Strafrecht

Prognose der Wiederholungsgefahr bei Ausweisung wegen Straftat

Aktenzeichen  M 12 K 16.2555

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 102985
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1 Von einer für § 53 Abs.1 AufenthG notwendigen Wiederholungsgefahr ist auszugehen, wenn der Auszuweisenden in nur kurzen zeitlichen Abständen wiederholt straffällig geworden ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Allein ein guter Therapieverlauf genügt nicht um künftig von einem drogen- und straffreien Verhalten auszugehen, dass die Annahme einer Wiederholungsgefahr iSd. § 53 Abs.1 AufenthG entfallen lässt.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Gegenstand der Klage ist der Bescheid des Beklagten vom 10. Mai 2016. Die Klage ist in erster Linie auf Aufhebung des Bescheids gerichtet (Anfechtungsklage). Sie beinhaltet zudem in Hinblick auf die in Ziffer 2 des Bescheids enthaltene Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung (§ 11 Aufenthaltsgesetz – AufenthG-) als „Minus“ hilfsweise auch einen Verpflichtungsantrag auf Verkürzung der Befristung für den Fall, dass die Ausweisung Bestand hat (BVerwG, U.v. 14.2.2012 – 1 C 7.11 – juris Rn. 34).
2. Maßgeblicher Zeitpunkt zur rechtlichen Überprüfung der Ausweisung sowie der weiteren durch den Beklagten getroffenen Entscheidungen ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. nur BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 12). Dabei beurteilt sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nach dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das durch Art. 1 des Gesetzes vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 394) geändert worden ist. Hiernach ist die Entscheidung über eine Ausweisung stets eine gerichtlich voll überprüfbare Rechtsentscheidung (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49; BR-Drs. 612/14, S. 56; VG Ansbach, U.v. 28.1.2016 – AN 5 K 15.00416 – juris Rn. 42).
3. Die Anfechtungsklage gegen die in Ziffer 1 des Bescheids vom 10. Mai 2016 verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtsgrundlage der Ausweisung sind § 53 Abs. 1 bis 3 AufenthG. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der BRD gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Zugunsten des Klägers geht die Kammer mit dem Beklagten davon aus, dass der Kläger ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 des Beschlusses Nummer 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB1/80) erworben hat. Damit sind an die Qualität der erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erhöhte Anforderungen zu stellen, da gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG der Kläger nur ausgewiesen werden darf, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung des Interesses unerlässlich ist. Damit gibt die Neufassung von § 53 Abs. 3 AufenthG die Voraussetzungen wieder, die nach ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, U.v. 8.12.2011 -Rs. C – 371/08 Ziebell – juris Rn. 80; BayVGH‚ U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris) für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen im Hinblick auf Art. 14 ARB 1/80 erfüllt sein mussten (vgl. auch BayVGH, B.v. 13.5.2016 – 10 ZB 15.492 – juris 13).
In der Rechtsprechung ist auch geklärt, dass gegen die Anwendung der ab 1. Januar 2016 geltenden neuen Ausweisungsvorschriften auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige auch mit Blick auf Art. 13 ARB 1/80 (sog. Stillhalteklausel) keine Bedenken bestehen, weil sich die materiellen Anforderungen, unter denen diese Personen ausgewiesen werden dürfen, nicht zu ihren Lasten geändert haben und jedenfalls in der Gesamtschau eine Verschlechterung der Rechtspositionen eines durch Art. 13, 14 ARB 1/80 geschützten türkischen Staatsangehörigen nicht feststellbar ist (vgl. BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 28; B.v. 13.5.2016 – 10 ZB 15.492 – juris Rn. 14; B.v. 11.7.2016 – 10 ZB 15.837 – juris Rn. 11 jeweils m.w.N.).
