Steuerrecht

Erstattung der Umsatzsteuer

Aktenzeichen  2 K 514/15

Datum:
27.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2017, 1496
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 168, § 218 Abs. 1 S. 1 und 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger ist durch die Ablehnung der Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 2004 und 2005 nicht in seinen Rechten verletzt.
Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind gem. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist für Steuern beträgt gem. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Abweichend von § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach Abs. 1 später beginnt (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO).
Die Umsatzsteuererklärungen 2004 und 2005 wurden am 08.12.2006 beim Finanzamt C. eingereicht. Die Festsetzungsfrist begann daher für beide Jahre mit Ablauf des 31.12.2006 und endete einheitlich für beide Jahre mit Ablauf des 31.12.2010. Die am 28.11.2012 (2005) bzw. 06.06.2013 (2004) gestellten Anträge auf Änderung der Steuerfestsetzungen 2004 und 2005 wurden somit nach Ablauf der Festsetzungsfrist und Eintritt der Festsetzungsverjährung gestellt.
Eine Ablaufhemmung gem. § 171 AO ist nicht eingetreten.
Gem. § 171 Abs. 3a AO läuft die Festsetzungsfrist, wenn ein Steuerbescheid mit einem Einspruch oder Klage angefochten wird, nicht ab bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist; dies gilt auch, wenn der Rechtsbehelf erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingelegt wird. Der am 08.12.2006 in Form der Umsatzsteuerjahreserklärung 2004 eingelegte Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid 2004 wurde durch Abhilfebescheid vom 05.12.2007 und damit innerhalb der Festsetzungsfrist erledigt. Ein Einspruch für 2005 lag nicht vor bzw. wurde nicht nachgewiesen. Die Einsprüche gegen die Ablehnung der Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 2004 und 2005 sind am 01.12.2013 (2004) bzw. 02.01.2013 (2005) eingelegt worden. Sie berühren nicht die bereits am 31.12.2010 eingetretene Festsetzungsverjährung der Umsatzsteuerbescheide 2004 und 2005. Damit liegt nicht ein Fall des § 173 Abs. 3a 2. Halbsatz AO vor. Denn dieser erfasst nur solche Sachverhalte, in denen die Finanzbehörde die Festsetzungsfrist noch gewahrt hat, der Steuerpflichtige den Bescheid aber nicht bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist anzufechten braucht, weil die Rechtsbehelfsfrist länger läuft als die Festsetzungsfrist (vgl. Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO-Kommentar, § 171 AO Tz. 24). Dieser Ausnahmefall ist nicht gegeben.
Gem. § 171 Abs. 4 AO ist der Ablauf der Festsetzungsfrist auch dann gehemmt, wenn mit einer Außenprüfung begonnen oder deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wurde. Die Außenprüfung ist die als solche besonders angeordnete, i.d.R. umfassende Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Besteuerung und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind (BFH-Urteil vom 13.05.1993 IV R 1/91, BStBl II 1993, 828; Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO-Kommentar, § 171 Tz. 32). Da die Prüfungsanordnung die materiell-rechtliche Grundlage der Außenprüfung ist, hemmen Prüfungshandlungen ohne Anordnung oder aufgrund unwirksamer, nichtiger oder auf Anfechtungsklage aufgehobener Anordnung den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht (Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO-Kommentar, § 171 AO Tz. 34a m.w.N. der Rechtsprechung).
Der vom Finanzamt am 03.08.2005 versandte Fragebogen zur steuerlichen Erfassung stellt keine Außenprüfung dar. Der Kläger wurde lediglich aufgefordert, zur Aufnahme seiner unternehmerischen Tätigkeit Stellung zu nehmen. Dies stellt keine umfassende Ermittlung der tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers dar. Auch liegt keine Prüfungsanordnung vor, die unverzichtbare Voraussetzung einer Außenprüfung ist.
§ 171 Abs. 8 AO ist nicht einschlägig. Die Umsatzsteuerfestsetzungen 2004 und 2005 waren weder nach § 165 AO ausgesetzt noch ist die Steuer vorläufig festgesetzt worden.
