Aktenzeichen XI R 22/14
§ 15 Abs 1 S 1 Nr 1 UStG 2005
Art 226 EGRL 112/2006
UStG VZ 2007
Leitsatz
1. Für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug ist erforderlich, dass der Leistungsempfänger eine Rechnung besitzt, in der eine Anschrift des Leistenden genannt ist, unter der jener postalisch erreichbar ist .
2. Für die Prüfung des Rechnungsmerkmals “vollständige Anschrift” ist der Zeitpunkt der Rechnungsausstellung maßgeblich .
3. Die Feststellungslast für die postalische Erreichbarkeit zu diesem Zeitpunkt trifft den den Vorsteuerabzug begehrenden Leistungsempfänger .
Verfahrensgang
vorgehend FG Köln, 12. März 2014, Az: 4 K 2374/10, Urteil
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 12. März 2014 4 K 2374/10 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Köln zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
1
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb eine Gebäudereinigung und ein Internetcafé. In seiner Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2007 (Streitjahr) vom 18. Februar 2009 erklärte er Vorsteuerbeträge in Höhe von 38.994,60 €.
2
Aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung gelangte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) u.a. zu dem Ergebnis, dass Vorsteuern hinsichtlich der Rechnungen zweier Unternehmen wegen falscher Rechnungsangaben bzw. fehlender Unternehmereigenschaft in Höhe von 11.923,79 € nicht abzugsfähig seien. Dabei handelte es sich um Vorsteuerbeträge, die in Rechnungen des Unternehmers A-Service vom 31. Januar 2007 bis 31. März 2007 (4.122,80 €) sowie des Unternehmers F-Service vom 31. Mai 2007 bis 30. November 2007 (7.800,99 €) enthalten waren. Auf den streitgegenständlichen Rechnungen der A-Service lautete die angegebene Adresse T-Straße, X, auf denen von F-Service U-Straße, Y.
3
In einem Änderungsbescheid zur Umsatzsteuer 2007 vom 7. Juli 2009 erkannte das FA u.a. die Vorsteuern aus diesen Rechnungen nicht an. Die Festsetzung erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung).
4
Aufgrund eines Änderungsantrags des Klägers erging am 3. November 2009 ein weiterer Umsatzsteuer-Änderungsbescheid 2007. Dagegen wandte sich der Kläger mit seinem Einspruch. Er begehrte die Berücksichtigung der in den genannten Rechnungen von A-Service und F-Service enthaltenen Vorsteuerbeträge. Diese würden sich auf dem Kläger in Rechnung gestellte Leistungen beziehen. Der Kläger habe vor Auftragsvergabe von beiden Unternehmern Bescheinigungen in Steuersachen, Gewerbeanmeldungen, Bescheinigungen über Umsatzsteuer-Identifikationsnummern (USt-IdNr.) etc. angefordert, um jeweils von einer Unternehmereigenschaft ausgehen zu können. Außerdem sei der Gutglaubensschutz zu beachten.
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Das FA wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 8. Juli 2010 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass der Leistungsempfänger nicht im Besitz einer nach §§ 14, 14a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ausgestellten Rechnung sei.
6
Im Rahmen der dagegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend, dass die vom FA benannten Mängel hinsichtlich der Rechnungen nicht zutreffend seien. Alle Rechnungen wiesen Namen und Anschrift des leistenden Unternehmers, die Steuernummer, Rechnungsdatum und -nummer, den Umfang und Zeitpunkt der Leistungen sowie die Entgelte und Steuerbeträge und -sätze aus. Der Kläger habe sich darüber hinaus zwecks Feststellung von Identität, Unternehmerschaft und Führung bei einem Finanzamt Nachweise der von ihm beauftragten Firmen geben lassen. Im Einzelnen seien dies für den Unternehmer A-Service
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eine Kopie des Reisepasses mit Aufenthaltsgenehmigung,
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eine Kopie der Anmeldung bei der Meldebehörde der Stadt X für die Adresse T-Straße, X, vom 13. Juli 2006,
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eine Kopie der Gewerbeanmeldung vom 22. Juni 2006 für die Betriebsstätte C-Straße, D, vom 22. Juni 2006, und
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Bescheinigungen in Steuersachen des FA B vom 22. Juni 2006 für abgeführte Einkommensteuer,
sowie für den Unternehmer F-Service
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eine Kopie des Reisepasses mit Aufenthaltsgenehmigung,
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eine Kopie der Anmeldung bei der Meldebehörde der Stadt Y vom 12. April 2007,
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eine Kopie der Gewerbeanmeldung vom 14. März 2007 für die Betriebsstätte Y-Straße, Y, vom 14. März 2007,
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eine Kopie des Bescheids des Bundeszentralamts für Steuern vom 21. April 2007 über die Erteilung einer USt-IdNr.,
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eine Kopie der Mitteilung des FA Y über die Erteilung einer Steuernummer, und
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eine Kopie der Genehmigung zur Besteuerung der Umsätze nach vereinnahmten Entgelten vom 16. April 2007.
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Grundsätzlich gelte bei Eingehen einer Geschäftsbeziehung ein Gutglaubensschutz und nicht von vornherein die Vermutung eines Betruges. Der Kläger habe keinen Grund gehabt, an den Gegebenheiten zu zweifeln, da der Unternehmer A-Service seine Leistungen u.a. entsprechend den Vereinbarungen erfüllt habe. Auch sei der Schriftverkehr zu Zeiten der Geschäftsbeziehung ohne Probleme an die genannte Adresse zugestellt worden und es sei nicht zu Rückläufern gekommen. Im Übrigen seien beide Unternehmen unter den angegebenen Adressen für geschäftliche Korrespondenz erreichbar gewesen.
8
Das Finanzgericht (FG) Köln wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1442 veröffentlichten Urteil vom 12. März 2014 4 K 2374/10 ab.
9
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts geltend macht.
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Er trägt u.a. im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Geissel und Butin vom 15. November 2017 C-374/16 und C-375/16 (EU:C:2017:867, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2017, 970) vor, dass A-Service unter der in den streitigen Rechnungen genannten Adresse (zumindest zeitweise) postalisch erreichbar gewesen sei. Auch F-Service sei unter der in den streitigen Rechnungen genannten Adresse postalisch erreichbar gewesen.
11
Der Kläger beantragt,das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA vom 8. Juli 2010 aufzuheben und die Umsatzsteuer unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids für 2007 vom 3. November 2009 um 11.923,79 € herabzusetzen.
12
Das FA beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.