Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot bei Gesundheitsgefährdung wegen Herzerkrankung

Aktenzeichen  Au 6 K 17.34233

Datum:
27.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16991
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Die Vorschrift des § 60 Abs. 5 AufenthG iVm. Art. 3 EMRK findet nach deutscher Rechtslage nicht auf die besonderen Ausnahmefälle krankheitsbedingter Gefahren Anwendung, da der Bundesgesetzgeber solche Fälle in § 60 Abs. 7 S. 2 ff. AufenthG als lex specialis geregelt hat. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2 Krankheitsbedingte Gefahren können ausnahmsweise die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllen, wenn eine schwerkranke Person durch die Aufenthaltsbeendigung auch ohne eine unmittelbare Gefahr für ihr Leben schon wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Aufnahmeland oder weil sie dazu keinen Zugang hat, tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wird, dass sich ihr Gesundheitszustand schwerwiegend, schnell und irreversibel verschlechtert mit der Folge intensiven Leids oder einer erheblichen Herabsetzung der Lebenserwartung (EGMR BeckRS 2016, 120206). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Auf die Klage hin wird der angefochtene Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 31. Juli 2017 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das Verfahren insoweit wiederaufzugreifen und unter Abänderung ihres Bescheids vom 11. September 2013 festzustellen, dass für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Aserbaidschans befristet vorliegt, bis der Freistaat Bayern oder der Landkreis … dem Klägerbevollmächtigten und der Beklagten eine schriftliche Zusicherung darüber zugestellt hat, die auf den Kläger im Fall seiner Rückkehr in Aserbaidschan entfallenden Behandlungs- und Medikamentenkosten sowie einen ausreichenden Beitrag zum Lebensunterhalt nach näheren Maßgaben zu erstatten.
II. Die Beklagte hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist derzeit noch befristet begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Abänderung des Bescheids vom 11. September 2013 bzgl. der befristeten Feststellung zu § 60 Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO), so dass der hierzu ergangene Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2017 daher rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Entscheidung der Beklagten für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung, ob nationale Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ist nicht Streitgegenstand, weil die Beklagte hierüber eine Ermessensentscheidung getroffen hat (dazu sogleich unter 2.).
2. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu, da diese Norm im Fall – wie hier ausschließlich – geltend gemachter krankheitsbedingter Gefahren durch § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG gesperrt ist und die Sicherung des Existenzminimums des Klägers im vorliegenden Einzelfall dort indirekt berücksichtigt wird (vgl. unten).
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Die Vorschrift des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK findet nach deutscher Rechtslage nicht auf die besonderen Ausnahmefälle krankheitsbedingter Gefahren (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 175 f.) Anwendung, da der Bundesgesetzgeber solche Fälle in § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG als lex specialis geregelt hat. Dies ist konventions-, unions- und bundesrechtlich nicht zu beanstanden, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 ff. Rn. 16 f.), dessen Feststellung zu einer identischen Schutzberechtigung für den Betroffenen führt (vgl. § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Dabei liegt die Ausgestaltung eines nationalen Abschiebungsverbots allein in der Gestaltungshoheit des nationalen Gesetzgebers, solange er auf der Rechtsfolgenseite keinen mit dem subsidiären Schutz konkurrierenden Schutzstatus einführt (EuGH, U.v. 18.12.2014 – C-542/13 – juris Rn. 42 f.).
3. Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall des Klägers derzeit noch befristet bis zur u.g. Zusicherung vor.
a) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung und die mit einer Erkrankung verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Abschiebezielstaat verschlimmern, ist in der Regel als am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfende individuelle Gefahr einzustufen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris Rn. 15). Die Gesundheitsgefahr muss erheblich sein; die Verhältnisse im Abschiebezielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes, erwarten lassen. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) mit Wirkung vom 17. März 2016 geänderten Fassung nachgezeichnet (vgl. NdsOVG, B.v. 19.8.2016 – 8 ME 87.16 – juris Rn. 4). Nach dieser Bestimmung liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.
Erforderlich für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, a.a.O.).
Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen. Solche Umstände können darin liegen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 – 1 C 1.02 – juris Rn. 9).
b) Diese Anforderungen sind auch mit Art. 3 EMRK vereinbar: Krankheitsbedingte Gefahren können ausnahmsweise die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllen. Solche Ausnahmefälle können vorliegen, wenn eine schwerkranke Person durch die Aufenthaltsbeendigung auch ohne eine unmittelbare Gefahr für ihr Leben schon wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Aufnahmeland oder weil sie dazu keinen Zugang hat, tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wird, dass sich ihr Gesundheitszustand schwerwiegend, schnell und irreversibel verschlechtert mit der Folge intensiven Leids oder einer erheblichen Herabsetzung der Lebenserwartung (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 183). Solche Gesundheitsgefahren muss der Ausländer allerdings mit ernst zu nehmenden Gründen geltend machen und daraufhin der Konventionsstaat sie in einem angemessenen Verfahren sorgfältig prüfen, wobei die Behörden und Gerichte des Konventionsstaats die vorhersehbaren Folgen für den Betroffenen im Zielstaat, die dortige allgemeine Situation und seine besondere Lage berücksichtigen müssen, ggf. unter Heranziehung allgemeiner Quellen wie von Berichten der Weltgesundheitsorganisation oder angesehener Nichtregierungsorganisationen sowie ärztlicher Bescheinigungen über den Ausländer (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 186 f. m.w.N.). Dies mündet in eine Vergleichsbetrachtung der Folgen einer Abschiebung für den Betroffenen durch einen Vergleich seines Gesundheitszustands vor der Abschiebung mit dem, den er nach Abschiebung in das Bestimmungsland haben würde. Maßgeblich ist eine nur ausreichende Behandlung, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu verhindern, nicht, ob die medizinische Versorgung im Zielstaat der medizinischen Versorgung im Konventionsstaat mindestens gleichwertig ist, denn Art. 3 EMRK garantiert kein Recht, im Zielstaat eine besondere Behandlung zu erhalten, welche der Bevölkerung nicht zur Verfügung steht (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 188f . m.w.N.). Die erforderliche Prüfung umfasst auch, inwieweit der Ausländer tatsächlich Zugang zu der Behandlung und den Gesundheitseinrichtungen im Zielstaat hat, wobei die Kosten für Medikamente und Behandlung berücksichtigt werden müssen, ob ein soziales und familiäres Netz besteht und wie weit der Weg zur erforderlichen Behandlung ist (ebenda Rn. 190 m.w.N.). Wenn nach dieser Prüfung ernsthafte Zweifel bleiben, ist Voraussetzung für die Abschiebung, dass der abschiebende Staat individuelle und ausreichende Zusicherungen des Aufnahmestaats erhält, dass eine angemessene Behandlung verfügbar und für den Betroffenen zugänglich sein wird, so dass er nicht in eine Art. 3 EMRK widersprechende Lage gerät (ebenda Rn. 191).
c) Bei dem Kläger ist nach derzeitigem Verfahrensstand unter Berücksichtigung der vorgelegten (fach-)ärztlichen Atteste von einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bei Abbruch der laufenden Behandlung auszugehen.
Gemäß dem fachärztlichen Attest (Dr., Facharzt für Innere Medizin, Attest vom 20.10.2017, VG-Akte Bl. 42) liegt beim Kläger von Geburt an eine nicht korrigierte Transposition der großen Arterien vor, die zu einer schweren Herzschwäche im Erwachsenenalter geführt habe. Beim Kläger sei die Herzschwäche so weit fortgeschritten, dass ein notwendiger herzchirurgischer Eingriff wegen der zu hohen operativen bzw. postoperativen Sterblichkeit nicht mehr vorgenommen werden könne. Zum Schutz vor einem plötzlichen Herztod seien der Mitralclip implantiert worden und werde ein Defibrillator implantiert. Auch die Medikamentengabe erfolge in „palliativer“ Absicht, um die kurze Lebenserwartung des Klägers zu verlängern. Er nehme acht Medikamente und bedürfe einer ständigen ambulanten kardiologischen Überwachung. Damit ist eine weitere medizinische Behandlung indiziert, dazu gehöre eine medikamentöse Behandlung mit den im Beweisbeschluss vom 5. Dezember 2017 aufgeführten Medikamenten sowie regelmäßige Verlaufskontrollen.
d) Im vorliegenden Einzelfall ist zur Überzeugung des Einzelrichters davon auszugehen, dass dem Kläger die hierfür notwendige Behandlung in Aserbaidschan tatsächlich zugänglich ist.
Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Baku, Auskunft vom 18.5.2018, VG-Akte Bl. 72) sind sowohl die festgestellten Erkrankungen des Klägers in Aserbaidschan hinreichend behandelbar, als auch die meisten Medikamente erhältlich. Kardiologische Verlaufskontrollen könnten im seit einem Jahr bestehenden Herzzentrum problemlos durchgeführt werden. Die Kosten variierten und betrügen zwischen 40 AZN und 80 AZN (ca. 20– 40 Euro). Ob zusätzliche inoffizielle Zahlungen erforderlich seien, sei der Botschaft nicht bekannt. Die Behandlungskosten müssten vom Patienten vollumfänglich selbst bezahlt werden.
Die verabreichten Medikamente seien mit Ausnahme von Kalinor und Xipamid verfügbar; Kalinor könne über das türkische Apothekennetzwerk bestellt werden, Kalium Oronat sei eine weitere nicht ganz gleichwertige Alternativmedikation. Für Xipamid gebe es keinen gleichwertigen Ersatz, Hipoziatid aber gehöre zur gleichen Medikamentengruppe. Damit sind die Medikamente bzw. Ersatzmedikamente grundsätzlich verfügbar. Einen Anspruch, exakt dieselbe Behandlung wie in Deutschland zu erhalten, hat der Kläger nicht, so dass er auf verfügbare Ersatzmedikamente zu verweisen ist, wenn diese – wie hier vom Kläger nicht substantiiert bestritten und aus den Attesten auch nicht gegenteilig ersichtlich – ausreichend sind (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 188f . m.w.N.).
e) Im vorliegenden Einzelfall ist zur Überzeugung des Einzelrichters aber nicht davon auszugehen, dass dem Kläger die hierfür notwendige Behandlung in Aserbaidschan finanziell zugänglich ist.
Gemäß der Auskunftslage ist eine Behandlung solcher Erkrankungen in Aserbaidschan zwar grundsätzlich möglich (vgl. Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Baku, Auskunft vom 18.5.2018, VG-Akte Bl. 72). Aber sowohl die Kosten für die (derzeit halbjährlich medizinisch indizierten) kardiologischen Verlaufskontrollen von 40 AZN und 80 AZN (ca. 20 –40 Euro) als auch die Kosten für Medikamente (summiert über 80 AZN monatlich) müssen vom Patienten vollumfänglich selbst bezahlt werden (ebenda).
Da der Kläger aber körperlich kaum belastbar und nicht arbeitsfähig ist (vgl., Bescheid vom 22.7.2014, BAMF-Akte Bl. 16: Feststellung eines Grades der Behinderung von 50% wegen Herzleistungsminderung und seelischer Störung), auch wenn es Hinweise auf tatsächlich ausgeübte illegale Beschäftigung trotz der behaupteten Erwerbsunfähigkeit gibt, wird er in Aserbaidschan zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf familiäre Zuwendungen und Sozialhilfe angewiesen sein. Da das offizielle Existenzminimum in Aserbaidschan 144 AZN (ca. 70 Euro) beträgt, die monatlichen Sozialleistungen aber nur 50 AZN bis 90 AZN (25–45 Euro) betrügen, wäre der Kläger außer Stande, durch Sozialleistungen sein Existenzminimum zu sichern, geschweige denn, die zusätzlichen Medikamenten- und Behandlungskosten aufzubringen.
Daher ist im vorliegenden Fall grundsätzlich ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch die Beklagte zu Gunsten des Klägers festzustellen.
f) Im vorliegenden Einzelfall ist zur Überzeugung des Einzelrichters aber auch davon auszugehen, dass ein Abschiebungsverbot nur solange besteht, bis einer der im Tenor dieses Urteils genannten Hoheitsträger dem Kläger die hierfür notwendige und in Aserbaidschan tatsächlich verfügbare Behandlung zuzüglich Aufstockung der Sozialhilfe durch entsprechende verbindliche Zusicherung finanziell zugänglich macht. Hierzu sind der Freistaat Bayern oder der Landkreis … bereit.
