Aktenzeichen W 10 S 20.30920
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
RL 2013/32/EU Art. 46 Abs. 6
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller (Az.: W 10 K 20.30919) wird insoweit angeordnet, als in der Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Gz.: …, vom 28. Juli 2020 die Abschiebung nach Italien angedroht ist. Im Übrigen wird der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller und die Antragsgegnerin tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die Antragsteller, eine aus Nigeria stammende Mutter mit ihren vier minderjährigen Kindern, begehren einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Abschiebungsandrohung nach Nigeria bzw. Italien.
1. Die Antragstellerin zu 1 wurde nach eigenen Angaben am … … 1989 in Benin City geboren und ist nigerianischer Staatsangehörige. Die Antragsteller zu 2 bis 5 sind deren drei minderjährige Söhne sowie deren minderjährige Tochter. Die Antragstellerin zu 1 verließ Nigeria nach eigenen Angaben bereits im September 2002, um gemeinsam mit ihrer Schwester mit einem Visum zum Familiennachzug zu ihrem in Italien lebenden Vater zu reisen. In Italien wurden auch die Antragsteller zu 2 bis 5 geboren, von deren Vater sich die Antragstellerin zu 1 vor bereits mehr als drei Jahren aufgrund persönlicher Differenzen bzw. Gewalttätigkeiten trennte. Der Vater der Antragstellerin kehrte zwischen 2018 und 2019 aus gesundheitlichen Gründen nach Nigeria zurück. Da sie für sich und ihre Kinder in Italien keine Perspektive mehr sah, reiste die Antragstellerin zu 1 mit den Kindern am 31. Januar 2019 auf dem Landweg mit einem Bus in das Bundesgebiet ein. Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung als Asylsuchende am 1. Februar 2019 wurde kein Eurodac-Treffer festgestellt. Nach eigenen Angaben hat die Antragstellerin zu 1 in Italien keinen Asylantrag gestellt.
Am 8. Februar 2019 beantragte die Antragstellerin zu 1 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asyl.
Am 5. März 2019 erfolgte die persönliche Anhörung der Antragstellerin zu 1. Dabei gab sie an, bis zu ihrer Ausreise aus Nigeria in Benin City, Edo State gelebt zu haben. Dort lebten derzeit noch ihre Eltern sowie ihr Bruder. Im September 2002 habe sie Nigeria verlassen und sei zu ihrem damals in Italien lebenden Vater gereist. Ihre Schwester lebe noch in Italien. Auf Frage nach ihren Asylgründen gab sie an, sie habe keinen Grund gehabt zu fliehen, denn ihr Vater sei ausgereist. Die Lebensbedingungen in Nigeria seien schwierig gewesen. Auch in Italien seien die Lebensbedingungen für sie selbst und ihre Kinder schwierig gewesen, weshalb sie nach Deutschland gekommen seien. Im Falle der Rückkehr nach Nigeria käme sie mit dem System dort nicht zurecht, weil sie dort nicht aufgewachsen sei. Auf Frage nach der Genitalbeschneidung gab die Antragstellerin zu 1 an, ihre Mutter habe ihr mitgeteilt, dass sie als Kind beschnitten worden sei. Sie selbst könne sich jedoch nicht daran erinnern. Sie habe aber keine Schwierigkeiten wegen der erlittenen Beschneidung. Ob für sie die Gefahr bestehe, noch einmal beschnitten zu werden, wisse sie nicht. Sie glaube, wenn es einmal getan sei, dann sei es erledigt. Seit ihrer Ausreise im September 2002 habe sie Nigeria nicht mehr besucht. Auf Vorhalt, dass in ihrem Facebook Profil bei den besuchten Orten Nigeria und Liberia auftauchten, gab die Antragstellerin zu 1 an, den Grund dafür nicht zu kennen. Es könne damit zusammenhängen, dass man beispielsweise Bilder aufhänge und dann angebe, sich dort aufzuhalten.
Nachdem ein Aufnahmeersuchen an die italienischen Behörden vom 12. März 2019 nicht beantwortet wurde, erließ das Bundesamt zunächst am 14. Mai 2019 einen Bescheid im sogenannten Dublin-Verfahren. Der Asylantrag wurde gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26.6.2013 (Dublin III-Verordnung) als unzulässig abgelehnt. Des Weiteren wurden die Abschiebung nach Italien angeordnet und festgestellt, dass zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote hinsichtlich Italiens nicht bestehen.
Der Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 22. Mai 2019 erhobenen Klage (Az.: W 10 K 19.50474) hatte keinen Erfolg (VG Würzburg, B.v. 24.5.2019, Az.: W 10 S 19.50475), ebenso wenig der Antrag auf Abänderung dieses Beschlusses (VG Würzburg, B.v. 19. Juli 2019, Az.: W 10 S 19.50596). Mit rechtskräftig gewordenen Urteil vom 8. November 2019 wurde schließlich auch die Klage gegen den Bescheid vom 14. Mai 2019 abgewiesen.
