Aktenzeichen 7 K 2701/16
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Das Finanzamt hat es zutreffend unterlassen, den Körperschaftsteuerbescheid 2011 zu berichtigen oder zu ändern.
1. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 129 AO liegen nicht vor.
Ein Steuerbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist (§ 164 Abs. 1 AO), kann aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen jederzeit geändert werden, solange der Vorbehalt wirksam ist (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO). Der Vorbehalt ist eine Nebenbestimmung i.S. von § 120 AO, die mit dem Bescheid ergeht, mithin Teil des Bescheids wird. Entscheidend ist der bekanntgegebene Inhalt des Bescheids (Leopold in Leopold/Madle/Rader, AO, § 129 Rz. 3, 10).
Weist der dem Steuerpflichtigen bekannt gegebene Steuerbescheid den Vorbehalt der Nachprüfung versehentlich nicht aus, kann der Bescheid nach der ständigen Rechtsprechung des BFH in diesem Punkt wegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 AO korrigiert werden (BFH-Urteil vom 6. November 2012 VIII R 15/10, BStBl II 2013, 307 m.w.N.), wenn die unterbliebene Aufnahme des Vorbehalts in dem Steuerbescheid auf einem mechanischen Fehler – ähnlich den im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Schreib- und Rechenfehlern – beruht. Die Vorschrift des § 129 AO erfasst somit die Fälle, in denen der bekanntgegebene Inhalt des Verwaltungsakts aus Versehen vom offensichtlich gewollten materiellen Regelungsinhalt abweicht und die Möglichkeit eines Tatsachen- oder Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder unvollständiger Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf den Fehler ausgeschlossen werden kann (BFH-Urteil vom 18. August 1999 I R 93/98, BFH/NV 2000, 539, m.w.N). Offenbar ist eine Unrichtigkeit dann, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (ständige Rechtsprechung, s. etwa BFH-Urteile vom 25. Februar 1992 VII R 8/91, BFHE 168, 6, BStBl II 1992, 713; in BFHE 211, 424, BStBl II 2006, 400; vom 4. Juni 2008 X R 47/07, BFH/NV 2008, 1801; in BFH/NV 2010, 2004, m.w.N.; Leopold in Leopold/Madle/Rader, AO, § 129 Rz. 18).
Ob ein mechanisches Versehen vorlag, ist folglich anhand der objektiv gegebenen und erkennbaren Umstände zu beurteilen, d.h. insbesondere – aber nicht nur – unter Einbeziehung des gesamten Inhalts der Steuerakten. Darauf, ob der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit anhand des Bescheids und der ihm vorliegenden Unterlagen erkennen konnte, kommt es nicht an (BFH-Urteil vom 6. November 2012 VIII R 15/10, BStBl II 2013, 307).
Im Streitfall ist es auszuschließen, dass die Nichtaufnahme des Vorbehaltsvermerks auf einem Versehen und einem mechanischen Fehler des Finanzamts beruhte. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Bearbeiter des Finanzamts den Willen hatte, die Steuerfestsetzung unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen, denn nur dann könnte der bekanntgegebene Inhalt des Verwaltungsakts vom offensichtlich gewollten materiellen Regelungsinhalt abweichen. Vielmehr hat der Bearbeiter die Veranlagung nicht für nachprüfungsrelevant gehalten, ansonsten hätte er im Verfügungsteil auf Seite 6 der Steuererklärung unter Ziff. 12 einen Grund für eine Veranlagung unter Vorbehalt der Nachprüfung angegeben. Da dieses Feld nicht ausgefüllt wurde, war eine Veranlagung unter Vorbehalt der Nachprüfung auch nicht beabsichtigt. Unerheblich für die Frage eines mechanischen Versehens ist der Umstand, dass sich aus der Anlage zur Körperschaftsteuererklärung ergab, dass die Beteiligungseinkünfte aus der Beteiligung an der S L.P. fehlten und die erklärten Einkünfte daher unvollständig waren. Dass der Bearbeiter aus dieser Mitteilung keine Konsequenzen zog – möglicherweise ging er davon aus, dass diese Einkünfte im Rahmen einer gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte mitgeteilt werden mit der Folge einer Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO – beruhte auf einem Rechtsanwendungs- oder Ermittlungsfehler des Bearbeiters. Wie ausgeführt, schließt bereits die Möglichkeit eines Tatsachen- oder Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder unvollständiger Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf den Fehler eine Berichtigung nach § 129 AO aus.