Ausgehend von den genannten Kosten für (derzeit halbjährlich medizinisch indizierte) kardiologische Verlaufskontrollen von zweimalig 80 AZN (oberer Wert), den Kosten für Medikamente von monatlich summiert (letzte Medikation laut Attest vom 22.12.2017, VG-Akte Bl. 66; Preise laut Auskunft vom Auskunft vom 18.5.2018, VG-Akte Bl. 72) und der monatlichen Differenz zwischen dem offiziellen Existenzminimum in Aserbaidschan von 144 AZN und den monatlichen Sozialleistungen von mindestens 50 AZN (unterer Wert; Differenz = 94 AZN) sowie einem Sicherheitszuschlag für etwaige Ersatzmedikamente oder sonstige Mehrbedarfe sowie offizielle und inoffizielle Zuzahlungen ergibt sich folgende Berechnung:
Medikamenten-bedarf
Tagesbedarf pro Monat (zu 30 Tage)
Faktor zu Packungsgröße
Einzelkosten in AZN
in AZN
ASS 100
30
30/28
4,09
4,38
Bisoprolol
30
30/30
3,08
3,08
Clopidrogel (nur bis 10/2017 verordnet)
30
30/28
9,97
10,68
Ramipril
60
60/28
3,31
7,09
Furosemid
30
30/50
0,60
0,36
Spironolacton
30
30/30
11,20
11,20
Xipamid
30
nicht erhältlich
0,00
0,00
Ivabradin
60
60/56
42,88
45,94
Pantoprazol
30
30/28
7,44
7,97
Kalinor
bei Bedarf
nicht erhältlich
0,00
0,00
Hipotiazid (als Ersatz für Xipamid)
30
30/20
3,80
5,70
Summe
96,40
Jahresbedarf
Einzelkosten in AZN
Faktor
in AZN
in Euro
Verlaufskontrollen
80,00
2
160,00
Medikamente
96,40
12
1.156,80
Sozialhilfediff.
94,00
12
1.128,00
Sicherheitszuschlag
150,00
Endsumme
2594,80
Monatsbetrag 1/12
216,23
108,11
Soweit ein einzelnes Medikament in Aserbaidschan nicht verfügbar sein sollte, dient der Sicherheitszuschlag dazu, etwaige Mehrkosten bei Bezug aus dem Ausland abzudecken. Clopidrogel wurde vorsorglich noch aufgenommen, obwohl nicht mehr verordnet; Kalinor ist dafür nicht bezifferbar.
Daher ist im vorliegenden Fall das grundsätzlich bestehende Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur befristet bis zur Vorlage einer entsprechenden Zusicherung zu Gunsten des Klägers festzustellen.
Die Zusicherung ist personenbezogen auf den Kläger zu beschränken. Es handelt sich um einen höchstpersönlichen, nicht übertragbaren Anspruch.
Die Zusicherung ist räumlich und zeitlich zu beschränken auf den Aufenthalt des Klägers in seinem Herkunftsstaat Aserbaidschan, beginnend mit seinem Eintreffen dort in Folge seiner freiwilligen oder zwangsweisen Rückkehr und begrenzt auf seinen tatsächlichen Aufenthalt dort.
Die Zusicherung ist sachlich zu beschränken auf den im Zeitpunkt der heutigen Entscheidung (arg. ex § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) bestehenden ungedeckten Bedarf des Klägers an in Aserbaidschan entfallende Behandlungs- und Medikamentenkosten sowie an einem ausreichenden Beitrag zum Lebensunterhalt. Künftige Änderungen oder Erweiterungen des Bedarfs oder dgl. ändern die Zusicherung betragsmäßig nicht.
Die Zusicherung ist finanziell zu leisten in Höhe eines dem o.g. errechneten Betrag heute wertmäßig entsprechenden Betrags in in- oder ausländischer Währung entweder unter Vermittlung einer deutschen Auslandsvertretung in Aserbaidschan oder durch eine Direktzahlung auf eine Bankverbindung des Klägers in Aserbaidschan, wobei der Kläger seinen dortigen Aufenthalt durch eine Anmeldebestätigung nachzuweisen hat.
Alternativ kann der Zusichernde auch die Medikamentenversorgung des Klägers teilweise durch Sachleistung sicherstellen, indem er – ggf. mit Unterstützung einer deutschen Auslandsvertretung in Aserbaidschan – dem Kläger die derzeit oder dann dort verordneten Medikamente z.B. über eine dortige Apotheke zukommen lässt und der Zusichernde dieser oder der deutschen Auslandsvertretung die Kosten hierfür erstattet. Lediglich die betragsmäßig auf die monatliche Differenz zwischen dem offiziellen Existenzminimum und den monatlichen Sozialleistungen, die Verlaufskontrollen und den Sicherheitszuschlag entfallenden Anteil des zugesicherten Betrags braucht er dann monetär zur Verfügung stellen.
