Aktenzeichen W 8 K 17.33425
VwVfG § 51
AsylG § 3, § 3a, § 3b, § 28 Abs. 1a, Abs. 2, § 34 Abs. 1, § 71
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 2, § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, Abs. 10
VwGO § 108
Leitsatz
1. Zwar handelt es sich auch im Fall christlicher Aktivitäten infolge des Religionswechsels vom Islam zum Christentum nach der Ankunft in Deutschland um einen selbstgeschaffenen Nachfluchtgrund iSd § 28 Abs. 2 AsylG, jedoch liegt eine Ausnahme vom Regelfall des § 28 Abs. 2 AsylG insbesondere dann vor, wenn ein Ausländer nach Abschluss des Asylerstverfahrens aufgrund einer ernsthaften inneren und identitätsprägenden Überzeugung seine Konfession wechselt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufgrund der aktuellen Lage besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen iSd §§ 3 ff. AsylG. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn ein Iraner seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für … vom 13. September 2017 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 13. September 2017 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) sowie zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG war nicht zu entscheiden.
Im Ergebnis war ein weiteres Asylverfahren durchzuführen (vgl. § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG). Die Beklagte hat dies ebenfalls im Hinblick auf die in Deutschland erfolgte Konversion vom Islam zum Christentum bejaht. Darauf kann Bezug genommen werden.
§ 28 AsylG steht der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entgegen. Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen seines Herkunftslandes entstanden sind. Dabei ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch nicht nach § 28 Abs. 2 AsylG ausgeschlossen. Hiernach kann einem Ausländer, welcher nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Antrags selbst geschaffen hat, in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden. Zwar handelt es sich auch im Fall christlicher Aktivitäten infolge des Religionswechsels vom Islam zum Christentum nach der Ankunft in Deutschland um einen selbstgeschaffenen Nachfluchtgrund. Das Gericht geht jedoch davon aus, dass im vorliegenden Fall eine Ausnahme vom gesetzlichen Regelfall vorliegt. Zwar werden durch die Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylG Nachfluchtgründe regelhaft unter Missbrauchsverdacht gestellt. Durch diese Regelung soll der Anreiz genommen werden, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenem Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit einen dauerhaften Aufenthalt zu erlangen (BT-Drs. 15/420, 109 f.). Die gesetzliche Missbrauchsvermutung ist aber widerlegt, wenn der Asylbewerber den Verdacht ausräumen kann, er habe Nachfluchtaktivitäten nach Ablehnung des Erstantrags nur oder aber hauptsächlich mit Blick auf die erstrebte Flüchtlingsanerkennung entwickelt oder intensiviert. Die Beurteilung, ob der Kläger gute Gründe vorgebracht hat, ist eine dem Tatsachengericht vorbehaltene Frage der Sachverhalts- und Beweiswürdigung im Einzelfall. Hierzu ist die Persönlichkeit des Asylbewerbers und dessen Motivation für seine nun aufgenommenen Aktivitäten vor dem Hintergrund seines bisherigen Vorbringens und seines Vorfluchtschicksals einer Gesamtwürdigung zu unterziehen (BVerwG, B.v. 31.1.2014 – 10 B 5/14 – juris; BVerwG, U.v. 18.12.2008 – 10 C 27.07 – BVerwGE 133, 31). Eine Ausnahme vom Regelfall des § 28 Abs. 2 AsylG liegt insbesondere dann vor, wenn ein Ausländer nach Abschluss des Asylerstverfahrens aufgrund einer ernsthaften inneren und identitätsprägenden Überzeugung seine Konfession wechselt. In einem Fall des Glaubenswechsels aufgrund einer tiefen, inneren Glaubensüberzeugung ist ein bloßes asyltaktisches und somit missbräuchliches Verhalten des Folgeantragstellers nämlich ausgeschlossen (vgl. OVG Rh-Pf, U.v. 29.8.2007 – 1 A 1007/4/06; HessVGH, U.v. 18.9.2008 – 8 UE 858.06.A; Funke-Kaiser, GK-AsylG, Bd. 2, 115. Erg.Lief. v. 1.3.2018 § 28 Rn. 39; Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 28 AsylG Rn. 17).
