Verwaltungsrecht

Asylantrag wegen behaupteter Zwangsrekrutierungsmaßnahmen seitens der Taliban

Aktenzeichen  Au 5 K 16.31721

Datum:
20.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
EMRK EMRK Art. 3
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 34 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Viele junge Männer werden in Afghanistan lediglich zufälliges Ziel der Anwerbeversuche der Taliban. Die Taliban nehmen dabei weder auf Volks- noch auf Religionszugehörigkeiten Rücksicht. Ein solcher allgemeiner Anwerbeversuch steht nicht mit einem flüchtlingsrelevanten Merkmal in Zusammenhang. (redaktioneller Leitsatz)
2 In keiner der afghanischen Provinzen erreicht der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 5. August 2016 ist, soweit er mit der Klage angegriffen worden ist, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Es ist ihm weder der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, noch liegen in seiner Person nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Der Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vormals nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG, nunmehr nach § 3 Abs. 1 AsylG) ist weitgehend deckungsgleich mit dem des Asylgrundrechts, für dessen Auslegung sich das Bundesverfassungsgericht schon bisher an der Genfer Flüchtlingskonvention orientiert hat (vgl. BVerwG, B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 u.a. – BVerwGE 80, 315).
Teilweise geht der Internationale Flüchtlingsschutz im Ergebnis der Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU über den Schutz des Asylgrundrechts hinaus. So begründen nach Maßgabe des § 28 Abs. 1a AsylG auch selbstgeschaffene Nachfluchtgründe sowie gemäß § 3c Nr. 3 AsylG eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, etwa in Bürgerkriegssituationen, in denen es an staatlichen Strukturen fehlt, ein Abschiebungsverbot. Ferner stellt § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG klar, dass eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn Anknüpfungspunkt allein das Geschlecht ist. Schließlich umfasst gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG der Schutz vor Verfolgung wegen der Religion im Ergebnis der Umsetzung von Art. 10 Abs. 1b der Richtlinie 2011/95/EU auch die Religionsausübung im öffentlichen Bereich sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen, die sich auf eine religiöse Betätigung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft und der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2012 – 10 C 7/11 – juris). An dessen Stelle gilt nunmehr nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Hierdurch wird den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigemessen (vgl. EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. V 175/08 u.a., Abdulla). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür vorzulegen, dass sich verfolgungsbegründende bzw. schadensstiftende Umständen bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Dessen ungeachtet ist es Sache des Ausländers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG, Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU. Der Ausländer hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich schlüssigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht. Hierzu gehört u.a., dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung abgibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung dvon Flüchtlingsschutz. Das Gericht verweist insoweit auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt Folgendes aus.
Eine asylrelevante Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist gegenüber dem Kläger nicht festzustellen. Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht insoweit bereits der in wesentlichen Punkten widersprüchliche Sachvortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung entgegen. So hat der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung gegenüber dem Bundesamt am 2. August 2016 ausgeführt, dass der erste Rekrutierungsversuch des Klägers so abgelaufen sei, dass die Taliban eines Tages zu seinem Vater, der auf den Feldern gearbeitet habe, gekommen sei, und ihm gesagt hätten, dass sein Sohn, der Kläger, nun alt genug sei, bei ihnen mitzuarbeiten. Als der Kläger an diesem Tag mit der Koranschule fertig gewesen sei, sei er auf die familieneigenen Felder gegangen. Er habe