Aktenzeichen Au 2 K 17.30712
Leitsatz
1. Aus Tschetschenien stammende ethnische Tschetschenen können sich außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation niederlassen und dort eine inländische Fluchtalternative finden. (Rn. 58 – 60) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Klägerin ist in der Lage, in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens für sich und ihre fünf minderjährigen (Klein-) Kinder den Lebensunterhalt auf einem noch zumutbaren Niveau zu bestreiten; besonders im Fall der freiwilligen Ausreise werden Rückkehrhilfen gewährt, die die Reintegration in der Anfangsphase erleichtern. (Rn. 65 – 100) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Aufgrund des Verzichts der Beteiligten konnte das Gericht ohne weitere mündliche Verhandlung über die Klage entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung streitgegenständlichen Schutztatbestände (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Die Voraussetzungen der Zuerkennung der Eigenschaft eines Flüchtlings i.S.v. § 3 AsylG liegen bei den Klägern nicht vor.
aa) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559 – Genfer Flüchtlingskonvention – GFK) darf ein Ausländer gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich
1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe,
2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 und 3 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG).
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, des Art. 1 A GFK und der Qualifikationsrichtlinie (QRL) gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; Art. 9 Abs. 1 lit. a QRL), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL).
Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den in den § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG; Art. 9 Abs. 3 QRL).
Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist,
die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG; Art. 10 Abs. 2 QRL).
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Dieser gilt für Anerkennung und Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gleichermaßen und entspricht demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris Rn. 20/23).
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammen-fassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32).
Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylerstverfahren zu beachten, wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach Art. 4 Abs. 4 QRL zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 QRL ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 6.7.2012 – 10 B 18/12 – juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C-175/08 u.a. – juris Rn. 93; BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – juris Rn. 25).
Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 8 QRL nicht zuerkannt, wenn er (Nr. 1) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (Nr. 2) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
bb) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze sind im Fall der Kläger die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG nicht gegeben.
Das Gericht geht nicht davon aus, dass den Klägern bei einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG droht.
Insoweit hat die Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung (Blatt 4 der Niederschrift) klargestellt, dass sie aufgrund ihrer zwischenzeitlichen Trennung von ihrem Ehemann nicht davon ausgeht, dass sie wegen ihm bei einer Rückkehr nach Tschetschenien Probleme bekommen könnte. Sie hat vielmehr deutlich gemacht, dass sie nunmehr bei einer Rückkehr nach Tschetschenien befürchte, dass die Verwandten ihres (Noch-)Ehemanns ihr entsprechend der tschetschenischen Traditionen die Kinder wegnehmen könnten. Insoweit ist jedoch festzustellen, dass es hier bereits an einem Verfolgungsgrund i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG und Art. 10 QRL fehlt. Denn eine Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe hat die Klägerin zu 1 nicht vorgetragen.
Es handelt sich vorliegend auch nicht um eine flüchtlingsrechtlich relevante mittelbare staatliche Verfolgung. Zwar wird eine von nichtstaatlicher Seite – also insbesondere von Privatpersonen oder nicht-staatlichen Organisationen -ausgehende Verfolgung dem Staat zugerechnet, wenn er die Verfolgung billigt oder fördert, ferner, wenn er grundsätzlich nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Betroffenen gegen Übergriffe effektiv zu schützen (vgl. § 3c Nr. 3 AsylG). Die erforderliche flüchtlingsrechtliche Gerichtetheit ist jedoch nur vorhanden, wenn entweder die Privaten bei Begehung der Übergriffe „wegen“ eines flüchtlingsrechtlich relevanten Persönlichkeitsmerkmals handeln oder bei unpolitischem Charakter der von den Privaten begangenen Übergriffe der Staat „wegen“ flüchtlingsrechtlich relevanter Persönlichkeitsmerkmale der Opfer den gebotenen Schutz versagt (vgl. § 3a Abs. 3 AsylG; vgl. auch BVerwG, B.v. 24.3.1995 – 9 B 747/94 – juris Rn. 5 – zu Art. 16a GG). Hiervon ausgehend kann im vorliegenden Kontext offenbleiben, ob die russische bzw. tschetschenische Polizei grundsätzlich hinreichend schutzbereit hinsichtlich einer durch die Familie des (Noch-)Ehemanns drohenden Wegnahme der Kinder wäre. Denn jedenfalls fehlt es im hiesigen Fall – wie ausgeführt – an der erforderlichen Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Persönlichkeitsmerkmale i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG seitens der Familie des (Noch-)Ehemanns bzw. des Staates (§ 3a Abs. 3 AsylG).
b) Auch die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes aus § 4 AsylG sind im Fall der Kläger nicht gegeben.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 QRL die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG kann die Verfolgung i.R.v. § 4 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die (staatlichen bzw. quasistaatlichen) Akteure einschließlich internationaler Organisationen (§ 3c Nr. 1 und 2 AsylG) erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung i.S.v. § 3d AsylG zu bieten. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG wird dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt, wenn inländische Fluchtalternativen i.S.v. § 3e AsylG bestehen.
Auch im Rahmen von § 4 AsylG ist bei der Prognose, ob für einen Kläger im Abschiebezielstaat die konkrete Gefahr besteht, der Todesstrafe, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden, der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris Rn. 14).
aa) Im Fall der Kläger sind die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht gegeben, da ihnen im Fall der Rückkehr in die Russische Föderation nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit ein ernsthafter Schaden in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung droht.
Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalls, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie ggf. abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. zum Ganzen: VGH BW, U.v. 27.4.2012 – A 11 S 3079/11 – juris Rn. 17).
(1) Nach den Erkenntnismitteln stellt sich die Situation für getrennt-lebende bzw. geschiedene Frauen mit Kindern in Tschetschenien wie folgt dar:
Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Das Adat ist eine Art Gewohnheits-recht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt im Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Das Adat deckt nahezu allen gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunde wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften (siehe zum Ganzen: BFA AUT, Länderinformationsblatt Russische Föderation, Stand: 24.4.2017, S. 32; EASO, Tschetschenien: Frauen, Heirat, Scheidung und Sorgerecht für Kinder, September 2014, S. 9).
