Strafrecht

Verlustfeststellung Freizügigkeitsrecht EU

Aktenzeichen  AN 11 K 17.01173

Datum:
11.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53972
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 2, § 4a, § 6, § 7
StGB § 64
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1
BtMG § 35
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 1, § 154 Abs. 1, § 167
ZPO § 708 f.

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die in Ziffer I verfügte Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland ist ebenso wenig zu beanstanden, wie die in Ziffer IV und V verfügten Annexentscheidungen. Auch begegnet die unter Ziffer II verfügte Befristung der Wirkungen der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts auf die Dauer von acht Jahren ab Ausreise/Abschiebung derzeit keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefoch-tenen Bescheid, denen das Gericht folgt, Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend wird hierzu Folgendes ausgeführt:
Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – juris Rn. 11).
1. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU unbeschadet des § 2 Abs. 7 und des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich alleine nicht, um die Verlustfeststellung zu begründen. Es dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nur im Bundeszentralregister nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach Abs. 1 nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Darüber hinaus darf nach § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU u.a. nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wurde. Bei der Entscheidung über die Verlustfeststellung sind nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
Nach Überzeugung des Gerichts liegt eine vom Kläger ausgehende gegenwärtige tatsächliche und hinreichende schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, vor.
Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung, ob im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch ein persönliches Verhalten des Betroffenen zu erkennen ist, ebenso wie bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung, eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 19 ZB 19.914 – juris Rn. 9 m.w.N.). Nach dem Gefahrenmaßstab des § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dieser Maßstab verweist – anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizeirecht – nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich ein Grundinteresse der Gesellschaft, das berührt sein muss (vgl. NdsOVG, B.v. 5.9.2019 – 13 ME 278/19 – juris Rn. 6). Eine strafrechtliche Verurteilung kann eine Verlustfeststellung nur insoweit rechtfertigen, als die ihr zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 – C-316/16 und C-424/16 – juris Rn. 92; U.v. 29.4.2004 – C-482/01 und C-493/01 – DVBl. 2004, 876, Rn. 67 m.w.N.). Es besteht keine dahingehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten allein die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet (vgl. BVerwG, B.v. 30.6.1998 – 1 C 27.95 – InfAuslR 1999, 59). Ob die Begehung einer Straftat nach deren Art und Schwere (vgl. EuGH, U.v. 29.4.2004, a.a.O., Rn. 99) ein persönliches Verhalten erkennen lässt, das ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, kann nur aufgrund der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden.
Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und die Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu berücksichtigen. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens zu differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 19 ZB 19.914 – juris Rn. 9).
Nach ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 19 ZB 19.914 – juris Rn. 9 m.w.N.). Illegaler Drogenhandel zählt dabei zu den Straftaten, die dem Bereich besonders schwerer Kriminalität nach Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV zugeordnet werden. Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, die in der Werteordnung der Grundrechte einen sehr hohen Rang einnehmen. Rauschgift bedroht diese Schutzgüter in hohem Maße und trägt dazu bei, dass soziale Beziehungen zerbrechen und die Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, die auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 19 ZB 19.914 – juris Rn. 10).
Die Auskunft aus dem Bundeszentralregister zu dem Kläger vom 29. März 2017 enthält sieben Eintragungen, überwiegend aus dem Bereich der Beschaffungskriminalität, darunter auch der Versuch einer schweren räuberischen Erpressung. Die zuletzt ergangene Verurteilung des Klägers durch das Landgericht … vom … wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten wiegt schwer. Das Strafgericht gewichtete im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Klägers, dass er mit Heroin, d.h. einer „harten“ Drogen, Handel getrieben hat und dabei die nicht geringe Menge an Heroin deutlich überschritten war. Darüber hinaus wurden zu Lasten des Klägers die teils einschlägigen Vorstrafen gewichtet sowie der Umstand, dass sich der Kläger im Tatzeitpunkt unter einschlägiger Reststrafenbewährung befand. Die vorangehenden Verurteilungen, seine zahlreichen Haftaufenthalte sowie auch die zweimalige Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und weitere (erfolglose) Therapiemaßnahmen hielten den sich unter offener Bewährung befindlichen Kläger nicht davon ab, erneut straffällig zu werden und mit dem – aufgrund seines hohen Abhängigkeitspotenzials – besonders gefährlichen Betäubungsmittel Heroin Handel zu treiben. Die der letzten strafrechtlichen Verurteilung bzw. der Anlasstat zugrundeliegenden Umstände lassen erkennen, dass der Kläger bereit war, mit einer großen Menge einer der gefährlichsten Drogen zur Gewinnerzielung und Befriedigung seiner eigenen Drogenabhängigkeit unerlaubt Handel zu treiben. Dabei habe ihm bewusst sein müssen – insbesondere aus seiner eigenen Erfahrung -, dass das Rauschgift zu den Substanzen mit dem höchsten körperlichen und psychischen Abhängigkeitspotenzial überhaupt gehöre. Dieses Verhalten begründet eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Es berührt in schwerwiegender Weise das Grundinteresse der Gesellschaft an der Einhaltung der Strafrechtsnormen als Grundregeln für eine friedliche Koexistenz (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 19 ZB 18.1611 – juris Rn. 7).
