Aktenzeichen M 10 K 17.2
Leitsatz
1 Die Grundsteuer wird als Objektsteuer geschuldet und daher grundsätzlich ohne Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse des Grundbesitzers erhoben. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Beruft sich der Steuerpflichtige auf eine wesentliche Ertragsminderung, kann von einer die Grenze der Zumutbarkeit überschreitenden Belastung keine Rede sein, wenn der Steuerpflichtige selbst durch ein ihm zurechenbares Verhalten die Ursache für die Ertragsminderung herbeigeführt oder es unterlassen hat, den Eintritt der Ertragsminderung durch solche geeigneten Maßnahmen zu verhindern, die von ihm erwartet werden konnten (Anschluss an FG Berlin-Brandenburg BeckRS 2013, 94482). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Voraussetzungen für den Steuererlass müssen während des gesamten Steuerjahres vorliegen; wer sich im laufenden Kalenderjahr auf Grund eigenen Willensentschlusses dagegen entscheidet, mit seinem bebauten Grundstück Rohertrag durch Vermietung zu erwirtschaften, dem ist die Steuerpflicht zumutbar. (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
4 Spätestens mit einem Verkauf wird das Grundstück vom Vermietungs- zum Verkaufsobjekt umgewidmet; bei einem Verkaufsobjekt ist der Rohertrag aber nicht kausal gemindert, wenn es unvermietet bleibt. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2016 der Regierung … wird aufgehoben.
II. Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Der Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen eines Grundsteuererlasses lagen bei der Beigeladenen für das streitgegenständliche Steuerjahr 2011 nicht vor.
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG wird die Grundsteuer in Höhe von 25 Prozent erlassen, wenn bei bebauten Grundstücken der normale Rohertrag des Steuergegenstandes um mehr als 50 Prozent gemindert ist und der Steuerschuldner die Minderung des Rohertrags nicht zu vertreten hat.
1. Es ist bereits fraglich, ob die Beigeladene die Minderung des Rohertrags in der ersten Jahreshälfte 2011 nicht zu vertreten hat, nachdem sie im streitgegenständlichen Jahr nur ein einziges Maklerbüro beauftragt hat. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Vertreters der Beigeladenen verfügt das gewählte Maklerbüro über ausreichend gute Kontakte, dass ein potentieller Interessent von der Verfügbarkeit des Objekts erfahren würde. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die Tatbestandsvoraussetzungen selbst dann nicht vorliegen, wenn die Beauftragung des Maklerbüros für einen Ausschluss des Vertretenmüssens ausreicht.
2. Jedenfalls lagen die Tatbestandsvoraussetzungen nicht während des gesamten Erlasszeitraumes (Kalenderjahr) vor. Das Gericht ist der Ansicht, dass § 33 GrStG dies für einen Erlass voraussetzt (dazu unter a.) und dass die Beigeladene die Voraussetzungen für das Steuerjahr 2011 nicht erfüllte (dazu unter b.).
a. Problematisch ist, ob § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG auch einen Erlass in Fällen gewährt, in denen nicht über den gesamten Erlasszeitraum der Rohertrag zu 50% gemindert war und der Steuerpflichtige dies nicht zu vertreten hat, sondern während eines abgrenzbaren Zeitraums (hier: von Januar bis Juli) zu 100% und das Vertretenmüssen auch nur in diesem Zeitraum fehlte.
Der Wortlaut bietet keinen klaren Anhaltspunkt. Die Wortwahl „Rohertrag […] gemindert“ spricht eher für eine stetige Herabsetzung über den gesamten Zeitraum. Es ist aber ebenfalls mit dem Wortlaut vereinbar, Fälle, in denen der Rohertrag während des halben Jahres zu 100% gemindert war zu subsumieren.
Nach Nr. 38 Abs. 1 Satz 3 der Grundsteuerrichtlinien 1978 zur früheren Fassung des § 33 GrStG kann auch bei nur zeitweiser Minderung des normalen Rohertrags während eines Jahres ein Erlass in Betracht kommen.