Traditionsgemäß ist nach einer Scheidung in Tschetschenien der Mann erziehungsberechtigt und für die tägliche Betreuung der Kinder zuständig. Dies steht im Einklang mit dem Adat, wonach Kinder bei der Familie ihres Vaters leben sollten und das „Eigentum“ des Vaters und seiner Familie sind. Die geschiedene Frau hat sodann zu ihrer Familie zurückzuziehen. Daher ist es der geschiedenen Frau nur im Ausnahmefall möglich, regelmäßig Kontakt mit ihren Kindern zu haben. Zwar ist es für die Mutter grundsätzlich möglich, sich insoweit an ein staatliches Gericht zu wenden. Dies wird jedoch gesellschaftlich nicht gutgeheißen und geschieht daher nur sehr selten. Selbst im Falle eines Urteils zu Gunsten der Mutter wird in der Praxis jedoch meist die Vollstreckung des Urteils durch die Familie des Vaters der Kinder vereitelt bzw. erheblich erschwert. Denn die Ehre der Familie des Vaters wird als verletzt betrachtet, wenn der Mutter durch ein Gericht allzu weit reichende Rechte zugesprochen werden (siehe zum Ganzen: EASO, Tschetschenien: Frauen, Heirat, Scheidung und Sorgerecht für Kinder, September 2014, S. 29 f.; BAA AUT, Staatendokumentation, Frauen in Tschetschenien, 8.4.2010, S. 16 f.; vgl. auch ACCORD, Tschetschenien: Situation von alleinstehenden Frauen mit unehelichen Kindern, 3.6.2014).
(2) Ob ausgehend von den obigen Erkenntnismitteln im vorliegenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass die Klägerin zu 1 bei einer Rückkehr nach Tschetschenien von ihren fünf minderjährigen Kindern dauerhaft getrennt wird, kann jedoch letztlich offenbleiben. Ebenso offenbleiben kann, ob eine solche dauerhafte Trennung von den Kindern eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG darstellen würde (vgl. zum Ganzen: VG Hamburg, U.v. 4.5.2017 – 17 A 7520/16 – juris Rn. 21-28).
bb) Grund hierfür ist, dass den Klägern jedenfalls eine inländische Fluchtalternative in anderen Teilen der Russischen Föderation zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e AsylG).
(1) Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. Art. 8 Abs. 1 QRL). Somit darf ein Ausländer nur dann auf ein verfolgungsfreies Gebiet seines Heimatstaates als inländische Fluchtalter-native verwiesen werden, wenn er dieses tatsächlich in zumutbarer Weise erreichen kann (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11/07 – juris Rn. 19). Ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG vorliegen, ist im Falle einer Vorverfolgung unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 QRL zu ermitteln; die Vermutung einer auch künftigen Verfolgung kann als widerlegt erachtet werden, soweit in einem Landesteil bei tatrichterlicher Würdigung des Vorbringens des Ausländers und der maßgeblichen Erkenntnismittel keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2009 – 10 C 20/08 – juris Rn. 15 f.). Am Ort des internen Schutzes muss unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Betroffenen die Existenzgrundlage derart gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält; dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer i.R.v. § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog beachtlichen existenziellen Notlage hinaus und erfordert eine Einzelfallprüfung (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 5.8.2014 -13a ZB 14.30188 – juris Rn. 6).
Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG erfüllt, sind nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 QRL zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen; zu diesem Zweck sind gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen – wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) – einzuholen (vgl. Art. 8 Abs. 2 QRL).
(2) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze können die Kläger vorliegend auf inländischen Fluchtalternativen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens verwiesen werden (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e AsylG).
(a) In diesem Zusammenhang ist zunächst klarzustellen, dass vorliegend zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) davon auszugehen ist, dass im Falle einer Abschiebung die Klägerin zu 1 mit ihren minderjährigen (Klein-)Kindern allein – d.h. ohne ihren Noch-Ehemann – in die Russische Föderation zurückkehren würde.
Die Einschätzung, ob ein Asylbewerber voraussichtlich zusammen mit Familienangehörigen in das Herkunftsland zurückgehen wird, ist Gegenstand der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Prognose, mit welchen Gefahren bzw. Folgen eine Abschiebung in den Heimatstaat für den Asylbewerber verbunden ist, ist eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation zugrunde zu legen. Insoweit ist regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr mit den Familienangehörigen – etwa Ehegatten und Kinder – auszugehen, falls der Asylbewerber auch in der Bundesrepublik Deutschland mit ihnen als Familie zusammenlebt. Etwas anderes gilt hingegen, wenn die Schutzge-meinschaft der Familie tatsächlich zerbrochen ist, die Ehegatten etwa in Scheidung leben oder ihre Kinder verlassen haben, oder wenn in besonderen Fällen aus anderen Gründen eine Rückkehr eines einzelnen Familien-mitgliedes in seinem Heimatstaat unterstellt werden kann. Etwas anderes gilt ferner dann, wenn ein Familienangehöriger aufgrund rechtskräftiger Feststellung als politisch Verfolgter anerkannt ist (Art. 16a GG, § 3 f. AsylG) oder ihm rechtskräftig Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG zuerkannt worden ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 12.4.2001 – 1 B 124.01 – juris Rn. 2; U.v. 21.9.1999 – 9 C 12.99 – juris Rn. 10 f.; U.v. 16.8.1993 – 9 C 7.93 – juris Rn. 10; U.v. 8.9.1992 – 9 C 8.91 – juris Rn. 15; U.v. 6.3.1990 – 9 C 14.89 – juris Rn. 14 f.; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 21).
