Aktenzeichen W 6 K 20.30279
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Beklagten zur mündlichen Verhandlung entschieden werden, da diese ordnungsgemäß geladen und hierauf hingewiesen wurde, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf subsidiären Schutz zukommt und sie auch nicht die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG beanspruchen kann, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Das Gericht nimmt zunächst auf die Feststellungen und die Begründung im Bescheid vom 11. Februar 2020 Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG), folgt der Einschätzung der Beklagten und hält auch zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt an der entsprechenden Beurteilung fest.
Ergänzend ist hierzu auszuführen:
1. Ein Anspruch der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a GG scheitert schon daran, dass die Klägerin auf dem Landweg über Tschechien einreiste.
Die Klägerin gab bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 4. Oktober 2019 an, dass sie von Prag aus mit dem Bus in die Bundesrepublik Deutschland gelangte und anschließend ihren Asylantrag stellte. Gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG kommt deshalb ein Asylrecht nicht in Betracht.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG).
2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; vgl. hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie), oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1.) beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; siehe hierzu auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Qualifikationsrichtlinie). Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Zudem müssen die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d Qualifikationsrichtlinie (vgl. jetzt § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32 m.w.N.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG; hierzu bereits BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris).
Einschränkend bestimmt § 3e AsylG, dass einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes diese Voraussetzungen erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen.
Das Gericht muss die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asyl- bzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147). Dies ist nicht der Fall, wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen unauflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich erachtet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris, VGH Kassel, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
2.2 Unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass für sie in Armenien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine begründete Gefahr flüchtlingsschutzrelevanter Verfolgung besteht.
2.2.1 Zunächst ist der Vortrag der Klägerin aufgrund des persönlichen Eindrucks, den sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung bilden konnte, glaubhaft, wonach die im Jahr 2014 zum Zeitpunkt der Eheschließung 17-jährige Klägerin über Jahre hinweg bis zur Trennung im September 2019 wiederkehrend unter der häuslichen Gewalt ihres 13 Jahre älteren Ex-Ehemanns litt.
Die Klägerin hat dem Gericht widerspruchsfrei, nachvollziehbar und emotional dargelegt, dass sie von ihrem damaligen Ehemann über Jahre hinweg regelmäßig geschlagen und zum Teil auch öffentlich gedemütigt wurde, weil sie keine Kinder zur Welt bringen konnte. Wie bereits im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt gab die Klägerin gegenüber dem Gericht insbesondere überzeugend an, dass ihr Ex-Mann eine Zigarette auf ihrer Hand ausdrückte, nachdem die Klägerin am 22. August 2019 aus der stationären Behandlung des medizinischen Zentrums Erebuni entlassen wurde.
2.2.2 Auch die für einen Flüchtlingsschutz geforderte Verknüpfung dieser im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 AsylG verfolgungsrelevanten Misshandlungen der Klägerin mit einem in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgrund liegt vor.
Zwar kann ein Verfolgungsgrund im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG nicht zwingend angenommen werden, wenn häuslicher Gewalt ausschließlich private Konfliktbeziehungen zugrunde liegen, in denen das Opfer nicht als Angehöriger einer sozialen Gruppe betroffen ist, sondern als Angehöriger bzw. Angehörige des jeweiligen Täters (vgl. Wittmann in BeckOK, Migrations- und Integrationsrecht, 7. Edition, Stand: 1.1.2021, § 3b Rn. 39). Werden familiäre Beziehungsstrukturen indes von patriarchalischen Überlegenheitsvorstellungen beherrscht, sodass häusliche Gewalt gegen Frauen nicht bloß Ausdruck eines privaten Konflikts ist, sondern den Status der Frau als solchen berührt, und nimmt der Ehemann oder Partner die Verfolgungshandlungen im Zusammenhang mit einer der Frau zugeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle vor, kann der Ausübung häuslicher Gewalt ein Verfolgungsgrund gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 AsylG zugrunde liegen (vgl. Marx, Kommentar zum Asylgesetz, 10. Auflage 2019, § 3b AsylG, Rn. 33).
Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Klägerin hat plausibel dargelegt, dass Hintergrund der gewalttätigen Misshandlungen der erfolglose Kinderwunsch des Ehepaares war. Der Ex-Mann der Klägerin hat diese offenbar für die Kinderlosigkeit der Ehe verantwortlich gemacht und sie deswegen zum Teil auch gegenüber Dritten gedemütigt und zu Hause geschlagen. Damit steht die von der Klägerin erlittene physische und psychische Gewalt in direktem Zusammenhang mit der ihr vom Ex-Ehemann zugeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle als Ehefrau, deren persönlicher Wert und Achtungsanspruch sich vorwiegend daran bemisst, ob sie dem Ehemann Kinder zur Welt bringt.
2.2.3 Das Gericht ist jedoch nicht überzeugt davon, dass der armenische Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens gewesen wäre bzw. ist, der Klägerin Schutz vor häuslicher Gewalt zu bieten (§ 3c Nr. 3 AsylG i.V.m. § 3d AsylG).