Dies ist im vorliegenden Fall eines bebauten Grundstücks jedoch nicht möglich. In Zusammenschau mit anderen Normen des Grundsteuerrechts ist der Erlasstatbestand des § 33 GrStG eng auszulegen. Systematisch bildet § 33 GrStG einen Ausnahmetatbestand zum Grundsatz der allgemeinen Grundsteuerpflicht für Fälle, in denen dem Steuerpflichtigen die Steuerschuld unzumutbar ist. Die Grundsteuer wird als Objektsteuer geschuldet und daher grundsätzlich ohne Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse des Grundbesitzers erhoben, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfG, B. v. 18.2. 2009 – 1 BvR 1334/07 –juris). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Grundsteuer aufgrund ihres Charakters als Realsteuer (§ 3 Abs. 2 AO) grundsätzlich ohne Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse und die persönliche Leistungsfähigkeit des Eigentümers erhoben wird und dass der in § 33 Abs. 1 GrStG vorgesehene Teilerlass von Grundsteuer bei einer Minderung des normalen Rohertrags somit einen Fremdkörper im Grundsteuerrecht darstellt (BFH, U.v. 18.4.2012 – II R 36/10 –, BFHE 237, 169, BStBl II 2012, 867, Rn. 13 m.w.N.). Dem Äquivalenzgedanken folgend spricht auch die Rechtfertigung der Grundsteuer für eine strenge Auslegung der Ausnahme: Die Gemeinde hält auch für leerstehende Grundstücke Infrastrukturleistungen vor (Kühnold, DStZ 2008, 152, 154, auch mit weiteren Nachweisen zu Reformüberlegungen aus dem Jahr 2000, § 33 GrStG abzuschaffen). Historisch war die Situation, in der der Erlass eingeführt wurde, von der Wohnungsnot der Nachkriegsjahre, der Förderung des Eigentums- und Mietwohnungsbaus, der Wohnung als Sozialgut und der gewerblichen Immobilie als Produktionsfaktor geprägt (vgl. Kühnold, DStZ 2008, 152, 153).
Das negative Tatbestandsmerkmal des Vertretenmüssens bildet insofern eine Rückausnahme und führt zurück zum Grundsatz der Steuerschuld, da die Steuerschuld demjenigen weiterhin zumutbar ist, der die Minderung des Rohertrags selbst zu vertreten hat bzw. sich diesbezüglich nicht entlasten kann. Insbesondere der Sinnzusammenhang, in den die Vorschrift hineingestellt ist, ergibt somit, dass die gesetzliche Ausgestaltung der Grundsteuer als ertragsunabhängige Objektsteuer eine Durchbrechung der grundsätzlichen Steuerpflicht in Ausnahmefällen zulässt, in denen die Einziehung der unverkürzten Grundsteuer für den Abgabenpflichtigen nicht mehr zumutbar ist. Beruft sich der Steuerpflichtige auf eine wesentliche Ertragsminderung, so kann von einer die Grenze der Zumutbarkeit überschreitenden Belastung aber keine Rede sein, wenn der Steuerpflichtige selbst durch ein ihm zurechenbares Verhalten die Ursache für die Ertragsminderung herbeigeführt oder es unterlassen hat, den Eintritt der Ertragsminderung durch solche geeigneten Maßnahmen zu verhindern, die von ihm erwartet werden konnten (FG Berlin-Brandenburg, U.v. 29.06.2011 – 3 K 3074/06 B – EFG 2013, 547-548 m.w.N. für den Fall einer Entmietung zu Gunsten einer Sanierung).
