Verwaltungsrecht

Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig

Aktenzeichen  Au 6 K 20.50007

Datum:
11.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5112
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 9, Art. 10, Art. 11, Art. 17

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Vorliegend ist davon auszugehen, dass Kroatien im auch für die Anwendung der Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG, vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15 – juris Rn. 8) für die Behandlung des Asylgesuchs des Klägers zuständig ist. Der Kläger hat sich nachweislich in Kroatien aufgehalten. Bestätigt wird dies durch die Rückübernahmezusage Kroatiens. Kroatien ist somit gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gehalten, den Kläger wieder aufzunehmen; die dortigen Behörden haben das Wiederaufnahmegesuch angenommen (Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO).
2. Die Abschiebung des Klägers nach Kroatien kann auch durchgeführt werden, da ihr keine systemischen Mängel in Kroatien entgegenstehen. Gründe, von einer Überstellung gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO abzusehen, sind nicht ersichtlich.
Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO setzt voraus, dass es sich als unmöglich erweist, einen Kläger an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Kläger in diesem Mitgliedsstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCharta) mit sich bringen. Den nationalen Gerichten obliegt die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Kläger führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-493/10 – juris). An die Feststellung solcher systemischer Schwachstellen sind hohe Anforderungen zu stellen. Von derartigen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im betreffenden Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – NVwZ 2014,1039).
a) Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung ist nach Überzeugung des Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Kroatien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – juris, Rn. 71; VG Augsburg, U.v. 13.11.2018 – Au 6 K 18.50813 – juris Rn. 23 ff.; VG Magdeburg, B.v. 14.11.2019 – 8 B 400/19 – juris Rn. 34 ff. m.w.N. zur Möglichkeit eines Asylantrags trotz Verfahrenseinstellung in Abwesenheit, zur Unterbringung und Versorgung einschließlich medizinischer Versorgung). Auf die angeführten Entscheidungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen; Gegenteiliges hat auch der Kläger nicht substantiiert vorgebracht.
Systemische Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Kroatien, die einer Abschiebung des Klägers entgegenstehen würden, wurden weder glaubhaft vorgetragen noch sind diese ersichtlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Kroatien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Auch liegen dem Gericht keine Kenntnisse darüber vor, dass namhafte sachverständige Institutionen, Nicht-Regierungsorganisationen oder insbesondere der UNHCR eine Empfehlung dahingehend ausgesprochen hätten, Asylbewerber nicht nach Kroatien zu überstellen. Vielmehr stellt sich die Situation wie folgt dar:
aa) Personen, die im Rahmen der Dublin-VO nach Kroatien zurückkehren, haben prinzipiell vollen Zugang zum kroatischen Asylsystem. Wenn Rückkehrer Kroatien vor dem Ende ihres ursprünglichen Verfahrens verlassen haben und das Verfahren daher suspendiert wurde, müssen sie bei Rückkehr gemäß Art. 18 Abs. 2 der Dublin-III-VO neuerlich einen Asylantrag stellen. Wer hingegen vor Verlassen des Landes seinen Antrag explizit zurückgezogen hat bzw. eine Zurückweisung erhalten hat, gilt als Folgeantragsteller (BFA Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kroatien, Stand: 14.11.2028, S. 6; aida, Country Report: Croatia, 2018 update, S. 43). Die Dublin III-VO gilt mangels Umsetzung direkt (aida, ebenda S. 39). Die Rechtsbehelfsfrist gegen eine ablehnenden Entscheidung des Innenministeriums zum Verwaltungsgerichtshof beträgt acht Tage ab ihrer Bekanntgabe und hat in allen Fällen – mit Ausnahme einer Zuerkennung von Schutz in einem anderen Staat – aufschiebende Wirkung (aida, ebenda S. 45).
Soweit kritisiert wird, Kroatien habe illegal eingereiste Migranten nach Serbien zurückgeschoben (Amnesty International, Amnesty Report Kroatien vom 23.5.2018, S. 2), betraf dies keine Fälle von im Dublin III-Verfahren zurückgeführten Asylsuchenden.
bb) Besonders vulnerable Personen genießen besondere Gewährleistungen.
