme auf eine Vorschrift (auch nicht § 155 Abs. 1 S. 3 AO) die Rede. Allerdings wird auf die Entscheidung I R 25/10 hingewiesen, so dass sich für die Einschätzung des Beklagten keine Anhaltspunkte ergeben.
g) Der Senat geht – unter Anschluss an die Rechtsprechung des BFH im Urteil I R 25/10 – davon aus, dass für das (nachträgliche) auf Erlass eines entsprechenden Freistellungsbescheides nach § 155 Abs. 1 S. 3 AO beim örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt zur Herbeiführung einer gemeinschaftsrechtskonformen Besteuerungssituation gerichtete Freistellungs- und Erstattungsverfahren eine analoge Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG 2002 geboten ist.
aa) § 50d Abs. 1 S. 1 EStG 2002 statuiert den Grundsatz, dass der Steuerabzug ungeachtet des § 43b und des (Doppelbesteuerungs-)Abkommens anzuwenden ist. Das Erstattungsverfahren ist in § 50d Abs. 1 S. 2ff EStG 2002 geregelt.
Die Zitierung von § 50d Abs. 1 S. 1 EStG 2002 für das Erstattungsverfahren in Rz. 27 des BFH-Urteils ist wohl auf einen Schreibfehler zurückzuführen.
bb) Die Voraussetzungen der Analogie sind erfüllt.
α) Die analoge Anwendung einer Rechtsnorm setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus. Eine solche Lücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Davon zu unterscheiden ist ein sog. rechtspolitischer Fehler, der vorliegt, wenn sich eine gesetzliche Regelung zwar als rechtspolitisch verbesserungsbedürftig, aber -gemessen an dem mit ihr verfolgten Zwecknicht als planwidrig unvollständig und ergänzungsbedürftig erweist (BFH-Urteile 14.02.2007 II R 66/05, BStBl II 2007, 621; vom 12.12.2002 III R 33/01, BStBl II 2003, 322, m.w.N.).
β) Für die streitige Konstellation liegt eine Gesetzeslücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit vor.
§ 50d Abs. 1 EStG 2002 betrifft – für den europarechtlichen Kontext – durch Bezugnahme auf § 43b EStG (nur) die von der Mutter-Tochter-Richtlinie begünstigten Fälle.
Der EuGH geht im Urteil vom 20.10.2011 C-284/09, a.a.O., Rz. 56, 57, für eine nicht unter die Voraussetzungen der Mutter-Tochter-Richtlinie fallende Konstellation (im dortigen Streitfall das Nichterreichen der Mindestbeteiligung) von der Annäherung der Situation von gebietsfremden Gesellschaften an diejenige von gebietsansässigen Gesellschaften aus, sobald ein Mitgliedstaat nicht nur die gebietsansässigen, sondern auch die gebietsfremden Gesellschaften hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, einseitig oder im Wege eines Abkommens der Einkommensteuer unterwirft. Der EuGH fordert in einem solchen Fall, dass der Staat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft dafür zu sorgen habe, dass die gebietsfremden Empfängergesellschaften hinsichtlich des in seinem nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine Behandlung erfahren, die derjenigen der gebietsansässigen Empfängergesellschaften gleichwertig ist, damit sie sich nicht einer – nach Art. 56 EG grundsätzlich verbotenen – Beschränkung des freien Kapitalverkehrs gegenübersehen.
Eine § 50d Abs. 1 EStG 2002 vergleichbare „allgemeine“ Rechtsgrundlage zur Herstellung einer der Kapitalverkehrsfreiheit materiell entsprechenden Rechtslage durch Vermeidung des Eintritts einer Definitivbelastung nach Vornahme einer Quellenbesteuerung besteht nicht.
Es ist jedoch von der mutmaßlichen Absicht des Gesetzgebers im Jahr 2002 bei Kenntnis der Konstellation auszugehen, die aus der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheit der Kapitalverkehrsfreiheit abzuleitende Vermeidung einer Definitivbelastung der gebietsfremden Empfängergesellschaft mit Kapitalertragsteuer durch Freistellung / Erstattung auf Grundlage des § 50d Abs. 1 EStG zu erreichen. Dies ergibt sich bereits aus der Sachnähe mit den im Übrigen geregelten Tatbeständen wie §§ 43b, 50a EStG und DBA (in diesem Sinn auch Klein/Hagena, FR 2012, 528, 529).