Die Steuerpflicht ist aber demjenigen zumutbar, der sich während des Erlasszeitraumes (Kalenderjahr, § 34 Abs. 1 Satz 2 GrStG), auf Grund eigenen Willensentschlusses dagegen entscheidet, mit seinem bebauten Grundstück Rohertrag durch Vermietung zu erwirtschaften. Ebenso wie derjenige, der die Vermietungsbemühungen aufgibt, sobald er die Schwelle der 50% überschritten hat, ist derjenige nicht schutzbedürftig, der das bebaute Grundstück vom Vermietungsobjekt zum Verkaufsobjekt umwidmet. Das von der Beigeladenen vorgetragene Argument, man könne keine Vermietungsbemühungen für ein bereits verkauftes Objekt verlangen, verfängt nicht. Denn bei Vertretenmüssen des Ertragsausfalls besteht die Steuerpflicht nicht als Sanktion, sondern weil das Gesetz nur in Fällen der Unzumutbarkeit den Grundsteuerpflichtigen entlastet.
Des Weiteren legt § 33 Abs. 1 Satz 2 GrStG nahe, dass die Voraussetzungen während des gesamten Steuerjahres vorliegen müssen, da eine Minderung des Rohertrages um 100% zwangsläufig nur im gesamten Steuerjahr vorliegen kann. Auch die geringere Erlassschwelle der in Satz 1 genannten 50% beziehen sich auf den Rohertrag des gesamten Steuerjahres.
b. Ab Juli 2011 lagen die Tatbestandsvoraussetzungen eines Erlasses bei der Beigeladenen nicht vor. Zu diesem Zeitpunkt hat die Beigeladene das Objekt verkauft. Ab diesem Zeitpunkt war der Rohertrag nicht mehr gemindert. Denn spätestens mit dem Verkauf hat die Beigeladene das Objekt vom Vermietungszum Verkaufsobjekt umgewidmet, was sich auch in der Einstellung der Vermietungsbemühungen zeigt. Bei einem Verkaufsobjekt ist der Rohertrag aber nicht kausal gemindert, wenn es unvermietet bleibt (vgl. VG Freiburg, U.v. 5.3.1982 – VS VII 127/79 – juris). Ginge man – als Hilfsüberlegung – davon aus, das Objekt sei bis zum Übergabezeitpunkt weiterhin als Vermietungsobjekt gedacht gewesen, dann hätte die Beigeladene die entstandene Rohertragsminderung zu vertreten, weil sie sich nicht weiter um Vermietung bemüht hat. Der Steuerschuldner hat die Ertragsminderung nicht zu vertreten, wenn sie auf Umständen beruht, die außerhalb seiner Einflussmöglichkeit liegen, d.h. wenn er die Ertragsminderung weder durch ein ihm zurechenbares Verhalten herbeigeführt noch ihren Eintritt durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen hat verhindern können. Mit diesem Merkmal ist also kein Verschulden im Sinne von Vorsatz oder Fahrlässigkeit gemeint. Da es auf die Verhältnisse des Erlasszeitraums ankommt ist für die Entscheidung über den Erlass der Grundsteuer für diesen Zeitraum alles unerheblich, was sich auf die frühere Nutzung bezieht. Im Streitfall ist deshalb maßgeblich, ob der Kläger im Erlasszeitraum alles ihm Zumutbare unternommen hat, um (höhere) Mieterträge zu erzielen (FG Bremen, U. v. 9.6. 2010 – 3 K 57/09 (1) – juris, Rn. 169). Unter welchen Bedingungen dies der Fall ist, ist eine Frage des Einzelfalls, die sich einer allgemeingültigen Antwort entzieht (BVerwG, B. v. 22.1.2014 – 9 B 56/13 –, Rn. 6, juris). Im vorliegenden Fall hat die Beigeladene ab August 2011 jedoch keinerlei Bemühungen mehr unternommen, so dass sie eine Rohertragsminderung zu vertreten hätte.
c. Die Voraussetzungen des Erlasses lagen somit nicht vor, so dass der Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2016 aufzuheben war.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO sowie für die Beigeladene aus § 162 Abs. 3 VwGO.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
5. Die Berufung war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.