Hiervon ausgehend gilt im vorliegenden Einzelfall, dass die Klägerin zu 1 mit ihren Kindern im Falle einer Abschiebung ohne den Ehemann bzw. Vater -den Kläger im Parallelverfahren Au 2 K 17.35534 – in die Russische Föderation zurückkehren würden. Eine häusliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Ehemann bzw. Vater und den Klägern besteht nicht mehr. Die Klägerin zu 1 hat insoweit in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen, dass sie und ihr Ehemann sich zwischenzeitlich getrennt hätten (siehe Blatt 4 der Niederschrift; siehe hierzu auch die entsprechende Mitteilung ihres anwaltlichen Bevollmächtigten vom 6.12.2017, Blatt 62 der Gerichtsakte; so auch die Stellungnahme auf Blatt 122 der Gerichtsakte). Diese Angabe wird dadurch gestützt, dass die Ausländerbehörde mit Schreiben vom 24. Oktober 2017 (Blatt 61 der Gerichtsakte) mitgeteilt hat, dass der Ehemann seit 17. Oktober 2017 nicht länger unter der gemeinsamen Adresse in … F…, sondern nunmehr unter einer Adresse in … A… wohnhaft ist. Das Gericht geht zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung prognostisch auch von einer endgültigen Zerrüttung der Ehe aus, auch wenn im vorliegenden Fall noch keine förmliche familiengerichtliche Scheidung erfolgt ist. Grund hierfür ist, dass der Ehemann bzw. Vater zur mündlichen Verhandlung im Parallelverfahren Au 2 K 17.35534 zusammen mit seiner neuen, in Niedersachsen wohnhaften Lebensgefährtin und dem am 29. September 2017 geborenen gemeinsamen Kind erschienen ist. Er hat auf Nachfrage gegenüber dem Gericht erklärt, dass er bereit seit April 2017 von seiner Ehefrau getrennt lebe; nach erfolgter Scheidung wollten er und seine neue Lebensgefährtin unverzüglich heiraten (siehe Blatt 4 f. der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung im Verfahren Au 2 K 17.35534). Im Parallelverfahren hat der Ehemann bzw. Vater zudem amtliche Urkunden zur Vaterschaftsanerkennung und Übernahme der elterlichen Sorge hinsichtlich des gemeinsamen Kindes bereits vom 20. Juli 2017 vorgelegt. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung ist das Gericht daher der Auffassung, dass die Trennung der Klägerin zu 1 von ihrem Ehemann glaubhaft und prognostisch endgültig ist.
(b) Der Aufenthalt von Personen aus den Krisengebieten im Nordkaukasus in anderen Teilen der Russischen Föderation ist zwar durch verschiedene Probleme erschwert, jedoch grundsätzlich möglich (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 22.6.2017, S. 20 f.). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der das Gericht folgt, können sich z.B. aus Tschetschenien stammende ethnische Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation niederlassen und dort eine inländische Fluchtalternative finden (vgl. BayVGH, U.v. 7.1.2015 – 11 B 12.30471 – juris Rn. 34; U.v. 17.4.2012 – 11 B 11.30469 – juris Rn. 28 f.; vgl. auch VG Augsburg, U.v. 22.5.2017 – Au 2 K 16.33122 – Rn. 21; U.v. 30.3.2017 – Au 2 K 16.32472 – Rn. 21-25; VG Potsdam, U.v. 9.12.2015 – VG 6 K 2153/14.A – juris Rn. 25; VG Berlin, U.v. 24.3.2015 – 33 K 229.13 A – juris Rn. 17-23).
Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu; es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 22.6.2017, S. 21).
Es besteht auch kein Anlass, an der Möglichkeit einer legalen Einreise zu zweifeln. Zwar mag der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus erheblich sein. In diesem Zusammenhang erfolgende Personenkontrollen und häufig ohne Durchsuchungsbefehle stattfindende Hausdurchsuchungen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 22.6.2017, S. 21) weisen jedoch trotz ihres teilweise durchaus diskriminierenden Charakters nicht eine derartige Intensität auf, dass ein Aufenthalt außerhalb des Kaukasus generell als unzumutbar eingestuft werden müsste. Was die Gefahr fremdenfeindlicher und rassistischer Übergriffe aus Teilen der Bevölkerung anbelangt, so sind solche zwar nicht zu leugnen (vgl. dazu Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 22.6.2017, S. 4, 9 und 13; vgl. ferner Minority Rights Group Europe, Report: Protecting the Rights of Minorities and Indigenous People in the Russian Federation, 25.11.2014, S. 9; US Department of State, Russia 2013 Human Rights Report, 27.02.2014, S. 53). Angesichts der im Verhältnis zur kaukasischen Bevölkerung in der Russischen Föderation – allein in Moskau sollen über 200.000 Tschetschenen leben (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 22.6.2017, S. 15) – geringen Opferzahlen (vgl. unter anderem Russland-Analysen, Rechtsradikalismus in Russland, Nr. 256 v. 3.5.2013, S. 13 f.) kann jedoch nicht angenommen werden, dass Kaukasier außerhalb ihrer Heimatregionen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Opfer gewalttätiger Übergriffe werden (vgl. auch VGH BW, U.v. 15.2.2012 – A 3 S 1876/09 – juris Rn. 55). Für Personen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit liegen auch keine gesicherten Erkenntnisse vor, dass sie nach einer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt wären; diese Personen erfahren lediglich besondere Aufmerksamkeit durch die russischen Behörden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 22.6.2017, S. 20; vgl. zum Ganzen: VG Potsdam, U.v. 9.8.2017 – 6 K 4539/16.A – juris Rn. 42; VG Berlin, U.v. 24.3.2015 – 33 K 229.13 A – juris Rn. 21).