Als vulnerabel gelten unmündige Personen, Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, alte und gebrechliche Personen, ernsthaft Kranke, Behinderte, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, psychisch Kranke, Opfer von Menschenhandel und Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen psychologischer, physischer und sexueller Gewalt (z.B. FGM-Opfer). Ihnen ist geeignete Unterstützung, auch medizinische Versorgung, zu bieten und hierzu sollen sie durch speziell geschulte Beamte identifiziert werden, die das Aufnahmezentrum für Asylwerber je nach Bedarf entsprechend informieren (BFA Österreich, ebenda S. 7; zum Ganzen auch aida, ebenda S. 50 ff.). Die weitere Ermittlung besonderer Schutzbedürftigkeit erfolgt in der Unterbringung durch Sozialarbeiter oder Mitarbeiter von NGOs, die mit dem Ministerium zusammenarbeiten; trotz der Zusammenarbeit zwischen den NGOs und dem Innenministerium findet zwischen ihnen kein systematischer Informationsaustausch statt. In der derzeitigen Praxis wird offensichtliche Vulnerabilität (z.B. Traumata, Folter, Opfer von Menschenhandel usw.) seltener erkannt (BFA Österreich, ebenda S. 7; zur Unterbringung S. 13 f.).
Anträge von Unbegleiteten Minderjährigen Asylwerbern (UMA) haben Priorität; ihnen ist vom Zentrum für soziale Wohlfahrt noch vor Antragstellung ein geeigneter Vormund zur Seite zu stellen. Laut Angaben des Ministeriums gab es im Jahr 2017 in der Praxis Verzögerungen bei der Bestellung eines gesetzlichen Vormunds. Vormunde sind in der Regel Mitarbeiter des zuständigen Zentrums für soziale Wohlfahrt, üblicherweise Juristen, Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen. Überlastung und Verständigungsprobleme können dazu führen, dass die Rolle der Vormunde eher formal bleibt und sie nicht aktiv im Sinne ihrer Schutzbefohlenen tätig werden. 2016 wurden auch Mitarbeiter des Kroatischen Roten Kreuzes in einigen Fällen als Vormunde bestellt. Der Vormund hat im besten Interesse des Kindes alle notwendigen Abklärungen mit Behörden, NGOs, usw. zu treffen. Ist ein UM über 16 Jahre und verheiratet, ist kein Vormund zu bestellen (BFA Österreich, ebenda S. 7 f.; dort auch zur medizinischen Altersfeststellung; zum Ganzen auch aida, ebenda S. 51 ff.). UMA unter 14 Jahren werden in Kinderheimen und jene über 14 Jahren werden in Justizvollzugsanstalten für Kinder und Jugendliche mit Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen untergebracht. Die Mitarbeiter dieser Einrichtungen sind jedoch nicht auf den Umgang mit UMA vorbereitet, so dass Nichtregierungsorganisationen die Aufnahmegarantien für UMA als nicht angemessen kritisieren (BFA Österreich, ebenda S. 8).
cc) Asylwerber in Kroatien haben das Recht auf materielle Versorgung während des Asylverfahrens.
Nach den Erkenntnissen zu Kroatien werden – auch besonders schutzbedürftige – Asylbewerber, nachdem ihnen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, nicht so sich selbst überlassen, dass sie beachtlich wahrscheinlich in eine existenzielle Notlage geraten würden. Vielmehr können sie in Kroatien trotz bestehender Schwierigkeiten auf staatliche Unterstützung zurückgreifen, um aus eigener Kraft eine Existenzgrundlage aufzubauen (VG Magdeburg, B.v. 14.11.2019 – 8 B 400/19 – juris Rn. 34 ff. m.w.N.).
Dieses Recht umfasst Unterbringung, Verpflegung, Kleidung und finanzielle Unterstützung und gilt ab dem Zeitpunkt, an dem sie den Willen zur Asylantragsstellung erkennen lassen. Nur für Folgeantragsteller gelten Einschränkungen. Die monatliche finanzielle Unterstützung gibt es ab Unterbringung in einem Zentrum. Diese betrug Ende 2017 100 Kuna (EUR 13,30) für eine Person. Gibt es abhängige Familienmitglieder, erhöht sich der Betrag. Trotzdem gilt die Unterstützung als sehr gering bemessen. Seit Mitte 2016 dürfen Asylwerber in Zagreb die öffentlichen Verkehrsmittel gratis benützen. Asylwerber, deren Verfahren nach 9 Monaten noch nicht entschieden ist, haben das Recht zu arbeiten. Der faktische Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber wird durch die Sprachbarriere und hohe Arbeitslosigkeit behindert. Asylwerber haben keinen Zugang zu Jobtrainings, sie können aber innerhalb der Unterbringungszentren mitarbeiten und werden in Form zusätzlicher Bedarfsartikel entlohnt (BFA Österreich, ebenda S. 10).