Nachdem die geplante Luftabschiebung der Antragsteller nach Italien am Widerstand der Antragstellerin zu 1 gescheitert war, lief die Überstellungsfrist nach Art. 29 Dublin III-VO ab. In der Folge wurde der Bescheid vom 14. Mai 2019 aufgehoben (Bescheid des Bundesamtes vom 16.1.2020).
Auf ein Informationsersuchen des Bundesamtes teilte das italienische Innenministerium am 7. Juli 2020 mit, dass die Antragstellerin zu 1 am 24. Januar 2012 unter einem Aliasnamen Fingerabdrücke abgegeben hat. Sie ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis für Italien zum Familiennachzug, in welche auch die Antragsteller zu 2 bis 5 einbezogen sind.
Am 14. Juli 2020 ließen die Antragsteller Untätigkeitsklage erheben (Aktenzeichen W 10 K 20.30814), die zwischenzeitlich zurückgenommen wurde.
2. Mit Bescheid vom 28. Juli 2020 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie Zuerkennung des subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet (Ziffern 1 bis 3 des Bescheides). Es wurde festgestellt, dass keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 4 des Bescheides). Die Antragsteller wurden aufgefordert, innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen. Für den Fall dass die Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, wurde die Abschiebung nach Nigeria oder nach Italien beziehungsweise in einen anderen Staat angedroht, in den die Antragsteller einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist (Ziffer 5 des Bescheides). Des Weiteren wurden unter Ziffer 5 die Vollziehung der Abschiebungsandrohung sowie der Lauf der Ausreisefrist bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und für den Fall einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe des ablehnenden Beschlusses im Eilverfahren ausgesetzt. Auf die den Beteiligten bekannten Gründe des Bescheides wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
3. Am 6. August 2020 ließen die Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben (Az.: W 10 K 20.30919), über die noch nicht entschieden ist.
Zugleich beantragten sie vorliegenden Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Am 7. August 2020 erhoben die Antragsteller persönlich eine weitere Klage (Az.: W 10 K 20.30926), die mittlerweile zurückgenommen wurde.
Für die Antragsgegnerin beantragt das Bundesamt, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen.
4. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen. Die Akten der Verfahren W 10 K 19.50474, W 10 S 19.50475, W 10 S 19.50596 sowie W 10 K 20.30814 wurden beigezogen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Juli 2020 ist nur insoweit begründet, als die Abschiebung nach Italien angedroht ist. Im Übrigen bleibt der Antrag in der Sache ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Insbesondere ist der Antrag gemäß § 36 Abs. 3 AsylG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nummer 3, Abs. 5 VwGO statthaft, soweit er sich gegen die gemäß § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nummer 3 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung wendet. Des Weiteren wurde der Antrag innerhalb der Wochenfrist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bei Gericht gestellt.
2. Der Antrag ist jedoch nur teilweise begründet.
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 und 4 AsylG in Verbindung mit § 80 Abs. 5 VwGO ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Nach diesem Maßstab darf die Vollziehung der aufenthaltsbeenden Maßnahme nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – DVBl. 1996, 729, juris). Dabei darf sich das Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht auf eine summarische Prüfung beschränken, wenn dem Antragsteller im Falle der Versagung einstweiligen Rechtsschutzes bereits eine endgültige Verletzung seiner Rechte droht und insoweit auch Grundrechtspositionen von Gewicht in Rede stehen (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris m.w.N.). Insoweit fordert der effektive Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit einer bloßen Prognose zur voraussichtlichen Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils begnügen darf, sondern die Frage der Offensichtlichkeit – wenn es sie bejahen will – erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren klären und insoweit über eine summarische Prüfung hinausgehen muss (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris; B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21). Das Verwaltungsgericht muss dabei überprüfen, ob das Bundesamt aufgrund einer umfassenden Würdigung der ihm vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter Ausschöpfung aller ihm vorliegenden oder zugänglichen Erkenntnismittel entschieden und in der Entscheidung klar zu erkennen gegeben hat, weshalb der Antrag nicht als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlichen unbegründet abgelehnt worden ist, ferner, ob die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auch weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21 m.w.N.). Bei dieser Prüfung bleiben von den Beteiligten nicht angegebene und nicht gerichtsbekannte Tatsachen und Beweismittel gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG unberücksichtigt (BVerfG, B.v. 23.7.2020 a.a.O.). Vorbringen, welches nach § 25 Abs. 3 AsylG im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt geblieben ist, sowie dort nicht angegebene Tatsachen und Umstände im Sinne des § 25 Abs. 2 AsylG kann das Gericht gemäß § 36 Abs. 4 Satz 3 AsylG unberücksichtigt lassen, wenn anderenfalls die Entscheidung verzögert würde.