Es sind nach den vorliegenden Erkenntnissen auch keine unüberwindbaren Schwierigkeiten der Kläger zu erwarten, eine Registrierung für einen legalen Aufenthalt zu erlangen. Für die Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und einer Bescheinigung des Vermieters erforderlich. Allerdings haben Kaukasier größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalitäten, überhaupt einen Vermieter zu finden. An vielen Orten wird der legale Zuzug durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert, insbesondere in großen Städten wird der Zuzug reguliert und ist erkennbar unerwünscht. Dies beschränkt die Möglichkeit zurückgeführter Tschetschenen, sich legal dort niederzulassen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 22.6.2017, S. 21). Derartige Schwierigkeiten können jedoch – ggf. unter Zuhilfenahme von Nichtregierungsorganisationen oder auch Zahlung mitunter üblicher Bestechungsgelder – überwunden werden (vgl. Bundesasylamt Österreich, Feststellung Russische Föderation, Dagestan, März 2013). Für eine anfängliche temporäre Registrierung muss zudem lediglich ein Brief an die zuständige lokale Stelle gesandt werden, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird. Im Übrigen belegt die große Anzahl von Tschetschenen z.B. in Moskau, im Gebiet Rostov und in der Wolgaregion, dass Adressenmitteilungen mit Unterstützung durch Landsleute in der Diaspora möglich sind. In Südrussland (Regionen Krasnodar, Stawropol, Rostow, Astrachan), wo viele Kaukasier leben, ist eine Registrierung zudem leichter zu erlangen, auch da der Wohnraum dort billiger ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 7.3.2011, S. 37; zu den Kosten für Wohnraum vgl. ferner IOM, Länderinformationsblatt Russische Föderation, Juni 2014, S. 11; vgl. zum Ganzen: VG Potsdam, U.v. 9.8.2017 – 6 K 4539/16.A – juris Rn. 40; U.v. 10.5.2017 – 6 K 4904/16.A – juris Rn. 24; VG Berlin, U.v. 24.3.2015 – 33 K 229.13 A – juris Rn. 22).
Das Gericht geht insoweit davon aus, dass die Klägerin zu 1 außerhalb von Tschetschenien hinreichend sicher davor wäre, dass ihr die Kinder von der Familie ihres Noch-Ehemanns weggenommen würden. Insbesondere könnte die Klägerin zu 1 insoweit den Schutz der russischen Polizei in Anspruch nehmen. Es ist überdies weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Familie des Noch-Ehemanns der Klägerin zu 1 besondere Kontakte zur Polizei oder den Sicherheitsbehörden hätte, die es ihr ermöglichen könnte, ihren Aufenthaltsort in der Russischen Föderation über die obligatorische Registrierung ausfindig zu machen (vgl. hierzu VG Hamburg, U.v. 4.5.2017 -17 A 7520/16 – UA S. 12).
(c) Nach Überzeugung des Gerichts ist für die Klägerin zu 1 und die zwölf, neun und sieben Jahren alte Klägern zu 2 bis 4 sowie den ein halbes Jahr bzw. eineinhalb Jahre alten Klägerinnen in den Parallelverfahren Au 2 K 17.31372 und Au 2 K 17.35118 auch der erforderliche Lebensunterhalt in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens in zumutbarer Weise gewährleistet.
(aa) Nach den Erkenntnismitteln stellt sich die Versorgungslage in der Russischen Föderation für alleinstehende Frauen mit Kindern wie folgt dar:
Laut dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts zur Russischen Föderation verschlechtere sich nach Jahren stetiger Verbesserung der allgemeine Lebensstandard seit 2012 wieder. Zwar seien das Durchschnittseinkommen und die Durchschnittsrente gestiegen, bedingt durch die hohe Inflationsrate seien jedoch die real verfügbaren Einkommen gesunken, die Armut sei angewachsen. Während 2012 noch 10,7 v.H. der Bevölkerung unter die offizielle Armutsgrenze gefallen seien, sei die Anzahl der Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums weiter gestiegen und habe im 1. Quartal 2016 22,7 Mio. oder 15,7 v.H. der gesamten Bevölkerung betragen. Die staatliche Unterstützung reiche häufig nicht zur Deckung des Grundbedarfs (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 22.6.2017, S. 19).
Die erfolgte Registrierung legalisiere den Aufenthalt und ermögliche den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 7.3.2011, S. 36; vgl. BayVGH, U.v. 23.7.2014 – 19 B 12.1073 -juris Rn. 87).
Ausweislich des IOM-Länderinformationsblatts aus dem Juni 2014 zur Russischen Föderation könnten Mutter, Vater oder ein anderer Erziehungsberechtigter zudem monatliches Kindergeld beantragen. Das Kindergeld berechne sich aus 40 v.H. des durchschnittlichen Elterngehalts, solle aber nicht unter dem festgesetzten Mindestwert liegen. Seit Januar 2014 betrage das monatliche Kindergeld – das allerdings nur für Kinder jünger als 1,5 Jahre gezahlt werde – während des Mutterschaftsurlaubs beim ersten Kind mindestens RUB 2.576,- (ca. USD 75,-) und für weitere Kinder RUB 5.153,- (ca. USD 150,-). Für arbeitslose Eltern betrage das monatliche Kindergeld das festgesetzte Minimum. Familien mit drei und mehr Kindern erhielten zudem eine Kompensation i.H.v. mindestens 70 v.H. auf die Kindergartengebühren. Dieses Geld werde auf das Konto eines Elternteils überwiesen (siehe zum Ganzen: BAMF/IOM, Länderinformationsblatt Russische Föderation, Stand: Juni 2014, S. 6; abrufbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehr-foerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs russland-dl de. ßdf).
Laut IOM-Länderinformationsblatt aus dem Juni 2014 gebe es überdies Programme für Wohnraum, die junge Familien mit Kindern unterstützen, in denen die Eltern jünger als 35 Jahre sind. Dies bedeute, dass die Familien eine spezielle Subvention erhalten oder der Staat Teile der Wohnkosten übernimmt bzw. ein Kredit zu Vorzugsbedingungen gewährt wird. Zudem könnten Flüchtlinge und Binnenvertriebene temporär auf speziellen staatseigenen Grundstücken kostenlos untergebracht werden, sofern ihr Status anerkannt worden ist. Es gebe staatliche Krisenzentren und Unterkünfte für Erwachsene und Kinder, die vom Ministerium für Arbeit und sozialen Schutz geführt werden, sowie ein Netzwerk von sozialen Einrichtungen, die auf die Unterstützung von Kindern und Familien ausgerichtet seien (siehe zum Ganzen: BAMF/IOM, Länderinformationsblatt Russische Föderation, Stand: Juni 2014, S. 10; abrufbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laender-informationen/Informationsblaetter/cfs russland-dl de.pdf).