Weiter haben Asylwerber während des Asylverfahrens das Recht auf Unterbringung in Unterbringungszentren für Asylwerber. Auf Antrag können sie auf eigene Kosten außerhalb eines Zentrums wohnen. Kroatien verfügt über 2 offene Unterbringungszentren für Asylwerber, in Zagreb „Hotel Porin“ (Kapazität: 600 Plätze) und in Kutina (Kapazität: 100 Plätze). Beide Zentren werden vom kroatischen Innenministerium geführt, wobei Kutina primär der Unterbringung vulnerabler Asylwerber dient. Bezüglich der Unterbringungsbedingungen werden keine besonderen Probleme berichtet, bis auf den schlechten Zustand der Zimmer in Zagreb, der sich aber durch die im Jahr 2018 durchgeführten Renovierungsarbeiten ändern soll. Es gibt in den Zentren u.a. präventive Maßnahmen gegen sexuelle und geschlechtsbezogene Gewalt, Sprachkurse, Arbeitsvermittlung usw. Mehrere NGOs sind in den Zentren präsent und bieten Unterstützungsmaßnahmen an (BFA Österreich, ebenda S. 11).
In beiden Zentren erhalten die Bewohner drei Mahlzeiten pro Tag und schwangere Frauen, Wöchnerinnen und Kinder bis 16 Jahre erhalten auch eine Nachmittagsjause. In Kutina gibt es Küchen, in denen die Asylwerber selbst kochen können. Die Eröffnung von zwei Kitchenetten in Zagreb wurde bis Ende Februar 2017 geplant. Im März 2018 waren die Küchen nicht geöffnet; sie wurden nur für besondere Anlässe benutzt. Spezielle Anforderungen an die Ernährung (z.B. ärztliche Verschreibung oder religiöse Gründe) werden berücksichtigt, wobei es angeblich einige Probleme gab. Nach Angaben des Kroatischen Roten Kreuzes bieten Sozialarbeiter täglich psychosoziale Unterstützung und organisieren soziale und pädagogische Aktivitäten mit Asylsuchenden in Zagreb (Montag-Samstag) und Kutina (Montag-Sonntag). Hauptaktivitäten sind: Unterstützung (Unterbringung, Erstinformation, usw.); Individuelle und familiäre psychosoziale Unterstützung nach Bedarf; Unterstützung von unbegleiteten Minderjährigen; Besondere Betreuung für Personen mit psychischen Problemen und potenziellen Opfern von Folter und Trauma; Spiel- und Bildungsaktivitäten mit Kindern; Unterstützung bei Schulaufgaben; Einführung in die kroatische Kultur, Sitten und Gebräuche; Gruppen- und Einzelarbeit mit einzelnen Frauen, einschließlich Einzelgesprächen zur Verhütung von Menschenhandel und sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt; Konflikt- und Gewaltprävention, Workshops zur Verhütung des Menschenhandels; Sportliche Aktivitäten innerhalb und außerhalb der Empfangszentren; Sprachkurse für Kroatisch und Englisch; Hygieneförderung und Gesundheitserziehung; Jobcenter; Bibliothek; Friseursalon; Bereitstellung von Informationen, praktische Unterstützung im täglichen Leben; Verweis an das Innenministerium zur Gesundheitsversorgung, an spezialisierte Einrichtungen der psychologischen und psychischen Gesundheit; und Organisation von Gemeindeversammlungen in Kutina und Zagreb (Vox Populi). Der Jesuitische Flüchtlingsdienst (JRS) hat einen Computerraum mit neun Computern in Zagreb eingerichtet. Das Klassenzimmer ist täglich von Montag bis Freitag mit der Anwesenheit eines Dolmetschers und freiwilligen Unterstützern geöffnet. Gelegentlich ist die Klasse auch samstags und sonntags geöffnet. Seit November 2016 halten Freiwillige einmal wöchentlich einen Computerkurs nur für Frauen und einmal wöchentlich einen gemischten Kurs ab. 2016 waren viele internationale und nichtstaatliche Organisationen wie IOM, UNICEF, Save the Children und nationale NGOs (Kroatisches Rotes Kreuz, Croatian Law Center, JRS, Center for Peace Studies, u.a.) in beiden Empfangszentren aktiv. Es wurden auch verschiedene soziale und pädagogische Aktivitäten für Frauen und Kinder organisiert. Kroatisch-Sprachkurse werden vom Kroatischen Roten Kreuz, dem Center for Peace Studies und dem Jesuitischen Flüchtlingsdienst organisiert. Die Freiwilligen des Centre for Peace Studies sind in beiden Aufnahmezentren für Asylwerber präsent. Freiwillige führen psychosoziale Hilfstätigkeiten für Asylsuchende in den Zentren durch (Information über Asylsystem, kroatische Kultur und Geschichte, psychosoziale Unterstützung, kroatische Sprache, Sport- und gesellschaftliche Aktivitäten, Workshops). Weiter bietet seit November 2017 das Centre for Peace Studies eine Rechtsberatung für Asylwerber an. Das kroatische Babtist Aid ist im Unterbringungszentrum in Zagreb präsent und bietet Sprachkurse in kroatischer und deutscher Sprache, kreative Workshops, IT-Kurse und organisiert Tagesausflüge (BFA Österreich, ebenda S. 11 f.).