Nach § 3 Abs. 1, § 3c Nr. 3, § 3d AsylG i.V.m. Art. 7 Qualifikationsrichtlinie ist internationaler Schutz ausgeschlossen, wenn es dem Betroffenen zumutbar ist, gegen Übergriffe Privater den staatlichen Schutz seines Herkunftslandes in Anspruch zu nehmen. Akteure, die in diesem Sinne Schutz gewähren können, sind der Staat sowie Parteien oder internationale Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz zu bieten (§ 3d Abs. 1 AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein (§ 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG). Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in § 3d Abs. 1 AsylG genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (§ 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG). Es müssen vernünftige Gründe dagegensprechen, dass im Herkunftsland wirksamer Schutz gegen Verfolgung verfügbar ist (Fritz/Vormeier, GK-AsylG, Stand: Mai 2021, Vorbem. II Rn. 101). Dabei sind insbesondere die Funktionsweise der Institutionen, Behörden und Sicherheitskräfte einerseits und aller Gruppen des Herkunftslandes, die durch ihr Tun oder Unterlassen für Verfolgungen gegen Einzelne ursächlich werden können, andererseits zu berücksichtigen (EuGH, U.v. 2.3.2010 – Abdullah, C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08 – InfAuslR 2010, 188/190). Der zur Verfügung stehende Schutz muss dem Betroffenen nach seinen persönlichen Umständen zugänglich sein (EuGH, U.v. 2.3.2010 – Abdullah, C-175/08 u.a. – InfAuslR 2010, 188/190). Ist das nationale Schutzsystem von vornherein für bestimmte Personengruppen aus diskriminierenden Gründen vollständig versperrt, besteht kein Zugang zu diesem System.
Der betroffene Asylbewerber hat konkrete Tatsachen und Umstände schlüssig, detailliert und vollständig zu bezeichnen, aus denen sich ergeben muss, dass er sich erfolglos um die Inanspruchnahme staatlichen Schutzes bemüht hat bzw. dass von ihm vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass er sich innerhalb des Herkunftslands um Schutz bemüht (Marx, Kommentar zum Asylgesetz, 10. Auflage 2019, § 3c AsylG Rn. 6). Danach hat der Asylsuchende zunächst die persönlichen Umstände, Verhältnisse und Erlebnisse mit Blick auf das Schutzersuchen schlüssig sowie hinsichtlich zeitlicher, örtlicher und sonstiger Umstände detailliert und vollständig darzulegen. Bei persönlichen Umständen ist die Amtsermittlungspflicht begrenzt. Bleiben sodann nach erfolgter Aufklärung anhand der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel Zweifel, so liegt die Beweislast für das Fehlen zumutbaren Schutzes beim Asylbewerber (Fritz/Vormeier, GK-AsylG, Stand: Mai 2021, Vorbem. II Rn. 112 ff.).
Gemessen an diesen Vorgaben hat die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt, dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte bzw. kann, dass sie sich gegen häusliche Gewalt um Schutz ihres Herkunftsstaats bemüht.
Es bestehen zunächst keine überzeugenden Anhaltspunkte, dass ihr aufgrund individueller Umstände ein Schutz durch den armenischen Staat von vorneherein versagt worden wäre. Die Klägerin hat schon bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt erklärt, dass sie sich wegen der Misshandlungen nicht an die Polizei gewandt habe, da ihr Ex-Ehemann dort Bekannte habe. Sie selbst habe mit der armenischen Polizei oder anderen staatlichen Stellen jedoch keine Probleme gehabt. Auch in der mündlichen Verhandlung erklärte die Klägerin auf Nachfrage, warum sie im Hinblick auf die langjährige Misshandlung durch ihren Ehemann nicht zur Polizei gegangen sei, ihr Ex-Mann habe viele Freunde bei der Polizei. In ihrem Dorf Buzhakan habe es keine Polizeistation gegeben, aber in Jeghward. Auf Bitte des Gerichts, näher zu beschreiben, was für Bekannte das gewesen seien (Freunde, Cousins, Arbeitskollegen etc.) und wie viele, erklärte die Klägerin, Armenien sei eben ein kleines Land. Ihr Mann hätte in Jeghward jeden gekannt. Näher präzisieren könne sie dies nicht. Alleine aus dem Umstand, dass ihr Ex-Mann örtliche Polizisten kennt, folgt nicht zugleich zwingend, dass die Behörden gegen den Ex-Mann gerichtete Anzeigen wegen häuslicher Gewalt generell nicht verfolgt hätten. Aus den wenig detaillierten Angaben ergeben sich insgesamt keine tragfähigen Hinweise, dass es der Klägerin von vornherein nicht möglich gewesen wäre, bei der Polizei in Jeghward – oder in einer anderen Stadt – Schutz vor Misshandlungen durch den damaligen Ehemann zu erhalten.