Nach dem IOM-Länderinformationsblatt aus dem Juni 2014 erhielten zudem gemäß einem am 1. Januar 2007 erlassenen Gesetz russische Frauen, die mehr als zwei Kinder haben, vom Staat eine Einmalzahlung (in 2014 liege diese bei RUB 429.408,50 bzw. ca. USD 12.520,-). Das zweite oder weitere Kind müsse nach dem 1. Januar 2007 geboren worden sein. Dieses Geld nenne sich „Mutterschafts-Kapital“ und werde auf einem speziellen Bankkonto hinterlegt, für das den Frauen ein Zertifikat ausgehändigt werde, das ihren Anspruch auf das Kapital bestätige. Auf dieses Geld, das grundsätzlich nicht bar ausgezahlt werde, könne erst zugegriffen werden, wenn das Kind 3 Jahre alt ist (d.h. Frauen, die das Kapital im Januar 2007 erhalten, hätten erst im Januar 2010 Zugriff darauf). Der hinterlegte Betrag dürfe nicht in bar ausgezahlt werden, sondern nur zu Investitionszwecken dienen, z.B. der Verbesserung der familiären Wohnverhältnisse, der Ausbildung der Kinder oder der Rente der Mutter. Diese Beihilfe erhalte die Frau nur einmalig, auch wenn sie mehrere Kinder hat. Seit dem 1. Januar 2009 könne dieses Mutterschaftsgeld, unabhängig vom Alter des Kindes, auch zur Hypothekentilgung herangezogen werden (siehe zum Ganzen: BAMF/IOM, Länderinformationsblatt Russische Föderation, Stand: Juni 2014, S. 12; abrufbar unter http://www.bamf.de/Shared Docs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informa-tionsblaetter/cfs russland-dl de.pdf).
Ausweislich des IOM-Länderinformationsblatts aus dem Juni 2014 gebe es in verschiedenen Regionen Russlands überdies weitere ergänzende finanzielle Hilfsprogramme für alleinstehende Mütter. So sehe z.B. das Moskauer Programm zusätzliche städtische Zahlungen vor, die auf die individuelle Sozialkarte überwiesen würden (monatliche Kompensation der Lebensmittelausgaben in Höhe von RUB 3.200,- (USD 93,-) für Kinder bis drei Jahre und RUB 1.600,- (47,- USD) für Kinder bis 16 Jahre. Alleinstehende Mütter erhielten außerdem Preisnachlässe für viele Waren, Konsumgüter und pharmazeutische Erzeugnisse, sowie materielle Hilfe in Naturalien. Zusammen mit der Sozialkarte bekomme man eine Auflistung von Geschäften, Apotheken und Dienstleistungsunternehmen, die Preisnachlässe gewähren. Gemäß den Rechtsnormen föderaler und kommunaler Gesetzgebung hätten alleinstehende Mütter (und Väter) ein Vorrecht auf eine Wohnungszuteilung aus den kommunalen Wohnungsbeständen (siehe zum Ganzen: BAMF/IOM, Länderinformationsblatt Russische Föderation, Stand: Juni 2014, S. 23; abrufbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laender-informationen/Informationsblaetter/cfs russland-dl de.pdf).
Laut IOM-Länderinformationsblatt aus dem Juni 2014 unterhielten im Rahmen verschiedener „Gender projects“ zudem diverse Nichtregierungsorganisationen in einigen Regionen der Russischen Föderation Frauenasyle. Die meisten Nichtregierungsorganisationen, die solche Asyle betreiben, würden von internationalen oder ausländischen Organisationen finanziert. Allerdings sei die fehlende Finanzierung der Hauptgrund dafür, dass längst nicht alle Bedürftige Hilfe dieser Art bekommen könnten. Es gebe faktisch in jeder russischen Region Krisenzentren für Frauen. Diese würden sowohl von staatlichen Sozialdiensten als auch von internationalen Programmen gesponsert und böten soziale, psychologische und juristische Beratung u.a. für alleinstehende Frauen mit Kindern ohne familiäre Unterstützung an (siehe zum Ganzen: BAMF/IOM, Länderinformationsblatt Russische Föderation, Stand: Juni 2014, S. 23; abrufbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs russland-dl de.pdf).