Entgegen den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten ist nach Überzeugung des Gerichts eine Wiederholungsgefahr gegeben.
Bei einem mit nicht geringen Mengen handelnden, selbst süchtigen Freizügigkeitsberechtigten kann von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange er nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 19 ZB 18.1611 – juris Rn. 9; B.v. 2.1.2019 – 10 ZB 18.1638 – juris Rn. 6). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 19 ZB 18.1611 – juris Rn. 9; B.v. 31.1.2019 – 10 ZB 18.1534 – juris). Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen konnte die Beklagte im Fall des Klägers bereits im Zeitpunkt des Bescheiderlasses von einer Wiederholungsgefahr ausgehen. Dies gilt umso mehr in Anbetracht des Umstandes, dass der Maßregelvollzug, in dem sich der Kläger seit 17. Januar 2017 befand, abgebrochen wurde. Die angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts … vom … für erledigt erklärt und die Vollstreckung des Rests der mit Urteil des Landgerichts …vom … verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt. Der Grund hierfür war insbesondere, dass der Kläger im Dezember 2018 aus der Maßregel entwichen ist. Weiter stellt die Strafvollstreckungskammer unter Zugrundelegung des Berichts des Bezirkskrankenhauses fest, dass davon auszugehen sei, dass der Kläger aufgrund mangelnder Abstinenzmotivation weiterhin Suchtmittel konsumieren und ähnlich dem Anlassdelikt unerlaubt Handeltreiben mit und Erwerb von Betäubungsmitteln im Sinne klassischer Beschaffungskriminalität nachgehen werde. Zudem seien ähnlich den bisherigen Verurteilungen Betäubungsmitteldelikte, Diebstähle (mit Waffen), Sachbeschädigungen, räuberische Erpressungen sowie Körperverletzungsdelikte zu erwarten. Aus in der Person des Klägers liegenden Gründen erscheine die weitere Therapie im Maßregelvollzug aussichtslos. Soweit der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, dass der Kläger, um vom Heroin loszukommen, nun zu einer Substitutionstherapie bereit sei, was er bisher, aus Angst von anderen Mitteln abhängig zu werden, abgelehnt habe und dass der Kläger eine Entzugstherapie nach § 35 BtmG anstrebe, so ist dies bei der gegebenen Sachlage nicht geeignet, eine Wiederholungsgefahr zu entkräften. Der Kläger ist während der letzten Unterbringung in der Entziehungsanstalt mehrmals rückfällig geworden und ist dann sogar aus dem Maßregelvollzug entwichen. Er hat bereits mehrere Entzugstherapien durchlaufen, wobei sich die Rückfallgeschwindigkeit erhöht hat. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nun sein Verhalten grundlegend und nachhaltig verändern wird, können Seitens des Gerichts leider nicht erkannt. Insbesondere ist der Kläger trotz des Beistandes seiner geschiedenen Ehefrau, seiner zwölfjährigen Tochter und seiner erwachsenen Stieftochter, die sich auch in Briefen an das Gericht gewandt haben und trotz bereits erlassener Ausweisungsverfügung erneut rückfällig geworden und aus der Entziehungsanstalt entwichen. Angesichts dessen ist nach Ansicht der Kammer zum jetzigen Zeitpunkt keine Grundlage für einer positive Prognose gegeben und daher eine vom Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr zu bejahen.
b) Es ist davon auszugehen, dass der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a FreizügG/EU erworben hat, da er sich seit – mehr als – fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Damit unterfällt der Kläger dem besonderen Schutz des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU. Eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU bedarf somit schwerwiegender Gründe im Sinne des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU.
Unabhängig von der Frage, ob der Kläger angesichts seiner Inhaftierungen – wie die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid angenommen hat – unter den nochmals weitergehenden Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU fällt (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris), liegen auch zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU vor. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wurde. Nach den Erwägungsgründen der RL 2004/38 sind zwingende Gründe nur bei außergewöhnlichen Umständen gegeben. Was darunter zu verstehen ist, definiert die Richtlinie nicht. Die Schrankensystematik des Unionsrechts legt eine Auslegung nahe, die nur bei schwersten Straftaten in Verbindung mit einer Wiederholungsgefahr und besonders schwerwiegenden Merkmalen hinsichtlich der Art und Weise der Begehung aufenthaltsbeendende Maßnahmen ermöglicht (VG Augsburg, U.v. 14.11.2017 – Au 1 K 17.249 – juris Rn. 31).
