Verwaltungsrecht

Die Sanktionierungsmaßnahmen einer Wehrpflichtentziehung in Eritrea begründen keine flüchtlingsrelevante Verfolgung

Aktenzeichen  M 12 K 16.33701

Datum:
13.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 5

 

Leitsatz

1 Die Einberufung in den Nationalen Dienst (Militärdienst einschließlich nationaler Dienstverpflichtung) durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft iSv § 3 Abs. 1 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Asylantragstellung begründet ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für die Klägerin in Eritrea. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … …, …-Str. … in …, wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Klägerin ist eritreische Staatsangehörige und reiste am 23. Mai 2016 in das Bundesgebiet ein. Sie stellte am … August 2016 einen Asylantrag.
Bei den Anhörungen am 1. September 2016 und 20. September 2016 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erklärte die Klägerin im Wesentlichen, sie sei am 6. November 2014 aus Eritrea ausgereist und über Äthiopien (1 Monat), den Sudan (1 Jahr /1 Jahr und 1 Monat), Lybien (4 Monate) und Italien (1 Monat) in die Bundesrepublik eingereist. In Eritrea habe sie in D …, 45 min entfernt von M … gelebt. Die letzten vier Monate vor ihrer Ausreise sei sie in G …, in der Nähe von D …, gewesen. Sie sei illegal ausgereist. Sie habe keinen Nationaldienst geleistet, sei aber in G … ausgebildet worden. Vor ihrer Ausreise habe sie im Januar 2014 gebeten, die Schule zu verlassen, da ihre Mutter krank sei und sie sich um sie kümmern wollte. Nachdem sich die Schule geweigert hätte, habe sie diese trotzdem verlassen. Nach kurzer Zeit hätte ihre Eltern insgesamt drei Aufforderung bekommen, dass die Klägerin zum Militär müsse, da sie die Schule nicht mehr besuche.. Der Kläger sei es immer wieder gelungen, sich im Dorf oder zu Hause zu verstecken. Im Juni 2014 habe man sie abgeführt und nach Adi Wegri gebracht, wo sie vier Tage im Gefängnis verbracht hätte. Anschließend sei sie nach G … gebracht worden und dort für 4 Monate in einem Gefängnis in einem Keller geblieben. Dort habe es nicht genug zu essen und zu trinken gegeben. Die Leute dort seien an Krätze, Läusen und weiteren Krankheiten erkrankt. Sie sei dort geschlagen worden. Der Bruder ihres Vaters hätte sie dann mit einer Lizenz am 31. Oktober 2014 bzw. 6. November 2014 aus dem Gefängnis geholt mit der Folge, dass sie zum Militär zur Ausbildung komme. Anschließend habe sie am Ausbildungsort des Militärs in G … vier Tage verbracht und sei dann innerhalb von zwei Tagen nach Äthiopien geflohen. Im Falle ihrer Rückkehr fürchte sie, lebenslang ins Gefängnis zu kommen.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 6. Oktober 2016, zugestellt am 12. Oktober 2016, wurde der Klägerin der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt und der Asylantrag im Übrigen abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Die Klägerin habe nichts vorgetragen, keine individuellen Verfolgungsgründe oder Unterlagen vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass in ihrem Falle die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens erfüllt sind. Aus dem Sachvortrag der Klägerin sei weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich.
Mit Schriftsatz vom … Oktober 2016, bei Gericht am 26. Oktober 2016 eingegangen, hat der Klägerbevollmächtigte Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheides vom 13. September 2016 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Gleichzeitig hat er beantragt,
der Klägerin unter seiner Beiordnung Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Mit Schreiben vom *. November 2016 führte der Bevollmächtigte klagebegründend aus, die Klägerin habe einen Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gemäß § 3 Abs. 4 AsylG. Der Klägerin drohe im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea Verfolgungsmaßnahmen seitens des Staates im Sinne des § 3 a Abs. 1 und 2 AsylG, insbesondere die Anwendung physischer Gewalt (§ 3 a Abs. 2 Nr. 1 AsylG) und die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen Bestrafung und insbesondere auch einer diskriminierende Behandlung durch körperliche Züchtigung und einer menschenunwürdigen Unterbringung im Straflager. Die Klägerin sei vorverfolgt gewesen, da sie bereits ohne rechtsstaatliches Verfahren durch staatliche Akteure in ihrem Heimatland in Haft geworfen worden sei.