Im Sommer 2018 begann die Renovierung des Unterbringungszentrums „Hotel Porin“ in Zagreb; geplante Fertigstellung ist im Juni 2019. Als Erstes wird der linke Flügel, in dem sich 56 Zimmer befinden, renoviert. Aufgrund der geringeren Anzahl von Asylwerbern wurden diese während der Renovierungsarbeiten nicht umgesiedelt, sondern lediglich in einen anderen Flügel verlegt. Dies führte dazu, dass einige im Zentrum tätige Organisationen ihre Räumlichkeiten verloren. Während der Teilrenovierung stehen von 600 Plätzen ca. 400 zur Verfügung. Die Errichtung eines neuen Aufnahmezentrums in Mala Gorica ist in Planung. Antragsteller können bis zum Ende ihres Verfahrens in den Unterbringungszentren bleiben. Wenn eine rechtskräftig negative Entscheidung vorliegt und die postulierte Frist zur freiwilligen Ausreise verstrichen ist, muss das Zentrum verlassen werden. In Einzelfällen gab es, obwohl rechtlich nicht vorgesehen, immer wieder humanitäre Ausnahmen. Mit Stand am 4.11.2018 waren in den kroatischen Unterbringungseinrichtungen insgesamt 372 Personen aufhältig (BFA Österreich, ebenda S. 11 ff.).
dd) Asylwerber haben das Recht auf medizinische Notversorgung und notwendige medizinische und psychologische Behandlung.
Diese Behandlung ist verfügbar im Unterbringungszentrum Zagreb und wenn nötig auch im Unterbringungszentrum Kutina. In Kutina kommt der Arzt auf Anfrage oder wenn eine bestimmte Anzahl von Asylwerbern medizinische Versorgung benötigen. Ansonsten ist medizinische Versorgung in der Notaufnahme verfügbar. Ein Zahnarzt bietet seine Dienste auf freiwilliger Basis an. Zusätzlich zu diesen Maßnahmen arbeitet Médecins du Monde (MdM) mit zwei Allgemeinmedizinern, einer Krankenschwester und zwei Dolmetschern in beiden Zentren. Das Team bietet primäre medizinische Beratung 4 Tage/Woche in Zagreb und 2 Tage/Woche in Kutina. Daneben führt es 2 Tage/Woche eine offizielle Erstuntersuchung von neu eingetroffenen Asylwerbern durch und organisiert auch zweimal im Monat Besuche von externen Fachärzten für Gynäkologie, Pädiatrie, Psychiatrie und von einem Physiotherapeuten. Weiter führt ein Psychologe vom MdM Untersuchungen zur Beurteilung der psychischen Gesundheit und psychotherapeutische Einzelberatung durch. Darüber hinaus bietet ein Sozialarbeiter als Teil des MdM-Teams Informationen, Anleitungen und praktischen Support (z.B. Begleitung von Patienten in Gesundheitseinrichtungen, Begleitung von Kindern von Asylwerbern zur Impfung) für Asylwerber, aber auch für Schutzberechtigte, damit sie ihre Rechte geltend machen können. Durch Workshops oder individuelle Beratung informiert das medizinische Team von MdM über Prävention von Infektionskrankheiten, Hygiene, Zugang zur Gesundheitsversorgung und Familienplanung. Daneben wurde im August 2017 im Gesundheitszentrum in Dugave ein Ambulatorium für Asylwerber in Betrieb genommen. Der Verband baptistischer Kirchen organisiert unter anderem auch den Transport zu einem Zahnarzt. Mehrere andere NGOs (Jesuitischer Flüchtlingsdienst, Society for Psychological Assistance, Croatian Law Centre oder Rehabilitation Centre for Stress and Trauma) boten 2016 psychologische Betreuung an. Vulnerable Antragsteller, insbesondere Opfer von Folter, Vergewaltigung oder sonstigen schwerwiegenden Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt, sind entsprechend medizinisch zu behandeln. In der Praxis ist diese zusätzliche Gesundheitsversorgung jedoch nicht regelmäßig zugänglich. Ein Mechanismus zur Identifizierung Vulnerabler existiert nicht, sie werden oft an den Arzt im Unterbringungszentrum verwiesen. Für traumatisierte Asylsuchende, die in Kutina untergebracht sind, ist psychosoziale Unterstützung im neuropsychiatrischen Krankenhaus in Popovača verfügbar. Seit 2010 betreibt das Croatian Law Centre das Projekt “Protection of Victims of Torture among Vulnerable Groups of Migrants”. Das Projekt wird auch 2018 fortgesetzt. Es ist psychosoziale Unterstützung durch das Kroatische Rote Kreuz und psychologische Beratung durch externe Psychologen für Asylbewerber und Flüchtlinge verfügbar. Auch das Rehabilitation Centre for Stress and Trauma bietet psychologische Unterstützung, unter anderem für Folteropfer. Der Jesuitische Flüchtlingsdienst unterstützt besonders Frauen beim Zugang zu medizinischer und psychologischer Hilfe. Seit März 2015 bietet MdM, das Rehabilitation Centre for Stress and Trauma, JRS sowie andere NGOs berichten über Defizite im Gesundheitssystem sowie über eine enge Auslegung des gesetzlichen Rahmens. Der Mangel an Übersetzern ist weiterhin ein Problem für die medizinische Betreuung (BFA Österreich, ebenda S. 14 ff.).