Grundlage für die Ausweisung ist daher § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 AufenthG, mit der Folge, dass der Kläger nur ausgewiesen werden darf, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (a) und die Abwägung der widerstreitenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen ergibt, dass die Ausweisung für die Wahrung dieses Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist (b). Da der Ausweisungsschutz aus Art. 3 Abs. 3 Europäisches Niederlassungsabkommen (ENA) nicht weiter reicht als der aus ARB 1/80, ergibt sich aus dieser Norm kein anderer Maßstab für die rechtliche Überprüfung der Ausweisung des Klägers (vgl. BVerwG, U.v. 2.9.2009 – 1 C 2/09 – juris Rn. 15).
Bei der Prüfung der Frage, ob das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ist zu berücksichtigen, dass § 53 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz wegen der Bezugnahme auf das „persönliche Verhalten“ eine Ausweisung nur aus spezialpräventiven Gründen erlaubt, d.h. die Ausweisung muss dem Zweck dienen, einer vom Auszuweisenden ausgehenden schwerwiegenden Gefahr für ein Grundinteresse zu begegnen.
a) Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass der Kläger erneut vergleichbare Straftaten begehen wird und damit gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Es besteht eine erhebliche Wiederholungsgefahr. Die nach § 53 Abs. 1, 3 AufenthG vorausgesetzte erhöhte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in spezialpräventiver Hinsicht noch gegeben.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st.Rspr; vgl. z.B. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18; BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34 und B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris; BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31).
Gemessen an den dargestellten Grundsätzen ist die Kammer zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare, insbesondere gegen die körperliche Unversehrtheit dritter Personen gerichtete Straftaten beeinträchtigen wird. An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts durch die durchweg positive Führung und Entwicklung des Klägers während seiner Zeit in der JVA.
In vorliegendem Fall sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts wegen des hohen Gewichts der bedrohten Schutzgüter nicht hoch anzusetzen. Anlass für die Ausweisung des Klägers ist seine Verurteilung durch das Landgericht … … vom … April 2015 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Bei den vom Kläger begangenen Straftaten handelt es sich um besonders schwere Straftaten, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung in erheblichem Maße beeinträchtigen. Totschlag ist ein Kapitaldelikt, das das Leben als höchstes Schutzgut betrifft und damit die Grundinteressen der Gesellschaft berührt. Zudem ließ sich beim Kläger eine hohe Intensität der Tathandlung feststellen.
Die festgestellte schwerwiegende Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung beruhte auf dem persönlichen Verhalten des Klägers. Auch wenn der Kläger bei der Durchführung der Tat alkoholbedingt enthemmt war, wodurch seine Einsicht- und Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt war, kann dies hier nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Der Kläger wusste, dass er unter Alkoholeinfluss zu Aggressionstaten neigt. Das Landgericht … … ordnete gerade wegen des Hanges des Klägers zu übermäßigen Alkoholkonsum und der damit einhergehenden Gefahr weiterer Straftaten die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB an.
Bei der Prognose der Wiederholungsgefahr ist von Bedeutung, dass der Kläger seit dem Jahr 2012 wiederholt straffällig geworden ist und bei seinen Straftaten stets ein hohes Maß an Aggressivität an den Tag gelegt hat, die er von Tat zu Tat noch steigerte. In allen drei Urteilen wurde der Kläger unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und zuletzt zusätzlich noch wegen versuchten Totschlags verurteilt. Dabei waren die vom Kläger ausgeübten Gewaltdelikte durchgängig keine klassischen Beziehungstaten, sondern ausnahmslos gegen ihm fremde bzw. nur entfernt bekannte Geschädigte gerichtet. So schlug er am … August 2011 ohne rechtfertigenden Grund und ohne entschuldigenden Anlass gezielt mit der Faust in das Gesicht eines Geschädigten, der nichts ahnend auf ein Taxi wartete. Am *. Juni 2012 provozierte er eine Gruppe Jugendlicher in einer Gaststätte und schlug einem Geschädigten beim Verlassen des Lokals zweimal mit der Faust auf den Mund, wodurch dieser einen Schneidezahn verlor. Auch bei der Tat, die seiner letzten Verurteilung zugrunde lag, hat der Kläger dem Geschädigten mehrmals einen Maßkrug von oben auf den Kopf geschlagen, weil er sich von diesem verbal provoziert fühlte. Durch sein Verhalten mit sich steigernder Gewaltbereitschaft hat der Kläger Schutzgüter von hohem Rang nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt und den betroffenen Personen nicht nur körperliche, sondern auch psychische Schäden zugefügt. Das vom Kläger ausgehende Gefährdungspotenzial berührt angesichts dessen ein Grundinteresse der Gesellschaft.