Nach der allgemeinen Erkenntnislage bestehen unter Einbeziehung neuerer legislativer Entwicklungen in Armenien – trotzt gewisser Zweifel – letztlich keine hinreichend überzeugenden Anhaltspunkte, dass der armenische Staat grundsätzlich nicht in der Lage oder willens wäre, der Klägerin einen hinreichend effektiven Schutz vor kriminellem Unrecht in Form von häuslicher Gewalt im Sinne des § 3d Abs. 2 AsylG zu bieten, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer schutzrelevanten Verfolgung bzw. Gefährdung auszuschließen.
Häusliche Gewalt wird in Armenien nach allgemeinen Gesetzen über Gewaltanwendung verfolgt, obwohl die Behörden die meisten Vorwürfe häuslicher Gewalt nicht wirksam untersuchen oder verfolgen. Es gibt Berichte, dass die Polizei, insbesondere außerhalb von Jerewan, in Fällen häuslicher Gewalt nur ungern tätig wird und Frauen davon abhält, Beschwerden einzureichen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien, Stand: 2.10.2020, S. 31). Die Mechanismen zur Verhinderung der Verletzung von Schutzmaßnahmen durch den Täter und die Sanktionen, die im Falle solcher Verletzungen angewendet werden, sind nicht effizient (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O. S. 32). Trotz begrüßenswerter Entwicklungen und Bemühungen bleibt häusliche Gewalt in Armenien ein schwerwiegendes, weit verbreitetes und teilweise noch unterschätztes Phänomen (Council of Europe – Office oft the Commissioner for Human Rights: Report of the Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatovic following her Visit to Armenia from 16 to 20 September 2018, CommDH(2019)1, S. 9; siehe auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, Stand: Februar 2020, S. 14).
Dennoch ist festzustellen, dass Armenien bedeutsame Fortschritte bei der Schaffung und Verbesserung des Rechtsrahmens zur Bekämpfung häuslicher Gewalt gemacht hat. Die wichtigste Maßnahme war insoweit das Ende 2017 verabschiedete Gesetz gegen häusliche Gewalt. Danach sind die armenischen Strafverfolgungsbehörden nun verpflichtet, Gewalt in Familien zu beenden. Die Polizei kann einen gewalttätigen Ehepartner zwingen, das Haus des Opfers zu verlassen und 20 Tage lang fern zu bleiben. Die Gerichte können dieses Verbot um 18 Monate verlängern. Das Gesetz legt auch fest, dass die Definition von häuslicher Gewalt sich nicht auf physische Gewalt beschränkt, sondern auch auf sexuelle, psychische und wirtschaftliche Gewalt ausgedehnt werden kann. Nebst der Prävention häuslicher Gewalt, den Schutz und die Sicherheit der Opfer garantiert das Gesetz auch die notwendige psychologische, rechtliche, soziale und gegebenenfalls vorübergehende finanzielle Unterstützung der Opfer (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 12.12.2018, S. 26 ff.). Im Anschluss an das neue Gesetz gegen häusliche Gewalt wurde eine Reihe von sekundären Rechtsakten verabschiedet, die dessen Umsetzung sicherstellen sollen. Danach werden neue Mechanismen zur Unterstützung von Personen, die mit häuslicher Gewalt konfrontiert sind, zur Registrierung von Fällen häuslicher Gewalt, zum Austausch von Informationen und zur Führung von Statistiken eingeführt. Darüber hinaus wurde ein Rat für die Prävention häuslicher Gewalt in der Familie gegründet, der Maßnahmen zur Prävention häuslicher Gewalt in der Familie koordinieren soll. In Jerewan und drei Bezirken der Republik Armenien gibt es sechs staatliche Unterstützungszentren, in denen Personen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, Hilfe erhalten. Für das Jahr 2020 war geplant, die Anzahl der Schutzräume zu erhöhen und Schutzräume einzurichten, die vom Staat unterhalten werden. Kampagnen zur Information der Öffentlichkeit über das neues Gesetz und über die Einreichung von Beschwerden und Zugang zu Dienstleistungen sollten durchgeführt werden. Für die Jahre 2020-2022 werden im Staatshaushalt Armeniens zur Umsetzung der genannten Programme finanzielle Mittel bereitgestellt. Finanziert werden damit zwei Unterkünfte für ca. 60 Personen, zudem Dienstleistungen in elf Unterstützungszentren für ca. 1.800 Personen sowie finanzielle Unterstützung für ca. 100 Personen, die mit häuslicher Gewalt konfrontiert sind (zum Ganzen United Nations – Economic an Social Council: Fourth periodic report submitted by Armenia unter articles 16 and 17 of the Covenant, due in 2019 [E/C.12/ARM/4] vom 26.11.2020, S. 20 f.). Die armenische Regierung hat ferner im Januar 2018 das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, auch bekannt als Istanbul-Konvention, unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Die neuen Maßnahmen gegen häusliche Gewalt wurden von Sensibilisierungskampagnen begleitet, die zu einer öffentlichen Debatte und einem spürbaren Einstellungswandel zum Thema häusliche Gewalt führen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien, Stand: 2.10.2020, S. 31; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien, Stand: Februar 2020, S. 14). Ferner haben der Europarat und Armenien im Rahmen eines Aktionsplans für Armenien 2019-2022 vereinbart, gemeinsam Reformen voranzutreiben, die die armenische Gesetzgebung, Institutionen und Praxis weiter an europäische Standards in den Bereichen Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie angleichen und damit die Bemühungen des Landes unterstützen soll, seinen Verpflichtungen als Mitgliedsstaat des Europarates nachzukommen. Der Plan umfasst auch die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, Gewährleistung des gleichberechtigten Zugangs zur Justiz und die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Council of Europe: Action Plan for Armenia 2019-2022 vom 11.12.2018, GR-DEM(2018)16, S. 10 f.). Im Juli 2019 starteten die armenische Regierung und der Europarat insoweit ein gemeinsames Programm zur Verhinderung und Bestrafung von häuslicher Gewalt im Land. Es konzentriert sich auf die Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten von Anwälten, Polizeibeamten und Sozialarbeitern im Bereich häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 15 – Armenien, Stand: 9/2019, S. 10).
Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln ist keine abschließend gesicherte Einschätzung möglich, ob die vom armenischen Staat seit 2017 zur Stärkung der Lage von Opfern häuslicher Gewalt getroffenen und die Schutzwilligkeit dokumentierenden Maßnahmen den Betroffenen – insbesondere Frauen – tatsächlich (bereits) einen hinreichend effektiven Schutz bieten. Gewisse Zweifel wecken insbesondere die Hinweise des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien, Stand: 2.10.2020, S. 32), sowie der Umstand, dass die bereits seit langem angekündigte Ratifizierung der Istanbul-Konvention seitens der Republik Armenien nach wie vor aussteht.
Die Klägerin konnte jedoch – wie bereits ausgeführt – schon nicht überzeugend darlegen, dass sie in Armenien überhaupt staatlichen Schutz ersucht hat oder dass sie diesen im Falle eines Schutzersuchens nicht erhalten hätte. Die nach ihrem Vorbringen sowie nach Auswertung der Erkenntnismittel verbliebenen Zweifel bezüglich der tatsächlichen Effektivität der staatlichen Schutzgewährung gehen nach dem Günstigkeitsprinzip zu Lasten der Klägerin, da hiernach letztlich nicht „erwiesen“ im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG bzw. Art. 6 Buchst. c Qualifikationsrichtlinie ist, dass die staatlichen Schutzakteure Armeniens zur Gewährung von effektivem Schutz vor häuslicher Gewalt nicht in der Lage sind.
2.2.4 Ferner geht das Gericht im Einklang mit der Einschätzung der Beklagten im verfahrensgegenständlichen Bescheid davon aus, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Armenien eine inländische Fluchtalternative (§ 3e AsylG) zur Verfügung stünde.
Die Klägerin ist nicht gezwungen, sich nach einer Rückkehr in die Heimat erneut an ihrem ehemaligen Wohnort in Buzhakan und mithin dort, wo ihre Misshandlungen durch den Ex Ehemann geschahen, niederzulassen. Die Klägerin kann sicher und legal in jeden Landesteil Armeniens reisen und sich dort niederlassen. Nach den zutreffenden Ausführungen der Beklagten im Bescheid, die die Erkenntnisse zur allgemeinen Versorgungslage in Armenien einbeziehen, kann auch davon ausgegangen werden, dass die Klägerin überall in Armenien zumindest eine Lebensgrundlage auf dem Niveau des Existenzminimums in dem durch Art. 3 EMRK geforderten Umfang (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20) erhalten wird, sodass ihr am Ort des internen Schutzes ein Aufenthalt auch zumutbar ist.
Die junge Klägerin hat keine Unterhaltsverpflichtungen und wird sich ein Einkommen zumindest auf Höhe des Existenzminimums durch eine eigene Erwerbstätigkeit erwirtschaften können. So gab sie in der mündlichen Verhandlung an, dass sie in Armenien eine Ausbildung als Friseurin abgeschlossen und anschließend inoffiziell als Friseurin gearbeitet hat. Derzeit arbeitet sie in einem Impfzentrum als Reinigungskraft. Ausweislich der in der mündlichen Verhandlung übergebenen Unterlagen besitzt die Klägerin zudem eine aktuelle Zusage für eine Ausbildung als Fachfrau für Systemgastronomie. An der grundsätzlichen Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit der 24-jährigen Klägerin besteht demnach kein Zweifel. Sie wird auch in Armenien eine berufliche Ausbildung beginnen sowie eine berufliche Tätigkeit ausüben können.
Internen Schutz kann die Klägerin insbesondere bei ihrer Schwester oder ihrem Bruder finden, zu denen sie nach ihrer Mitteilung weiterhin Kontakt hält. Die Schwester lebt derzeit in Areni und mithin ca. 150 km vom Ex-Ehemann der Klägerin entfernt. Der Bruder beendet im nächsten Monat seine Armeezeit und weiß nach Auskunft der Klägerin noch nicht, was er danach macht. Auch beim Bruder könnte sie künftig Schutz und Obdach finden, etwa indem die Geschwister einen gemeinsamen Wohnsitz in gesicherter Entfernung vom Ex-Ehemann der Klägerin begründen. Auch bei ihrem Verwandten namens K. könnte die Klägerin Zuflucht finden. Dieser soll im südlichen armenischen Gebiet A. leben und hat der Klägerin bereits bei ihrer Ausreise geholfen. Plausible Gründe, die einer Zuflucht der Klägerin bei den vorgenannten Verwandten entgegenstehen, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht aufzeigen können.