Auch § 171 Abs. 14 AO ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift endet die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch gem. § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt ist (§ 228). Die Vorschrift ermöglicht es der Finanzbehörde, die Steuerfestsetzung nachzuholen, solange ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO wegen Zahlung ohne rechtlichen Grund noch nicht durch Zahlungsverjährung erloschen ist (BFH-Urteil vom 11.05.1995 V R 136/93, BFH/NV 1996, 1; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO-Kommentar, § 171 AO Rz. 105).
Gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 AO hat, wenn eine Steuer, eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages. Dies gilt gem. Satz 2 auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt. Ob eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, richtet sich regelmäßig nach den der Steuerzahlung zugrunde liegenden Steuerbescheiden. Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO 1977) sind die Steuerbescheide; die Steueranmeldungen (§ 168 AO 1977) stehen den Steuerbescheiden gleich (§ 218 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO 1977). Ob nach materiellem Steuerrecht die Steuer „ohne rechtlichen Grund“ gezahlt wurde, ist hingegen nach der Auslegung des § 37 Abs. 2 AO 1977 durch den Bundesfinanzhof (BFH) nicht maßgeblich (BFH-Urteil vom 28.11.1990 V R 117/86, BStBl II 1991, 281).
Das Bestehen eines Erstattungsanspruchs zugunsten des Klägers ist nicht ersichtlich. Die Umsatzsteuerbescheide 2004 und 2005 weisen jeweils Zahllasten aus. Die Umsatzsteuerzahlungen sind aufgrund bestandskräftiger Bescheide erfolgt, sie stellen den Rechtsgrund für die Zahlungen des Klägers unabhängig von der materiellen Richtigkeit dar. Ein Erstattungsanspruch wegen Steuerfreiheit der Leistungen als Berufsbetreuer kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn die zugrunde liegenden Steuerbescheide wegen der eingetretenen Festsetzungsverjährung nicht mehr aufgehoben oder geändert werden können.
Die materielle Bestandskraft der Steuerbescheide ist nicht gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AO durchbrochen. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO ist nicht einschlägig, weil kein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für einen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wurde. Es liegt auch kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor. Ein rückwirkendes Ereignis ist beispielsweise der Eintritt einer auflösenden Bedingung oder die Anfechtung eines Rechtsgeschäfts. Kein rückwirkendes Ereignis ist hingegen die Änderung der Rechtsprechung; das gilt auch für Urteile des EuGH (BFH-Urteil vom 21.03.1996 XI R 36/95, BStBl II 1996, 399).
Es liegt auch keine Nichtigkeit vor. Verwaltungsakte sind gem. § 125 Abs. 1 AO nichtig, wenn sie an einem besonders schwerwiegenden Mangel leiden, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Ein Verwaltungsakt ist nicht allein deswegen nichtig, weil er der gesetzlichen Grundlage entbehrt oder weil die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften, auch diejenigen des formellen Rechts (Verfahrensrechts), unrichtig angewendet worden sind. Der erforderliche besonders schwere Fehler liegt nur vor, wenn er die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen und offenkundigen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Für Verstöße gegen Unionsrecht ergeben sich insoweit keine Besonderheiten (BFH-Urteil vom 16.09.2010 V R 57/09, BStBl II 2011, 151).
Vorliegend ist kein Nichtigkeitsgrund ersichtlich, insbesondere kann der Auffassung des Klägers, die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide seien wegen der unrichtigen Anwendung von Unionsrecht nichtig, nicht gefolgt werden. Die Umsatzsteuerbescheide 2004 und 2005 leiden nicht an einem offenkundigen Mangel i.S.d. § 125 Abs. 1 AO. Sie entsprechen dem Kenntnisstand bei Erlass der Bescheide, wonach die Umsätze der Berufsbetreuer der Umsatzsteuerpflicht unterlagen. Auch der Kläger hat seine Umsätze in den Umsatzsteuererklärungen für 2004 und 2005 als steuerpflichtig behandelt, das Finanzamt ist dem gefolgt. Ein „offenkundiger“ Mangel ist nicht gegeben.