Für die Bejahung der Wiederholungsgefahr spricht, dass der Kläger in sehr kurzen zeitlichen Abständen straffällig geworden ist. Besonders negativ für die zutreffende Prognoseentscheidung wirkt sich dabei aus, dass der Kläger zum Tatzeitpunkt der letzten Tat zweifach wegen einschlägiger Delikte unter Bewährung stand. Die Straftat, die der Beklagte zum Anlass der Ausweisung genommen hat, beging der Kläger nur vier Monate nachdem die Jugendkammer des Landgerichts … … die gegen ihn verhängte Vollzugstrafe aus dem Urteil des Amtsgericht … am *. Juli 2013 zur Bewährung ausgesetzt hatte. Daraus wird ersichtlich, dass die Verurteilungen des Klägers bislang keine nachhaltigen Wirkungen in Bezug auf seine Delinquenz hatten. Selbst die Androhung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen führten beim Kläger nicht zu einer Änderung seines Verhaltens. So beging der Kläger die zuletzt abgeurteilte Körperverletzung nur circa einen Monat nach seiner letzten ausländerrechtlichen Verwarnung seitens des Beklagten. Auch der Umstand, dass der Kläger in dem der Ausweisung zugrundeliegenden Strafverfahren geständig war, sich bei dem Geschädigten schriftlich und mündlich entschuldigt hat und eine Täter-Opfer-Ausgleichsvereinbarung geschlossen hat, überzeugt die Kammer nicht von einer dahingehenden Änderung der Persönlichkeit des Klägers durch die Haft, dass eine Rückfallgefahr nicht mehr besteht. Denn der Kläger schloss bereits im vorhergehenden Strafverfahren vor dem Amtsgericht … mit zwei Geschädigten eine Täter-Opfer-Ausgleichsvereinbarung mit erheblichen finanziellen Verpflichtungen und begann sogar ausweislich des Urteils der Jugendkammer vom … April 2014 im April 2014 schon damals, sich mit der Problematik seines Alkoholkonsums auseinanderzusetzen. Den versuchten Totschlag beging der Kläger im August 2014 aber wiederum, wie auch sämtlich andere Taten, unter starkem Alkoholeinfluss. Eine Läuterung bzw. eine Änderung des Verhaltens des Klägers konnte demnach durch seine Verurteilung im Juli 2013 nicht festgestellt werden, obgleich er bereits damals – wie auch hier nach der Verurteilung durch das Landgericht … … – seine Tat gestanden hat, sich entschuldigt hat, sich seines Alkoholproblems angenommen hat und durch den Abschluss eines Täter-Opfer-Ausgleichs eine hohe finanzielle Belastung eingegangen ist. Solange daher der Kläger nicht beweist, dass er in Freiheit – also außerhalb der Haft – zu einem straffreien sowie drogen- und alkoholfreiem Leben fähig ist, muss aufgrund der oben ausgeführten Vorgeschichte von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden.
Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger gerade die längste Haftstrafe seines bisherigen Lebens verbüßt und dabei bislang seine Therapiewilligkeit und -fähigkeit unter Beweis gestellt hat. Ausweislich des Führungsberichts der Justizvollzugsanstalt … vom … Januar 2016, der so auch bis zu seiner Verlegung am *. November 2016 gilt, gibt der Kläger in der Haft zu keinen Beanstandungen Anlass. Er komme mit den Mitgefangenen und Bediensteten gut aus, sei höflich und respektvoll. Er anerkenne seine Strafe als gerecht und bereue seine Tat. In der Haft nahm er an verschiedensten Maßnahmen zur Bekämpfung seiner Alkohol- bzw. Drogensucht teil. So hat er erfolgreich am zweimonatigen Rückfallprophylaxetraining der …-Drogenberatung teilgenommen, hat im September 2014 Kontakt zur „Externen Suchtberatung“ aufgenommen und dort auch an Gruppenangeboten teilgenommen. Auch in der ärztlichen Stellungnahme der Entziehungsanstalt wird dem Kläger eine gute Führung bescheinigt. Er nehme motiviert und aktiv an den suchttherapeutischen Gruppen- und Einzelgesprächen teil. Trotz dieser positiven Einschätzung der JVA genügt dies nicht, um im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung durchgreifenden Anhaltspunkte für eine grundlegende persönliche Wandlung des Klägers im Sinne einer Abkehr von seiner kriminellen Vergangenheit bejahen zu können. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH‚ B.v. 26.11.2015 – 10 ZB 14.1800 – juris; B.v. 18.7.2014 – 10 ZB 13.2440 – juris; B.v. 14.11.2012 -10 ZB 12.1172 – juris) kann von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden‚ solange der Kläger seine Therapie nicht erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende nicht glaubhaft gemacht hat. Hiervon kann im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlungen nicht ausgegangen werden. Bislang hat der Kläger weder eine Therapie erfolgreich abgeschlossen, noch konnte und musste er sich außerhalb des Maßregelvollzugs bewähren. Trotz des guten Verlaufs der Therapie kann daher derzeit nicht von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Dies gilt insbesondere deshalb‚ weil der Kläger bereits ab dem Alter von 12 Jahren begonnen hat, Alkohol zu konsumieren, im Alter von 15 Jahren regelmäßig an den Wochenende betrunken war und spätestens mit 21 Jahren tagsüber Schnaps und abends Wein und Bier konsumiert hat. Auch hat er ab dem Alter von 13 Jahren verschiedene illegale Betäubungsmittel konsumiert – anfangs Marihuana, dann Amphetamine und Extasy und schließlich Kokain. Die abgeurteilten Straftaten verübte der Kläger zumeist unter Drogen- oder Alkoholeinfluss. Auch wenn daher der Kläger nun therapiewillig und -einsichtig ist, muss er insbesondere wegen der schon im Kindesalter begonnenen Abhängigkeit von Alkohol und Drogen erst den Beweis antreten, dass er tatsächlich auch außerhalb des überwachten Haftrahmens ein alkohol- und drogenfreies Leben führen kann.
