Steuerrecht

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 19.7.2011 X R 26/10 – Bildung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen)

Aktenzeichen  X R 8/10

Datum:
19.7.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 5 Abs 1 EStG 2002
§ 6 Abs 1 Nr 3a Buchst b EStG 2002
§ 6 Abs 1 Nr 3a Buchst e EStG 2002
Spruchkörper:
10. Senat

Leitsatz

1. NV: Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes sind zu bilden, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält (Anschluss an BFH-Urteile vom 28. Juli 2004 XI R 63/03, BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866, und vom 9. Dezember 2009 X R 41/07, BFH/NV 2010, 860).
2. NV: Den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Regelungen des EStG lässt sich keine Beschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen entnehmen.
3. NV: Für die Beurteilung der Wesentlichkeit ist nicht auf die künftigen Betreuungsaufwendungen für den einzelnen Vertrag, sondern auf die im Unternehmen des Steuerpflichtigen künftig insgesamt anfallenden Aufwendungen für die Betreuung abzustellen.
4. NV: Eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen setzt voraus, dass der Steuerpflichtige zur Betreuung der Versicherungen rechtlich verpflichtet ist.
5. NV: Die Nachbetreuungsverpflichtung ist eine Sachleistungsverpflichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG; sie ist mit den Einzelkosten und den Gemeinkosten zu bewerten und gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG abzuzinsen.
6. NV: Einbezogen werden dürfen nur Leistungen für die Betreuung bereits abgeschlossener Verträge. Werbeleistungen mit dem Ziel, Kunden (auch Bestandskunden) zu neuen Vertragsabschlüssen zu veranlassen (Einwerbung von Neugeschäften), sind nicht rückstellbar.
7. NV: Für die Höhe der Rückstellung ist der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro Vertrag und Jahr von entscheidender Bedeutung; der (voraussichtliche) Zeitaufwand ist im Einzelnen darzulegen.
8. NV: Die Aufzeichnungen müssen so konkret und spezifiziert sein, dass eine angemessene Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen möglich ist; die Aufzeichnungen sind “vertragsbezogen” zu führen.
9. NV: Die Richtigkeit der vorgenommenen Aufzeichnungen kann im Einzelfall verprobt werden durch eine Gegenüberstellung von Verträgen ohne Bestandspflegeprovision mit Verträgen mit Bestandspflegeprovision.
10. NV: Der Steuerpflichtige trägt im Fall eines “non-liquet” die Feststellungslast (objektive Beweislast) für die von ihm behaupteten Aufwendungen für nachträgliche Betreuungsleistungen.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 25. Februar 2010, Az: 6 K 1571/07, Urteilnachgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 4. Juni 2013, Az: 6 K 2289/11, Urteilnachgehend BFH, 9. Juni 2015, Az: X R 27/13, Urteil

Tatbestand

1
I. Streitig sind Rückstellungen eines Versicherungsvertreters wegen Erfüllungsrückstandes aufgrund der Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen, für die er nur Abschlussprovisionen erhalten hat.
2
Der mit seiner Ehefrau zusammenveranlagte Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als selbstständiger Versicherungskaufmann für die A-Versicherung tätig. Er ermittelt seinen Gewinn gemäß §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
3
Laut Steuererklärung betrug sein Verlust im Streitjahr 2005  126.281 €. Gewinnmindernd hatte er eine Rückstellung in Höhe von 284.609 € für die Kosten der Betreuung von Lebens- und Sachversicherungsverträgen gebildet. Dabei setzte der Kläger einen Nachbetreuungsaufwand von zwei Stunden je Wirtschaftsjahr und Vertrag an.
4
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) berücksichtigte die Rückstellung nicht und legte dem Einkommensteuerbescheid 2005 einen Gewinn in Höhe von 158.328 € zugrunde.
5
Die Kläger erhoben Einspruch und beriefen sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. Juli 2004 XI R 63/03 (BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866), nach dem der Versicherungsvertreter eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden habe, wenn er vom Versicherungsunternehmen die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrages erhalten habe. Der Einspruch hatte insoweit keinen Erfolg.
6
Während des Klageverfahrens legten die Kläger u.a. ein Schreiben der A-Versicherung vom 5. Oktober 2005 vor, mit dem diese bestätigt, dass der Kläger mit dem Agenturvertrag vom 1. April 2001 folgende Vertragsverpflichtungen übernommen hatte:
– Vermittlung von Lebens- und Sachversicherungen,
– Betreuung und Erhaltung des Bestandes von Sach-, Lebens- und Rentenversicherungsverträgen.
7
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt. Der BFH habe mit Urteil in BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866 entschieden, dass nach diesen Grundsätzen ein Versicherungsvertreter, der für die Vermittlung von Lebensversicherungen Provisionen erhalten habe, mit denen auch die künftige Betreuung dieser Verträge abgegolten war, eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden habe. Im Anschluss an das Urteil des FG Münster vom 2. Dezember 2008  9 K 4216/07 K (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 454) schätzte das FG den Nachbetreuungsaufwand auf 20 Minuten je Vertrag und Jahr. Dabei sei der vom Kläger angesetzte Stundenlohn –je nach Mitarbeiter 14 €, 19 € und 22 €– zugrunde zu legen.
8
Mit der Revision machen die Kläger geltend, die Anerkennung einer Rückstellung dem Grunde nach entspreche der BFH-Rechtsprechung. Bezüglich der Höhe der Rückstellung sei zu berücksichtigen, dass die Betreuungstätigkeiten einen wesentlichen Umfang einnähmen. Der Umfang von zwei Stunden pro Vertrag (pro Jahr) könne nur durch einen Sachverständigen festgestellt werden.
9
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 vom 8. August 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. März 2007 dahingehend zu ändern, dass Rückstellungen für Nachbetreuungskosten in Höhe von 284.609 € anerkannt werden; die Kläger beantragen weiter, die Revision des FA zurückzuweisen.
10
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Revision der Kläger zurückzuweisen.
11
In Übereinstimmung mit dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 28. November 2006 IV B 2 -S 2137- 73/06 (BStBl I 2006, 765) setze die Bildung einer Rückstellung eine ungewisse Verbindlichkeit voraus, die den Verpflichteten aus wirtschaftlicher Sicht wesentlich belaste. Die Nachbetreuung laufender Lebensversicherungsverträge stelle für den Versicherungsvertreter keine wirtschaftlich wesentlich belastende Verpflichtung dar. Mit Abschluss des Vertrags sei die Arbeit für den Versicherungsvertreter im Regelfall erledigt; die Zahlung einer einmaligen Abschlussprovision spiegele die tatsächlich zu erbringende Arbeitsleistung des Versicherungsvertreters ausreichend wider.
12
Der Schätzung des FG fehle jegliche gesicherte Basis. Das FG führe selbst aus, dass eine Sachaufklärung durch Sachverständige oder Befragung von Mitarbeitern nicht möglich sei und der objektive Zeitaufwand nicht ermittelt werden könne. Dennoch komme das FG zu dem Ergebnis, dass ein Zeitaufwand von 20 Minuten je Vertrag für Nachbetreuung anzusetzen sei. Nachgewiesener Betreuungsaufwand liege unstreitig nicht vor.
13
Die Ausführungen der Kläger ließen erkennen, dass Nachbetreuungen lediglich in Ausnahmefällen in Betracht kämen. Die geltend gemachten Nachbetreuungsleistungen seien weder nachgewiesen noch objektiv greifbar.
14
Im Klageverfahren sei ein entsprechender Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht verfolgt worden; mangelnde Sachaufklärung sei in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt worden.

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