Kehrt die Klägerin zu ihren Verwandten oder an einen anderen als ihren früheren Wohnort in Buzhakan zurück, besteht zur Überzeugung des Gerichts nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass es erneut zu flüchtlingsrelevanten Verfolgungshandlungen kommen würde. Denn es ist bereits nicht ersichtlich, inwiefern der Ex-Ehemann, der nach Angaben der Klägerin beim Bundesamt in einem ländlichen Gebiet lebt und dort mit seinen Eltern ausschließlich Landwirtschaft betreibt, überhaupt von einer Rückkehr der Klägerin erfahren sollte und in der Lage wäre, ihren Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Schließlich spricht letztlich auch wenig dafür, dass der Ex-Ehemann die Klägerin auch noch zwei Jahre nach der Trennung überhaupt erneut an ihrem neuen Wohnort aufsuchen und misshandeln würde.
3. Der Klägerin steht auch nicht die Anerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) zu.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Mit dem Begriff des ernsthaften Schadens führt die Qualifikationsrichtlinie in Art. 15 ein Tatbestandsmerkmal ein, das eine schwere Menschenrechtsverletzung unterhalb der Schwelle der Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG positiv umschreiben soll. Voraussetzung ist, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den geschützten Rechtsgütern droht (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 20).
Konkret obliegt es grundsätzlich der Klägerin, so vollständig und umfangreich wie möglich jene Fakten vorzutragen, die zur Ausfüllung der einzelnen Tatbestandsmerkmale erforderlich und geeignet sind. Stichhaltig ist das Vorbringen dann, wenn die vorgetragenen Tatsachen den Schluss auf das Vorliegen einer Gefahr in Gestalt eines ernsthaften Schadens zulassen bzw. nahelegen (Kluth in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 28. Edition,Stand: 1.1.2021, § 4 AsylG Rn. 33).
Gemessen daran hat die Klägerin nichts Hinreichendes vorgebracht, woraus sich im Falle der Rückkehr nach Armenien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein drohender Schaden ergeben könnte und dafür ist auch im Übrigen nichts ersichtlich. Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid zutreffend dargelegt, dass der Klägerin in Armenien kein ernsthafter Schaden gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG droht. Das Gericht verweist hierauf.
Ebenso droht der Klägerin im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Armenien eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Der im Herbst 2020 erneut entbrannte offene Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um die international nicht anerkannte „Republik Bergkarabach“, der ganz überwiegend auf aserbaidschanischem Staatsgebiet geführt wurde, fand infolge eines Anfang November 2020 unter Vermittlung Russlands geschlossenen Waffenstillstandsabkommens bis dato ein Ende (vgl. Bundesamt, Briefing Notes vom 11.1.2021, S. 2). Dem Abkommen zufolge übernahm eine 1.960 Soldaten umfassende russische Grenztruppe die Beobachtung der Waffenstillstandslinie und sichert die Waffenruhe bislang erfolgreich ab (vgl. Bundesamt, a.a.O.). Ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt wird derzeit auf dem Staatsgebiet Armeniens schon deshalb nicht geführt.
4. Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung auch keinen Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Armenien.
4.1 Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor. Insbesondere ergibt sich nicht aus Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) die Unzulässigkeit der Abschiebung der Klägerin nach Armenien.
Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen (BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 6). Nach der Rechtsprechung des EGMR reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK annehmen zu können. Ausländer können auch kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Denn die EMRK zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Anderes gilt nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen zielstaatsbezogene humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR [GK], U.v. 27.5.2008 – N./Vereinigtes Königreich, Nr. 26565/05 – NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; siehe auch BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23, 25). Für den Geltungsbereich von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, hat sich der EuGH dieser Bewertung angeschlossen und ausgeführt, diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre (erst) erreicht, wenn die Gleichgültigkeit von Behörden zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 92 unter Verweis auf EGMR, U.v. 21.11.2011 – M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 – juris Rn. 252 f.). Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 93; U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 – juris Rn. 91; vgl. auch Bülow, ZAR 2020, 72 [73]).
Im Hinblick auf den Grad der Wahrscheinlichkeit stellt der EGMR darauf, ob es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein (BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 6 m.w.N.). Dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Ein gewisser Grad an Mutmaßung ist dabei dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent und es kann daher nicht ein eindeutiger, über alle Zweifel erhabener Beweis verlangt werden, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (EGMR, U.v. 9.1.2018 – X./Schweden, Nr. 26417/16 – BeckRS 2018, 52619 Rn. 50).
Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor. Das Gericht ist davon überzeugt, dass im Falle der Klägerin – auch unter der Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse – zwingende humanitäre Gründe nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegen eine Rückkehr nach Armenien sprechen. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin dort in der Lage sein wird, sich eine Lebensgrundlage (zumindest am Rande des Existenzminimums) mithilfe einer eigenen beruflichen Tätigkeit und gegebenenfalls unter zusätzlicher Inanspruchnahme des armenischen Sozialsystems sowie der Hilfe ihres in Armenien vorhandenen familiären Netzwerks zu sichern.
Die allgemeinen humanitären Verhältnisse in Armenien stellen sich nicht generell als derartig defizitär dar, als dass aufgrund dessen unterschiedslos für alle Personen bzw. den Personenkreis, dem die Klägerin angehört, von einer Verletzung von Art. 3 EMRK auszugehen ist. Die Klägerin ist im Bedarfsfalle gehalten, die Möglichkeiten des armenischen Sozialsystems auszuschöpfen, um sich ein Existenzminimum zu sichern. In Armenien existieren diverse soziale Beihilfen für alle armenischen Staatsangehörigen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 2.10.2020, S. 40 ff.). Das Ministerium für Arbeit und Soziales (MLSA) implementiert etwa Programme zur Unterstützung von schutzbedürftigen Personen. Der Zugang zu diesen Leistungen erfolgt über die 51 Büros des staatlichen Sozialversicherungsservice (IOM, Länderinformationsblatt Armenien 2019, S. 10). Ferner bieten in Armenien diverse karitative Organisationen Hilfe für in Not geratene Frauen an, etwa das Women’s Support Center (https://www.womensupportcenter.org/; siehe auch die Adressliste bei IOM, Länderinformationsblatt Armenien 2019, S. 16 mit weiteren Anlaufstellen). Im Übrigen ist auf die möglichen Rückkehr- und Starthilfen für freiwillige Rückkehrer nach Armenien nach dem REAG/GARP-Programm hinzuweisen. Damit ist die Finanzierung eines einfachen Lebensunterhalts in den ersten Monaten nach der Rückkehr nach Armenien grundsätzlich möglich. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn es kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265). Zusätzlich bestünde für die Klägerin die Möglichkeit, sich in Armenien an die zahlreich tätigen wohltätigen Organisationen und Organisationen mit humanitärer Mission, die sich auf alle Bereiche erstrecken, zu wenden. Das armenische Rote Kreuz leistet soziale, ärztliche und psychologische Unterstützung etwa für alleinstehende Senioren, Flüchtlinge und Kinder (vgl. dazu etwa Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 21.12.2017; siehe auch Bundesamt für Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Armenien vom 12.12.2018, S. 31 ff.).
Überdies teilt das Gericht die Einschätzung der Beklagten im verfahrensgegenständlichen Bescheid, wonach die junge und erwerbsfähige Klägerin in der Lage sein wird, sich in Armenien durch eigene Arbeit eine ausreichende Existenzgrundlage zu sichern, wobei sie im Bedarfsfall auch die Unterstützung ihres familiären Netzwerks (Bruder, Schwester und weitere Verwandte in Armenien) zurückgreifen könnte, zu dem sie nach ihrer Angabe in der mündlichen Verhandlung weiterhin Kontakt hält und das die Klägerin zum Teil bereits bei der Ausreise unterstützte. Die Klägerin arbeitet derzeit als Reinigungskraft und besitzt die Zusage eines unterfränkischen Unternehmens für eine Ausbildung als Systemgastronomin. In der Vergangenheit hat sie in Armenien inoffiziell als Friseurin gearbeitet. Es sind keine Umstände ersichtlich oder vorgetragen, weshalb die Klägerin in diesen Bereichen nach einer Rückkehr sich nicht wird ausbilden oder direkt wird arbeiten können. Hilfreich bei der Suche nach einer Arbeit oder Ausbildungsstelle werden der Klägerin, die in der mündlichen Verhandlung einen aufmerksamen, höflichen und klugen Eindruck machte, sicherlich auch die inzwischen erworbenen deutschen Sprachkenntnisse sein.
Ein Abschiebungsverbot ergibt sich auch nicht für den Fall, dass sich die wirtschaftlichen bzw. humanitären Verhältnisse in Armenien aufgrund der Auswirkungen der weltweiten „Corona-Krise“ verschlechtern sollten. Schlechte humanitäre Verhältnisse können wie bereits dargelegt nur in ganz außergewöhnlichen Fällen zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn die humanitären Gründe zwingend sind. Dass etwaige negative wirtschaftliche Auswirkungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zu einer derart gravierenden Verschlechterung der humanitären Verhältnisse in Armenien führen werden, ist für das Gericht im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt – auch vor dem Hintergrund der vorhandenen Sozialsysteme – nicht ersichtlich.