2. Auch eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist wegen eines groben Verschuldens des Steuerpflichtigen am nachträglichen bekannt werden der neuen Tatsachen ausgeschlossen.
a) Nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sind bestandskräftige Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und dem Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt (Loose in Tipke/Kruse, AO, § 173 Rn. 2). Dem Bearbeiter des Finanzamts war zwar aufgrund der eingereichten Körperschaftsteuererklärung 2011 bekannt, dass die Klägerin an der S L.P. beteiligt war und aus dieser Beteiligung Einkünfte erzielt hat. Die Höhe der der Klägerin im Streitjahr erzielten Einkünfte aus dieser Beteiligung ist ein einzelnes Merkmal des Besteuerungstatbestands und war dem Bearbeiter bei der Durchführung der Veranlagung nicht bekannt, da sie in der Steuererklärung nicht mitgeteilt wurde. Sie wurde dem Finanzamt erst nachträglich bekannt, da sie ihm erst mit Schreiben der Klägerin vom 18.04.2013 und damit nach Erlass des Bescheids vom 29.09.2012 mitgeteilt wurde.
b) Die Berücksichtigung des dem Finanzamt nachträglich bekannt gewordenen Beteiligungsverlustes würde auch zu einer niedrigeren Steuer im Sinne von § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO führen. Zwar änderte sich an der Höhe der festgesetzten Körperschaftsteuer nichts, da diese bereits im ursprünglichen Körperschaftsteuerbescheid Null Euro betrug. Jedoch würde sich der negative Gesamtbetrag der Einkünfte von 37.467 € auf einen negativen Gesamtbetrag der Einkünfte von 148.276 € erhöhen mit der Folge, dass der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2011 entsprechend nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d Abs. 4 EStG zu ändern ist. Da durch § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG 2009 i.d.F. des JStG 2010 eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Körperschaftsteuerbescheid bewirkt wird, stellt der Körperschaftsteuerbescheid einen „Quasi-Grundlagenbescheid“ dar (BFH-Urteil vom 7. Dezember 2016 I R 76/14, BStBl II 2017, 704). Die Folge ist, dass die Berücksichtigung eines höheren Verlustes im Körperschaftsteuerbescheid Voraussetzung für die Feststellung eines höheren Verlustvortrags ist, welcher in Zukunft zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führt.
c) Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Letztere ist dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (z.B. BFH-Urteile vom 20. November 2008 III R 107/06, BFH/NV 2009, 545, vom 9. November 2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545). Grob fahrlässiges Handeln liegt insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt (z.B. Urteile des BFH vom 30. Oktober 1986 III R 163/82, BStBl II 1987, 161; vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BStBl II 1994, 346). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hat der Steuerpflichtige auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten (z.B. BFH-Urteile vom 17. November 2005 III R 44/04, BStBl II 2006, 412). Dabei sind an einen steuerlichen Berater, dessen sich der Steuerpflichtige zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient, erhöhte Anforderungen hinsichtlich der von ihm zu erwartenden Sorgfalt zu stellen (BFH-Urteil vom 16. Mai 2013 III R 12/12, BStBl II 2016, 512).
Der Klägerin ist darin zu folgen, dass ihr im Zeitraum der Abgabe der Steuererklärung für 2001 am 31. Juli 2012 bis zum Erlass des Bescheids vom 28. September 2012 kein grobes Verschulden vorzuwerfen ist, da die Höhe der Einkünfte aus der S L.P. zunächst nicht bekannt war. Ohne Verstoß gegen ihre Erklärungspflicht hat sie daher in der Anlage zur Steuererklärung auf diese Beteiligung hingewiesen und mitgeteilt, dass die Einkünfte nachgereicht werden. Zwar ging das mit Schreiben vom 18. April 2013 dem Finanzamt eingereichte, als „Schätzung des Gewinnanteils aus der Beteiligung an der S L.P.“ bezeichnete Konvolut mit der Überschrift „Entwurf 24.08.2012“ dem Geschäftsführer der Klägerin mit E-Mail vom 24.08.2012 und damit noch vor Erlass des Körperschaftsteuerbescheids 2011 zu. Dass die Klägerin daraufhin nicht sofort die Höhe der Einkünfte beim Finanzamt nachreichte, erscheint wegen des engen zeitlichen Ablaufs und des Umstands, dass die Höhe der Einkünfte in der Steuererklärung ausdrücklich offengelassen wurde, jedoch noch nicht als grober Pflichtverstoß.