Diese Voraussetzungen sind gegeben. Der Kläger wurde aufgrund des begangenen Betäubungsmitteldelikts zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Er ist mehrfach einschlägig vorbestraft. Wie bereits ausgeführt, gehört illegaler Drogenhandel zu den in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten Straftaten im Bereich der besonders schweren Kriminalität. Zudem geht das Gericht von einer Wiederholungsgefahr aus. Unter Würdigung der Gesamtumstände insbesondere des der Straftat zugrunde liegenden Handeltreibens mit einer nicht geringen Menge der „harten“ Droge Heroin, der mehrfachen Straffälligkeit des Klägers auch unter offener Bewährung und unter Berücksichtigung der nicht gegebenen Aufarbeitung der mit der Betäubungsmitteldelinquenz im Zusammenhang stehenden Sucht ist die Annahme außergewöhnlicher Umstände und damit zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt.
c) Die Beklagte hat bei Erlass der Verlustfeststellung das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Hierbei ist gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
Das Gericht kann die Ermessensentscheidung der Beklagten gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich darauf hin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die in § 6 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU genannten Belange in ihre Entscheidung einbezogen und in vertretbarer Weise gewichtet.
Die Beklagte hat ermessensfehlerfrei festgestellt, dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Klägers und Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet überwiegt. Sie hat in ihrer Ermessensentscheidung zutreffend berücksichtigt, dass zunächst eine wirtschaftliche und soziale Integration des Klägers im Bundesgebiet stattgefunden hat, dass der Kläger eine gute Beziehung zu seiner minderjährigen Tochter hat, er mehrmals versucht hat, von seiner Drogensucht wegzukommen und auch eine gewisse Zeit drogenfrei gewesen ist. Berücksichtigt hat sie aber auch, dass der Kläger in Italien aufgewachsen ist und dort auch noch Angehörige leben. Ferner hat sie die Auswirkungen der begangenen Betäubungsmitteldelikte auf die Allgemeinheit berücksichtigt sowie den Umstand, dass der Kläger aufgrund seiner Drogensucht seine sozialen Bindungen zum Teil verloren hat und seit September 2013 keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgeht. Er ist mit ca. 35.000 Euro verschuldet. Die Beklagte hat insbesondere die familiären Bindungen des Klägers angemessen gewürdigt. Dabei hat sie allerdings auch berücksichtigt, dass es dem Kläger möglich und zumutbar ist, den Kontakt, insbesondere zu seiner minderjährigen Tochter, anderweitig, z.B. telefonisch oder über soziale Medien, aufrechtzuerhalten. Ermessensfehlerfrei ist die Beklagte zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Kläger ein Leben in Italien zumutbar ist. Dass die Beklagte den Belangen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung den Vorrang eingeräumt und die Wiederholungsgefahr als derart schwerwiegend eingestuft hat, dass die persönlichen Belange des Klägers zurückzutreten haben, ist nicht zu beanstanden.
d) Die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechtes des Klägers ist auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig.
Ein Eingriff in die Schutzgüter des Art. 8 EMRK kommt namentlich dann in Betracht, wenn der Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügt (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 19 ZB 19.914 – juris Rn. 27). Vorliegend ist der Kläger im Alter von 22 Jahren in das Bundesgebiet eingereist. In Deutschland leben die zwölfjährige Tochter des Klägers sowie seine erwachsene Stieftochter. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger die italienische Sprache spricht, da er dort bis Anfang zwanzig gelebt hat. Zwar ist ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens anzunehmen, allerdings ist dieser unter Abwägung aller Umstände zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt. Insbesondere ist dem Kläger auch eine Reintegration im Heimatland möglich und zumutbar.
2. Keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet derzeit die in Ziffer II des angefochtenen Bescheids verfügte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf die Dauer von acht Jahren ab Ausreise/Abschiebung.
Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU dürfen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ihr Freizügigkeitsrecht nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU verloren haben, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 5 ist die Verlustfeststellung bereits mit Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Vorschrift gewährt Unionsbürgern einen strikten Rechtsanspruch auf die Befristung (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 – juris Rn. 22). Nach § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU ist die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf die Dauer von fünf Jahren nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten. Wie oben festgestellt, liegt ein Fall des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU vor. Die Beklagte geht zutreffend davon aus, dass von dem Kläger auch künftig schwerwiegende Straftaten zu erwarten sind. Trotz der im Bundesgebiet lebenden minderjährigen Tochter ist die Beklagte unter Berücksichtigung aller für und gegen den Kläger sprechenden Umstände zu dem Ergebnis gekommen, die Wirkung der Verlustfeststellung auf die Dauer von acht Jahren ab Ausreise/Abschiebung zu befristen. Diese Frist erscheint auch dem Gericht im Hinblick auf die von dem Kläger ausgehenden Gefahren derzeit noch verhältnismäßig. Einer positiven Entwicklung des Klägers nach Erlass der Verlustfeststellung – etwa durch eine erfolgreiche Therapie während der Strafhaft – kann durch eine nachträgliche Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU Rechnung getragen werden (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18.14 – DVBl 2015, 780 Rn. 22 ff.).
3. Die verfügte Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise von einem Monat nach Zustellung des Bescheids ist ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 7 Abs. 1 Satz 1 bis 3 FreizügG/EU).
4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet ab-zuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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