Aktenzeichen 63 T 87/20
Leitsatz
Verfahrensgang
1 XIV 343/19 2019-12-05 Bes AGERDING AG Erding
Tenor
1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts – vom 05.12.2019, Az.:1 XIV 343/19 (B), wird, soweit nicht bereits mit Beschluss des Amtsgerichts – vom 08.01.2020 abgeholfen wurde, zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt – wird zurückgewiesen.
3. Der Gegenstandswert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Mit Schreiben vom 28.11.2019 beantragte die Bundespolizeiinspektion – beim Amtsgericht – gegen den Betroffenen die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückweisung bis zum 30.01.2020.
Die Bundespolizeiinspektion teilte mit, dass der Betroffene erstmalig am 20.02.2012 in das Bundesgebiet eingereist sei. Er habe einen Asylantrag gestellt, der mit Bescheid vom 27.02.2012 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei (Bl. 26 ff. d.A.). Am 24.08.2012 sei das PEP-Verfahren durch die ZAB B. bei der indischen Botschaft eingeleitet worden. Dieses sei am 11.01.2017 vorläufig eingestellt worden, da der Betroffene unbekannt verzogen sei. Am 02.05.2019 sei das PEP-Verfahren wieder aufgenommen worden, da der Betroffene von unbekannt wieder angemeldet worden sei. In der Folgezeit habe es der Betroffene unterlassen, bei der Klärung seiner Identität mitzuwirken.
Am 22.11.2019 sei der Betroffene gegen 07:30 Uhr als Insasse eines grenzüberschreitenden Fernreisebusses mit italienischer Zulassung, Route -, an der Grenzkontrollstelle BAB 93, TRA Inntal Ost, 8… K., einer grenzpolizeilichen Einreisekontrolle unterzogen worden. Der Betroffene habe sich hierbei mit einer gültigen Duldung (kein Grenzübertrittsdukument) vom 24.10.2019, gültig bis 23.01.2020, des ALA – ausgewiesen.
Dem Betroffenen wurde durch die Antragstellerin die Einreise verweigert. Die Zurückweisung/Einreiseverweigerung wurde dem Betroffenen schriftlich mitgeteilt und übersetzt. Auf Bl. 20 ff. der Akte wird Bezug genommen.
Die Bundespolizei teilte mit, dass die Zurückweisung des Betroffenen nach – betrieben werde.
Mit Beschluss vom 23.11.2019 hat das Amtsgericht – nach Anhörung des Betroffenen gegen ihn die vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung bis spätestens 06.12.2019 angeordnet.
Das Amtsgericht – hat den Betroffenen am 05.12.2019 persönlich angehört. Zu dieser Anhörung wurde der damalige Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen nicht geladen.
Mit Beschluss vom 05.12.2019 hat das Amtsgericht – auf Antrag der Bundespolizeiinspektion – gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückweisung bis spätestens 30.01.2020 angeordnet.
Mit Schriftsatz vom 22.12.2019 legte der aktuelle Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen gegen den Beschluss vom 05.12.2019 sofortige Beschwerde ein und beantragte, festzustellen, dass der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat sowie dem Betroffenen Verfahrenskostenhilfe unter seiner Beiordnung zu bewilligen. Er machte insbesondere geltend, dass § 15 Abs. 5 AufenthG in dem hier vorliegenden Fall der Zurückweisung an einer Binnengrenze keine Anwendung finden könne. Die Anordnung von Zurückweisungshaft sei in der vorliegenden Konstellation unzulässig. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des EuGH, Urteil vom 19.03.2019, C-444/17 (Rechtssache Arib). Auf die Beschwerdebegründung wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Am 08.01.2020 wurde der Betroffene vom Amtsgericht – im Beisein eines Verfahrensbevollmächtigten in Untervollmacht persönlich angehört.
Mit Beschluss des Amtsgerichts – vom 08.01.2020 wurde der Beschwerde des Betroffenen vom 22.12.2019 insoweit abgeholfen, als sie den Zeitraum der Haftanordnung vom 05.12.2019 bis zum 07.01.2020 betrifft. Im übrigen wurde der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht vorgelegt.
Die Beschwerdebegründung vom 22.12.2019 wurde der Antragstellerin mit Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt. Eine Stellungnahme erfolgte mit Schreiben vom 07.01.2020. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen nahm nochmals mit Schriftsatz vom 20.01.2020 Stellung.
II.
Die gemäß §§ 58 ff. FamFG in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde erweist sich als unbegründet. Das Amtsgericht – hat mit Beschluss vom 05.12.2019 zu Recht die Zurückweisungshaft für den Betroffenen für die verfahrensgegenständliche Zeit vom 08.01.2020 bis 30.01.2020 angeordnet. Die Voraussetzungen zur Anordnung der Zurückweisungshaft lagen vor.