4.2 Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot liegt für die Klägerin auch nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vor.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt insoweit nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei einer Rückkehr in den Zielstaat dort eine erhebliche konkrete Gefahr wegen der Verschlimmerung einer individuellen Erkrankung droht, sind alle zielstaatsbezogenen Umstände zu berücksichtigen, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Danach ist der Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Entstehungsgrundes nicht einschränkend auszulegen und eine Gefahr für die Rechtsgüter Leib und Leben kann auch dann vorliegen, wenn sie durch die bereits vorhandene Krankheit konstitutionell mitbedingt ist. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift ist, dass sich die Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt.
Eine Gefahr ist erheblich, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 15 ZB 18.30851 – juris Rn. 13; U.v. 23.9.2019 – 8 B 19.32560 – juris Rn. 16). Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8). Eine solche Gefahr kann sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass der erkrankte Ausländer eine an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich nicht erlangen kann. Die mögliche Unterstützung durch Familienangehörige ist dabei in die gerichtliche Prognose, ob eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes droht, einzubeziehen (BVerwG, B.v. 17.1.2019 – 1 B 85/18 u.a. – juris Rn. 5).
Eine Erkrankung, die ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot begründen soll, hat der Ausländer durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG).
Die von der Klägerin im behördlichen und gerichtlichen Verfahren vorgelegten Atteste bieten unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Erkenntnislage zur medizinischen Versorgungslage in Armenien keine überzeugenden Anhaltspunkte für die Annahme einer sich alsbald nach Rückkehr aufgrund zielstaatsbezogener Umstände verwirklichenden außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Gesundheitsgefahr.
Die Klägerin begab sich ausweislich eines ärztlichen Berichts des medizinischen Zentrums Erebuni (Jerewan) von 9. August 2019 bis 22. August 2019 aufgrund von rheumatischen Beschwerden sowie Veränderungen ihrer Haut in stationäre Behandlung. Diagnostiziert wurde ihr dort unter anderem eine Schmetterlingsflechte (Lupus erythematodes), ein periorbitales Ödem, Herdnephritis, Polyserositis sowie insgesamt eine hohe immunologische Aktivität. Die Behandlung fand medikamentös u.a. mittels Methypred (Methylprednisolon) und Plaquenil (Hydroxychloroquin) statt. Es zeigte sich eine teilweise Besserung des Zustandes und eine Fortsetzung der ambulanten Theraphie, eine Echokardiographie in sechs Monaten sowie eine rheumatologische Aufsicht wurden empfohlen.
Nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland wurde die Behandlung der Klägerin an der Universitätsklinik Würzburg unter der die Diagnose des armenischen Krankenhauses bestätigenden Hauptdiagnose einer undifferenzierten Kollagenose fortgesetzt (vgl. ärztliche Berichte bzw. Stellungnamen vom 3.12.2019, 16.1.2020, 27.1.2020, 29.7.2020, 10.2.2021; siehe auch den vorläufigen Arztbrief des Leopoldina Krankenhauses vom 7.1.2021). Ausweislich des aktuellsten ärztlichen Berichts der Universitätsklinik Würzburg vom 10. Februar 2021 bestehen derzeit keine Hinweise auf eine entzündliche Aktivität der Kollagenose. Es werde ein unverändertes Fortführen der Medikation mit Hydroxychloroquin (200 mg, 1-0-0 bzw. 1-0-1 im täglichen Wechsel) bei jährlichen augenärztlichen Kontrollen sowie eine Wiedervorstellung in sechs Monaten empfohlen.
Anhaltspunkte für das alsbaldige Eintreten einer außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Gesundheitsgefahr im Falle der Rückkehr nach Armenien ergeben sich aus den vorliegenden ärztlichen Berichten nicht. Ausweislich der Stellungnahme der Universitätsklinik Würzburg vom 27. Januar 2020 liegt bereits eine suffiziente Versorgung der Kollagenose der Klägerin vor, wenn regelmäßige fachärztliche rheumatologische und augenärztliche Kontrollen sowie eine dauerhafte Einnahme von Hydroxychloroquin im Heimatland möglich sind. Andernfalls könne – müsse es aber nicht – zu gehäuften Schüben mit Gelenkschmerzen, Entzündungen des Rippenfells oder Bauchfells, im schlechtesten Fall zu Entzündungen von inneren Organen kommen, wobei die Schubfrequenz kaum vorhergesehen werden könne.
Die Klägerin wird in Armenien die notwendige Behandlung der Kollagenose erhalten. Wie bereits die im Bericht des medizinischen Zentrums Erebuni (Jerewan) dokumentierte stationäre Behandlung der Klägerin vom 9. August 2019 bis 22. August 2019 zeigt, ist eine fachärztliche rheumatologische Versorgung in Armenien – auch für die Klägerin – verfügbar. Immunologische, rheumatologische und augenärztliche Dienstleistungen stehen nach der Auskunftslage in armenischen Polikliniken kostenlos zur Verfügung (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien, Stand: 2.10.2020, S. 44 f.). Die Kollagenose der Klägerin wurde in Armenien ausweislich des vorgelegten armenischen ärztlichen Rezepts auch bereits mit Hydroxychloroquin behandelt. Dieser Wirkstoff ist dort unter dem Markennamen Plaquenil verfügbar. Eine Packung mit 60 Tabletten (200 mg), die der Klägerin nach der aktuellen ärztlichen Empfehlung 40 Tage ausreicht, kostet 11.563 DRAM (ca. 18,00 EUR) (siehe MedCOI, Country Fact Sheet Access to Healthcare: Armenia, Februar 2018). Eine notwendige – in der Höhe nicht übermäßige und zudem im Voraus planbare – Übernahme der Kosten für dieses Medikament wird die Klägerin nach Meinung des Gerichts stemmen können, sodass ihre Medikation gesichert ist und keine Gefahr besteht, dass es zu unkontrollierten Schüben der Autoimmunerkrankung kommen wird.
