Aktenzeichen 7 K 2351/18
BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung der Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2014 im Schätzungswege.
Die Klägerin betreibt eine Tierheil- und Homöopathiepraxis. Im Veranlagungszeitraum 2010 erklärte sie negative Einkommen aus selbständiger Arbeit von 1.005 € und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von 1.800 € (vgl. Einkommensteuerbescheid vom 7. Mai 2013).
Mangels Abgabe von Steuererklärungen in den Jahren 2011 bis 2013 schätzte das Finanzamt die Einkommensteuer und Umsatzsteuer, vgl. Bescheide vom 2. Juli 2014 (2011), 2. Juli 2014 (2012) und 7. Mai 2015 (2013). Dabei wurden unter anderem die Einkünfte aus selbständiger Arbeit mit 3.000 € (2011), 3.000 € (2012) und 4.000 € (2013) und aus Vermietung und Verpachtung mit 1.800 € (2011), mit 1.800 € (2012) und 2.500 € (2013) angesetzt.
Nachdem die Klägerin trotz entsprechender Aufforderung auch keine Steuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 2014 abgegeben hatte, nahm das Finanzamt wiederum eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vor. Dabei berücksichtigte es unter anderem Einkünfte aus selbständiger Arbeit von 5.000 € und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von 3.500 €. Im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung setzte das Finanzamt steuerfreie Umsätze von 3.500 € und 3.000 € steuerpflichtige Umsätze sowie Vorsteuern von 300 € an. Mit Bescheid jeweils vom 17. November 2015 wurde die Einkommensteuer mit 745 € und die Umsatzsteuer mit 460 € unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) festgesetzt. Mit Bescheid jeweils vom 10. November 2017, der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:versehen war, wurde der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 AO aufgehoben. Die Klägerin hat keinen Einspruch gegen diese Bescheide eingelegt.
Mit Schreiben vom 13. März 2018, das am 15. März 2018 beim Finanzamt eingegangen ist, reichte die Klägerin eine als Abrechnung 2014 bezeichnete Aufstellung über ihre Einnahmen, Ausgaben, Spenden und Rentenbezüge ein. Darin teilte sie unter anderem mit, dass die früheren Mieteinnahmen von ihrer im September 2010 verstorbenen Mutter stammten und sie seither keine Mieteinnahmen mehr habe. Ihre Erlöse aus der Tierheilpraxis (umsatzsteuerpflichtig) gab sie mit 1.273 € (Brutto) und aus der Homöopathiepraxis mit 2.833 € an. Die Betriebsausgaben beliefen sich auf 1.844,23 €. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Aufstellung der Klägerin in den Finanzamtsakten verwiesen. Mit Schreiben vom 16. März 2018 teilte das Finanzamt der Klägerin mit, dass das Schreiben vom 13. März 2018 als Änderungsantrag gewertet werde, jedoch nicht mehr berücksichtigt werden könne. Mit dagegen gerichteten Einspruch vom 28. März 2018 wandte die Klägerin ein, dass die Schätzung nicht nachvollziehbar sei. Mit 75 Jahren sei die Erzielung der vom Finanzamt unterstellten Einnahmen vollkommen unrealistisch. Mit Entscheidung vom 31. Juli 2018 wies das Finanzamt den Einspruch jedoch als unbegründet zurück.
Mit der hiergegen eingelegten Klage wiederholt und vertieft die Klägerin ihren Vortrag aus dem Einspruchsverfahren. Die Schätzung des Finanzamts sei willkürlich und benachteiligend. Sie habe dem Finanzamt mit der für das Jahr 2010 erstellten Abrechnung vom 16. April 2013 in dem Formular Vermietung und Verpachtung mitgeteilt, dass sie die Mieteinnahmen im Zeitraum Januar bis September 2010 wegen der Unterbringung und Aufnahme der pflegebedürftigen Mutter erzielt habe und diese Ende September verstorben sei. Somit sei klar ersichtlich, dass nach dem Tod der Mutter keine weiteren Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung erzielt worden seien. Bei den Mieteinnahmen habe es sich somit um eine vorübergehende, auf die Lebenszeit der Mutter begrenzte Angelegenheit gehandelt. Sie habe mit erheblichen privaten Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Auch die vom Finanzamt veranschlagten Einnahmen aus ihrer Praxis hätten in dieser Höhe niemals erzielt werden können. Im Zusammenhang mit einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24. Februar 2016 habe sie den Eindruck gewonnen, dass das Finanzamt zwar immer kassiere und Säumniszuschläge festsetze, jedoch nicht zum Vorteil des Steuerzahlers entscheide.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Bescheide zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2014 jeweils vom 10. November 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2018 aufzuheben und die Einkommensteuer und Umsatzsteuer entsprechend der Ein- und Ausgabenaufstellung vom 13. März 2018 festzusetzen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten sowie auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Absatz 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -).
II.
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Änderung der Festsetzung der Einkommensteuer und der Umsatzsteuer für das Jahr 2014.
1. Der Einkommensteuerbescheid und der Umsatzsteuerbescheid vom 10. November 2017 sind bestandskräftig, da die Klägerin innerhalb der Einspruchsfrist keinen Einspruch eingelegt hat (vgl. § 355 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 108 Abs. 1 und Abs. 3 AO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Die Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit verbieten Durchbrechungen der Bestandskraft und verlangen einen rechtsbeständigen Abschluss des Verwaltungsverfahrens mit der Folge, dass im Einzelfall auch materiell unrichtige Steuerbescheide in Kauf genommen werden müssen (vgl. Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 29. Juli 2008 2 K 1697/2007, juris m.w.N.). Der Gesetzgeber hat die Korrekturmöglichkeiten im Wesentlichen auf die Fälle beschränkt, in denen Tatsachen und Beweismittel nachträglich bekannt werden (vgl. § 173 AO). Darüber hinaus erlangt ein bestandskräftiger Steuerbescheid nur dann keine Wirksamkeit, wenn er nichtig ist.