Entscheidend hierfür wird auch sein, ob der Kläger auf ausreichende Integrationsfaktoren verweisen kann; die beanstandungsfreie Führung während der Haft genügt für sich genommen nicht (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12- juris Rn. 19 f.; BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 34). Ob dem Kläger nach der Haft eine Integration gelingen wird, kann derzeit nicht abgesehen werden. Der Kläger hat zwar den einfachen Hauptschulabschluss in der Justizvollzugsanstalt gemacht. Er hat jedoch keine abgeschlossene Ausbildung und kann auch nicht in ein bestehendes Arbeitsverhältnis zurück. Das Angebot seines Vaters, ihn Vollzeit zu beschäftigen, überzeugt insofern nicht, als der Kläger diese Möglichkeit auch bislang nicht wahrgenommen hat. Vielmehr wird der Kläger nach der Haft wieder in sein altes Umfeld zurückkommen, in dem er wiederholt straffällig geworden ist, sodass es zweifelhaft erscheint, ob er es ohne abgeschlossene Ausbildung schafft, sich ein straffreies Leben aufzubauen. Schließlich erhöht auch der Bestand obgleich nicht allzu hoher Schulden die Wiederholungsgefahr, zumal der Kläger in seiner bisherigen Biografie noch keine Zeiten einer längeren durchgehenden Erwerbstätigkeit aufweist, sodass er seine Schulden auch nicht ohne weiteres aus eigener Erwerbstätigkeit tilgen kann. Seine Erklärung in der mündlichen Verhandlung, der lange Gefängnisaufenthalt und die therapeutischen Maßnahmen dort hätten ihn zu einem anderen Menschen gemacht und er werde diese zum Anlass nehmen, sein Leben neu zu gestalten, kann daher von der Kammer nur als eine bloße Absichtserklärung gewertet werden, die angesichts der der Verurteilung zugrunde liegenden Schwere der Taten, der sich steigernden Rückfallfrequenz des Klägers und dessen Suchtproblematik nicht geeignet ist, die Annahme seiner weiteren Gefährlichkeit in Zweifel zu ziehen.
b) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt und die Ausweisung auch für die Wahrung des bereits unter a) dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist.
aa) Beim Kläger ist ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben. Danach wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlichen Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Das Landgericht … … hat den Kläger mit Urteil vom … April 2015 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Zu Gunsten des Klägers ist vorliegend ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegeben, da der Kläger seit dem 16. Januar 2007 eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
Sind darüber hinaus noch andere Tatbestände eines besonders schwerwiegenden oder (nur) schwerwiegenden Ausweisungs- oder Bleibeinteresses erfüllt, sind diese erst bei der nachfolgenden Abwägung der einzelfallbezogenen Umstände im Rahmen des § 53 Abs. 2 AufenthG mit dem ihnen zukommenden Gewicht zu berücksichtigen; die Annahme eines „doppelt“ oder sogar mehrfach (besonders oder nur) schwerwiegenden Interesses ist weder systematisch geboten noch von seinem Sinngehalt her vorstellbar (BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 -juris Rn. 40).
bb) Liegen nach der durch die §§ 54, 55 AufenthG vorgegebenen typisierenden Betrachtung besonders schwerwiegende Gründe vor, die sowohl für die Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet, als auch für seinen weiteren Verbleib sprechen, fällt die im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG vorzunehmende umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen (§ 53 Abs. 1, 2 AufenthG) hier zu Ungunsten des Klägers aus; danach ist seine Ausweisung für die Wahrung des betroffenen Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich.
Bei der Abwägungsentscheidung sind nach den Umständen des Einzelfalls sämtliche maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, in erster Linie die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat (§ 53 Abs. 2 AufenthG). Dabei sind vorliegend die von Art. 6 GG und von Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.
Zugunsten des Klägers ist hier vor allem einzustellen, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist. Er hat in Deutschland seine wesentliche Prägung und Entwicklung erfahren, besitzt seit gut zehn Jahren ein Daueraufenthaltsrecht und muss daher wohl als faktischer Inländer angesehen werden. Neben seiner in … wohnenden Familie spricht für sein Interesse an einem weiteren Verbleib in Deutschland seine in der Haft geschlossene Ehe mit einer Deutschen.
Dennoch fällt die Abwägungsentscheidung zwischen dem Bleibeinteresse des Klägers und dem öffentlichen Ausweisungsinteresse zu seinen Ungunsten aus. So ist dem inzwischen 26-jährigen Kläger bislang eine wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet nicht gelungen ist. Weder weist er eine abgeschlossene Berufsbildung auf noch ist er in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum hinweg einer Tätigkeit nachgegangen, obwohl er bei seinem Vater hätte arbeiten können. Seinen Schulabschluss hat er erst im Jahr 2015 gemacht und auch dies nur im überwachten Umfeld der Justizvollzugsanstalt. Eine Integration in die hiesige Gesellschaft unter Achtung und Berücksichtigung von deren Werte und Normen gelang dem Kläger bislang nicht. Bereits in Schule wurden gegen ihn Disziplinarmaßnahmen verhängt, als Teenager begann er den Drogen- und Alkoholkonsum und im Jahr 2012 erging das erste Strafurteil gegen ihn.