1. Es lag ein zulässiger Haftantrag vor.
1.1. Der Antrag auf Anordnung der Zurückweisungshaft wurde von der zuständigen Verwaltungsbehörde gestellt, § 417 Abs. 1 FamFG. Die Bundespolizeiinspektion – ist sachlich und örtlich zuständig, § 1 Abs. 2 BPolG, § 2 BPolZV i.V.m. § 71 Abs. 3 AufenthG.
1.2. Der Antrag wurde auch gemäß §§ 23, 417 Abs. 2 FamFG begründet. Die nötigen Darlegungen zur unerlaubten Einreise, zu den Zurückweisungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Zurückweisung und zu der notwendigen Haftdauer im konkreten Fall liegen vor. Diese beschränken sich auch nicht auf Leerformeln und Textbausteine.
1.3. Die Identität des Betroffenen ist gemäß § 417 Abs. 2 Nr. 1 FamFG im Antrag enthalten.
Im Haftantrag sind umfassende Angaben zur Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung und ihrer erforderlichen Dauer gemäß § 417 Abs. 2 Nr. 3, 4 FamFG enthalten. Insbesondere sind konkrete Angaben dazu enthalten, bis wann mit einer Rückführung nach – gerechnet werden kann. Die einzelnen Schritte wurden benannt gegeben und die von der Bundespolizei veranschlagte Vorlaufzeit bis zu einer Rückführung ist für die Kammer ohne Weiteres nachvollziehbar.
Die fehlende Berechtigung zur Einreise wurde im Antrag ausreichend dargelegt, § 417 Abs. 2 Nr. 5 FamFG.
Die Erforderlichkeit der Haft wurde im Antrag umfassend ausgeführt.
2. Dem Betroffenen wurde gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 420 Abs. 1 S. 1 FamFG rechtliches Gehör gewährt. Das Amtsgericht – hörte den Betroffenen am 05.12.2019 persönlich an. Zu dieser Anhörung wurde der damalige Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen nicht geladen. Am 08.12.2019 wurde der Betroffene im Beisein eines Verfahrensbevollmächtigten in Untervollmacht erneut persönlich angehört. Dort wurde ihm der Verfahrensgang ausführlich erläutert. Ihm wurde zudem eine Übersetzung der Gründe des Beschlusses vom 05.12.2019 angeboten. Der Betroffene berief sich auf seine Anhörung vom 05.12.2019. Dies ergibt sich aus dem Protokoll der richterlichen Anhörung. Bei dem Sachverhalt handelt es sich um einen einfachen und überschaubaren Sachverhalt, zu welchem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne Weiteres auskunftsfähig war.
3. Es lagen die Voraussetzungen für die Anordnung von Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5 AufenthG vor.
Voraussetzung ist, dass eine Zurückweisungsentscheidung ergangen ist und die Zurückweisung nicht unmittelbar vollzogen werden kann. Ein begründeter Verdacht, dass der Ausländer versuchen wird, unerlaubt einzureisen, wie das Schrifttum weitgehend fordert (vgl. beispielhaft Dollinger in BeckOK Ausländerrecht, 19. Edition, Stand: 01.08.2018 Rn. 25), ist nicht erforderlich, wie der BGH in einem Beschluss vom 12.4.2018 – V ZB 162/17 ausgeführt hat.
3.1. Am 22.11.2019 ist gegen den Betroffenen eine Zurückweisungsentscheidung ergangen (vgl. Bl. 20 d.A.). Sie wurde dem Betroffenen auch ordnungsgemäß bekanntgemacht.
3.2. Eine sofortige Vollziehung der Zurückweisung war nicht möglich, da der Betroffene keine Reisedokumente besitzt und daher eine Passbeschaffung erforderlich ist.
3.3. Das Vorliegen von Haftgründen iSd § 62 AufenthG ist bei Zurückweisungshaft nicht erforderlich, BGH, Beschluss vom 22.6.2017, V ZB 127/16.
Unabhängig davon besteht vorliegend aber auch zusätzlich ein begründeter Verdacht, dass der Betroffene nicht freiwillig abreisen wird. Der Betroffene gab falsche Personalien an und wirkte zudem bei der Klärung seiner Identität nicht mit, um die Identitätsfeststellung zu erschweren. Der Betroffene setzte sich laut eigenen Angaben am 01. oder 02.11.2019 nach Italien ab, ohne eine Anschrift mitzuteilen. Nach eigenen Angaben wolle er nicht in sein Heimatland zurück. Weiter gab er an, dass es sich nicht für die Maßnahme der Rückführung zur Verfügung halten werde.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen auf die zutreffenden Gründe im angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts – Bezug genommen.