festgestellt, dass sein Vater sich nicht normal verhalte und niedergeschlagen sei. Sein Vater habe ihm daraufhin keine Auskunft gegeben. In der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2017 hat der Kläger den Vorgang so beschrieben, dass er bei der Rekrutierungsmaßnahme auf den Feldern selbst anwesend gewesen sei und sich in einem Abstand von ca. 30 m zu den Taliban und seinem Vater aufgehalten habe. Ebenfalls widersprüchlich ist der Vortrag des Klägers insoweit, als die erneute Rekrutierungsmaßnahme der Taliban nach Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung bereits am Abend des selben Tages erfolgt sei. Bei seiner persönlichen Anhörung gegenüber dem Bundesamt hat der Kläger hingegen ausgeführt, dass die Taliban erst an einem frühen Morgen zur Gebetszeit erneut gekommen seien. Wegen dieses in wesentlichen Punkten abweichenden Sachvortrags des Klägers zu den geltend gemachten Zwangsrekrutierungsmaßnahmen seitens der Taliban, schenkt das Gericht dem Kläger keinen Glauben. Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass der Sachvortrag des Klägers in weiteren Punkten bruchstückhaft und äußerst detailarm ist. Das Nichtwissen des Klägers dominiert. Dies schließt es aus Sicht des Gerichts aus, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Kläger hat die Gefahr einer politischen Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale jedenfalls nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
Selbst wenn man dem Kläger jedoch Glauben schenken wollte, hat dieser ein individuelles Verfolgungsschicksal, das die Annahme politischer Verfolgung bei einer Rückkehr rechtfertigen würde, nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Der Kläger hat insoweit lediglich auf einen zweimaligen Rekrutierungsversuch seitens der Taliban verwiesen. Es ist – das Vorbringen des Klägers als wahr unterstellt – offensichtlich, dass der Kläger wie viele andere junge Männer, die von den Taliban in Afghanistan angesprochen werden, lediglich zufälliges Ziel der Anwerbeversuche der Taliban geworden ist. Aus den Schilderungen einer Vielzahl afghanischer Asylbewerber ist dem Gericht bekannt, dass die Taliban dabei weder auf Volksnoch auf Religionszugehörigkeiten Rücksicht nehmen. Damit hängt die behauptete Bedrohung einer Zwangsrekrutierungsmaßnahme seitens der Taliban nicht mit einem beim Kläger vorliegenden, flüchtlingsrelevanten Merkmal zusammen.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG drohe.
a) Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 liegen nicht vor. Dem Kläger droht weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe noch Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung.
Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen nicht vor. Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten im Sinn von Art. 1 Nr. 2 ZP II oder aber als anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 ZP II zu qualifizieren sind, kann dahinstehen, weil der Kläger bei einer Rückkehr keiner individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären. Es fehlt an einer Verdichtung allgemeiner Gefahren in der Person des Klägers, die Voraussetzung für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ist. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen erreicht in keiner der afghanischen Provinzen der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Individuelle, gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren im Rahmen eines bewaffneten internationalen Konflikts in der Person des Klägers führen, hat dieser nicht vorgetragen.
b) Der Kläger kann sich auch nicht auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG berufen. Ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen insoweit überhaupt vorliegen, ist der Kläger, soweit er eine Gefährdung in seiner Heimatprovinz Nangarhar befürchtet, auf eine innerstaatliche Fluchtalternative, etwa in Kabul zu verweisen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e AsylG).
Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Kläger nach dem ein- bzw. allenfalls zweimaligen Vorfall in seinem Heimatdorf * nicht landesweit mit einer Verfolgung durch die Taliban rechnen muss. Das Gericht sieht den Kläger insoweit als bloßes Zufallsopfer. Er unterscheidet sich nicht von einer Vielzahl junger Männer, bei denen die Taliban, teilweise auch erfolglos, Anwerbeversuche unternommen haben.