Die Zusicherung ist zu Nachweiszwecken dem Klägerbevollmächtigten bzw. – sollte dieser im Zeitpunkt der Zusicherung nicht mehr bevollmächtigt sein – dem Kläger persönlich sowie der Beklagten förmlich zuzustellen und letzterer durch Übersendung einer Kopie der Zustellungsnachweise auch mitzuteilen. Ab dem Zeitpunkt der zeitlich letzten Zustellung entfällt ein von der Beklagten bis dahin befristet ausgesprochenes Abschiebungsverbot und kann die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 11. September 2013 vollstreckt werden.
Ein Sozialhilfebedarf seiner Familienangehörigen ist nicht Streitgegenstand des einzelpersonenbezogenen Abschiebungsverbots für den Kläger – für seine Angehörigen besteht kein Abschiebungsverbot sondern eine Abschiebungsandrohung. Zudem können die Kindesmutter und die Kinder ggf. in Aserbaidschan Sozialhilfe nach dortigen Maßgaben beziehen.
g) Inlandsbezogene Abschiebungs- bzw. Vollstreckungshindernisse sind nicht Streitgegenstand.
Unerheblich ist eine behauptete etwaige Überforderung des Klägers durch die Betreuung der gemeinsamen Kinder im Fall einer Erwerbstätigkeit der Kindesmutter in Aserbaidschan. Der Betreuungsbedarf der Kinder ist erstens nicht zielstaatsbezogen, da er auch in Deutschland besteht. Zweitens können die Kindesmutter und die Kinder ggf. in Aserbaidschan öffentliche oder private Betreuungseinrichtungen in Anspruch nehmen. Ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der in Deutschland bestehenden Betreuungsangebote besteht nicht. Sie sind nicht besser zu stellen als die Bevölkerung in Aserbaidschan. Drittens haben der Kläger und die Kindesmutter nach klägerseitig nicht substantiiert bestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts (VG Augsburg, U.v. 19.11.2013 – Au 6 K 13.30323) bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan nach wie vor familiäre Beziehungen in seine Heimatstadt, wo die Mutter des Klägers sowie die Schwiegereltern lebten.
Soweit klägerseitig seine fehlende Reisefähigkeit behauptet wird, betrifft die Reisefähigkeit kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sondern allenfalls ein – hier nicht verfahrensgegenständliches (arg. ex § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG) und daher nicht zu prüfendes – inlandsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, das allein in der Prüfungs- und Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde liegt, daher nicht Streitgegenstand des vorliegenden Asylverfahrens ist und einer Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auch nicht entgegensteht. Im Übrigen handelt es sich bei dem Schreiben des … vom 11. Juni 2018, wonach beim Kläger ein eher seltenes Implantat eingesetzt sei, nicht um ein ärztliches Attest, sondern um eine Einladung zur Teilnahme an einer Studie zur Untersuchung der Wechselwirkung von Körperscannern und Schrittmachern und dgl. (VG-Akte Bl. 99). Soweit erforderlich, könnte wohl auf eine Körperscanner-Untersuchung beim Kläger an einem Flughafen ausnahmsweise verzichtet werden, wenn er durch Atteste nachweist, dass er einen Schrittmacher/Defibrillator trägt. So führt z.B. der Flughafen München in seinen allgemein zugänglichen Passagierhinweisen hierzu aus: „Herzschrittmacher – Die Personenkontrolle vor dem Abflug erfolgt für Träger von Herzschrittmachern auf Wunsch ohne Sonden. Bitte wenden Sie sich an das Personal vor Ort“ (Flughafen München, Barrierefrei unterwegs am Flughafen München, Informationen für Passagiere, www.munich-airport.de/_b/ 0000000000000000108526bb5809d5bf/Barrierefrei_160331.pdf).
Der Wunsch nach Aufrechterhaltung der ehelichen oder familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet unter Berufung auf den Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK führt ebenso allenfalls zur Prüfung eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wobei seine Kinder und die Kindesmutter nach Aktenlage ebenfalls keinen gesicherten legalen Aufenthalt in Deutschland haben, sondern seit Jahren bestandskräftig ausreisepflichtig sind (vgl. oben).
3. Die befristete Gewährung von Abschiebungsschutz hat zur Folge, dass der streitgegenständliche Bescheid derzeit aufzuheben und von der Beklagten ein befristetes Abschiebungsverbot auszusprechen ist.
4. Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG; vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).

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