γ) Mit der Systematik des § 50d Abs. 1 EStG 2002 wird das der Kapitalverkehrsfreiheit entsprechende Ziel erreicht.
Die gebietsfremden Empfängergesellschaften müssen eine Behandlung erfahren, die derjenigen der gebietsansässigen Empfängergesellschaften gleichwertig ist.
Dividenden einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft unterliegen der Quellensteuer nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3 EStG 2002. Die Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ausgeschüttet werden, bleiben nach § 8b Abs. 1 S. 1 KStG 2002 bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz; im Rahmen der Veranlagung erfolgt die Anrechnung der Quellensteuer bzw. deren Erstattung (vgl. oben 1.a)). Folglich unterliegen gebietsansässige Empfängergesellschaften keiner definitiven steuerlichen Belastung durch die Kapitalertragsteuer.
Durch die Erstattung des einbehaltenen Steuerabzugsbetrags auf Grundlage des § 50d Abs. 1 EStG 2002 analog wird eine gleichwertige Behandlung erreicht; damit wird das Entstehen einer Definitivbelastung durch den vorgenommenen Steuerabzug verhindert und die Abgeltungswirkung letztlich vermieden.
δ) Die planwidrige Regelungslücke wird nicht durch die Einfügung des § 32 Abs. 5 KStG geschlossen. Dieser regelt (nur) die Kapitalertragsteuererstattung einer beschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaft, wenn die Mindestbeteiligungsvoraussetzung des § 43b EStG nicht erfüllt ist, trifft aber keine allgemeine Regelung zur Beseitigung der Definitivbelastung des Kapitalertragsteuerabzugs und Herstellung einer der Kapitalverkehrsfreiheit entsprechenden Besteuerungssituation gebietsfremder Empfängergesellschaften.
Auch im Streitfall hilft § 32 Abs. 5 KStG der unionswidrigen Besteuerung in Form der Definitivbelastung nicht ab.
αα) Durch Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 vom 21.03.2013, BGBl I 561, wurde § 32 KStG um Abs. 5 ergänzt.
Dieser regelt die Erstattung der nach Absatz 1 abgegoltenen Körperschaftsteuer für Kapitalerträge von beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaften im Sinn von Art. 54 AEUV bzw. Art. 34 EWR-Abkommen mit Sitz und Geschäftsleitung innerhalb der Europäischen Union bzw. EWR und dortiger unbeschränkter Steuerpflicht und unmittelbarer Beteiligung am Grund- oder Stammkapital der Schuldnerin der Kapitalerträge, bei denen – wie im Entscheidungsfall des EuGH-Urteils vom 20.10.2011 in der Rechtssache C-284/09 – die Mindestbeteiligungsvoraussetzungen des § 43b Abs. 2 EStG nicht erfüllt sind (§ 32 Abs. 5 Nr. 2 KStG). Die Erstattung der Kapitalertragsteuer wird vom Nachweis weiterer Voraussetzungen abhängig gemacht (§ 32 Abs. 5 S. 2 bis 5 KStG) und erfolgt nach § 32 Abs. 5 S. 6 KStG für alle in einem Kalenderjahr bezogenen Kapitalerträge im Sinne des Satzes 1 auf der Grundlage eines Freistellungsbescheids nach § 155 Abs. 1 S. 3 AO. Nach BTDrucks 17/11314 (Gesetzentwurf vom 06.11.2012) gelten für den Erlass und die Korrektur des Freistellungsbescheids nach Satz 6 die allgemeinen Vorschriften der AO (insbesondere §§ 155 bis 177 AO) und die allgemeine Festsetzungsfrist von 4 Jahren (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO; in diesem Sinn auch Becht in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 32 KStG, Rz. 36). Zuständig ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 39 FVG das BZSt.