Das Gericht verkennt nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht, dass die Taliban in den Provinzen des Staates Afghanistan durchaus gezielte Rekrutierungen und auch Zwangsrekrutierungen durchführen. Sie wenden dabei auch in weiten Landesteilen Drohungen und Gewalt an, um auf diese Weise Kämpfer für ihren Aufstand zu gewinnen bzw. diejenigen zu bestrafen, die sich ihrem Werben entziehen. Auch beschränken sich die Aktivitäten der Taliban nicht auf die ländlichen Provinzen oder die Ursprungsprovinzen der Taliban im Süden Afghanistans. Auch das Auswärtige Amt geht in seinem Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016 (Stand September 2016, S. 12; im Folgenden Lagebericht) davon aus, dass es zu Zwangsrekrutierungen der Taliban oder anderer nicht staatlicher Organisationen oder Gruppierungen kommt. Da es sich nach den ins Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln bei den Zwangsrekrutierungsversuchen der Taliban um ein mehr oder minder in ganz Afghanistan verbreitetes Massenphänomen handelt, ist jedoch jeweils auf die spezifischen Umstände des Einzelfalles abzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2015 – 13a ZB 14.30227 – juris Rn. 6; B.v. 10.8.2015 – 13a ZB 15.30050 – juris Rn. 9). Daher konnten auch sämtliche vom Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2017 unbedingt gestellten Beweisanträge mit der Begründung abgelehnt werden, dass die unter Beweis gestellten Sachverhalte als wahr unterstellt werden können.
Bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung zeichnen den Kläger keine besonderen Fähigkeiten oder Eigenschaften aus, wegen derer er für die Taliban von gesteigerter Bedeutung sein könnte, so dass hieraus eine landesweite Gefahr bei einer Rückkehr nach Afghanistan resultieren könnte. Gleiches gilt in Bezug auf die Person des Vaters des Klägers. Auch ist an dieser Stelle darauf zu verweisen, dass nach den Aufsührungen des Klägers es sich lediglich um einen ein- bzw. allenfalls zweimaligen Rekrutierungsversuch der Taliban gehandelt hat. Dass der Kläger aufgrund der von ihm geschilderten Intensität der Bemühungen der Taliban, von diesen landesweit bzw. in Kabul gezielt gesucht werden könnte, hält das Gericht für ausgeschlossen.
Dem Kläger ist nach Überzeugung des Gerichtes eine Rückkehr nach Kabul im Sinne einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch zumutbar (§ 3e AsylG).
Grundsätzlich ist Kabul im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative geeignet. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BayVGH, B.v.19.6.2013 – 13a ZB 12.30386 – juris). Auch aus den letzten Lageberichten des Auswärtigen Amtes ergibt sich nicht, dass sich die Sicherheitslage in Kabul im Vergleich zur Einschätzung in den vorangegangenen Lageberichten wesentlich verändert hätte (Lagebericht vom 6.11.2015, S. 4: Lagebericht vom 19.10.2016, S. 4). Zwar war teilweise ein Anstieg von zivilen Opfern im Vergleich zu den Vorjahreszeiträumen zu verzeichnen. Dass dieser Anstieg jedoch die Sicherheitslage in Kabul derart gravierend verschlechtert hat, dass der Kläger dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre, ergibt sich aus den Auskünften nicht (s. auch BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13a ZB 14.30410 – juris Rn.5). Auch soweit die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) in ihrem im Februar 2016 veröffentlichten Jahresbericht für 2015 anführt, dass sie im Jahr 2015 die höchste Zahl an zivilen Opfern seit 2009 dokumentiert hat, ändert dies obige Einschätzung nicht. Nachdem es bereits in den Jahren 2013 und 2014 einen Anstieg in der Zahl der zivilen Todesopfer und Verletzten gegeben hatte, stieg im Jahr 2015 die Zahl der durch konfliktbedingte Gewalt getöteten und verletzten Zivilisten im Vergleich zum Jahr 2014 um vier Prozent auf 11.002 zivile Opfer (3.545 Tote und 7.457 Verletzte). Wie UNAMA erläutert, ist der Anstieg in der Gesamtzahl der zivilen Opfer vor allem durch eine Zunahme an komplexen Anschlägen und Selbstmordanschlägen sowie gezielten Tötungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu erklären. Darüber hinaus stieg auch die Zahl von Opfern, die durch Regierungskräfte im Zuge von Luft- und Bodengefechten verursacht wurden. Insbesondere in der Provinz Kunduz geriet zudem eine steigende Zahl von Zivilisten zwischen die Frontlinien der Konfliktparteien. UNAMA zu Folge führten komplexe Anschläge und Selbstmordanschläge in der Zentralregion, insbesondere in der Stadt Kabul, zu einem 18-prozentigen Anstieg in der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2015 (vgl. ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul, Stand: 5.7.2016, http: …www.ecoi.net/news/ 188769
::afghanistan/ 101.allgemeine-sicherheitslage-in-afghanistan-chronologie-fuer-kabul.htm).