Die Ausweisung ist auch unter Berücksichtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten persönlichen und sonstiger Bindungen des Klägers im Bundesgebiet verhältnismäßig.
Der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG entspricht der Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2008 – 2 BvR 588/08 – juris Rn. 11 m.w.N.). Ebenso ist nach Art. 8 EMRK bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die familiäre Situation des Ausländers zu berücksichtigen (vgl. EGMR, U.v. 2.8.2001 – Boultif, Nr. 54273/00 – InfAuslR 2001, 476/478). Das von diesen Bestimmungen u.a. geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst, auch soweit es keinen familiären Bezug hat, die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen – angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen – bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.2009 – 1 C 40.07 – juris Rn. 21; BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 33).
Zwar ist der Schutzbereich des Art. 6 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK aufgrund der langjährigen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet eröffnet, der durch die Ausweisung erfolgende Eingriff ist aber verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Danach darf eine Behörde in die Ausübung des in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechts eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten notwendig ist. Nach der Rechtsprechung des EGMR (U.v. 2.8.2001 – 54273/00, Boultif; U.v. 5.7.2005 – 46410/99) sind im Rahmen der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung u.a. folgende Kriterien zu beachten: die Art und Schwere der Straftaten; das Alter des Ausländers bei der Begehung der Straftat; die Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet; die familiäre Situation des Klägers, und Dauer der Ehe; andere Faktoren, die die Wirksamkeit des Familienlebens eines Paares ausdrücken; ob der Gatte zu dem Zeitpunkt um die Straftat wusste, als eine familiäre Beziehungen aufgenommen wurde; ob Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind; die Festigkeit der sozialen, Kulturellen und familiären Bande mit dem Gastland und mit dem Heimatland und schließlich, ob der Kläger bereits als Kind, jugendlichen Alter oder erst als Erwachsener in das Bundesgebiet gekommen ist oder gar hier geboren wurde. Dabei gewährleistet nach der Rechtsprechung des EGMR Art. 8 EMRK selbst einen im Gastland geborenen Ausländer jedoch kein absolutes Recht auf Nichtausweisung (EGMR, U.v. 18.10.2006 – 46410/99). Der langjährige Aufenthalt und die Intensität der Verwurzelung im Gastland ist jedoch angemessen zu berücksichtigen.
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig. Den Bindungen zur Herkunftsfamilie des Klägers – zu seinen Eltern und seinem Bruder – ist in der Abwägung nur ein geringes Gewicht beizumessen, da der Kläger volljährig und daher nicht mehr in besonderem Maße auf die Unterstützung und Hilfe seiner Eltern angewiesen ist.