Gemessen an diesem Maßstab bestehen ernstliche Zweifel nur hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach Italien unter Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides. Hingegen begegnet die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote zugunsten der Antragsteller nicht festzustellen und die Abschiebung nach Nigeria anzudrohen, keinen ernstlichen Zweifeln.
a) Die Antragsteller haben offensichtlich keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, weil sie nach eigenen Angaben auf dem Landweg aus Italien kommend in das Bundesgebiet eingereist sind. Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag gemäß § 30 Abs. 1 AsylG, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist hier der Fall, weil sich ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist, gemäß Art. 16a Abs. 2 GG in Verbindung mit § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen kann und nicht als Asylberechtigter anerkannt wird. Sichere Drittstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit § 26a Abs. 2 AsylG sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie die in der Anlage I zum AsylG bezeichneten Drittstaaten. Aufgrund des mehrjährigen Aufenthaltes der Antragsteller in Italien sowie der notwendigen Durchreise durch mindestens einen weiteren EU-Mitgliedstaat können diese sich somit offensichtlich nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen.
b) Die Antragsteller haben auch offensichtlich keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 3a ff. AsylG. Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag gemäß § 30 Abs. 2 AsylG insbesondere dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen, oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält. Dies ist bei den Antragstellern der Fall, da die Antragstellerin zu 1 als Grund der Flucht aus dem Herkunftsland Nigeria lediglich angegeben hat, dass die Lebensverhältnisse dort schlecht gewesen seien und sie zu ihrem in Italien lebenden Vater habe nachziehen wollen. Des Weiteren liegt auch kein substantiiertes Vorbringen einer Verfolgungsgefahr oder Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG vor, weshalb der Asylantrag auch gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag u.a. dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert ist. Die Antragstellerin zu 1 hat für sich bzw. für ihre Tochter – die Antragstellerin zu 5 – auch keine Gefahr der Genitalbeschneidung vorgetragen, sodass es schon an dem schlüssigen Vortrag einer Verfolgung fehlt, welche an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3b AsylG anknüpft. Auch aus den sonstigen erkennbaren Umständen bzw. der allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage in Nigeria ergeben sich für die Antragsteller keine Anhaltspunkte für eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung oder eine Gefahr eines ernsthaften Schadens.
c) Aus denselben Gründen ist auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG offensichtlich ausgeschlossen, weil offensichtlich keine Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne dieser Vorschrift mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für die Antragsteller in ihrem Herkunftsland besteht. Insbesondere besteht in Nigeria weder landesweit noch in der Herkunftsregion der Antragsteller, in welche diese typischerweise zurückkehren werden – dem Stadtgebiet Benin bzw. dem Bundesstaat Edo -, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
d) Schließlich haben die Antragsteller auch offensichtlich keinen Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hinsichtlich Nigerias. Hierzu verweist das Gericht zunächst auf die Gründe des angefochtenen Bescheides, denen der erkennende Einzelrichter aus eigener Überzeugung folgt. Ergänzend ist hierzu noch folgendes auszuführen:
aa) Zwar hat die Antragstellerin zu 1 vorgetragen, ihr Herkunftsland Nigeria wegen der schlechten Lebensverhältnisse verlassen zu haben. Sie macht darüber hinaus geltend, sie würde sich mit dem System in Nigeria nicht auskennen, da sie dort nicht aufgewachsen sei. Aus diesem Vorbringen sowie den sonstigen, im Verwaltungsverfahren zu Tage getretenen Umständen sowie der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage in Nigeria ergibt sich jedoch nicht, dass den Antragstellern im Falle der Rückkehr dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK oder konkrete, individuelle und erhebliche Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohen.
bb) Des Weiteren haben die Antragsteller auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes aufgrund allgemeiner, der Bevölkerung als Ganzes oder einzelnen Bevölkerungsgruppen drohender Gefahren in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 6 i.V.m. § 60a Abs. 1 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind jedoch Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Mangels einer derartigen Abschiebestopp-Anordnung stellen die allgemein vergleichsweise ungünstigen Lebensverhältnisse bzw. die derzeitige Corona-Pandemie in Nigeria eine allgemeine Gefahr dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Diese Sperrwirkung kann nur im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris Rn. 32 m.w.N.). Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, einem Ausländer trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N. – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – BVerwGE 137, 226 – juris).