ββ) Zwar wäre der zeitliche Anwendungsbereich eröffnet. Dieser ist in § 34 Abs. 13b S. 3 bis 5 KStG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 geregelt; nach § 34 Abs. 13b S. 4 KStG kommt § 32 Abs. 3 KStG für Kapitalerträge zur Anwendung, die in einem Kalenderjahr vor 2013 zugeflossen sind, wenn sie bereits unter das Halbeinkünfteverfahren fallen (zur gesetzgeberisch insoweit fehlerhaft zitierten Fassung des KStG (in der nicht existenten Fassung vom 26.07.2001, BGBl I 1034), vgl. Graw in Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz, 1. Aufl. 2015, § 34 KStG, Rz. 192).
γγ) Mit §§ 32 Abs. 5, 34 Abs. 13b S. 3 bis 5 KStG erfolgt aber (nur) die Regelung (mit rückwirkender Anwendung) einer Kapitalertragsteuererstattung für die vom EuGH am 20.10.2011 C-284/09 entschiedene Konstellation der nicht erfüllten Mindestbeteiligungsvoraussetzung.
Diese Regelung wird der vom EuGH in dieser Entscheidung (Rz. 57) aus der Kapitalverkehrsfreiheit abgeleiteten allgemeinen Forderung, der Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft habe dafür zu sorgen, dass die gebietsfremden Empfängergesellschaften in Bezug auf einen Mechanismus zur Vermeidung / Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine Behandlung erfahren, die derjenigen der gebietsansässigen Empfängergesellschaften gleichwertig ist, nicht gerecht.
Das zeigt sich auch für den vorliegenden Fall: § 32 Abs. 5 KStG stellt für die Klägerin keine taugliche Rechtsgrundlage für eine Kapitalertragsteuererstattung dar, da ein Fall des § 43b EStG (in der seinerzeitigen Fassung) nicht vorliegt, und die Klägerin alleinige Anteilseignerin der F-GmbH ist.
§ 32 Abs. 5 KStG bleibt auch hinter den Aussagen des BFH in den Urteilen vom 11.01.2012 I R 25/10 und I R 30/10 zurück. Hier hat der BFH ohne Einschränkung die Abgeltungswirkung des Kapitalertragsteuerabzugs mit der daraus folgenden höheren Besteuerung bei gebietsfremden Empfängergesellschaften im Verhältnis zur Behandlung von Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ausgeschüttet werden, als Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit bezeichnet. In der BTDrucks 17/11314 S. 5 und 6 werden beide Entscheidungen zwar zitiert, in der Gesetzesfassung deren allgemeine Aussagen jedoch nicht berücksichtigt.
cc) In den Literaturbeiträgen zum Urteil vom 11.01.2012 I R 25/10 (u.a. Urteilsanmerkungen von Klein/Hagena in FR 2012, 524-531; von Patzner/Nagler, GmbHR 2012, 593; von Stumm/Duttiné, BB 2012, 1205; von Höring, DStZ 2012, 347; von Geberth/Bartelt, DB 2012, M12 (juris); Aufsätze von Grieser/Faller, DB 2012, 1296; von Wiese/Strahl, DStR 2012, 1426; von Schönhaus/Broekmann, IWB 2012, 623-628) wird die analoge Anwendung des § 50d Abs. 1 (S. 1/S. 2) EStG 2002 nicht in Frage gestellt.
Überwiegend werden die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des zuständigen Finanzamts, insbesondere bei mehreren Beteiligungen, thematisiert. Teilweise wird – im Zusammenhang mit der Frage der Anwendbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG – die Frage aufgeworfen, ob es sich bei der analogen Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG 2002 um einen Rechtsgrund- oder um einen Rechtsfolgenverweis handelt (vgl. Klein/Hagena, FR 2012, 528, 529f), vgl. unten 2. g) ff)).
dd) Eine analoge Anwendung des § 50d Abs. 1 EStG 2002 begegnet auch im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 01.10.2009 C-247/08, Slg 2009, I-9225, keinen Bedenken. Diese EuGH-Rechtsprechung zum Anwendungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie – der auch im EuGH-Streitfall nicht eröffnet ist – schließt eine Anwendung des § 50d Abs. 1 EStG 2002 zur Durchsetzung unionsrechtlicher Grundfreiheiten und gerade zur Herstellung einer gleichwertigen Behandlung nicht aus.