2. Die Änderung der Steuerbescheide zugunsten der Klägerin gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO ist ausgeschlossen, weil die Klägerin am nachträglichen Bekanntwerden der Besteuerungsgrundlagen ein grobes Verschulden trifft. Sie hat weder rechtzeitig Steuererklärungen für das Jahr 2014 eingereicht noch gegen die im Schätzungswege erlassenen Steuerbescheide Einspruch eingelegt. Der Ausschluss der Korrekturmöglichkeit entspricht wegen der Sachnähe des Steuerpflichtigen zu den besteuerungsrelevanten Tatsachen und Beweismitteln den verfassungsrechtlichen Vorgaben (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH, vgl. BFH-Urteil vom 16. September 1987 II R 178/85, BStBl. II 1988, 174). Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO sind somit im Streitfall nicht gegeben.
2. Nichtigkeitsgründe, die den Steuerbescheid ausnahmsweise unbeachtlich machen würden, liegen ebenfalls nicht vor.
Nichtig ist ein Verwaltungsakt nach § 125 Abs. 1 AO, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Mangel leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, lässt sich nicht generell, sondern nur von Fall zu Fall entscheiden (BFH-Beschluss vom 30. November 1987 VIII B 3/87, BStBl. II 1988, 183). Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil ihm die gesetzliche Grundlage fehlt oder weil er auf unrichtiger Rechtsanwendung beruht. Er verdient nur dann ausnahmsweise keine Beachtung, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen (vgl. Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 29. Juli 2008 2 K 1697/2007, juris m.w.N.).
3. Im Streitfall weisen die angefochtenen Steuerbescheide keine Mängel von solchem Gewicht auf, dass Nichtigkeit anzunehmen wäre. Ein Nichtigkeitsgrund ergibt sich weder unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Gleichbehandlung bei ermessensbindenden Verwaltungsvorschriften noch aufgrund der Höhe der Schätzung.
Gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln kann. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Erklärungspflichten nicht oder nicht fristgerecht nachkommt.
Im Streitfall hat die Klägerin die Steuererklärungen für das Jahr 2014 nicht innerhalb des dafür vorgesehenen Zeitraums bis 31. Mai 2015 (vgl. § 149 Abs. 2 S. 1 Abgabenordnung in der für das Streitjahr geltenden Fassung) abgegeben. Die Schätzungsbefugnis des Finanzamts steht daher außer Frage.
Auch die Durchführung der Schätzung durch das Finanzamt ist nicht zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) führen selbst grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheids; anders verhält es sich nur, wenn das Finanzamt bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt (vgl. Beschluss des BFH vom 28. Dezember 2001 V B 148/01, BFH/NV 2002, 682).
Eine Schätzung ist nicht schon deswegen rechtswidrig, weil sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht; solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Eine Schätzung erweist sich vielmehr erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. Wird eine Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will. Verlässt eine überzogene Schätzung diesen Rahmen, hat dies im Allgemeinen nur die Rechtswidrigkeit der Schätzung, nicht aber bereits ihre Nichtigkeit zur Folge. Nichtigkeit ist selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen.
Vorliegend ist eine Willkür- oder Strafschätzung durch das Finanzamt jedoch nicht erkennbar. Es ist nicht erkennbar, dass das Finanzamt bewusst zum Nachteil der Klägerin geschätzt hat. Das Finanzamt hat offensichtlich an die vorhandenen Informationen angeknüpft. Es ist erkennbar, dass es sich an den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen orientieren will und diejenigen Erkenntnismittel, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich gewesen wäre, ausgeschöpft hat. Die Schätzungen waren aufgrund der fehlenden Steuererklärungen notwendig geworden und verließen den durch die Umstände des Einzelfalls gezogenen Schätzungsrahmen nicht. Die geschätzten Einkünfte aus selbständiger Arbeit von 5.000 € und aus Vermietung und Verpachtung von 3.500 € sind denkbar und möglich, ebenso wie die im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung geschätzten steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätze. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Finanzamt Schätzungen an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens vornehmen darf und dem Finanzamt keine Erkenntnisse dafür vorlagen, dass und warum die Einkünfte der Klägerin diese Größenordnung schlechterdings nicht sollten erreichen können. Soweit die nachgereichten Erklärungen deutlich geringere Einkünfte auswiesen, wären etwaige -deren inhaltliche Richtigkeit wiederum unterstelltsich hieraus ergebende Abweichungen von den tatsächlichen Verhältnissen notwendige Folge der Schätzungen.
Die Klägerin muss sich insbesondere auch entgegenhalten lassen, dass sie letztmals für das Jahr 2010 Angaben zu ihren steuerlichen Verhältnissen gemacht hat. Gegen die ebenfalls im Schätzungswege erfolgten Steuerfestsetzungen für die dem Streitjahr 2014 vorangegangenen Jahre, in denen ebenfalls Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung angesetzt worden waren, hat sie keine Einwendungen erhoben. Das Finanzamt konnte daher auch nicht davon ausgehen, dass die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach dem Tod der Mutter im September 2011 weggefallen waren. Im Übrigen erscheint eine Schätzung nicht schon deswegen als rechtswidrig oder gar nichtig, weil sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht; solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt (BFH, Urteil vom 15. Juli 2014 – X R 42/12 -, Rn. 22, juris).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.