Asylsuchende in Kroatien haben gemäß den Gesetzen Anspruch auf medizinische und psychologische Versorgung. Das Asylgesetz beschränkt die Krankenversorgung auf Notfallversorgung und essenzielle Behandlung von Krankheiten und ernsthaften psychischen Zuständen. Dies hat besonders Auswirkungen auf asylwerbende bzw. migrierende Kinder und Schwangere. Eine zusätzliche Barriere beim Zugang zu medizinischer Versorgung ist die Sprache, da der Staat für diese Zwecke keine kostenlose Dolmetscherdienstleistungen zur Verfügung stellt und die meisten Asylsuchenden diese nicht selbst bezahlen können. Es wird auch bemängelt, dass viele Kinder von Asylwerbern bzw. Migranten nicht gegen vermeidbare Krankheiten geimpft werden. Es wird berichtet, dass sich die medizinische Versorgung im „Hotel Porin“ seit September 2016 durch regelmäßige Anwesenheit eines Hausarztes und durch die Unterstützung der NGO Médécins du Monde (MdM) verbessert hat. Allerdings wird moniert, dass die nationalen Behörden die von MdM angebotenen Leistungen selbst erbringen sollten. Auch kritisiert wird, dass es in Kutina keine regelmäßigen Ordinationszeiten eines Hausarztes gibt. Derzeit gibt es keine registrierten drogensüchtigen Asylwerber in Kroatien. Wenn sich aber ein Asylwerber bei seinem ersten Gesundheitscheck als drogenabhängig deklariert (das gilt auch für Dublin-Rückkehrer, falls im Rahmen des Dublin-Verfahrens keine medizinischen Unterlagen übermittelt wurden), wird eine medizinische Überprüfung vorgenommen und eine für den Betreffenden notwendige Therapie festgelegt. Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Asylwerber auf einer höheren Dosis oder anderen Substitutionsmedikamenten bestanden haben und angaben, diese auch in anderen Mitgliedsstaaten erhalten zu haben. Kroatien betont jedoch, dass jedem Asylwerber, welcher sich als Drogensüchtiger deklariert, nach medizinischen Tests seitens der zuständigen Behörde, die notwendige Therapie vorgeschrieben wird (BFA Österreich, ebenda S. 16).
ee) Anerkannt Schutzberechtigte genießen besondere Rechte.