(1) Von den in Nigeria herrschenden, allgemein ungünstigen Lebensverhältnissen bzw. der auch in Nigeria bestehenden Covid-19-Pandemie wären die Antragsteller als alleinerziehende Mutter mit vier minderjährigen Kindern jedoch nicht in einer Weise betroffen, welche zu einer solchen Verdichtung der allgemeinen Gefahren zu einer extremen Gefahrenlage in ihrer Person führen würde. Denn die Antragsteller wären in Nigeria zur Überzeugung des erkennenden Einzelrichters nicht auf sich alleine gestellt. In der mündlichen Verhandlung am 8. November 2019 im Klageverfahren W 10 K 19.50474 hat die Antragstellerin zu 1 bestätigt, dass ihr Vater aus gesundheitlichen Gründen wieder in Nigeria lebe. Ihre Schwester sei verheiratet und lebe in Verona, Italien. Die Antragsteller zu 2 bis 5 würden Italienisch und ein bisschen Englisch sprechen, aber besser Italienisch. In der Gesamtschau der Angaben der Antragstellerin zu 1 sowie der sonstigen erkennbaren Umstände ergibt sich, dass die Antragsteller in Nigeria auf einen unterstützungsbereiten und -fähigen Familienverband zurückgreifen könnten. Zum einen ist es schon nicht glaubhaft, dass die Antragstellerin zu 1 sich in ihrem Herkunftsland nicht mehr zurechtfinden will. Zwar ist sie im Jahr 2002 und somit schon im Jugendlichenalter (etwa 13 Jahre) aus Nigeria ausgereist. Wie das Bundesamt festgestellt hat, ergibt sich jedoch aus ihrem Facebook Profil, dass sie sich zwischenzeitlich in Nigeria bzw. Liberia und somit jedenfalls in Afrika aufgehalten hat. Des Weiteren ist sie im Alter eines Jugendlichen aus Nigeria ausgereist und hat anschließend gemeinsam mit ihrer Schwester bei ihrem aus Nigeria stammenden Vater in Italien gelebt. Sie hat somit zumindest 13 Jahre ihres Lebens in Nigeria verbracht und ist auch danach in einem Umfeld aufgewachsen, in welchem ihr die Kultur ihres Heimatlandes vermittelt werden konnte und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch vermittelt worden ist. Es ist daher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sie wegen völliger Unkenntnis der kulturellen und sozialen Verhältnisse in Nigeria mit ihren Kindern völlig hilflos wäre. Außerdem steht aufgrund ihrer eigenen Angaben fest, dass ihre Eltern noch in Benin City leben und die Antragstellerin mit ihren Kindern bei sich aufnehmen würden. Es ist auch weder vorgebracht worden noch sonst ersichtlich, dass und gegebenenfalls aus welchen Gründen es ihren Eltern nicht möglich oder nicht zumutbar sein sollte, für die Antragstellerin und deren Kinder zumindest so lange zu sorgen, bis diese den Lebensunterhalt ihrer Familie durch ein eigenes Einkommen erwirtschaften kann. Zumindest bestünde die Möglichkeit der Betreuung der minderjährigen Kinder durch die Großeltern, wenn die Antragstellerin zu 1 einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Des Weiteren ist auch nicht glaubhaft, dass die Antragsteller zu 2 bis 5 besser Italienisch als Englisch sprechen. Auch wenn diese in einem italienischsprachlichen Land und gesellschaftlichen Umfeld aufgewachsen sind und bereits in Italien die Schule besucht haben, ist es doch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ihre Mutter mit ihnen nur Italienisch gesprochen und ihnen somit die englische Sprache nicht vermittelt hat. Nach alledem ist nicht davon auszugehen, dass es den Antragsteller nicht möglich wäre, in Nigeria nach der Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten, bei der ihnen die Eltern der Antragstellerin zu 1 helfen würden, wieder Fuß zu fassen.
(2) Auch die derzeitige Covid-19 (sog. Corona-)Pandemie, ausgelöst durch das SARS-COV-2-Virus, welche auch Nigeria erfasst hat, führt nicht zur Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG zugunsten der Antragsteller. Im Hinblick auf die Gefahr, dass die Antragsteller sich in Nigeria mit dem SARS-COV-2-Virus infizieren bzw. aufgrund der dort zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung des Virus bestehenden Einschränkungen des Wirtschaftslebens und der daraus resultierenden Versorgungslage können sie Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1, 6 AufenthG wie ausgeführt nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn sie bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wären. Eine derartige Extremgefahr kann für die Antragsteller im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Es ist zum einen nicht ersichtlich, dass die Antragsteller ohne bekannte und relevante Vorerkrankungen in Nigeria gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wären. Die Gesamtsituation bezüglich des Verlaufs der Covid-19-Pandemie in Afrika und insbesondere im Herkunftsland des Antragstellers, Nigeria, stellt sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln bzw. allgemein zugänglichen Quellen wie folgt dar:
In der Region Afrika sind inzwischen insgesamt fast 304.000 Infizierte und über 6.000 Verstorbene gemeldet. Innerhalb der letzten 14 Tage hat sich die Zahl der Erkrankten fast verdreifacht. Die höchsten Fallzahlen liegen weiterhin in Südafrika (151.209 Fälle). Hier wurde am 2. Juni 2020 die bisher höchste Neuinfektionsrate von 8.124 Neuerkrankungen innerhalb von einem Tag registriert. Auch in Nigeria, Senegal, Äthiopien und Kenia kommt es zu einem Anstieg (vgl. Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amtes, COVID-19, Informationen für Beschäftigte und Reisende, Stand 2.7.2020, S. 1, https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2294930/b5b71797aa9c9568fde4aad3575efae0/ncov-data.pdf, abgerufen am 27.8.2020; vgl. auch – allerdings mit nicht mehr aktuellen absoluten Zahlen – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation – Afrika, Covid-19, Aktuelle Lage vom 10.7.2020, S. 1 f.). Nach dem Stand vom 10. Juni 2020 kam in Nigeria auf 17.496 Einwohner ein Infizierter. Bezogen auf Nigeria bedeutet dies, dass das Land bisher eine ungewöhnliche, sehr linear verlaufende Kurve der Neuinfektionen aufweist. Der lineare Anstieg setzte sich bisher trotz der ergriffenen Maßnahmen konsequent fort (vgl. BFA, a.a.O., Stand: 10.6.2020, S. 7).