Bei der Kollagenose der Klägerin handelt es sich letztlich um eine chronische Erkrankung, die in Deutschland und Armenien gleichermaßen nicht heilbar ist, sondern hier wie dort auf Dauer medikamentös behandelt werden muss. Die Klägerin ist insoweit wie andere armenische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage auf die im Heimatland verfügbaren medizinischen Angebote zu verweisen. Es begründet jedoch für sich genommen kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, wenn gewisse Behandlungsangebote in Armenien qualitativ hinter denjenigen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleiben sollten (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
Auch die weltweite Corona-Pandemie rechtfertigt hinsichtlich der Klägerin kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
Im Hinblick auf § 60 Abs. 7 AufenthG ist festzuhalten, dass die COVID-19-Pandemie in Armenien mangels einer allgemeinen Abschiebestopp-Anordnung allenfalls eine allgemeine Gefahr darstellt, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke, d.h. zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. etwa BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 60 AufenthG, Rn. 100 m.w.N.). Die drohende Gefahr, dass sich der Ausländer im Zielland mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert, muss nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N. – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris).
Eine solche extreme, konkrete Gefahrenlage ist vorliegend für die Klägerin im Hinblick auf die Auswirkungen des „Corona-Virus“ in Armenien für das Gericht derzeit nicht erkennbar. Die Klägerin zählt aufgrund ihrer Autoimmunerkrankung (Kollagenose) zwar möglicherweise zur Personengruppe, die nach bisherigen Erkenntnissen ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf der COVID-19-Erkrankung aufweist (vgl. RKI, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf, Stand: 29.10.2020, abrufbar unter: www.rki.de/). Durchgreifende Gründe für eine extreme konkrete Gefahrenlage sind dennoch im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht ersichtlich. Zwar handelt es sich bei Armenien um das bislang durch die COVID-19-Pandemie am stärksten betroffene Land im Südkaukasus und kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gesundheitssystem Armeniens durch Auswirkungen der Corona-Pandemie überfordert wird (BAMF, Länderinformation – Armenien, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, November 2020, S. 4; siehe auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Kurzinformation der Staatendokumentation Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran – COVID-19 Informationen, 1.9.2020, S. 6 ff.). Trotz der nicht unerheblichen Pandemie-Betroffenheit Armeniens lassen sich den allgemeinen Erkenntnismitteln keine näheren Informationen dazu entnehmen, ob es bereits in der Vergangenheit zu einer gänzlichen Überforderung des dortigen Gesundheitswesens kam oder ob eine solche demnächst drohen könnte. Eine jüngste kleinere (dritte) Pandemiewelle zwischen April und Mai 2021 konnte das Land inzwischen weitgehend überwinden. Blickt man auf die 7-Tage-Inzidenz (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen 7 Tagen), beträgt diese derzeit (10.5.2021) in Armenien 81,2 mit stetig fallender Tendenz. Die Letalitätsrate (Quotient aus gemeldeten Infektionen und gemeldeten Todesfällen) ist in Armenien mit unter zwei Prozent sogar niedriger als in Deutschland (ca. 2,39%, siehe https://www.corona-in-zahlen.de/).
Vor diesem Hintergrund begründet die Corona-Situation in Armenien nicht die Annahme eines Abschiebungsverbotes, weil nicht ersichtlich ist, dass bei der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit eine äußerst gravierende Corona-Erkrankung mit einer erheblich konkreten Gefahr für Leib und Leben auftreten wird, oder dass die Klägerin bedingt durch die Pandemie einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung bei einer Rückkehr ausgesetzt würde. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sie gehalten ist, auf die Einhaltung der vom armenischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sowie auf individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutz-Masken usw.) zu achten und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nehmen (näher VG Würzburg, B.v. 17.08.2020 – W 8 S 20.30945 – BeckRS 2020, 21023 Rn. 22 f., Rn. 28 m.w.N.). Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Ansteckungsgefahr mit dem „Corona-Virus“ auch in Armenien nicht überall gleich hoch ist. Vielmehr gibt es regionale Unterschiede. Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Pandemie ist die für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche Extremgefahr für die Klägerin deshalb nicht erkennbar.
5. Die Abschiebungsandrohung und die Ausreisefrist von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens im Falle einer Klageerhebung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
6. Die Anordnung und Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots beruht auf § 11 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 2 und 3, Abs. 3 AufenthG. Ermessenfehler sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
7. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.