Aktenzeichen 11 ZB 16.1255
FeV § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, S. 2, § 46 Abs. 1 S. 2
Richtlinie 91/439/EWG Art. 1, Art. 7 Abs. 5, Art. 8 Abs. 2, Abs. 4
Leitsatz
1 Der Verzicht auf die deutsche Fahrerlaubnis beinhaltet auch den Verzicht auf das Recht, Kraftfahrzeuge im Bundesgebiet aufgrund einer zum Verzichtszeitpunkt bestehenden ausländischen Fahrerlaubnis zu führen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch europarechtlich folgt keine Anerkennungspflicht hinsichtlich einer ausländischen Fahrerlaubnis, die vor der deutschen Fahrerlaubnis erteilt wurde, wenn die deutsche Fahrerlaubnis wegen Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen oder auf die deutsche Fahrerlaubnis verzichtet wurde, um einer Entziehung zuvorzukommen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RO 8 K 16.459 2016-05-11 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, dass er nicht berechtigt ist, mit seiner polnischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge zu führen.
Der 1980 geborene Kläger erwarb am 22. September 1997 eine polnische Fahrerlaubnis der Klasse B, am 7. Juli 2000 eine deutsche Fahrerlaubnis der Klasse B. Am 8. Juni 2004 wurde seine polnische Fahrerlaubnis (in Polen) um die Klasse A erweitert. Am 22. März 2013 führte er ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln (Amphetamin, 33 ng/ml).
Am 11. September 2013 verzichtete der Kläger auf seine deutsche Fahrerlaubnis. Er erklärte, ihm sei auch bewusst, dass er ab sofort keine fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeuge mehr führen dürfe; den deutschen Führerschein gab er ab.
Am 1. Februar 2016 wurde der Kläger als Führer eines Pkw einer Polizeikontrolle unterzogen; dabei zeigte er seinen polnischen Führerschein vor.
Nach vorheriger Anhörung stellte die Fahrerlaubnisbehörde mit Bescheid vom 17. März 2016 fest, dass der Kläger nicht berechtigt ist, mit seiner polnischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge zu führen (Nr. 1 des Bescheids) und verfügte unter Androhung von Zwangsmitteln die Vorlage des polnischen Führerscheins des Klägers binnen acht Tagen nach Zustellung des Bescheids (Nrn. 2 und 4).
Die gegen den Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 11. Mai 2016 ab.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E. v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGH 59, 47/52; E. v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 54), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
1. Der Kläger ist nicht berechtigt, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Das ergibt sich schon daraus, dass er am 11. September 2013 auf seine deutsche Fahrerlaubnis verzichtet hat, um eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV zu vermeiden. Der Kläger ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr, weil er Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) konsumiert hat.
Die klägerische Annahme, er könne nach dem erklärten Verzicht auf seine deutsche Fahrerlaubnis mit einer zuvor erteilten Fahrerlaubnis eines anderen Staats Kraftfahrzeuge im Bundesgebiet führen, ist rechtsirrig. Der Verzicht auf die deutsche Fahrerlaubnis beinhaltet auch den Verzicht auf das Recht, Kraftfahrzeuge im Bundesgebiet aufgrund einer zum Verzichtszeitpunkt bestehenden ausländischen Fahrerlaubnis zu führen. Jedes andere Verständnis einer Verzichtserklärung wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Der Kläger verzichtete keinesfalls nur auf seinen deutschen Führerschein und die darin dokumentierte Fahrerlaubnis, sondern auf seine Fahrerlaubnis im Bundesgebiet, d. h. auf sein Recht, im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge zu führen. Diesem Verständnis entsprechen auch die Verfahrensregelungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV, wonach nach der Entziehung oder der Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung ausländische Führerscheine unverzüglich der Behörde zum Eintrag eines Sperrvermerks hinsichtlich der Fahrberechtigung im Inland vorzulegen sind, wobei der Verzicht auf eine Fahrerlaubnis, um eine Entziehung zu vermeiden, der Entziehung oder der Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung gleichsteht (vgl. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV).
Diese Auslegung der Verzichtserklärung wird hier besonders deutlich durch die weitere Erklärung des Klägers, ihm sei auch bewusst, dass er ab sofort kein fahrerlaubnispflichtiges Fahrzeug mehr führen dürfe. In gleicher Weise, wie man auf eine deutsche Fahrerlaubnis verzichten kann, kann man auch auf das Recht verzichten, von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen.
Da der Kläger bereits auf seine Fahrerlaubnis verzichtet hat, bedarf es entgegen dem Zulassungsvorbringen keines rechtsgestaltenden Verwaltungsakts mehr, mit dem dem Kläger das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet aberkannt wird. Vielmehr reicht die zutreffende Feststellung im streitgegenständlichen Bescheid.
2. Der Kläger irrt auch mit der von ihm vorgenommenen Auslegung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Februar 2009 (Schwarz – C-321/07 – juris). Zwar ist es richtig, dass der EuGH in dieser Entscheidung (Leitsatz 1) ausgesprochen hat, dass Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439/EWG vom 29. Juli 1991 über den Führerschein dahingehend auszulegen ist, dass er dem nicht entgegensteht, dass ein Angehöriger eines Mitgliedstaats zwei gültige Führerscheine gleichzeitig besitzt, deren einer ein EG-Führerschein und deren anderer ein von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein ist, wenn beide vor dem Beitritt des zuletzt genannten Staats zur Europäischen Union erworben wurden. Eine vor dem Beitritt eines jetzigen Mitgliedstaats erteilte Fahrerlaubnis verliert somit nicht ihre Gültigkeit. Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439/EWG stellt keinen Anwendungsvorrang auf und ordnet weder den automatischen Verlust der ersten Fahrerlaubnis noch die Ungültigkeit der zweiten Fahrerlaubnis an.