Auch der Ehe des Klägers kann bei der Abwägung der gegenläufigen Interessen kein entscheidendes Gewicht zukommen. Die Eheschließung mit seiner Freundin erfolgte in der Untersuchungshaft und damit erst nach der die Ausweisung veranlassenden Tat in Kenntnis derselben. Sie ist daher auch in Kenntnis der unsicheren Aufenthaltsperspektive geschlossen worden, zumal der Kläger nur kurz vor der Tatbegehung von dem Beklagten ausländerrechtlich verwarnt worden ist. Bei dem Gewicht, das der ehelichen Bindung in der Abwägungsentscheidung beizumessen ist, ist weiter zu berücksichtigen, dass aus der Ehe bislang keine Kinder hervorgegangen sind und die Eheleute noch nie zusammengelebt haben. Das Gericht verkennt nicht, dass die Ausweisung des Klägers die deutsche Ehefrau besonders hart trifft. Wie sich aus den Besuchslisten der JVA ergibt, hat diese den Kläger regelmäßig und oft besucht, so dass das Gericht von einer stabilen Beziehung ausgeht. Dennoch konnte die Ehe noch nicht den Beweis dafür antreten, dass sie auch den zum Teil schwierigen Anforderungen gewachsen ist, die unweigerlich eintreten werden, wenn der Kläger außerhalb der Haft eine neue Existenz ohne Drogen- und Alkoholkonsum aufbauen muss. Angesichts der Schwere und Art der vom Kläger begangenen Straftaten, der oben dargelegten Wiederholungsgefahr und dem „Vorleben“ des Klägers kann daher dem Schutz der Ehe in der Abwägungsentscheidung nur ein geringes Gewicht beigemessen werden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Strafurteil, das der Beklagte zum Anlass für die Ausweisung genommen hat, die letzte der strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers war. Der Kläger wurde bereits erstmals im Jahr 2012 vom Amtsgericht … wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Sachbeschädigung zu einer Freiheitstrafe von acht Monaten verurteilt. Nur ca. ein Jahr später erfolgte eine zweite Verurteilung ebenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zur Bewährung. Während der noch laufenden Bewährungszeit machte sich der Kläger schließlich der Taten schuldig, die der letzten Verurteilung zugrunde liegen. Die Delikte weisen im Hinblick auf die Schwere der Verfehlungen eine steigende Tendenz auf, waren auch immer gegen die körperliche Unversehrtheit gerichtet und sind in immer kürzeren Abständen verübt worden, unbeeindruckt von den drohenden Konsequenzen. Weder die Bewährungszeit, noch die Unterstellung unter einen Bewährungshelfer, noch die am 8. Juni 2014 von dem Beklagten ausgesprochene Belehrung über ausländerrechtliche Folgen bei weiteren Verfehlungen und insbesondere auch nicht die Bindungen zu seinen Eltern oder seiner damaligen Freundin bzw. Verlobten und jetzigen Ehefrau konnten ihn von der Begehung weiterer Straftaten abhalten.
Dem Kläger ist auch trotz seiner Sozialisierung in Deutschland zuzumuten, in das Land seiner Staatsangehörigkeit, dessen Sprache er auch mächtig ist, zu übersiedeln. Dort wird der 26 Jahre junge gesunde Kläger trotz fehlender Beziehungen sein Auskommen finden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass von einer gelungenen sozialen und wirtschaftlichen Integration des Klägers schon in die hiesigen Verhältnisse trotz seines lebenslangen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht ausgegangen werden kann; insoweit relativieren sich auch die fehlenden wirtschaftlichen Beziehungen in der Türkei. Dass sämtliche Verwandte des Klägers in Deutschland leben und er auch keine Verwandte und Freunde hat, die den Kläger bei seiner Rückkehr unterstützen können, erschwert zwar die Eingewöhnung in die neuen Lebensumstände, führt aber nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisungsentscheidung. Den Kontakt zum Bundesgebiet und seinen hier lebenden Angehörigen kann der Kläger von der Türkei aus aufrechterhalten, auch wenn dies mit erhöhten Schwierigkeiten verbunden ist.
Im Ergebnis der nach § 53 Abs. 1, 2 AufenthG zu treffenden Gesamtabwägung stellt sich die Ausweisung als verhältnismäßige Maßnahme dar, die zur Abwehr schwerwiegender Gefahren für die verfassungsrechtlichen Schutzgüter von Leben und körperlicher Unversehrtheit unerlässlich ist. Angesichts der Schwere und Art der begangenen Straftaten sowie der bestehenden Wiederholungsgefahr überwiegt das öffentliche Ausreiseinteresse. Der Schutz der Bevölkerung vor Gewalttaten bis hin zu Tötungsdelikten stellt ein Grundinteresse der Gesellschaft dar, zu dessen Wahrung die Ausreise des Klägers notwendig und erforderlich ist. Die Ausweisung ist die geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme, um den beabsichtigten Zweck durchzusetzen. Durch ein anderes, milderes Mittel kann der mit ihr verfolgte Zweck, nämlich die Verhinderung weiterer schwerwiegender Straftaten, vorliegend nicht erreicht werden.