Allerdings hat die Zunahme von Anschlägen nach Überzeugung des Gerichts nicht zu einer solchen Verschlechterung der Sicherheitslage in der Zentralregion und in Kabul geführt, dass vernünftigerweise nicht mehr erwartet werden könnte, dass ein Rückkehrer sich dort niederlässt. Die allgemeine Gefährdungslage dort erreicht nicht eine Intensität, dass ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG anzunehmen wäre. Soweit Organisationen wie UNHCR und Pro Asyl sowie Presseberichte auf die Zunahme von Anschlägen in Kabul verweisen, folgen sie eigenen Maßstäben, aber nicht den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – Rn. 10 m.w.N.). Auch erreicht die allgemeine Gefährdungslage dort nicht eine Intensität, dass Kabul im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative nicht mehr geeignet wäre, denn das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist noch weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BayVGH, B.v.19.6.2013 – 13a ZB 12.30386 – juris; BayVGH, B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30160 – Rn. 5). Dies gilt auch zum jetzt entscheidungserheblichen Zeitpunkt.
Von einem gesunden, jungen Mann, kann erwartet werden, dass er sich zumindest durch Gelegenheitsarbeiten zu seinem Lebensunterhalt beiträgt. Der Kläger verfügt über eine schulische Bildung, so dass durchaus davon ausgegangen werden kann, dass er sich auf dem umkämpften afghanischen Arbeitsmarkt zurecht findet. Über dies erachtet das Gericht auch eine Rückkehr in den Heimatort des Klägers durchaus für denkbar, zumal dort nach wie vor mehrere Familienangehörige des Klägers wohnhaft sein dürften. Dies umso mehr, als die Familie des Klägers über zwei eigene Anwesen in * verfügt. Auch wenn der Kläger im Verfahren vorträgt, dass der Kontakt zu seinen Eltern weitestgehend abgerissen ist, ist dies nicht gleichbedeutend damit, dass diese nicht mehr im Heimatort * leben.
Im Übrigen sind unter Berücksichtigung der Auskunftslage insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer vergleichsweise guten Position, die durchaus auch Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts eröffnet (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 13.5.2013 – 13a B 12.30052 – juris Rn. 12). Hinzu kommt, dass für freiwillige Rückkehrer ein Reintegrationsprogramm besteht, das Sachleistungen im Wert von bis zu 2.000 Euro gewährt, die die Wiedereingliederung erleichtern können (Bundesamt, Auskunft an VG Augsburg v. 12.8.2016).
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Das Gericht geht, wie ausgeführt, davon aus, dass der Kläger jedenfalls unter Unterstützung seiner in Afghanistan nach wie vor vorhandenen Familienangehörigen seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann.
Für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der schlechten Versorgungslage in Afghanistan besteht ebenfalls kein Raum. Nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei den Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann in derartigen Fällen nur im Einzelfall zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke ausgesprochen werden. Eine solche Schutzlücke besteht vorliegend nicht.
4. Auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG erweisen sich als rechtmäßig. Das Bundesamt hat in der Befristungsentscheidung nach § 11 AufenthG das ihm zustehende Ermessen erkannt und die maßgeblichen Belange in ordnungsgemäßer Weise abgewogen.
5. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.

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