Aktenzeichen VI R 38/12
§ 10 Abs 1 Nr 7 EStG 2009 vom 07.12.2011
§ 12 Nr 5 EStG 2009 vom 07.12.2011
§ 4 Abs 9 EStG 2009 vom 07.12.2011
§ 52 Abs 23d S 5 EStG 2009 vom 07.12.2011
§ 52 Abs 12 S 11 EStG 2009 vom 07.12.2011
Art 3 Abs 1 GG
Art 100 Abs 1 GG
§ 80 Abs 1 BVerfGG
§ 80 Abs 2 S 1 BVerfGG
EStG VZ 2007
Art 12 GG
EStG VZ 2006
Verfahrensgang
vorgehend FG Köln, 22. Mai 2012, Az: 15 K 3413/09, Urteilnachgehend BVerfG, 19. November 2019, Az: 2 BvL 22/14, Beschluss
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 9 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592) insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als danach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet und auch keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindern.
Tatbestand
1
A. Gegenstand der Vorlage (Sachverhalt, Entscheidung des Finanzgerichts –FG– und Vortrag der Beteiligten)
2
Streitig ist, ob eine Ausbildung zum Berufspiloten, die zwar nach Beginn eines Studiums begonnen, jedoch schon vor dem Ende des Studiums erfolgreich abgeschlossen wurde, als erstmalige Berufsausbildung gilt.
3
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) studierte seit 2001 an der Universität A BWL mit Schwerpunkt Verkehrswissenschaften. In der Zeit vom 15. Februar bis 26. Juni 2006 studierte er an der B in C. Nachdem er dort alle Prüfungen abgelegt hatte, flog er bereits am 22. April 2006 von C nach A zurück. Der Kläger erhielt am 13. August 2007 von der Universität A das Thema seiner Diplomarbeit; er reichte die Arbeit am 10. September 2007 beim Prüfungsamt ein, erhielt dafür am 13. November 2007 die Note “gut” und schloss damit am gleichen Tag die Diplomprüfung ab. Die letzte Prüfungsleistung wurde laut Prüfungsamt am 10. September 2007 durch Einreichung der Diplomarbeit erbracht (s. Schreiben der Universität A vom 2. Mai 2012).
4
Am 3. März 2006 schloss der Kläger mit der E-GmbH (E) nach erfolgreichem Auswahlverfahren eine Vereinbarung über seine Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer. Am 24. April 2006 begann in der Flugschule T die 18-monatige, in drei Vollzeit-Semester eingeteilte Ausbildung, deren Kosten der Kläger selbst zu tragen hatte. E bot dem Kläger für den Fall der erfolgreich abgeschlossenen Schulung und eines entsprechenden Bedarfs an Piloten und Copiloten einen weiterführenden Schulungsvertrag zum Erwerb der Musterberechtigung auf einem bei E geflogenen Flugzeugmuster sowie einen Cockpitarbeitsplatz an. Nach abgeschlossener Ausbildung war der Kläger seit September 2007 bei E als Verkehrsflugzeugführer beschäftigt und vom 9. bis 14. September 2007 in G beim sog. “Type Rating”.
5
Der Kläger machte mit seiner Einkommensteuererklärung 2006 die Ausbildungskosten zum Berufspiloten in Höhe von insgesamt 20.246 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend und beantragte die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2006.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) lehnte die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags ab und setzte die Einkommensteuer 2006 unter Berücksichtigung der Berufsausbildungskosten als Sonderausgaben in Höhe von 4.000 € auf 0 € fest.
7
Mit der Einkommensteuererklärung für 2007 beantragte der Kläger die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2007 und machte als Werbungskosten Aufwendungen in Höhe von insgesamt 31.594 € geltend, davon entfielen 28.584 € auf Berufsausbildungskosten.
8
Das FA berücksichtigte auch hier die Berufsausbildungskosten nicht als Werbungskosten, sondern nur als Sonderausgaben in Höhe von 4000 €.
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Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das FG mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 1735 veröffentlichten Gründen abgewiesen.
10
Nach §§ 9 Abs. 6, 12 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (BeitrRLUmsG) vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592) dürften Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für sein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittele, nicht als Werbungskosten abgezogen werden, soweit dieses nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinde.
11
Die rückwirkend ab 2004 geltenden Regelungen (§ 52 Abs. 23d und 30a EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) ließen keinen Verfassungsverstoß erkennen. Das FG nahm insoweit Bezug auf die Ausführungen des FG Düsseldorf in dessen Urteil vom 14. Dezember 2011 14 K 4407/10 F (EFG 2012, 686, m. Anm. Korte, Revision VI R 2/12) und des FG Münster in dessen Urteil vom 20. Dezember 2011 5 K 3975/09 F (EFG 2012, 612, m. Anm. Trossen, Revision VI R 8/12).
12
Hier liege eine Erstausbildung vor, weil der Kläger seine weitere Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer bereits vor dem förmlichen Abschluss seines Betriebswirtschaftsstudiums begonnen habe und ausweislich seiner Einkommensteuererklärung in 2007 noch an 80 Tagen zur Universität gefahren sei, also etwa ein bis zwei Tage pro Woche. Der Kläger sei also bis zum Abschluss der Diplomprüfung im Studienbetrieb involviert gewesen.
13
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen (Verfassungs-)Rechts.
14
Zum einen seien die Ausbildungskosten des Klägers als Werbungskosten zu berücksichtigen, weil die Neuregelung durch das BeitrRLUmsG in verfassungswidriger Weise rückwirke und darüber hinaus gegen das objektive Nettoprinzip verstoße. Im Weiteren liege im Streitfall mit der Ausbildung als Berufspilot eine Zweitausbildung vor. Denn der Kläger habe zuvor ein Studium absolviert und erst danach die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer begonnen.
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Der Kläger beantragt,das Urteil des FG Köln aufzuheben und unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2006 vom 28. Dezember 2007 und auf den 31. Dezember 2007 vom 25. September 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2009 das FA zu verpflichten, den verbleibenden Verlustvortrag auf den 31. Dezember 2006 auf 20.246 € und auf den 31. Dezember 2007 auf 11.836 € festzustellen, sowie unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2007 vom 25. September 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2009 die Einkommensteuer 2007 auf 0 € festzusetzen.
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Das FA beantragt,die Revision zurückzuweisen.
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Die rückwirkende Anwendung der gesetzlichen Neuregelung sei zulässig.