Nach dem IOM-Informationsblatt Russische Föderation aus dem August 2015 (dort S. 5; abrufbar unter http://germany.iom.int/sites/default/files/ZIRF down-loads/Russische Foederation CFS 2015 DE.pdf) erhielten Familien mit drei oder mehr Kindern zudem folgende Begünstigungen:
> Rabatt für Betriebskosten i.H.v. maximal 30 v.H. (Heizung, Wasser, Abwasser Gas, Strom)
> Großfamilien mit Kindern unter sechs Jahren erhielten kostenlose, verschreibungspflichtige Medikamente, sowie Behandlung in Kliniken und Vorrang in Sanatorien/Gesundheitszentren
> Großfamilien mit Bedarf für eine bessere Wohnsituation könnten kostenlose Unterkunft beantragen
> Großfamilien könnten Kredite für Hausbau/-kauf erhalten
> Großfamilien, die einen Bauernhof führen wollen, erhielten steuerliche Vorzüge, sowie materielle Hilfe oder zinsfreie Darlehen
> Arbeitgeber gewährten Großfamilien Vorzüge
> Frauen mit fünf oder mehr Kindern, die diese bis zum Alter von acht Jahren aufgezogen haben, könnten frühzeitig im Alter von 50 Jahren in Rente gehen, sofern sie über 15 Jahre versichert waren
> Frauen mit zwei oder mehr Kindern, können mit 50 Jahren in Rente gehen, wenn sie für mindestens 20 Jahre versichert waren und mindestens 12 Jahre im Norden oder 17 Jahre in vergleichbaren Regionen gearbeitet haben
> Zahlungen an Großfamilien zur Geburt, Zuschuss für zweites Kind und die folgenden Kinder habe monatlich bei RUB 4.907,85 im Jahr 2003 gelegen
> Kompensationszahlungen im Zusammenhang mit den Kosten für die Erziehung:
o 3-4 Kinder: RUB 600,- für jedes Kind unter 16 (oder unter 18, wenn das Kind an einer Bildungseinrichtung eingeschrieben ist)
o 5 oder mehr Kinder: RUB 750,- für jedes Kind unter 16 (oder unter 18, wenn das Kind an einer Bildungseinrichtung eingeschrieben ist)
o Für Großfamilien mit 5 oder mehr Kindern: RUB 900,- für die ganze Familien zum Kauf von Sachen
o Monatliche Kompensationszahlungen für Essenskosten für Kinder unter 3 Jahren i.H.v. RUB 675,-
(bb) Die Rechtsprechung zur Versorgungslage in der Russischen Föderation für alleinstehende Frauen mit Kindern stellt sich – soweit ersichtlich – wie folgt dar:
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Jahr 2006 entschieden, dass einer alleinstehenden Tschetschenin mit Kleinkind eine zumutbare inländische Fluchtalternative in den meisten Teilen der Russischen Föderation zur Verfügung stehe. Der Verwaltungsgerichtshof ließ jedoch ausdrücklich offen, ob die damalige Klägerin in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind bestreiten könne. Grund hierfür war, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten für die damalige Klägerin und ihr Kind in noch in weitaus größerem Umfang auch in Tschetschenien bestanden hätten (siehe hierzu BayVGH, U.v. 19.6.2006 – 11 B 02.31598 – juris Rn. 89-91). Die genannte Entscheidung ist noch zur Rechtslage vor § 3e AsylG ergangen; das für den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof damals maßgebliche Erfordernis des landesinternen Vergleichs zum Ausschluss nicht-verfolgungsbedingter Gefahren und Nachteile ist i.R.v. § 3e AsylG nicht mehr von Relevanz (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11.07 – juris Rn. 31 f.).
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat zu inländischen Fluchtalternativen für tschetschenische Volkszugehörige in der Russischen Föderation im Jahr 2007 entschieden, dass einiges dafür spreche, dass ältere und schwer kranke Personen sowie alleinstehende Frauen mit Kleinkindern ohne verwandschaftlichen Rückhalt den Anforderungen und Belastungen einer Rückkehr in sonstige Landesteile der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nicht immer gewachsen seien; in diesen Fällen sei daher stets der konkrete Einzelfall zu prüfen (vgl. hierzu NdsOVG, B.v. 16.1.2007 -13 LA 67/06 – juris Rn. 7; in diese Richtung auch VG Lüneburg, U.v. 6.2.2003 – 2 A 310/01 – juris; offen gelassen in BayVGH, U.v. 31.1.2005 – 11 B 02.31597 – juris Rn. 49; VG Berlin, U.v. 18.3.2008 – 38 X 87.08 – juris Rn. 90).
Das VG Karlsruhe im Jahr 2007 hat eine inländische Fluchtalternative in den sonstigen Landesteilen der Russischen Föderation für eine alleinstehende Tschetschenin mit Kind verneint, da sie dort aufgrund ihrer persönlichen Umstände nicht in der Lage sei, innerhalb eines absehbaren Zeitraums eine Registrierung zu erlangen, und sie ohne eine solche Registrierung ihr Existenzminimum nicht bestreiten könne (siehe zum Ganzen: VG Karlsruhe, U.v. 13.2.2007 – A 11 KL 11805/05 – juris Rn. 37).
Das Verwaltungsgericht Göttingen war im Jahr 2013 der Auffassung, dass auch einer alleinerziehenden Mutter tschetschenischer Herkunft mit zwei betreuungsbedürftigen Kindern zugemutet werden könne, sich in anderen Teilen der Russischen Föderation niederzulassen und dort durch Erwerbstätigkeit ein bescheidenes Auskommen zu finden. Zur Begründung wurde maßgeblich auf die im IOM-Informationsblatt Russische Föderation genannten Hilfen gerade für alleinstehende Mütter mit Kindern verwiesen (siehe zum Ganzen: VG Göttingen, U.v. 10.9.2013 – 2 A 192/11 – juris Rn. 50 f. unter Bezugnahme auf VG Braunschweig, U.v. 24.2.2003 – 8 A 308/02; so im Ergebnis auch VG Berlin, B.v. 2.11.2015 – 33 L 312.15 A – juris Rn. 13; U.v. 21.11.2013 – 33 K 207.13 A – UA S. 9-11).
(cc) Unter Berücksichtigung der genannten Erkenntnismittel und Rechtsprechung geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin zu 1 in der Lage sein wird, in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens für sich und ihre fünf minderjährigen (Klein-)Kinder den Lebensunterhalt auf einem noch zumutbaren Niveau zu bestreiten (vgl. in diesem Sinne: VG Göttingen, U.v. 10.9.2013 – 2 A 192/11 – juris Rn. 50 f. unter Bezugnahme auf VG Braunschweig, U.v. 24.2.2003 – 8 A 308/02; VG Berlin, B.v. 2.11.2015 – 33 L 312.15 A – juris Rn. 13; U.v. 21.11.2013 – 33 K 207.13 A – UA S. 9-11).
Zwar gilt, dass die Klägerin zu 1 vorliegend allein mit fünf minderjährigen Kindern in einen geographischen Bereich der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zurückkehren müsste, der ihr fremd ist und in dem sie kein Unterstützungsnetzwerk von Verwandten oder Freunde hat. Bei den Klägerinnen in den Parallelverfahren Au 2 K 17.31372 und Au 2 K 17.35118 handelt es sich zudem um Kleinkinder (geb. am 24.2.2016 bzw. 05.06.2017), die besonderer Betreuung und Versorgung bedürfen, so dass es der Klägerin zu 1 auch auf absehbare Zeit nicht möglich sein wird, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie wird vielmehr vollständig auf alternative Geldmittel angewiesen sein.