In Nigeria gibt es im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung insgesamt 52.800 bestätigte Infizierte, was einen Anstieg von 252 innerhalb von 24 Stunden bedeutet. Von den bestätigten Infektionsfällen sind 39.964 genesen. Des Weiteren sind 1.007 Todesopfer zu beklagen (vgl. National Centre for Disease Control, NCDC, Covid-19 Situation Report Nr. 179 vom 25.8.2020, im Internet abrufbar unter: https://ncdc.gov.ng/diseases/sitreps/?cad=14+name=an%20update%20of%20COVID-19%20outbreak%20in%20nigeria, Abruf am 27.8.2020). Von den bestätigten Infektionsfällen entfallen 64% auf Männer. Die am stärksten von der Infektion betroffene Altersgruppe sind Personen im Alter von 31 bis 40 Jahren mit einem Anteil von 25%.
Die vorhandenen Behandlungskapazitäten in Nigeria sind bei Weitem nicht ausreichend. Nach Angaben des nigerianischen Gesundheitsministers vom 29. Mai 2020 soll es in 35 Bundesstaaten und in Abuja derzeit 112 Behandlungs- und Isolationszentren mit insgesamt über 5.000 Fällen geben. Nicht alle Bundesstaaten verfügen bisher jedoch über die ihnen vorgeschriebene Mindestzahl von jeweils 300 Betten. Bereits am 27. Mai 2020 warnte die Presidential Task Force, dass die Regierung weiter steigende Covid-19-Fälle nicht mehr bewältigen könne. Problematisch sind des Weiteren die geringen Testkapazitäten, so gab es bis Ende Februar 2020 für die nigerianische Bevölkerung mit über 200 Millionen Einwohnern lediglich vier Testlabore, welche zu einem Covid-19-Test in der Lage waren. Auch Ende Mai 2020 gab es erst 26 Testlabore, verteilt auf 16 Bundesstaaten und die Hauptstadt Abuja. Es werden lange Wartezeiten auf Testergebnisse beklagt (vgl. zum Ganzen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport Covid-19, Stand: Juni 2020). Bis Ende Mai 2020 waren in Nigeria erst rund 61.000 Tests erfolgt, weshalb die tatsächliche Inzidenz des Virus im Land unbekannt ist (vgl. BAMF, a.a.O., S. 28). Das Verhältnis von durchgeführten Tests zur Einwohnerzahl weist Nigeria als eines der am wenigsten aktiven Länder Afrikas aus (auf 2.787 Einwohner kommt ein Test). Dementsprechend ist die Dunkelziffer für Nigeria hoch (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 7). Trotz entsprechender Ermahnungen durch das Gesundheitsministerium gab es am 28. Mai 2020 nach wie vor Fälle, in welchen Krankenhäuser die Aufnahme erkrankter Personen wegen einer befürchteten Corona-Infektion verweigerten. Es besteht daher die Befürchtung, dass aufgrund solcher Fälle der Nichtbehandlung von Krankheiten, welche nicht im Zusammenhang mit der Pandemie stehen, bisher mehr Menschen gestorben seien als an Covid-19 selbst (vgl. BAMF, a.a.O., S. 28).