In diesem Urteil stellt der EuGH – auf eine Vorabentscheidungsvorlage des FG Köln in einem Parallelverfahren zum Verfahren 2 K 4220/03 – klar (Rz. 44), dass Art. 2 Buchst. a der Mutter-Tochter-Richtlinie mit Buchst. f ihres Anhangs dahin auszulegen ist, dass eine französische Gesellschaft in der Rechtsform einer „société par actions simplifiée“ nicht als „Gesellschaft eines Mitgliedstaats“ im Sinne der Richtlinie angesehen werden kann, bevor diese durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22.12.2003 geändert wurde. Folglich ist die S.A.S. erst nach Aufnahme in den Anhang zur Mutter-Tochter-Richtlinie durch diese begünstigt.
Der BFH hat im Verfahren I R 25/10, a.a.O., Rz. 19ff, im Rahmen der Frage der Erteilung einer Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 2 EStG 2002 die Anwendung von § 43b EStG 2002 auf die S.A.S. vor Aufnahme in den Katalog begünstigter Kapitalgesellschaften unmittelbar wie auch erweiternd oder analog verneint (vgl. hierzu oben 1.c)).
Bei analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 EStG 2002 tritt hinsichtlich der Begünstigung der Klägerin im Freistellungs- und Erstattungsverfahren das gleiche Ergebnis wie bei (unmittelbarer oder analoger) Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie und des § 43b EStG 2002 ein.
Dieses Ergebnis stellt jedoch keinen systematischen Widerspruch dar und hindert nicht die analoge Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG 2002: Selbst wenn der Anwendungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie nicht eröffnet ist, muss die steuerliche Behandlung der gebietsfremden Muttergesellschaft den Grundfreiheiten entsprechen. Die analoge Anwendung des § 50d Abs. 1 EStG 2002 sorgt für eine gleichwertige Behandlung gebietsfremder Empfängergesellschaften.
Der EuGH macht in der Entscheidung vom 01.10.2009 C-247/08, a.a.O., Rz. 59, 60, deutlich, dass die Mutter-Tochter-Richtlinie einem Mitgliedstaat nicht gestatte, an Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten, die nicht in ihren Anwendungsbereich fielen, ausgeschüttete Gewinne ungünstiger zu behandeln als die an vergleichbare inländische Gesellschaften ausgeschütteten Gewinne.
Für nicht von der Mutter-Tochter-Richtlinie erfasste Beteiligungen obliege es den Mitgliedstaaten, festzulegen, ob und in welchem Umfang die wirtschaftliche Doppelbesteuerung der ausgeschütteten Gewinne vermieden werden solle, und dazu einseitig oder durch Abkommen mit anderen Mitgliedstaaten Mechanismen zur Vermeidung oder Abschwächung dieser wirtschaftlichen Doppelbesteuerung einzuführen; doch erlaube dieser bloße Umstand es ihnen nicht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die vom Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten verstießen.
Zur Wahrung der Kapitalverkehrsfreiheit als Bestimmung des Primärrechts hat nach EuGH-Urteil vom 20.10.2011 C-284/09, Slg 2011, I-9879, Rz. 56, 57, im Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft eine gleichwertige Behandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Empfängergesellschaften zu erfolgen.
Damit ist § 50d Abs. 1 EStG 2002 analog anzuwenden.
h) Bei analoger Anwendung des § 50d Abs. 1 EStG im Streitfall ist hinsichtlich der Erteilung eines Freistellungsbescheids keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Die analog anzuwendende Regelung des § 50d Abs. 1 S. 7 und 8 EStG 2002 hat Vorrang vor den Vorschriften über die reguläre Verjährung nach §§ 169ff AO.
