Aktenzeichen V R 38/15
Art 13 Teil A Abs 1 Buchst i EWGRL 388/77
Leitsatz
Ein für den Besucherdienst des Deutschen Bundestages tätiger Dozent ist mit seinen Führungen und Vorträgen zwar nicht nach nationalem Recht, aber nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL steuerfrei.
Verfahrensgang
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 1. Oktober 2015, Az: 7 K 7002/13, Urteil
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. Oktober 2015 7 K 7002/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erbrachte in den Jahren 2003 bis 2010 (Streitjahre) Dozentenleistungen für den Besucherdienst des Deutschen Bundestages aufgrund von Rahmenverträgen, die er mit der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, dieser vertreten durch den Direktor beim Deutschen Bundestag, schloss.
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Der Kläger hatte dabei in einer Vielzahl alters- und zielgruppengerechter Veranstaltungen staatspolitische und historische Themen zu präsentieren. Die Veranstaltungen sollten die Ausbildung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen ergänzen und vervollständigen und dabei Kenntnisse und Kompetenzen vermitteln, die im Rahmen der Lehrpläne für Geschichte und Sozialkunde von Bedeutung sind. In seinen Vorträgen und Führungen informierte der Kläger die Besucher vor allem über die Geschichte des deutschen Parlamentarismus, über Funktion, Struktur und Arbeitsweise des Deutschen Bundestages sowie über die demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse. Zielgruppe dieser Veranstaltungen waren im Wesentlichen Schüler, die im Rahmen staatlich bezuschusster Bildungsfahrten den Bundestag besuchten, wobei die Teilnahme an den Informations- und Bildungsveranstaltungen Voraussetzung für die finanzielle Förderung war. Studenten an Hoch- und Fachhochschulen konnten im Hinblick auf ihre Studienpläne spezifische Fragen stellen. Die vermittelten Sachverhalte waren Inhalt späterer Prüfungen und wissenschaftlicher Arbeiten. Teilnehmer waren auch Bundeswehrangehörige, Lehrer oder Ausbilder aus dem Bereich der politischen Bildung. Ein Schwerpunkt war die Durchführung von ein- oder mehrtägigen Planspielen für Schüler der 12. und 13. Jahrgangsstufe, die den Gesetzgebungsprozess simulieren und den Teilnehmern neben inhaltlichen und prozeduralen Kenntnissen ein vertieftes Verständnis von Möglichkeiten und Grenzen politischer Gestaltung im parlamentarischen System vermitteln sollten. Es sollten zudem klassische Arbeitstechniken (Textarbeit, freies Reden, Diskussionen) geschult und ein dauerhaftes Interesse an politischen Prozessen geweckt werden. Der Kläger hatte sich dabei mit den begleitenden Fachlehrern abzustimmen, um eine Integration in die jeweiligen Lehrpläne zu gewährleisten.
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Überdies war es Aufgabe des Klägers, Parlamentsseminare durchzuführen, in denen Schüler von 12. und 13. Klassen, Studenten, aber auch Auszubildende im öffentlichen Dienst konkrete politische Fragestellungen mit Fachpolitikern aller Fraktionen erörtern konnten. Diese Parlamentsseminare wurden von den entsendenden Bildungsträgern und Institutionen genutzt, um lehrplanrelevante Inhalte fundiert von verschiedenen Blickwinkeln beleuchten zu können. Der Kläger bereitete die Teilnehmer auf die Gespräche vor, indem er die sachlichen Grundlagen für eine Diskussion der vorbereiteten Fragestellungen legte. Während der Diskussion stand er den Teilnehmern für Sachfragen zur Verfügung. Anschließend konnte noch eine Auswertung zur Schließung etwaiger Lücken und zur Verfestigung des Erlernten erfolgen.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) sah die Tätigkeit des Klägers als umsatzsteuerpflichtig an. Unter Änderung zuvor ergangener Umsatzsteuerfestsetzungen und unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung setzte das FA mit den Bescheiden vom 9. Oktober 2012 die Umsatzsteuer 2003 auf 6.443,65 €, die Umsatzsteuer 2004 auf 7.755,01 €, die Umsatzsteuer 2005 auf 8.138,27 €, die Umsatzsteuer 2006 auf 9.615,28 €, die Umsatzsteuer 2007 auf 10.480,38 €, die Umsatzsteuer 2008 auf 12.112,21 €, die Umsatzsteuer 2009 auf 10.576,15 € und die Umsatzsteuer 2010 auf 8.419,10 € fest. Hiergegen legte der Kläger ohne Erfolg Einspruch ein.
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Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 2236 veröffentlichten Urteil der Klage statt. Der Kläger habe als Unternehmer steuerbare Leistungen erbracht, die nach nationalem Recht nicht steuerfrei seien. Er könne sich aber für die Steuerfreiheit seiner Leistungen auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) und bis zum Streitjahr 2006 auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) berufen, wie sich aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) ergebe.
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Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision, mit der es geltend macht, dass das FG die Voraussetzungen für eine Anwendung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (bis einschließlich 2006: Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG) zu Unrecht bejaht habe. Der Kläger verfüge nicht über die hierfür erforderliche Anerkennung.
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Das FA beantragt,das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.