3.4. Hinderungsgründe für den tatsächlichen Vollzug der Zurückweisung sind nicht ersichtlich.
3.5. Nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haben die Haftgerichte von der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung bzw. Einreiseverweigerung auszugehen, solange nicht eine abweichende Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorliegt. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Einreiseverweigerung ist nach der Aufgabenverteilung zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und ordentlicher Gerichtsbarkeit allein Aufgabe der Verwaltungsgerichte. Die Haftgerichte haben bei der Anordnung der Zurückweisungshaft deshalb auch nicht zu prüfen, ob dem Ausländer aufgrund des Asylgesetzes der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet ist (BGH a.a.O.).
3.6. Die Kammer teilt nicht die Auffassung in der Beschwerdebegründung, wonach die zitierte Rechtsprechung des BGH aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 19.03.2019 einer Korrektur zu unterziehen und die Anordnung von Zurückweisungshaft bei einer Einreiseverweigerung an der Binnengrenze generell unzulässig sein soll.
Die in der Berufungsbegründung zitierte Entscheidung des EuGH vom 19.03.2019, C-444/17, betraf gerade nicht einen Fall der Einreiseverweigerung an der Binnengrenze. Der EuGH hat dies in seiner Entscheidung einleitend ausdrücklich klargestellt (EuGH NVwZ 2019, 947, 948, Rn. 36). Vielmehr wurde der Betroffene, in dem Fall, der der Entscheidung des EuGH zugrunde lag, von französischen Behörden nach seiner illegalen Einreise nach Frankreich in unmittelbarer Nähe der französisch-spanischen Grenze kontrolliert. Der EuGH stellt in seiner Entscheidung klar, dass der Betroffene nach seiner illegalen Einreise nach Frankreich dort als illegal aufhältig angesehen werden muss und folglich in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) fällt. Die Ausnahmevorschrift des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten die Richtlinie u.a. bei Drittstaatenangehörigen, die in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten einer Außengrenze aufgegriffen oder abgefangen werden, nicht anzuwenden. Diese Ausnahmevorschrift gilt nach der Entscheidung des EuGH nicht für Drittstaatenangehörige, die in unmittelbarer Nähe einer Binnengrenze aufgegriffen werden.
Der hier zu entscheidende Fall liegt indes anders. Dem Betroffenen wurde durch die zuständigen Behörden die Einreise in das Bundesgebiet verweigert. Ein Grenzübertritt ist noch nicht erfolgt, § 13 Abs. 2 S. 2 AufenthG. Der Betroffene befindet sich nur zum Zwecke der Zurückweisungshaft vorübergehend im Bundesgebiet. Die Rückführungsrichtlinie gilt gem. Art. 2 Abs. 1 jedoch nur für Ausländer, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates aufhalten. Die Entscheidung des EuGH trifft gerade keine Aussage dazu, ob auch in Fällen der Einreiseverweigerung/ Zurückweisung an der Binnengrenze der Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet ist.
Die Kammer sieht daher keinen Anlass, von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen, wonach die Anordnung von Zurückweisungshaft gem. Art. 15 Abs. 5 AufenthG bei Einreiseverweigung an der Binnengrenze zulässig ist. Auch eine Vorlage an den EuGH war nicht veranlasst. Deutschland hat mit der Einführung und Beibehaltung von Zurückweisungshaft für die Fälle der unerlaubten Einreise auf dem Luft,- See oder Landweg ein Sonderregime eingeführt. Die Vorschriften der Rückführungsrichtlinie sind hier gerade nicht anwendbar (vgl. BGH, Beschluss vom 20.09.2017, V ZB 118/17).
3.7. Bei Abwägung der mit der Anordnung der Zurückweisungshaft für den Betroffenen verbunden Freiheitsbeschränkung einerseits mit dem Interesse der Allgemeinheit eine Einreise zu verhindern und die Durchführung der Zurückweisung zu sichern andererseits, war die Anordnung der Zurückweisungshaft auch verhältnismäßig.
Die Bundespolizei hat für die Kammer plausibel dargelegt, warum die beantragte Haftdauer erforderlich ist. Insofern darf auf die Ausführungen unter Ziffer II. 1.3. Bezug genommen werden.
Ein milderes Mittel als die Inhaftnahme war nicht ersichtlich. Die Zurückweisungshaft dient nicht der Sicherung der Ausreise, sondern schon der Verhinderung der Einreise. Es ist nicht ersichtlich, wie die Einreise durch ein milderes Mittel als durch die Anordnung von Haft erfolgen sollte. Eine Meldeauflage wäre überhaupt nur in Erwägung zu ziehen gewesen, wenn es sich nicht um Zurückweisungshaft sondern um Haft zur Sicherung der Ausreise handeln würde und der Betroffene bereits eingereist gewesen wäre.
III.
Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe war zurückzuweisen, da die Rechtsverteidigung keine Aussicht auf Erfolg hat, § 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO.
IV.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes folgt aus §§ 36 III, 79 I GNotKG.