aa) In der Literatur herrscht Uneinigkeit über die Frist für die Stellung des Antrags auf Freistellung. Grieser/Faller (DB 2012, 1296, 1298) gehen von der Anwendung der allgemeinen Regeln der Festsetzungsfrist für Steuerbescheide aus, verweisen auf die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO bei Antragstellung bei der zuständigen Behörde und diskutieren die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der Antrag bei der unzuständigen Behörde gestellt wurde. Patzner/Nagler (GmbHR 2012, 597, 599) lehnen die Anwendung der Frist des § 50d Abs. 1 S. 7 EStG mit der Begründung ab, eine Gleichbehandlung mit Inländern aufgrund der Grundfreiheiten des EG-Vertrags habe auch die Anwendung der für Inländer geltenden Fristen einschließlich der An- und Ablaufhemmungstatbestände zur Folge. In diese Richtung gehen wohl auch Wiese/Strahl (DStR 2012, 1426, 1429), die einen Erstattungsanspruch auf Grundlage von § 31 KStG i.V.m. § 36 Abs. 4 S. 2 EStG, § 37 Abs. 2 AO annehmen und auf die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO sowie auf die Ablaufhemmung von § 171 Abs. 14 AO i.V.m. § 228 AO hinweisen.
bb) Die besonderen Verjährungsregeln des § 50d Abs. 1 S. 7 und 8 EStG 2002 sind Teil der Regelungssystematik des § 50d Abs. 1 EStG 2002 und folglich im Rahmen der analogen Anwendung des Abs. 1 ebenfalls anzuwenden.
Der Senat ist der Auffassung, dass die Klägerin verfahrensrechtlich nicht wie eine inländische Kapitalgesellschaft behandelt werden muss. Der EuGH fordert in seinem Urteil vom 20.10.2011 C-284/09, Slg 2011, I-9879, Rz. 57, vom Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft hinsichtlich des in seinem nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine gleichwertige Behandlung der gebietsfremden Empfängergesellschaften wie gebietsansässige Empfängergesellschaften.
Hierunter ist die Vermeidung des Eintritts einer Definitivbelastung durch den Kapitalertragsteuerabzug zu verstehen, da hierdurch die Kapitalverkehrsfreiheit berührt wird, nicht aber die Übernahme der für Inländer in ihrer Verfahrenssituation – Veranlagung und Steueranrechnung – geltenden Vorschriften.
Mangels einer einschlägigen Unionsregelung sind die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats; sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. EuGH-Urteil vom 30.06.2011 C-262/09, Slg 2011, I-5669, Rz. 55).
§ 50d Abs. 1 S. 7 und 8 EStG 2002 analog werden diesen Anforderungen gerecht.
Insbesondere der Äquivalenzgrundsatz ist in der Gesamtbetrachtung der Verjährungsregelungen gewahrt. Die Verjährungsfrist beträgt 4 Jahre, was § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO für gebietsansässige Empfängergesellschaften (im Rahmen der Veranlagung zur Anrechnung der Quellensteuer nach § 31 Abs. 1 KStG 2002, § 36 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 EStG 2002) entspricht. Zwar sind für gebietsfremde Empfängergesellschaften mangels Erklärungspflicht die Regeln über die Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 AO) nicht anwendbar, § 50d Abs. 1 S. 8 EStG 2002 verfügt jedoch über eine spezielle, auch die Klägerin im Streitfall begünstigende Regelung zur Ablaufhemmung, wonach die Verjährungsfrist nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer endet. Hierdurch wird in den Dreiecksverhältnissen des § 50d Abs. 1 EStG 2002 den Fällen von vom Steuerschuldner nicht beeinflussbarer später Steuerentrichtung durch den Entrichtungsschuldner Rechnung getragen.
An der Wahrung des Effektivitätsgrundsatzes bestehen keine Bedenken (vgl. hierzu EuGH-Urteil vom 12.12.2013 C-362/12, juris).
Bei Stellung des Antrags auf Freistellungsbescheid am 18.06.2010 ist Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten:
Zwar beträgt die Frist für den Antrag auf Erstattung vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Kapitalerträge bezogen wurden (§ 50d Abs. 1 S. 7 EStG 2002 analog); die Frist endete somit (regelmäßig) am 31.12.2006. Allerdings endet sie nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer (§ 50d Abs. 1 S. 8 EStG 2002 analog; 05.06.2012), also am 05.12.2012.
cc) Durch die Anwendung der speziellen Verjährungsregeln des § 50d Abs. 1 S. 7 und 8 EStG 2002 analog vermag die Klägerin ihren Anspruch durchzusetzen.
Denn nach den allgemeinen Regeln der AO wäre Festsetzungsverjährung eingetreten.