Zusammenfassend besteht zwar für die Antragstellerin zu 1 als Person im Alter von über 31 Jahren ein erhöhtes Risiko einer Infektion. Dennoch bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie zu einer Personengruppe gehört, für die das Risiko eines schweren Verlaufs der Erkrankung besteht. Die Antragsteller zu 2 bis 5 sind als minderjährige Kinder im schulpflichtigen Alter nicht einmal der Personengruppe zuzurechnen, für die ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht. Was die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs einer Coronainfektion bei Kindern betrifft, bestehen in der medizinischen Wissenschaft bisher weltweit noch keine gesicherten Erkenntnisse. Somit ist für die Bevölkerungsgruppen, denen die Antragsteller angehören, das Risiko gering, von den mangelnden Behandlungskapazitäten betroffen zu sein. Die Antragsteller wären damit in Nigeria nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt, an einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus infolge eines schweren Verlaufs und mangelnder Behandlungskapazitäten zu sterben oder bleibende schwerwiegende Gesundheitsschäden davon zu tragen.
Des Weiteren sind die Antragsteller auch nicht in einem Maße von den zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus getroffenen Maßnahmen bzw. deren politischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen getroffen, dass deshalb für sie von einer hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bei Rückkehr nach Nigeria auszugehen wäre. Seit Mitte März 2020 haben die Bundesregierung sowie die einzelnen Bundesstaaten eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um eine weitere Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern. Dazu zählen die Schließung der internationalen Flughäfen in Kano und Port Harcourt am 21. März 2020 sowie zwei Tage später auch in Lagos und Abuja. Die in Lagos, Abuja sowie einer Vielzahl weiterer Bundesstaaten verordneten Lockdowns sind inzwischen weitgehend gelockert worden; so gilt in Lagos, Ogun sowie in der Hauptstadt Abuja seit dem 4. Mai 2020 nur noch eine landesweite nächtliche Ausgangssperre von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr sowie die Pflicht, in der Öffentlichkeit Gesichtsmasken zu tragen und einen Abstand zu anderen Personen von 2 m einzuhalten. Die Menschen durften somit wieder ihre Arbeit aufnehmen und konnten damit wieder Geld zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes verdienen (BAMF, a.a.O., S. 28). Verboten blieben weiterhin größere Versammlungen und Passagierflüge wie auch das Reisen von einem Bundesstaat zum anderen. Banken dürfen von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr öffnen. Märkte und Regierungsbüros dürfen stundenweise an drei Tagen in der Woche öffnen. Seit der zweiten Phase der Lockerung ab dem 2. Juni 2020 ist die landesweite nächtliche Ausgangssperre auf 22:00 Uhr bis 4:00 Uhr verkürzt, der Transport von Gütern und Fahrten zum Zwecke der Erbringung von Dienstleistungen ist auch zwischen den Bundesstaaten nunmehr unbeschränkt erlaubt. Kirchen und Moscheen dürfen unter Beachtung strenger Auflagen wieder Gottesdienste abhalten. Genauere Regelungen obliegen den Regierungen der Bundesstaaten. Einschränkungen bestehen nach wie vor dahingehend, dass Ansammlungen von mehr als 20 Menschen außerhalb von Arbeitsplätzen oder Orten der Glaubensausübung streng verboten sind und Schulen, Bars, Fitnessstudios, Kinos, Nachtclubs und Parks weiterhin geschlossen bleiben (vgl. BAMF a.a.O., S. 28/29; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 8). Für den Bundesstaat Kano wurde mittlerweile eine erste Phase der Lockerung des strengen Lockdowns bekannt gegeben. Besonders betroffen durch die Einschränkungen ist ein Großteil der armen Bevölkerung, der im informellen Sektor arbeitet und auf die täglichen Einnahmen angewiesen ist. Diese Menschen konnten während der Ausgangssperren kein Einkommen generieren. Um die Not zu lindern wurden in einigen Regionen durch die Regierung durch Hilfsorganisationen Nahrungsmittel verteilt (vgl. Bundesamt, a.a.O., S. 29). Die Maßnahmen gegen die Pandemie wirken sich insbesondere auf den informellen Sektor aus, wo 80% der Menschen arbeiten und 65% des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet werden. Die Mehrheit der Menschen in diesem Sektor konnte in den vergangenen Wochen nicht arbeiten. Damit entfiel der gesamte Lebensunterhalt, denn Nigeria ist kein Sozialstaat. Hilfspakete wurden nach Informationen keine geschnürt. Angaben zu Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt oder auf die Wirtschaft können derzeit noch nicht gemacht werden. Angeblich hat die Zentralbank Hilfspakete eingeführt, mit welchen denen am härtesten getroffenen Haushalten und Betrieben geholfen werden sollte, allerdings mit Krediten anstelle von Zuwendungen. In Lagos wurden an 200.000 Haushalte Nahrungsmittelpakete ausgegeben (bei 14 Millionen Einwohnern). Insgesamt haben vulnerable Haushalte keine Hilfe von der Regierung erhalten. Hilfe wurde gegebenenfalls von der Zivilgesellschaft organisiert. Lebten bereits vor der Corona-Krise 80 Millionen Nigerianer in extremer Armut, d.h. mit einem Einkommen von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag, wird diese Zahl laut Weltbank um mindestens 5 Millionen Menschen anwachsen. Es sind keine Berichte bekannt, wonach es bei der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung zu einem Mangel gekommen ist, der über das übliche Ausmaß hinausgeht. Allerdings soll es in manchen Bereichen zu einem Preisanstieg von 100% bei Lebensmitteln gekommen sein (vgl. zum Ganzen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 8/9).