Die Beklagte übersandte am 11. November 2016 die Behördenakte und stellte keinen Antrag.
Mit Beschluss vom 13. Februar 2017 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erhält auf Antrag diejenige Partei Prozesskostenhilfe, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu gewähren, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinne, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich. Es genügt eine sich bei summarischer Prüfung ergebende Offenheit des Erfolges.
Gemessen an diesen Vorgaben besteht für die Rechtsverfolgung der Klägerin vorliegend keine hinreichende Erfolgsaussicht.
Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 18. Mai 2016 in seiner Nr. 2 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob die Klägerin einen Anspruch auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG hat .
Die Klägerin hat voraussichtlich keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2).
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 3 AsylG). Auch eine kriminelle Verfolgung muss an ein in § 3 AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, um als politische Verfolgung gelten zu können. Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Demnach ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Unerheblich ist auch, ob der Ausländer tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist, § 77 Abs. 1 AsylG. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 337, S. 9-26) – sog. Qualifikationsrichtlinie – RL 2011/95/EG privilegiert dabei den von ihm erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des von der Klägerin behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrscheinlichkeit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 a.a.O. Rn. 4). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, Urteil vom 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; Beschluss vom 21.07.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist bei der Klägerin keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG festzustellen. Der Kläger macht geltend, Eritrea verlassen zu haben, um der Ausbildung zum Nationalen Dienst zu entgehen. Es kann dahinstehen, ob das Vorbringen der Klägerin trotz gewisser Widersprüchlichkeiten noch glaubhaft ist. Aus dem Sachvortrag des Klägers ergibt sich keine begründete Furcht vor einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG.
Die Einberufung in den Nationalen Dienst (Militärdienst einschließlich nationaler Dienstverpflichtung) durch den eritreischen Staat stellt keinen im Rahmen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar.
Die Pflicht zur Ableistung eines staatlichen Dienstes stellt keine staatliche Verfolgung i.S.d. §§ 3 ff. AsylVfG dar. Jeder souveräne Staat hat grundsätzlich das Recht, seine Staatsangehörigen zum Wehr- bzw. Militärdienst heranzuziehen (vgl. auch VG Osnabrück, U.v. 18.5.2015 – 5 A 465/14). Es besteht (bislang) kein Grundrecht auf eine Wehr- bzw. Militärdienstverweigerung (vgl. Treiber in: GK-AufenthG, Stand: März 2016, § 60 Rn. 167 f.). Zudem stellt die (reine) Pflicht zur Ableistung eines Militärdienstes selbst noch keine staatliche Verfolgung dar. Die Heranziehung zum Militärdienst unterfällt daher flüchtlingsschutzrechtlich schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen.
Ausweislich des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unterfällt die Heranziehung zum Militärdienst grundsätzlich schon nicht dem Schutzversprechen. Denn diese Vorschrift definiert lediglich Verfolgungshandlungen im Zusammenhang mit einer Verweigerung des Militärdienstes nur in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen und Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen, schwere politische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der vereinten Nationen) (vgl. hierzu VG Ansbach, U.v. 26.9.2016 – . 3 K 16.30584 – juris). Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte, auch wenn zwischen Eritrea und Äthiopien trotz Friedensabkommen von Algier vom 12.12.2000 nach wie vor Spannungen bestehen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 21. November 2016, S. 7).
Die Heranziehung zum Nationalen Dienst in Eritrea knüpft auch nicht an Persönlichkeitsmerkmale des § 3 Abs. 1 Nr.1 AsylG an. Denn bei der Heranziehung zum Nationalen Dienst werden in Eritrea alle Gruppen der Gesellschaft im Wesentlichen gleich behandelt; eine Unterscheidung nach Rasse, Religion usw. findet nicht statt (vgl. hierzu etwa VG Potsdam, U.v. 17.2.2016 – 6 K 1995/15.A – juris; VGH BW, U.v. 21.1.2003 – A 9 S 297/00 – juris).