Eine fehlende Bekanntgabe des Umsatzsteuerbescheids 2005 ist nicht gegeben. Der Kläger hat eine Umsatzsteuererklärung für 2005 eingereicht, die Steueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 AO). Weicht die Behörde nicht von der Erklärung ab, ist kein weiterer Bescheid zu erlassen. Da die für 2005 eingereichte Umsatzsteuererklärung ohne Abweichung verarbeitet worden ist, war ein weiterer Bescheid nicht erforderlich. Den Umsatzsteuerbescheid 2004 hat der Kläger offensichtlich erhalten, da er hiergegen Einspruch eingelegt hat.
Auch eine Berufung auf das Urteil des EuGH in Sachen Emmott führt nicht zum Erfolg. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 25.07.1991 C-208/90, Emmott, Slg. 1991, I-4269 Rdnr. 23) kann sich ein säumiger Mitgliedstaat zwar bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie unter bestimmten Voraussetzungen nicht auf die verspätete Einlegung einer Klage berufen. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern setzt das Vorliegen besonderer Umstände voraus, die sich in der Rechtssache Emmott daraus ergaben, dass ein Bürger eines Mitgliedstaates von dessen Behörden zunächst von der rechtzeitigen Einlegung einer Klage abgehalten und ihm später der Einwand der verspäteten Klageerhebung entgegen gehalten wurde (EuGH-Urteil vom 24.03.2009 C-445/06, Danske Slagterier, Slg. 2009, I-2119 Rdnr. 53-54).
Eine derartige Fallgestaltung ist hier nicht gegeben, denn der Kläger ist nicht vom Finanzamt gehindert worden, innerhalb der allgemeinen Fristen die Umsatzsteuerfestsetzungen 2004 und 2005 anzufechten. Bereits mit Urteil vom 17.02.2009 XI R 67/06 (BFH/NV 2009, 869) hat der BFH über die Umsatzsteuerbefreiung für Betreuungsleistungen entschieden. Der Kläger hätte somit Anlass und Gelegenheit gehabt, gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen vorzugehen, um die Verfahren offen zu halten.
Das Unionsrecht verlangt auf Grundlage der aus Art. 10 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG) abgeleiteten Prinzipien der Effektivität und der Äquivalenz nur, dass die Mitgliedstaaten die verfahrensrechtlichen Fristen, die zur Durchsetzung des Unionsrechts einzuhalten sind, nicht ungünstiger ausgestalten als in den nur das innerstaatliche Recht betreffenden Verfahren. Weiter darf es nicht praktisch unmöglich sein, eine auf das Unionsrecht gestützte Rechtsposition geltend zu machen. Danach sind Verwaltungsakte, die nach Ablauf einer angemessenen Frist nicht mehr anfechtbar sind, selbst wenn sie gegen das Unionsrecht verstoßen, für die Beteiligten bindend (BFH-Urteil vom 16.09.2010 V R 57/09, BStBl II 2011, 151, Rn. 30 unter Hinweis auf EuGH-Entscheidungen vom 13.01.2004 C-453/00, Kühne & Heitz, Slg. 2004, I-837, Rdnr. 24; I-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, Rdnr. 51). Im Streitfall war es dem Kläger nicht unmöglich, die Umsatzsteuerfestsetzungen 2004 und 2005 vor Ablauf der angemessenen Festsetzungsfristen anzufechten. Im Interesse der Rechtssicherheit ist der Kläger an die festsetzungsverjährten Steuerfestsetzungen gebunden.
Unter den genannten Voraussetzungen kommt es auf den Vortrag des Klägers zum Abrechnungsmodus nach dem Vormünder- und Betreuer-Vergütungsgesetz oder wann der Vergütungsantrag nicht als Rechnung anzusehen ist (vgl. Protokoll zur mündlichen Verhandlung am 27.09.2016; Schriftsatz des Klägers vom 28.09.2016 mit Anlage BMF-Schreiben vom 22.11.2013), nicht an.
Danach ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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