Bei einer Gesamtbetrachtung dieser Berichte ergibt sich, dass die ohnehin schwierige wirtschaftliche Situation in Nigeria sich aufgrund der zur Einschränkung der Verbreitung des Corona-Virus seitens der Regierung ergriffenen Maßnahmen weiter verschlechtern wird. Andererseits bestehen aber im Arbeitsleben, bei der Lebensmittelversorgung sowie der Bewegungsfreiheit tagsüber infolge der Lockerungen der von den Bundesstaaten verhängten Lockdowns kaum noch relevante Einschränkungen. Es spricht daher keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass Menschen – wie die Antragsteller -, welche auf Einkommen im sog. informellen Sektor angewiesen sind, sich ihren Lebensunterhalt aufgrund der coronabedingten Einschränkungen nicht mehr erwirtschaften können. Zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts besteht somit keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Nigeria derart negativ entwickeln werden, dass die Antragsteller nicht mehr in der Lage wären, zumindest ihr Existenzminimum sicher zu stellen.
bb) Hinsichtlich des außerdem in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Zielstaates Italien besteht kein Sachbescheidungsinteresse der Antragsteller hinsichtlich einer Feststellung von Abschiebungsverboten, da die Abschiebungsandrohung insoweit aufzuheben sein wird (e)).
e) Die Abschiebungsandrohung ist hinsichtlich des Zielstaates Italien rechtswidrig. Im Übrigen bestehen jedoch keine ernstlichen Zweifel gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung.
aa) Keine ernstlichen Zweifel bestehen zunächst (im Ergebnis) gegen die gesetzte Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG sowie gegen die Zielstaatsbezeichnung Nigeria. Zwar besteht hinsichtlich der Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG, welche nach der Festsetzung unter Ziffer 5 des Bescheides mit der Bekanntgabe beginnt, unionsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Effektivität des nach Art. 46 Abs. 6 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie n.F.) vorgesehenen Rechtsschutzes (vgl. EuGH, U.v. 19.6.2018 – C-181/16, Gnandi – juris; BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris). Art. 46 Abs. 6 RL 2013/32/EU bestimmt unter anderem im Fall der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet im Sinne des Art. 32 Abs. 2 RL 2013/32/EU, dass das mitgliedstaatliche Gericht befugt ist, entweder auf Antrag oder von Amts wegen über ein Bleiberecht des Antragstellers zu entscheiden, wenn diese Entscheidung gegebenenfalls die Beendigung des Bleiberechts zur Folge hat und dieses insoweit bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist. Im Hinblick darauf und auf die zitierte Rechtsprechung des EuGH hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass dann, wenn die Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG mit der Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung beginnt, die unionsrechtlich geforderten Verfahrens-, Schutz- und Teilhaberechte nicht in vollem Umfang gewährleistet sind (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris). Insbesondere hindert der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG zwar nach § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG den Vollzug der angedrohten Abschiebung (Vollzugshemmung). Unberührt bleibt davon jedoch die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht. Deshalb ist § 59 Abs. 1 Satz 6 und 7 AufenthG, welcher auf den Wegfall der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht bzw. der Abschiebungsandrohung abstellt, nicht anwendbar (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 39).
Das Bundesamt hat jedoch im vorliegenden Fall die Vollziehung der Abschiebungsandrohung bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG ausgesetzt sowie verfügt, dass der Lauf der Ausreisefrist bis zu diesem Zeitpunkt bzw. im Falle der fristgerechten Antragstellung nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens eines ablehnenden Beschlusses im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes „ausgesetzt“ ist. Diese Formulierung kann nach dem objektiven Empfängerhorizont dahingehend ausgelegt werden, dass es Bundesamt verschiedene Zeitpunkte für den Beginn der einwöchigen Ausreisefrist festgesetzt hat, nämlich für den Fall der Klageerhebung bzw. Antragstellung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren den Zeitpunkt des Wirksamwerdens eines ablehnenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes bzw. für den Fall, dass keine Rechtsbehelfe eingelegt werden, den Zeitpunkt des Ablaufs der Rechtsbehelfsfristen. Damit hat das Bundesamt in unionrechtskonformer Weise den Zeitpunkt, in welchem die Ausreisefrist anläuft, auf einen Zeitpunkt festgesetzt, in welchem das Verwaltungsgericht den Sofortvollzug der Abschiebungsandrohung bestätigt oder fristgerechte Rechtsbehelfe nicht mehr eingelegt werden können (vgl. BVerwG, U.v. 6.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 61).