Jedoch kann in den Sanktionierungsmaßnahmen einer Wehrpflichtentziehung eine flüchtlingsrelevante Verfolgung i. S. d. § 3a Ab. AsylG liegen.
Allerdings stellt nicht jede Sanktionierung automatisch eine flüchtlingsrelevante Verfolgung dar. Denn die Einberufung zum Wehrdienst und die Bestrafung einer gesetzwidrigen Verweigerung der Erfüllung der Wehrpflicht stellen grundsätzlich nicht Maßnahmen politischer Verfolgung dar. Es ist das Recht eines jeden Staates, die Ableistung des Wehrdienstes im Rahmen seiner Gesetze grundsätzlich von allen davon erfassten Bürgern unterschiedslos zu verlangen (vgl. BayVGH, U.v. 24.3.2000 – 9 B 96.35177; vgl. auch EuGH, U.v. 26.2.2015 – Shepherd, C-472/13 – Rn. 47 ff, zu erforderlichen Maßnahmen des Staates, um sein legitimes Recht auf Unterhaltung einer Streitkraft durchzusetzen).
Aber auch wenn man hier in der Bestrafung eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3a Abs. 2 AsylG annimmt, erfordert eine flüchtlingsrelevante Verfolgung gem. § 3a Abs. 3 AsylG einen Zusammenhang zwischen Verfolgungshandlung und den Verfolgungsgründen.
Regelmäßig dienen Sanktionen wegen Wehrdienstentziehung allerdings nicht der politischen oder religiösen Verfolgung, sondern werden ungeachtet solcher Merkmale im Regelfall allgemein und unterschiedslos gegenüber allen Deserteuren/Verweigerern aus Gründen der Aufrechterhaltung der Disziplin verhängt (vgl. auch VG Osnabrück, U. v. 18.5.2015 – 5 A 465/14). In eine flüchtlingsrelevante Verfolgung schlägt eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung erst dann um, wenn sie zielgerichtet gegenüber Personen eingesetzt wird, die durch diese Maßnahme gerade wegen eines in § 3 Abs. 1 Nr. 1 genannten Merkmals getroffen werden soll (vgl. auch VG Osnabrück, U.v. 18.5.2015 – 5 A 465/14), bzw. wenn die zuständigen Behörden aus der Verwirklichung der Tat auf eine Regimegegnerschaft der betroffenen Person schließen und die strafrechtliche Sanktion nicht nur der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern auch der Bekämpfung von politischen Gegnern dient (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.6.1991 – 9 C 131.90 – juris Rn. 19).
In Eritrea gibt es kein Recht, den Wehr- oder Nationaldienst zu verweigern. Wer sich diesen Diensten entzieht, wird mit Umerziehungslageraufenthalten oder mit Gefängnis bestraft. So werden Personen, die versuchen, dem Wehr- und Nationaldienst zu entgehen, bei dem (illegalen) Ausreiseversuch verhaftet (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 21. November 2016, S. 12). Ein generelles Anknüpfen an ein gem. § 3 Abs. 1 AsylG, § 3b AsylG relevantes Merkmal kann darin jedoch nicht gesehen werden. Denn insoweit handelt es sich um eine Strafverfolgung nach den allgemein in Eritrea geltenden Strafvorschriften, die jeden Eritreer gleichermaßen trifft. Die Strafvorschriften knüpfen nicht an eine bestimmte politische Haltung oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale an, sondern an den Umstand, dass sich die Betroffenen dem Wehr- oder Nationaldienst entzogen haben. Hinweise darauf, dass allein aus dem Umstand der illegalen Ausreise zum Zweck der Wehrdienstentziehung auf eine politische Gegnerschaft geschlossen wird, die zu einer verschärften strafrechtlichen Ahndung führt, sind nicht ersichtlich. Misshandlungen, Folter und Willkür treffen in Eritrea weite Kreise der Bevölkerung. Rechtsstaatliche Verhältnisse und eine militärische oder zivile Rechtsordnung sind nicht vorhanden. Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne Angabe von Gründen sind üblich (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 11). Dies rechtfertigt zwar die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Die aktuellen Erkenntnisse aus den Jahren 2015 und 2016 (EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015; U.S. Department of State vom 13.4.2016, Human Rights Report: Eritrea 2015, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 21.1.2015, Eritrea: Rekrutierung von Minderjährigen; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 21. November 2016 (Stand: November 2016)) lassen aber nicht den Schluss auf eine grundsätzlich politisch motivierte Verfolgung im Falle der illegalen Ausreise und der Verweigerung des National- oder Wehrdienstes zu (vgl. VG Augsburg, U.v. 11.8.2016 – Au 1 K 16.30744 – juris). Soweit einzelne Gerichte dennoch die Voraussetzungen für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft für gegeben sahen, bezogen sie sich auf Erkenntnismittel aus den Jahren 2009/2010 (VG Frankfurt, U.v. 12.8.2013 – 8 K 2202/13.F.A. – juris Rn. 15 f; VG Minden, U.v. 13.11.2014 – 10 K 2815/13.A – juris Rn. 50). Die aktuellen Erkenntnisse aus den Jahren 2015 und 2016 (EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015; U.S. Department of State vom 13.4.2016, Human Rights Report: Eritrea 2015, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 21.1.2015, Eritrea: Rekrutierung von Minderjährigen – alle genannten Quellen im Internet abrufbar; Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 21. November 2016 (Stand: November 2016)) bestätigen der eritreischen Regierung schwere Menschenrechtsverletzungen, lassen aber nicht den Schluss auf eine grundsätzlich politisch motivierte Verfolgung im Falle der illegalen Ausreise und der Verweigerung des National- oder Wehrdienstes zu. Dass die Praxis der Bestrafung wegen illegaler Ausreise und Wehrdienstentzug aufgrund der in Eritrea herrschenden Willkürherrschaft ohne unabhängiges Justizwesen, mit willkürlichen Inhaftierungen, körperlichen Misshandlungen, Folter und Inhaftierung unter menschenunwürdigen Bedingungen massiv elementare Rechtsgrundsätze und Menschenrechte verletzt, steht außer Zweifel. Dieser Umstand führte auch zur Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
Die Asylantragstellung begründet ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für die Klägerin in Eritrea. Geflüchtete Eritreer erhalten im Ausland in der Regel problemlos eritreische Pässe, sofern sie die geforderte „Aufbausteuer“ entrichten. Dies gilt auch für Flüchtlinge, die in ihrem Aufenthaltsland Asyl beantragt haben. Dies wird bestätigt durch Erfahrungen deutscher Behörden mit anerkannten Asylbewerbern aus Eritrea, die trotz ihrer behaupteten politischen Verfolgung besuchsweise nach Eritrea gereist sind, ohne dort von den Behörden behelligt worden zu sein (vgl. zum Ganzen Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 17). Die zahlreichen Reisen von anerkannten Asylberechtigten/Flüchtlingen nach Eritrea werden sogar von der eritreischen Regierung als Beleg dafür herangezogen, dass die Migration aus Eritrea vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 5). Es geht klar hervor, dass nicht nur vereinzelt, sondern in einer Vielzahl von Fällen Reisen von Asylberechtigten und Flüchtlingen nach Eritrea stattfinden, die keine Repressalien nach sich ziehen. Darüber hinaus geht auch hervor, dass die eritreische Regierung sehr wohl über diese Reisebewegungen informiert ist, zumal sich dies auch aus der hierfür notwendigen Passausstellung und den obligatorischen Einreisekontrollen ergibt, nachdem es sich nach dem Lagebericht ersichtlich nicht um Einreisen über die grüne Grenze, sondern um offizielle Reisebewegungen handelt. Nachdem Asylberechtigten und Flüchtlingen unter den o.g. Voraussetzungen in der Regel ohne Probleme eritreische Pässe ausgestellt werden und bei Besuchsreisen keine Repressalien erfolgen, ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die bloße Asylantragstellung ohne Hinzutreten weiterer Umstände zu flüchtlingsrechtlich relevanten politischen Verfolgungsmaßnahmen führt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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