α) Hiernach beträgt die Verjährungsfrist 4 Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO); sie beginnt nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuer entstanden ist, also mit Ablauf des Jahre 2002 am 31.12.2002. Gründe für eine Anlaufhemmung sind nicht ersichtlich. Sie endet planmäßig am 31.12.2006.
β) Eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 15 AO kommt nicht in Frage.
Hiernach endet die Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner nicht vor Ablauf der gegenüber dem Steuerentrichtungspflichtigen geltenden Festsetzungsfrist, soweit ein Dritter Steuern für Rechnung des Steuerschuldners einzubehalten und abzuführen oder für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten hat.
§ 171 Abs. 15 AO soll einen Gleichlauf der Festsetzungsfristen beim Entrichtungs- und beim Steuerschuldner gewährleisten (vgl. BTDrucks 17/10604, S. 35). Nach der Anwendungsvorschrift des Art. 97 § 10 Abs. 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung gilt die Regelung aber nur für alle am 30.06.2013 noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfristen. Dies bedeutet, dass sowohl die Festsetzungsfrist für die Entrichtungsschuld als auch die Festsetzungsfrist für die Steuerschuld am 30.06.2013 noch nicht abgelaufen sein durften.
Eine bereits abgelaufene Festsetzungsfrist kann durch Einführung des § 171 Abs. 15 AO nicht wieder aufleben (vgl. BFH-Urteil vom 21.09.2017 VIII R 59/14, BStBl II 2018, 163 und vom 16.12.2014 VIII R 30/12, BStBl II 2015, 858).
Im Streitfall waren sowohl die Festsetzungsfrist für die Entrichtungsschuld als auch die Festsetzungsfrist für die Steuerschuld am 30.06.2013 bereits abgelaufen.
Hinsichtlich der Kapitalertragsteuerschuld (vgl. BFH-Urteil vom 21.09.2017 VIII R 59/14, BStBl II 2018, 163) bzw. der Erteilung eines Freistellungsbescheids war für die Klägerin zum 31.12.2006 Festsetzungsverjährung eingetreten.
Die Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerentrichtungspflichtigen, der F-GmbH, beträgt für die Steueranmeldung, die nach § 168 S. 1 AO eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung darstellt, ebenfalls 4 Jahre. Sie beginnt nach § 170 Abs. 1 AO; die Steueranmeldung für die Ausschüttung im Juni 2002 wurde am 12.08.2002 beim Finanzamt abgegeben. Der Ablauf der regulären Festsetzungsverjährung zum 31.12.2006 war wegen des von der F-GmbH erhobenen Einspruchs nach § 171 Abs. 3a AO bis zur Rücknahme des Einspruchs am 22.05.2012 (nur) bis zu diesem Tag gehemmt.
Damit ist § 171 Abs. 15 AO hier nicht anwendbar.
γ) Der Ablauf der Festsetzungsverjährung ist auch nicht nach § 171 Abs. 3, 3a AO gehemmt.
Die Festsetzungsfrist für die F-GmbH als Steuerentrichtungspflichtigen war, wie eben dargestellt, bis 22.05.2012 nicht abgelaufen.
Während dieser „offenen“ Festsetzungsfrist stellte die Klägerin als Steuerschuldnerin am 18.06.2010 den Antrag auf Erteilung des Freistellungsbescheids. Sie kann jedoch von der Hemmung der Festsetzungsfrist gegenüber der F-GmbH nicht profitieren. Eine „Verschachtelung“ der Festsetzungsfristen des Steuerentrichtungspflichtigen und des Steuerschuldners steht nicht im Einklang mit dem Verständnis der Festsetzungsfristen vor Einführung des § 171 Abs. 15 AO.
Denn vor Einführung des § 171 Abs. 15 AO war die rein personenbezogene Wirkung der Ablaufhemmung unumstritten und wurde auch von der Rechtsprechung (vgl. BFH vom 13.12.2011 II R 52/09, BFH/NV 2012, 695) so gesehen (weitere Nachweise bei Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 171 AO, Rz. 107).
Im vorliegenden Fall wirkt sich die rein personenbezogene Wirkung der Ablaufhemmung für die Klägerin ungünstig aus; „ihre“ Festsetzungsverjährung wird nicht mithilfe der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO für die F-GmbH gehemmt.