Jedoch ist zu bedenken, dass der Klägerin zu 1 und ihren Kindern im Fall der freiwilligen Ausreise Rückkehrhilfen nach dem REAG/GARP-Programm gewährt werden, die ihnen die Reintegration in ihr Heimatland in der Anfangsphase erleichtern. Im vorliegenden Fall wird neben der Übernahme der Reisekosten eine Reisebeihilfe i.H.v. je EUR 200,- für die Kläger zu 1 und 2 geleistet, für die vier weiteren Kinder unter zwölf Jahren beträgt die Reisebeihilfe EUR 100,- . Zudem wird eine Startbeihilfe geleistet, die im Fall der Russischen Föderation für die Kläger zu 1 und 2 je EUR 300,- und für die vier weiteren Kinder unter zwölf Jahren je EUR 150,- beträgt. Insgesamt könnte die Klägerin zu 1 somit für sich und ihre Kinder eine Übernahme bzw. Förderung der Reisekosten, eine Reisebeihilfe i.H.v. EUR 800,- sowie eine Startbeihilfe i.H.v. EUR 1.200,- erhalten (insgesamt: EUR 2.000,-; siehe zum Ganzen: http://germany.iom.int/sites/default/files/REAG/REAG-GARP-Merkblatt 2017. pdf; vgl. hierzu allg. BayVGH, U.v. 17.4.2012 – 11 B 11.30469 – juris Rn. 29).
Ferner können die Klägerin zu 1 und ihre Kinder als Rückkehrende in die Russische Föderation in Ergänzung zum REAG/GARP-Programm zusätzlich eine finanzielle Unterstützung im Rahmen des Programms „StarthilfePlus“ erhalten. Hier ist für eine freiwillige Ausreise nach Ablehnung des Asylantrags (Stufe 2) eine Leistung von je EUR 800,- pro erwachsene Person und EUR 400,- je Kind vorgesehen. Eine Familie kann überdies zusätzlich EUR 500,-erhalten, wenn mehr als vier Familienmitglieder gemeinsam mit einem StarthilfePlus-Antrag ausreisen. Hier könnte die Klägerin zu 1 mit ihren fünf Kindern somit insgesamt Leistungen i.H.v. EUR 3.300,- erhalten (EUR 800,-zzgl. 5 x EUR 400,- und 1 x EUR 500,-; siehe zum Ganzen: http://germany.iom .int/sites/default/files/StarthilfePlus Downloads/Merkblatt%20StarthilfePlus%20ab%20 Dez%202017.pdf).
Zwischen dem 1. Dezember 2017 und dem 28. Februar 2018 können die Klägerin zu 1 und ihre Kinder als Rückkehrende in die Russische Föderation zudem im Programm „StarthilfePlus“ eine zusätzliche Reintegrationsunterstützung beantragen. Familien können sie Sachleistungen z.B. für Miete, Bau- und Renovierungsarbeiten oder die Grundausstattung für Küche oder Bad im Wert von bis zu EUR 3.000,- erhalten (siehe zum Ganzen: http://germany.iom.int/sites/default/files/StarthilfePlus Downloads/Informations blatt%20Reintegration%20StarthilfePlus.pdf).
Festzustellen ist somit, dass die Klägerin zu 1 und ihre Kinder aus den Programmen REAG/GARP sowie Starthilfe-Plus neben einer Übernahme der Reisekosten insgesamt EUR 5.300,- sowie Sachleistungen i.H.v. EUR 3.000,- erhalten können. Allein der Barbetrag von EUR 5.300,- (umgerechnet ca. RUB 365.569,62; Umrechnung am 4.1.2018) ist aus Sicht des Gerichts ohne weiteres ausreichend, um nicht nur die unmittelbare Reintegrationsphase im Heimatland wirtschaftlich abzusichern, sondern auch ein finanzielles Sicherheitspolster für eine gewisse Zeit danach zu schaffen. Denn bei einem monatlichen Durchschnittsbruttolohn in der Russischen Föderation im Jahr 2015 von etwa EUR 500,- bzw. RUB 35.000,- (IHK Hannover, Merkblatt Entsendung von Arbeitnehmern in die Russische Föderation, Ziffer 3.2; abrufbar unter https://www.hannover.ihk.de/fileadmin/data/Dokumente/Themen/International/ Auslandsmaerkte und Geschaeftsanbahnung/Merkblatt Entsendung von Arbeitnehmern nach Russland redigiert 2015 .pdf) handelt es sich bei dem Barbetrag von EUR 5.300,- fast um ein durchschnittliches russisches Brutto-Jahresgehalt.
Zudem können die Klägerin zu 1 und ihre Kinder nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation Leistungen nach dem ERIN-Programm (European Reintegration Network) in Anspruch nehmen, das in Kooperation mit der Caritas Moskau durchgeführt wird. Die Reintegrationsleistungen beinhalten u.a. eine Grundunterstützung nach der Rückkehr (Abholung vom Flughafen, vorübergehende Unterbringung, rechtliche und soziale Hilfe etc.), Unterstützung bei beruflicher Qualifizierung, Ausbildung, der Aufnahme einer selbständigen „Mikro-Erwerbstätigkeit“, Berufsberatung sowie Unterstützung für besonders schutzbedürftige Rückkehrer. Letztere Gruppe, zu denen insbesondere Frauen und behinderte bzw. kranke Personen gehören, erhalten eine individuelle Unterstützung und Betreuung ausgerichtet nach ihrem jeweiligen Bedarf (siehe zum Ganzen: BAMF/IOM, ERIN-Merkblatt, abrufbar unter http://files.returningfromgermany.de/files/erin-russische-foederation-briefing-notes-dl.pdf).