bb) Voraussichtlich rechtswidrig und daher im Hauptsacheverfahren gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben ist jedoch die Abschiebungsandrohung, soweit als Zielstaat der Abschiebung Italien bezeichnet wird. Zwar darf in der Abschiebungsandrohung grundsätzlich jeder Staat als Zielstaat bezeichnet werden, in den eine Abschiebung grundsätzlich durchgeführt werden kann (OVG Saarland, B.v. 15.4.2015 – 2 A 343/14 – juris Rn. 10 m.w.N.). Rechtlich zulässig ist es deswegen auch, mehrere Zielstaaten der Abschiebung alternativ in der Abschiebungsandrohung zu benennen (VGH BW, B.v. 24.9.2007 – 11 S 561/07 – juris Rn. 6 m.w.N.). Eine rechtmäßige Abschiebungsandrohung liegt jedoch nur dann vor, wenn diese einen Zielstaat bezeichnet, welcher zur Rückübernahme der betroffenen Person bereit oder verpflichtet ist. Zwar muss die Bereitschaft des Zielstaates zur Rückübernahme der betreffenden im Zeitpunkt der Abschiebungsandrohung – anders als bei der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a AsylG – nicht feststehen. Vielmehr darf das Bundesamt in der Abschiebungsandrohung auch einen Zielstaat bestimmen, für den die tatsächliche Möglichkeit der Abschiebung in absehbarer Zeit nicht feststeht, soweit in Bezug auf diesen Staat keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote bestehen (BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39.12 – juris Rn. 4). Eine Abschiebungsandrohung ist aber rechtswidrig und daher aufzuheben, wenn die Wiederaufnahmebereitschaft des ursprünglich zuständigen Mitgliedstaates erwiesenermaßen nicht mehr fortbesteht und auch eine Abschiebung in den Herkunftsstaat oder einen anderen aufnahmebereiten Drittstaat nicht in Betracht kommen (BVerwG, U.v. 10.7.2003 – 1 C 21.02 – juris Rn. 13; OVG MV, U.v. 15.5.2012 – 3 L 98/04 – juris Rn. 64; VG Karlsruhe, GB.v. 7.7.2020 – A 9 K 4137/19 – juris Rn. 27). Deshalb ist eine Zielstaatsbestimmung rechtswidrig, die eindeutig lediglich auf Vorrat erfolgt, weil eine zwangsweise Abschiebung bzw. eine freiwillige Rückkehr in den betreffenden Staat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich scheint (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2003 – 1 C 21.02 – juris Rn. 13).
Letzteres ist vorliegend in Bezug auf Italien der Fall. Wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO ist die Zuständigkeit auf die Beklagte übergegangen (EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16, Shiri – juris). Es besteht somit weder eine Zuständigkeit, noch eine Wiederaufnahmeverpflichtung Italiens für die Antragsteller. Diese können sich im gerichtlichen Verfahren aufgrund des Rechts auf einen effektiven Rechtsbehelf nach Art. 27 Dublin III-VO auch auf den Fristablauf berufen (EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16, Shiri – juris Rn. 46), weshalb eine Überstellung nach Italien die Antragsteller in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzen würde. Nicht vertieft zu werden braucht daher, dass das Bundesamt auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote hinsichtlich Italiens geprüft hat. An die Prüfung solcher Abschiebungsverbote in dem im Dublin-Verfahren ergangenen Bescheid kann schon deshalb nicht angeknüpft werden, weil dieser Bescheid nach seiner Aufhebung durch die Beklagte gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG unwirksam geworden ist.
Die Unzuständigkeit und fehlende Aufnahmebereitschaft Italiens führt im vorliegenden Falle jedoch nicht dazu, dass gemäß § 37 Abs. 2 AsylG die Ausreisefrist nunmehr 30 Tage nach dem anfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens enden würde. Denn nach § 37 Abs. 3 AsylG gelten die Absätze 1 und 2 des § 37 AsylG nicht, wenn aufgrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Abschiebung in einen der in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staaten vollziehbar wird (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18 – juris Rn. 23), was hier hinsichtlich Nigerias der Fall ist. Damit hat der Gesetzgeber die gesetzlichen Folgen des § 37 Abs. 1 Satz 1 und 3 AsylG ausdrücklich für jene Fälle ausgeschlossen, in denen das Gericht nicht hinsichtlich aller in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Zielstaaten ein Abschiebungsverbot angenommen hat. Es versteht sich von selbst, dass die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde in einem solchen Fall die Abschiebung nur in einen Zielstaat durchführen darf, für den das Verwaltungsgericht die Zulässigkeit der Abschiebung nicht für ernstlich zweifelhaft hält (BVerwG, a.a.O.).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.