Konkret für den Kläger spricht sein persönlicher Eindruck in der mündlichen Verhandlung. Der Kläger hat seine Beweggründe offengelegt und glaubhaft gemacht, sodass von einer ehrlichen und ernsthaften, nicht asyltaktisch geprägten Konversion auszugehen ist, wie im Folgenden noch näher dargelegt wird.
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für den Kläger aufgrund seiner Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 11.7.2012 – W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Obergerichte (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – EzAR-NF 62 Nr. 19; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; SächsOVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris; OVG Saarl, U.v. 26.6.2007 – 1 A 222/07 – InfAuslR 2008, 183 – jeweils mit weiteren Nachweisen) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Insgesamt betrachtet ist eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 – 6 A 2067/08.A – Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013, 5).
Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für den Kläger eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da der Kläger aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner persönlichen religiösen Prägung entsprechend seiner neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, seinen Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass er ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung des Klägers vorliegt und dass er auch bei einer Rückkehr in den Iran seinen christlichen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich der Kläger bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben des Klägers zu seiner Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 sowie OVG SH, B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris; OVG NRW, B.v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris; BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – NVwZ-RR 2015, 677; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – KuR 2014, 263; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – NVwZ-RR 2014, 576), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seiner religiösen und kulturellen Prägung und seiner intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass dieser ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert ist. So legte der Kläger ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Der Kläger schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft seinen Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und seine christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen des Klägers sind plausibel und in sich schlüssig. Der Kläger legte verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe des Klägers, seine Konversion zum Christentum sowie seine christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte seine christliche Gemeinde seine Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
Der Kläger hat glaubhaft seinen Weg vom Islam zum Christentum dargetan. Der Kläger erklärte, in Deutschland in den Kindergarten gegangen und bis zur 4. Klasse in der Schule in Deutschland gewesen zu sein. Dann sei er mit seinen Eltern zurück. Er sei als Moslem geboren, aber seine Eltern seien nicht so streng gläubig gewesen. Im Iran habe er in der Schule unter anderem Koranunterricht gehabt und habe nach außen hin als ganz normaler Moslem gewirkt. Er habe sich im Iran immer mit seinem Bruder gestritten. Er habe aber dann gemerkt, dass der Bruder sich anders verhalten und verändert habe. Er habe sich mit ihm unterhalten, auch übers Christentum. Der Kläger erzählte ausführlich, wie sein Bruder nach dem Besuch einer Art Hauskirche aufgefallen sei, Freunde verhaftet worden seien und die Wohnung durchsucht worden sei. Auch als der Bruder schon im Ausland gewesen sei, habe er mit ihm übers Internet auch über christliche Themen kommuniziert. Er sei nach seiner Einreise nach Deutschland über seinen Bruder in die dortige christliche Gemeinde in B. gekommen. Er habe sowohl die persische als auch die deutsche Gemeinde besucht. Es habe sonntags, mittwochs und freitags Kurse zur Taufvorbereitung gegeben. Es habe auch zweimal Prüfungen vor der Taufe gegeben. Es sei auch noch ein zweiter Pastor, ein iranischer Pastor aus H. gekommen. Die beiden Pastoren hätten überprüft, ob sie aus wahrem Herzen Christen geworden seien. Des Weiteren nehme er jedes Wochenende am Gottesdienst teil und setze sich auch mit seiner Verlobten übers Christentum auseinander. Auch in Aschaffenburg habe er Bibelkreise besucht. Jetzt sei er seit kurzem in K., dort habe er noch keine Kirche gefunden. In seiner Unterkunft in M. habe es Auseinandersetzungen mit Afghanen gegeben, die festgestellt hätten, dass er zum Christentum konvertiert sei. Außerdem kommuniziere er übers Internet mit Freunden im Iran. Er wolle eine Deutsche heiraten. Die Genehmigung hänge beim Oberlandesgericht. Zunächst sei eine standesamtliche Trauung vorgesehen. Sie hätten aber vor, kirchlich zu heiraten.
Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass der Kläger seinen Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern dass er sich auch für seinen Glauben engagiert. Der Kläger erklärte glaubhaft: Er spreche mit anderen über das Christentum und mache durchaus Werbung für das Christentum. Er fungiere in der Gemeinde, vor allem im B., als Dolmetscher und spreche mit anderen Flüchtlingen über das Christentum und missioniere für das Christentum. Er kommuniziere auch mit Schulfreunden bzw. Studienkollegen von früher im Iran über das Christentum. Diese hätten Schwierigkeiten aus religiösen Gründen und wollten den Iran verlassen. Im Iran wüssten außerdem seine Eltern und sein Onkel, dass er Christ geworden sei. Von deren Seiten habe es keine negativen Reaktionen gegeben. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass der Kläger bei seiner Glaubensbetätigung auch nicht vor seiner Heimat Halt macht, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbestätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
Der Kläger verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft seine Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legte er – in seinen Worten und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) – auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit seinen Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machte der Kläger zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigte, dass er dies verinnerlicht hat. Der Kläger erklärte: Der Christentum sei Teil seines Lebens geworden. Er habe ein hohes Wesen gefühlt. Im Iran seien sie beim Islam immer gezwungen gewesen, an Feiertagen und Trauertagen in der Öffentlichkeit teilzunehmen und sich auch beim Fasten in der Öffentlichkeit daran zu halten. Für ihn sei Gott das Größte, Gott habe eine sehr hohe Bedeutung. Er, der Kläger, helfe etwa Menschen und begehe jeden Tag eine gute Tat. Anders als im Koran sei Jesus Christus im Christentum Gottes Sohn. Er sei der Erlöser von unseren Sünden. Im Christentum gebe es nur einen Gott. Gott habe Jesus zu uns gebracht, damit wir Gott näher kennenlernen könnten, um uns von den Sünden zu erlösen. Die Sünden kämen von den Taten. Der Teufel habe Jesus in Versuchung geführt, als er 40 Tage in der Wüste gewesen sei, und auch in Jerusalem. Jesus habe gesagt, man lebe nicht von Brot und Wasser allein, sondern auch von den Worten. Die Sünden kämen von Adam und Eva, als Gott gesagt habe, sie dürften nicht von dem Baum essen. Als sie es getan hätten, habe Gott ihnen gesagt, sie dürften nicht mehr dort bleiben, sondern müssten auf die Erde. Adam und Eva seien vom Teufel in Versuchung geführt worden. Er habe auch die Zahl 666 in der Bibel gelesen. Das sei die Zahl des Teufels. Er habe darüber nachgeforscht.
Der Kläger offenbarte weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die seine Glaubensentscheidung und seinen Gewissensschritt zusätzlich belegen. Der Kläger benannte in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannte der Kläger auch christliche Gebete, wie das „Vater unser“. Der Kläger bezog sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
Der Kläger erklärte glaubhaft weiter, er könne sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder zum Islam zurückzukehren. Das Christentum sei ein Teil seines Lebens geworden. Er habe sich des Weiteren damals im Iran aus Angst vor Verfolgung oder Nachteilen nicht nach außen hin als Christ zu erkennen gegeben. Er habe dies im Iran ursprünglich verheimlicht. Er sei von Freunden seines Bruders angesprochen worden, ob es Probleme auch wegen der Religion gebe. Sein Vater habe darauf erklärt, dass es für den Kläger zu gefährlich werden würde. Irgendwann würde herauskommen, dass er Christ sei.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten des Klägers vor und nach seiner Ausreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihm vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion – auch in Abgrenzung zum Islam – eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass der Kläger bei einer angenommenen Rückkehr in seine Heimat seiner neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Der Kläger hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar seine Motive für die Abkehr vom Islam und seine Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Er hat seine Konversion anhand der von ihm gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch seine Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass der Kläger missionarische Aktivitäten entwickelt, indem er bei anderen für den christlichen Glauben wirbt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran seine Konversion ohne Not verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 14.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einem Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von seiner religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Der Kläger hat insgesamt durch sein Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung seiner Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass er nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 28 AsylG Rn. 17).
Nach alledem ist dem Kläger unter Aufhebung der betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
Des Weiteren sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für … erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
Schließlich war auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 AufenthG entfallen (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.