Anerkannte Flüchtlinge erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für fünf Jahre, subsidiär Schutzberechtigte eine solche für drei Jahre. Eine etwaige Verlängerung verursacht Kosten, die vom Betreffenden selbst zu tragen sind. Wer fünf Jahre legal im Land aufhältig war, kommt für eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis infrage, wenn gewisse Bedingungen erfüllt werden. Sowohl anerkannte Flüchtlinge als auch subsidiär Schutzberechtigte haben grundsätzlich ein Recht auf Familienzusammenführung. Alle Schutzberechtigten dürfen sich im Land frei bewegen. Schutzberechtigte dürfen im Unterbringungszentrum für Asylwerber bleiben, bis eine passende Unterkunft für sie gefunden wird. Bedürftige Schutzberechtigte haben auf Antrag das Recht, für zwei Jahre ab Statuszuerkennung („Integrationsphase“) vom kroatischen Sozialministerium kostenlos in einer Wohnung untergebracht zu werden. Über den Antrag entscheidet das lokal zuständige Sozialamt. Gegen die Entscheidung ist Beschwerde an das Sozialministerium zulässig. Nach Angaben des Innenministeriums und NGOs mussten 2017 Schutzberechtigte drei Monate lang im Unterbringungszentrum für Asylwerber warten, bis für sie eine entsprechende Unterkunft (Wohnung) zur Verfügung gestellt wurde. 2018 wurden ca. 60 Wohnungen für Schutzberechtigte renoviert. Diese Wohnungen befinden sich jedoch nicht in Zagreb sondern in der Region Sisak/Karlovac. Nach der zweijährigen Integrationsphase wird die Unterbringung nach dem Gesetz über Sozialleistungen geregelt. Alle Schutzberechtigten haben Anspruch auf Sozialhilfe wie kroatische Bürger auch. Berichten zufolge ist die Sozialhilfe (in Regelfall nach neun Monaten 800 HRK pro Monat) jedoch nicht ausreichend, um den eigenen Lebensunterhalt zu decken. Somit bleibt diese Personengruppe weiterhin von der Unterstützung durch zivile Organisationen abhängig (BFA Österreich, ebenda S. 17; aida S. 108 f., S. 113 f.).
Es wird davon ausgegangen, dass die Schutzberechtigten in diesen zwei Jahren Integrationsphase Kroatisch gelernt und eine Arbeit gefunden haben werden. Schutzberechtigte werden in der Integrationsphase von Sozialarbeitern betreut, welche auch bei der Arbeitsvermittlung und Ausbildungsmaßnahmen helfen, zum Teil auch in Zusammenarbeit mit NGOs. In der Praxis sind Schutzberechtigte nach zwei Jahren, in denen sie auf Staatskosten gewohnt haben, jedoch oft nicht in der Lage eine eigene Unterkunft zu finden und zu bezahlen. Die Gründe dafür sind die Sprachbarrieren und Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt, obwohl Schutzberechtigte Zugang zum Arbeitsmarkt wie kroatische Bürger haben. Daneben zögern Vermieter oft, Wohnungen an diese Personengruppe zu vermieten, was ein weiteres Problem darstellt. Nach der zweijährigen Integrationsphase haben bedürftige Schutzberechtigte das Recht auf Unterbringung gemäß dem Gesetz über soziale Wohlfahrt. Das Kroatische Rote Kreuz betreibt Programme und ein sogenanntes „Integrationshaus“ als Anlaufstelle für Schutzberechtigte. Auch viele andere NGOs (z.B. Jesuitischer Flüchtlingsdienst, Centre for Peace Studies, Rehabilitation Centre for Stress and Trauma) bieten ebenfalls Unterstützung bei der Integration. Das kroatische Arbeitsamt ist für die Umsetzung von Maßnahmen für den Arbeitsmarktzugang von Schutzberechtigten zuständig. Ende 2017 wurden 126 arbeitslose Schutzberechtigte gezählt. Schutzberechtigte haben Zugang zu Bildung unter denselben Bedingungen wie kroatische Bürger. Schutzberechtigte sind zwar keine krankenversicherte Personengruppe, sie haben jedoch vollen Zugang zu medizinischer Versorgung, wobei der kroatische Staat die Kosten zu tragen hat. Sie müssen dazu bloß ihre Identitätskarte vorlegen. Trotzdem gibt es in der Praxis Zugangshindernisse: zum einen die Sprachbarriere und zum anderen Unwissenheit seitens des medizinischen Personals über die Rechte von Schutzberechtigten (BFA Österreich, ebenda S. 17 f.; zum Ganzen auch aida, ebenda S. 110 ff.).