Der Beklagte macht jedoch nicht die Ungültigkeit der polnischen Fahrerlaubnis des Klägers geltend; er stellt mit dem streitgegenständlichen Bescheid in rechtmäßiger Weise nur fest, dass der Kläger kein Recht hat, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. EU-Recht steht dem nicht entgegen. Denn im Leitsatz 2 führt der EuGH in der Entscheidung vom 19. Februar 2009 (a. a. O.) aus:
„Die Art. 1 und 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG verwehren es einem Mitgliedstaat nicht, die Anerkennung des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen abzulehnen, dass sich aus einer Fahrerlaubnis ergibt, die ein anderer Staat vor seinem Beitritt zur Europäischen Union erteilt hat, wenn diese Fahrerlaubnis vor einer Fahrerlaubnis erteilt wurde, die der zuerst genannte Mitgliedstaat erteilt hat, in dem diese zweite Fahrerlaubnis wegen Nichteignung ihres Inhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen wurde“.
Könnte eine nationale Maßnahme des Entzugs dadurch umgangen werden, dass man von einem Führerschein Gebrauch machen könnte, der vor Erteilung der wegen Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogenen Fahrerlaubnis ausgestellt wurde, ohne dass der Beweis erbracht wird, dass derjenige, der diesen zuvor erteilten Führerschein vorlegt, zu dem Zeitpunkt, zu dem er von ihm Gebrauch macht, gemäß der Richtlinie 91/439/EWG zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, würde dies die Sicherheit im Straßenverkehr gefährden (EuGH, E. v. 19.2.2009 a. a. O. Rn. 96).
Außerdem wäre es paradox, einem Mitgliedstaat die Anerkennung des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen, das sich aus einer Fahrerlaubnis ergibt, die ein anderer Mitgliedstaat vor einer von dem ersten Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis erteilt hat, vorzuschreiben, obwohl diese zweite Fahrerlaubnis wegen Nichteignung ihres Inhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen wurde. Verfügt ein Angehöriger eines Mitgliedstaats über eine einzige, in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte Fahrerlaubnis, ist der erste Mitgliedstaat nämlich nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG befugt, seine Vorschriften über den Entzug, z. B. wegen Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, auf ihn anzuwenden (EuGH, E. v. 19.2.2009 a. a. O. Rn. 97).
Daraus folgt eindeutig, dass es keine Anerkennungspflicht hinsichtlich einer ausländischen Fahrerlaubnis gibt, die vor der deutschen Fahrerlaubnis erteilt wurde, wenn die deutsche Fahrerlaubnis wegen Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen oder auf die deutsche Fahrerlaubnis verzichtet wurde, um einer Entziehung zuvorzukommen.
Besteht keine Pflicht zur Anerkennung einer ausländischen (EU-)Fahrerlaubnis, so steht EU-Recht einer nationalen Vorschrift nicht entgegen, die in einem solchen Fall generell die Ungültigkeit einer solchen Fahrerlaubnis im nationalen Gebiet vorsieht. Das Recht zur Nichtanerkennung bedeutet nicht, dass in jedem individuellen Fall das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis im nationalen Gebiet Gebrauch zu machen, aberkannt werden müsste. Das ist nur der Fall, wenn die Anerkennungspflicht grundsätzlich besteht, die Inlandsungültigkeit der ausländischen Fahrerlaubnis aber im Einzelfall wegen nachträglich eingetretener Ungeeignetheit aberkannt werden soll.
§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV regelt daher, dass die Berechtigung aufgrund einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge zu führen, nicht gilt für Inhaber einer solchen Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland bestandskräftig entzogen worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben. Die Vorschrift verstößt, soweit sie Fahrerlaubnisse anderer EU-Mitgliedstaaten betrifft, die vor der deutschen – später entzogenen oder wegen Verzichts unwirksam gewordenen – EU-Fahrerlaubnis erteilt wurden, nicht gegen EU-Recht.
3. Die Darlegung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) erfordert die Formulierung einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage, die Ausführung ihrer Entscheidungserheblichkeit für den Rechtsstreit, die Erläuterung der Klärungsbedürftigkeit der Frage und die Darstellung, warum die Frage über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist.
Die vom Kläger aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig. Die vor Erteilung der deutschen Fahrerlaubnis erworbene polnische Fahrerlaubnis des Klägers ist nach seinem Verzicht auf die deutsche Fahrerlaubnis, wie dargelegt, inlandsunwirksam. Warum § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV, wonach in den Fällen des Satzes 1 die Behörde einen feststellenden Bescheid über die fehlende (Inlands-)Fahrberechtigung erlassen kann, gegen EU-Recht verstoßen sollte, hat der Kläger nicht dargelegt. Das ist auch nicht der Fall.
4. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 und § 52 Abs. 1, Abs. 3 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).
6. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).