δ) Auch nach § 171 Abs. 14 AO wird die Verjährung nicht gehemmt.
Hiernach endet die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt ist (§ 228 AO).
Der Zweck des § 171 Abs. 14 AO besteht darin, zu Gunsten des Finanzamts zu vermeiden, dass der Steuerpflichtige mit der Begründung, der Steuerbescheid sei unwirksam bekannt gegeben worden, innerhalb der fünfjährigen Zahlungsverjährungsfrist eine Erstattung der gezahlten Steuern verlangen kann, ohne dass das Finanzamt die Steuerfestsetzung innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist durch wirksame Bekanntgabe des Steuerbescheids nachholen könnte (BFH-Beschluss vom 16.11.2011 V B 34/11, BFH/NV 2012, 373, Rz. 6; BFH-Urteil vom 13. März 2001 VIII R 37/00, BStBl II 2001, 430, Rz. 10 ff; zur Verfassungsmäßigkeit Beschluss des BVerfG vom 18.02.2003 2 BvR 1114/01, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2003, 718).
Diese Zielrichtung und Konstellation decken sich nicht mit dem vorliegenden Streitfall. § 171 Abs. 14 AO geht von der Rechtsgrundlosigkeit der gezahlten Steuer und einem vorhandenen Erstattungsanspruch aus. Vorliegend besteht jedoch ein Rechtsgrund in Form der bestandskräftigen Steueranmeldung durch die F-GmbH und es geht darum, die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch erst durch das Erlangen eines Freistellungsbescheids zu schaffen (vgl. BFH-Urteil vom 22.04.2009 I R 53/07, BFH/NV 2009, 1543, Rz. 11).
i) Einer Berücksichtigung der Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG 2002 bedarf es nicht. Nach Auffassung des Senats ist dessen analoge Anwendung nicht geboten.
Das BFH-Urteil I R 25/10 trifft hierzu keine Aussage.
aa) Eine ausländische Gesellschaft hat nach § 50d Abs. 3 EStG 2002 keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet.
bb) Zum einen spricht für die Nichtanwendbarkeit des § 50d Abs. 3 EStG 2002 analog schon der Grundgedanken, wonach Rechtsfortbildung, insbesondere Analogie, die zur Steuervergünstigung führt, zulässig ist, dagegen die Schaffung oder Erweiterung von Steuertatbeständen im Weg der Rechtsfortbildung unzulässig sind (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO, Rz. 360, 362, 363 m.w.N.). Unter eine in diesem Sinn unzulässige Rechtsfortbildung fiele auch die analoge Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG 2002, der eine Entlastung auch im Weg der Freistellung und Erstattung nach § 50d Abs. 1 EStG 2002 versagt, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
cc) Ferner bestehen Bedenken, ob hierdurch ein der Kapitalverkehrsfreiheit entsprechendes Ziel erreicht werden könnte. Durch § 50d Abs. 3 EStG 2002 würde eine der Klägerin gemeinschaftsrechtlich aus Primärrecht zustehende Steuervergünstigung eingeschränkt.
α) Der EuGH fordert in seinem Urteil vom 20.10.2011 C-284/09, Slg 2011, I-9879, Rz. 57, vom Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft hinsichtlich des in seinem nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine gleichwertige Behandlung der gebietsfremden Empfängergesellschaften mit gebietsansässigen Empfängergesellschaften.
Bei gebietsangehörigen Empfängergesellschaften ist die Steuerfreistellung der Dividenden nach § 8b Abs. 1 S. 1 KStG 2002 unabhängig von den in § 50d Abs. 3 EStG 2002 aufgestellten Anforderungen. Gleiches gilt für die Anrechnung der Quellensteuer nach § 31 Abs. 1 KStG 2002, § 36 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 EStG 2002 bzw. Erstattung gemäß § 31 Abs. 1 KStG 2002, § 36 Abs. 2 und 4 S. 2 EStG 2002 im Rahmen der Veranlagung.
Bei Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG 2002 analog in Folge der analogen Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG 2002 läge somit keine gleichwertige Behandlung vor und damit ein (möglicher) Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit.