Eine umfassende Strategie zur nachhaltigen Integration von Flüchtlingen und Migranten fehlt noch. Berichten zufolge bleiben Schutzberechtigte, aber auch Asylwerber, weiterhin sozial isoliert und haben Schwierigkeiten beim Zugang zu Sprachkursen, Bildung und Beschäftigung. Schutzberechtigte sind gesetzlich verpflichtet, Kurse wie kroatische Sprache, Geschichte und Kultur zu besuchen. 2017 wurde ein Sprachkurs organisiert, der nur ein Semester lang dauerte. Das Rote Kreuz im Auftrag des Bildungsministeriums und der Jesuitische Flüchtlingsdienst bieten Sprachkurse für Schutzberechtigte an. Beim Zugang zu Bildung stehen bürokratische, sprachliche und finanzielle Hindernisse im Weg. Neben den sprachlichen Barrieren sind Schutzberechtigte am Arbeitsmarkt mit Diskriminierung, Nicht-Anerkennung von Qualifikationen und schwierigem Zugang zu Umschulung und Weiterbildung konfrontiert. Die Kinder von Schutzberechtigten gehen in die Schule bzw. in den Kindergarten. Das Integrationssystem wird von einem Vertreter von UNHCR vor Ort zwar als „not fully institutionalized“ beschrieben, trotzdem ist dieser optimistisch und bezeichnet Kroatien als ein Land mit hoher Lebensqualität. Nationale Kapazitäten zur Integration der Kinder von Flüchtlingen und Migranten in das kroatische Bildungssystem werden von UNICEF weiterhin unterstützt (BFA Österreich, ebenda S. 18 f.). Der Zugang zu Schulen und zu dem Arbeitsmarkt ist also wie für kroatische Staatsangehörige eröffnet (aida, S. 110 und 112).
b) Kroatien ist außerdem als Mitgliedstaat der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylG.
Hinderungsgründe für eine Abschiebung in einen derartigen sicheren Drittstaat ergeben sich nur ausnahmsweise dann, wenn der Asylsuchende individuelle konkrete Gefährdungstatbestände geltend macht, die ihren Eigenarten nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts der normativen Vergewisserung von Verfassungs- und Gesetzes wegen berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich herausgesetzt sind. Dies ist – bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat – etwa dann der Fall, wenn sich die für die Qualifizierung des Drittstaats als sicher maßgebenden Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und hierdurch zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – BVerfGE 94,49). Die Sonderfälle in diesem Sinne entsprechen inhaltlich den systemischen Mängeln, die zu einer Gefahr für unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Asylsuchenden führen. Solche Sonderfälle liegen bezogen auf den Abschiebezielstaat Kroatien wie dargelegt nicht vor.
3. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die ein Selbsteintrittsrecht der Beklagten nach Art. 17 Abs. 1 VO 604/2013/EU begründen könnten, sind nicht gegeben.
a) Soweit der Kläger sich auf die Wahrung der Familieneinheit beruft, liegen die Voraussetzungen eines Zuständigkeitsübergangs auf Deutschland nicht vor:
Eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 9 VO 604/2013/EU ist nicht gegeben, da die Ehefrau und die Kinder in Deutschland zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt keinen internationalen Schutz erhalten haben geschweige denn deswegen aufenthaltsberechtigt wären. Auch eine Zuständigkeit nach Art. 10 VO 604/2013/EU ist nicht gegeben, da über die Asylanträge der Ehefrau und der Kinder in Deutschland zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt bereits (negativ) entschieden worden ist, mithin kein Asylverfahren ohne Entscheidung offen ist. Schließlich haben die Ehefrau und die Kinder des Klägers einerseits und dieser andererseits keinen Asylantrag gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe gestellt, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 11 VO 604/2013/EU gemeinsam durchgeführt werden könnten. Die Ehefrau und zwei Kinder haben am 17. September 2018 Asyl beantragt, die drei weiteren Kinder 11 Monate später am 24. September 2019 und der Kläger weitere zwei Monate später am 12. November 2019. Zu diesem Zeitpunkt waren die Verfahren zur Prüfung der Zuständigkeit für die übrigen Familienmitglieder bereits abgeschlossen.
b) Auch ist die Ermessensentscheidung der Beklagten, kein Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 VO 604/2013/EU auszuüben, nicht zu beanstanden (§ 114 VwGO), denn das Dublin-System soll eine praktikable Handhabung der Zuständigkeitsprüfung ermöglichen und folgt dem Prinzip, dass der zuständige Staat auch das Asylverfahren durchführen soll.
Die ausnahmsweisen Durchbrechungen sollen wie nach Art. 9 bis Art. 11 VO 604/2013/EU zeitnah oder gemeinsam eingereiste Familien nicht auseinanderreißen und wie nach Art. 20 Abs. 3 VO 604/2013/EU sicherstellen, dass minderjährige Kinder bei einem Elternteil bleiben, wie hier die Kinder des Klägers bei seiner Ehefrau. Dass dies ermessensfehlerhaft wäre, gar dem Kläger daraus im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null ein Anspruch auf Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 VO 604/2013/EU zukäme, sofern diese Norm überhaupt Individualansprüche begründete (offen gelassen von BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16.18 – NVwZ 2019, 304 ff. juris Rn. 38 m.w.N.), ist nicht ersichtlich.
Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sind als wertentscheidende Normen zu berücksichtigen, verleihen aber keinen Anspruch auf Aufenthalt. Die Beklagte hat die Bindungen der Kinder an ihre mit bzw. vor ihnen nach Deutschland eingereiste Mutter berücksichtigt; die Kinder sind damit nicht elternlos im Bundesgebiet sondern auch adäquat vertreten (vgl. § 12 Abs. 3 AsylG). Da keiner der Familienangehörigen des Klägers über ein Aufenthaltsrecht verfügt, sich lediglich gestattet im Bundesgebiet aufhält, und die Familieneinheit im Bundesgebiet erst nach einer bewusst in Kauf genommenen Trennung von eineinviertel Jahren überhaupt wieder aufgenommen worden ist, ist der Kläger auf die Herstellung der Familieneinheit nach Prüfung und Entscheidung seines Schutzbegehrens in Kroatien zu verweisen. Würde in Fällen der gestaffelten Einreise und Asylantragstellung entgegen der Entscheidung der Beklagten dem Wunsch der Kläger nach Familieneinheit grundsätzlich der Vorrang zugemessen, wäre das nach Aufenthalts- und Antragsstatus differenzierende Zuständigkeitssystem des Dublin III-Systems (vgl. oben) hinfällig. Der europäische Normgeber aber hat in Art. 9 bis Art. 11 und Art. 20 VO 604/2013/EU selbst eine Wertentscheidung getroffen, wann er im Regelfall den Schutz der Familieneinheit höher gewichtet als die Durchsetzung des Verteilungsprinzips des ersten Einreisestaats und wann nicht. An dieses System sind Behörden und Gerichte grundsätzlich gebunden und können es nur im Ausnahmefall korrigieren. Da hier aber die Ehefrau und die Kinder zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt in Deutschland keinen internationalen Schutz erhalten haben geschweige denn deswegen aufenthaltsberechtigt wären oder gemeinsam mit dem Kläger eingereist wären, handelt es sich um einen vom demokratisch legitimierten Normgeber erkannten und geregelten Regelfall der gestaffelten Einreise. Die Familieneinheit ist daher nicht im Dublin-Zuständigkeitssystem zu wahren, sondern auf ausländerrechtlichem Weg wiederherzustellen, erlangten der Kläger oder einer seiner engen Familienangehörigen ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen in Kroatien oder Deutschland.
4. Die Abschiebung des Klägers nach Kroatien kann auch durchgeführt werden; sie ist rechtlich bzw. tatsächlich möglich. Ihr stehen weder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote noch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse entgegen.
Solche Abschiebungshindernisse sind im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der sonst allein auf die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote beschränkten Beklagte auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, 244), da die Abschiebung nur durchgeführt werden darf, wenn sie rechtlich und tatsächlich möglich ist. Dies ist hier der Fall; Gegenteiliges ist weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen.
Nach derzeitiger Sachlage besteht für den Kläger kein tatsächliches Abschiebungshindernis; insbesondere ist er reisefähig und die Rückübernahme durch Kroatien zugesichert, so dass keine inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse entgegenstehen. Dem o.g. Attest sind – wie von der Beklagten erkannt – keine schweren oder gar lebensbedrohlichen und in Kroatien nicht behandelbaren Erkrankungen zu entnehmen. Eine medikamentöse Behandlung kann auch in Kroatien stattfinden. Gegenteiliges ist weder substantiiert dargelegt (§ 60 Abs. 7 i.V.m. § 60a Abs. 2c und Abs. 2d AufenthG), noch sonst ersichtlich.
5. Auch ist die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 VO 604/2013/EU noch nicht abgelaufen, worauf sich der Kläger berufen könnte (vgl. EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – DVBl 2017, 1486/1487 f. Rn. 30, 40, 44 ff.). Vielmehr läuft die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 VO 604/2013/EU von sechs Monaten seit ausdrücklicher Annahme des Überstellungsgesuchs durch Kroatien am 23. Dezember 2019 nicht nur – wie vom Bundesamt ursprünglich errechnet – bis zum 23. Juni 2020, sondern ab Bestandskraft dieses Beschlusses neu für sechs Monate, da im Eilverfahren eine Überprüfung der Überstellungsentscheidung mit aufschiebender Wirkung nach Art. 27 Abs. 3 Buchst. a) und b) VO 604/2013/EU i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG erfolgte, in deren Anschluss die Überstellungsfrist neu zu laufen beginnt (vgl. EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – DVBl 2017, 1486 Rn. 27).
6. Nach allem erweist sich der angefochtene Bescheid des Bundesamtes als rechtmäßig und war die Klage demnach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V. m. § 83b AsylG abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

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