Etwas anderes gilt jedoch für den Zeitraum zwischen dem Erlass des Körperschaftsteuerbescheids 2011 vom 28. September 2012 und dem Ablauf der Einspruchsfrist. Die Klägerin bzw. ihr steuerlicher Vertreter, dessen Verschulden sich die Klägerin zurechnen lassen muss, hätte bei sorgfältiger Bescheidprüfung erkennen können und müssen, dass der Körperschaftsteuerbescheid nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand. Da sie den Bescheid dennoch bestandskräftig werden ließ, obwohl ihr die Unterlagen, aus denen sich die Höhe der Beteiligungseinkünfte ergab, zwischenzeitlich zur Verfügung standen, ist eine grob fahrlässige Pflichtverletzung zu bejahen. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass ihr Geschäftsführer die Unterlagen nicht an ihren steuerlichen Vertreter weitergeleitet hatte und er die Unterlagen nicht – wie vorgetragen – als für Steuererklärungszwecke geeignete und zulässige Unterlage erkannt hat, weil sie lediglich als Entwurf gekennzeichnet waren. Angesichts ihrer Vertretung mit einem Steuerberater ist es der Klägerin versagt, sich auf angebliche Abstimmungsprobleme mit ihrem steuerlichen Berater und die angebliche Unkenntnis ihres Geschäftsführers in steuerlichen Angelegenheiten zu berufen (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 04. Dezember 1990 II 117/89, EFG 1991, 444).
d) Das Verschulden des Klägers ist nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich. Zwar ist der von der Klägerin nachträglich erklärte Verlust aus der Beteiligung an der S L.P. ausweislich der eingereichten Gewinn- und Verlustrechnung der Saldo aus den Erträgen und den Betriebsausgaben der S L.P.. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO ist ein Verschulden unbeachtlich, wenn die steuermindernden Tatsachen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit anderen Tatsachen stehen, die zu einer höheren Steuer führen. Wird jedoch nachträglich bekannt, dass Einkünfte einer Einkunftsart – wie im Streitfall solche aus Gewerbebetrieb – überhaupt nicht erklärt bzw. berücksichtigt worden sind, so stellen diese Einkünfte, d.h. die Höhe dieser Einkünfte, die steuerlich relevante Tatsache dar, die zu einer Änderung nach § 173 AO führt (BFH-Urteil vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346). Eine Aufspaltung der Einkünfte in steuererhöhende Einnahmen oder Vermögensmehrungen auf der einen und steuermindernde Ausgaben oder Vermögensminderungen auf der anderen Seite findet in diesen Fällen nicht statt. Entscheidend ist, ob einzelne Einnahmen oder Aufwendungen zu einem bereits bekannten Lebenssachverhalt hinzutreten oder ob ein in sich abgeschlossener einheitlicher Vorgang (Lebenssachverhalt) nachträglich bekannt wird (vgl. BFH-Urteile vom 24. April 1991 XI R 28/89, BFHE 164, 192, BStBl II 1991, 606; vom 28. März 1985 IV R 159/82, BFHE 144, 521, BStBl II 1986, 120; in BFHE 172, 397, BStBl II 1994, 346). Auch wenn im Streitfall dem Finanzamt die Beteiligung als solche bekannt war, so hat es in der ursprünglichen Veranlagung aus dieser Beteiligung dennoch keine Einkünfte berücksichtigt. Somit stellt die Höhe des Verlustes als einheitlicher Vorgang die für § 173 Abs. 1 AO maßgebende Tatsache dar.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.