β) In jüngeren Entscheidungen zu § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 (EuGH-Urteil vom 20.12.2017 C-504/16 und C-613/16, juris, vgl. hierzu BMF-Schreiben vom 04.04.2018, IV B 3 – S 2411/07/10016-14, juris) und zu einer ähnlichen Vorschrift des französischen Code général des impôts (EuGH-Urteil vom 07.09.2017 C-6/16, juris), bei denen jeweils der Anwendungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie eröffnet war, sieht der EuGH die Niederlassungsfreiheit berührt. Er führt aus, eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit könne durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, zu denen auch die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung und die Wahl einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedsstaaten gehörten. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsbeurteilung hält der EuGH eine individuelle Prüfung durch die Behörden unter Würdigung des Vorgangs als Ganzes für notwendig; diese könnten sich nicht darauf beschränken, vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden. Das Ausnehmen bestimmter Gruppen bestimmter Steuerpflichtiger, ohne Anfangsbeweis oder Indiz für Steuerhinterziehung oder Missbrauch beizubringen, ginge über das zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und Missbräuchen Erforderliche hinaus. In beiden Fällen verstieß die nationale Regelung gegen Gemeinschaftsrecht.
γ) Der Senat bezieht die Ausführungen des EuGH in seine Erwägungen ein, ob für die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG 2002 die oben unter 2 g) bb) genannten Voraussetzungen der Analogie erfüllt sind. Dies ist zu verneinen.
Der Senat hält die Rechtsgedanken der Entscheidungen C-504/16 und C-613/16 für auf den vorliegenden Streitfall übertragbar.
§ 50d Abs. 3 EStG in der Fassung 2002 und in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 sind zum Teil wortgleich. Beide enthalten die Formulierung „soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten“.
Der Rechtfertigungsgrund der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses im Bereich der Kapitalverkehrsfreiheit ist in Bezug auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit gleichermaßen zu beurteilen wie im Rahmen der Niederlassungsfreiheit.
Der Senat hat Bedenken, ob ein einen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigender Grund, nämlich die Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen, unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorliegen kann und damit ob mit der analogen Anwendung ein der Kapitalverkehrsfreiheit entsprechendes Ziel erreicht werden kann. Angesichts dessen ist eine analoge Anwendung nicht geboten.
Zunächst ist fraglich, ob eine planwidrige Regelungslücke hinsichtlich der durch § 50d Abs. 3 EStG 2002 erfolgenden Einschränkung von Grundfreiheiten überhaupt vorliegen kann, wenn eine Regelung gerade zur Gewährleistung der Kapitalverkehrsfreiheit durchgesetzt werden soll.
Daneben bestehen erhebliche Zweifel, ob die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG 2002 geeignet ist, eine Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses zu rechtfertigen. Zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen stellt die Vorschrift nicht auf eine individuelle Prüfung durch die Behörden unter Würdigung des Vorgangs als Ganzes ab, sondern wendet nach ihrem Wortlaut auch vorgegebene allgemeine Kriterien an.
Der EuGH führt in der Entscheidung vom 17.12.2017 C-504/16 und C-613/16, a.a.O., Rz. 63, 96, 97, zu § 50d Abs. 3 EStG Jahressteuergesetz 2007 aus, die Beteiligung von Personen, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, bedeute für sich allein nicht, dass eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion vorliege, die einzig und allein zur ungerechtfertigten Nutzung eines Steuervorteils geschaffen wurde. Auch nach § 50d Abs. 3 EStG 2002 führt jedoch schon das Vorliegen dieses Merkmals – und damit ein vorgegebenes allgemeines Kriterium – zum Ausschluss des Anspruchs auf Entlastung von der Kapitalertragsteuer.
Die Revision ist zuzulassen, da die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs in Bezug auf den Umfang der analogen Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG bei Erteilung eines Freistellungsbescheids gemäß § 155 Abs. 1 S. 3 AO erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Die Problematik reicht für unionsrechtliche Erstattungsansprüche über das Streitjahr 2002 hinaus.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 135 Abs. 1 und 143 Abs. 1 FGO.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Einspruchsverfahren wird wegen der Schwierigkeit der zu klärenden Rechtsfrage für notwendig erklärt (§ 139 Abs. 3 S. 3 FGO).