4. Die in der Klage gegen die Ausweisungsverfügung regelmäßig als „Minus“ enthaltene Verpflichtungsklage auf Verkürzung der Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung nach § 11 AufenthG bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 10. Mai 2016 enthaltene Befristung der Ausweisung auf sieben Jahre ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Für einen Ausländer, der ausgewiesen oder abgeschoben worden ist, gilt nach § 11 Abs. 1 AufenthG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, dessen Dauer von Amts wegen nach Ermessen zu befristen ist (§ 11 Abs. 2 und 3 AufenthG). Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden. Die für die Bestimmung der Länge der Sperrfrist maßgeblichen Kriterien der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, und der anschließenden Relativierung anhand höherrangiger Rechtsnormen, und damit die Ausrichtung am Zweck der Ermächtigung und die Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens (Art. 40 BayVwVfG), überprüft das Gericht vollständig (§ 114 Satz 1 VwGO). Doch verbleibt der Behörde mit dem vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessen ein – wenn auch geringer – Spielraum bei der Festsetzung der Dauer der Sperrfrist, die sich an den verfassungs-, unions- und völkerrechtlichen Wertentscheidungen messen lassen muss (BayVGH, B.v. 12.7.2016 – 10 B 14.1854 – juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 28.5.2016 – 10 B 15.1854 – juris, Rn. 49).
Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht ersichtlich. Die behördliche Entscheidung hält sich in dem von § 11 Abs. 3 AufenthG festgelegten Rahmen. Danach darf die Frist fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten.
Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen; es bedarf einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, wie lange also die Gefahr besteht, dass der Ausländer weitere Straftaten oder andere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begehen wird, wobei die Umstände des Einzelfalles anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen sind. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen; dieses normative Korrektiv bietet den Ausländerbehörden und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56). Diese vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze (BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12- juris Rn. 32; U.v. 13.12.2012 – 1 C 14/12 – InfAuslR 2013, 141 Rn. 13 ff.; U.v. 14.5.2013 – 1 C 13/12 – NVwZ-RR 2013, 778 Rn. 32 f.) gelten auch im Rahmen der geänderten Fassung des § 11 AufenthG fort (BayVGH, B.v. 13.5.2016 – 10 ZB 15.492 – juris Rn. 4; BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – Rn. 50).
Gemessen an diesen Vorgaben ist eine Frist von sieben Jahren nicht zu beanstanden. Der Beklagte berücksichtigte einerseits, dass der Kläger sich seit seiner Geburt im Bundesgebiet befindet und bis zur Bekanntgabe seiner Ausweisung im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war. Gleichzeitig stellte der Beklagte zutreffend auf die gefährdeten Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Wiederholungsgefahr andererseits ab. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist es nicht – auch gemessen an den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben des Art. 8 EMRK – zu beanstanden, wenn der Beklagte im Rahmen seines Ermessens einen Zeitrahmen von sieben Jahren für erforderlich hält, um dem hohen Gefahrenpotential des Klägers Rechnung tragen zu können.
5. Die Abschiebung aus der Haft heraus (Nr. 3 des Bescheids) beruht auf § 58 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden.
6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Illegale Müllentsorgung

Warme Sonnenstrahlen bringt der Frühlingsanfang mit sich und lockt die Menschen vor die Türe. Hier wird auf öffentlichen Plätzen gegrillt, dort eine Flasche Wein getrunken - was häufig bleibt ist der liegengebliebene Müll.
Mehr lesen