Nicht zuletzt ist vorliegend jedoch zu bedenken, dass ausweislich der in das Verfahren eingeführten IOM-Länderinformationsblätter aus den Jahren 2014 und 2015 der Klägerin zu 1 und ihren Kindern in der Russischen Föderation zudem neben der allgemeinen Sozialhilfe und allgemeinen Sozialleistungen staatliche Unterstützung in vielfacher Hinsicht für Großfamilien bzw. alleinerziehende Mütter mit Kindern offen steht. Hier seien nur exemplarisch nochmals der Bereich Wohnraumzuteilung, das „Mutterschafts-Kapital“, staatliche Zuschüsse zu Kindergartenbeiträgen, zahlreiche Preisnachlässe bei Ausgaben des täglichen Lebens, eine kostenlose medizinische Versorgung sowie Kompensationszahlungen für Lebensmittel und Erziehung genannt. Eingedenk dieser staatlichen Hilfen ist es der Klägerin zu 1 möglich, dauerhaft – d.h. auch nach Aufbrauchen der Finanzmittel aus den Programmen REAG/GARP bzw. Starthilfe-Plus und Ende der Reintegrationsleistungen aus dem ERIN-Programm – den zumutbaren Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder zu bestreiten.
Zudem ist die Klägerin zu 1 – soweit erforderlich – auch auf finanzielle Unterstützung durch Geldüberweisungen ihrer in Tschetschenien verbliebenen Familienangehörigen – der Vater, ein Bruder, drei Schwestern und zwei Onkel (Anhörung, Blatt 402 der Verwaltungsakte; vgl. auch die Stellungnahme der Klägerin zu 1 auf Blatt 122 der Gerichtsakte) – zu verweisen (vgl. VG Potsdam, U.v. 9.8.2017 – 6 K 4539/16.A – juris Rn. 43; VG Berlin, U.v. 24.3.2015 – 33 K 229.13 A – juris Rn. 23). Das Gericht geht davon aus, dass die unmittelbare Familie der Klägerin zu 1 und den Kindern – insbesondere in einer Notlage – finanziell helfen würde, unabhängig davon, ob sie die Lebensumstände der Klägerin zu 1 dem Grunde nach missbilligt oder nicht.
c) Im Fall der Klägerin zu 1 und ihrer Kinder sind auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG nicht gegeben.
aa) Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Verbürgt sind insoweit u.a. das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), das Verbot der Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 3 EMRK) sowie das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK).
Für den Begriff der Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG gilt ebenfalls der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2010 – 10 B 20/10 – juris Rn. 6). § 60 Abs. 5 AufenthG erfasst nur zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 -10 C 15/12 – juris Rn. 35). Gefahren i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG müssen grundsätzlich landesweit drohen, um ein Abschiebungsverbot zu begründen; etwas anderes gilt nur, soweit der Betroffene bei lediglich in Gebietsteilen drohenden Gefahren das sichere Gebiet in seinem Heimatstaat nicht erreichen kann (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 26; B.v. 15.9.2006 – 1 B 116.06 – Rn. 4).
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG können in besonderen Ausnahmefällen auch vorliegen, soweit aufgrund der allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 19) Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Dies wäre insbesondere der Fall, soweit das erforderliche Existenzminimum im Abschiebungszielstaat nicht gewährleistet wäre (vgl. vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 28). Bei dieser Prüfung ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23/26).
bb) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 VwGO im Fall der Klägerin zu 1 und ihrer Kinder nicht gegeben. Eine relevante Gefährdungslage für die Klägerin zu 1 und ihre Kinder ist bei einer Rückkehr in Landesteile der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens – wie ausgeführt – nicht ersichtlich. Insbesondere ist auch das erforderliche Existenzminimum für die Kläger gewahrt; insoweit wird auf die Ausführungen zu § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e AsylG verwiesen.
d) Der Klägerin zu 1 und ihren Kindern steht auch kein nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu.
aa) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwie-genden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich ver-schlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren i.S.v. § 60 AufenthG, denen die Bevölkerungs-gruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Für den Begriff der Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gilt ebenfalls der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2010 – 10 B 20/10 – juris Rn. 6). Gefahren i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG müssen grundsätzlich landesweit drohen, um ein Abschiebungsverbot zu begründen; etwas anderes gilt nur, soweit der Betroffene bei lediglich in Gebietsteilen drohenden Gefahren das sichere Gebiet in seinem Heimatstaat nicht erreichen kann (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 -juris Rn. 38; B.v. 15.9.2006 – 1 B 116.06 – Rn. 4).
Ein Ausländer kann im Hinblick auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen nicht nur mit beachtlicher, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die drohenden Gefahren müssen im Einzelfall nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise alsbald nach der Rückkehr in den Herkunftsstaat ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Nach alledem muss die Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Die drohende Realisierung „alsbald nach der Rückkehr“ bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen; vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage etwa auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 38; U.v. 29.9.2011 – 10 C 23/10 – juris Rn. 22).
Hiervon ausgehend ist Abschiebungsschutz auch bei verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen, soweit in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten ist, dass ein zurückkehrender Ausländer im Heimatland durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit jedenfalls ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren kann (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 39). Bei der gerichtliche Prognose, ob das wirtschaftliche Existenzminimum bei der Rückkehr eines Ausländers i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gefährdet ist, sind u.a. die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland sowie Hilfen staatlicher Stellen und (internationaler) Hilfsorganisationen mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, B.v. 1.10.2001 – 1 B 185/01 – juris Rn. 2; U.v. 8.12.1998 – 9 C 5/98 – juris Rn. 14).
bb) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 VwGO im Fall der Klägerin zu 1 und ihrer Kinder nicht gegeben. Eine relevante Gefährdungslage für die Klägerin zu 1 und ihre Kinder ist bei einer Rückkehr in Landesteile der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens – wie ausgeführt – nicht ersichtlich.
e) Die Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids (Frist: 30 Tage) findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 AsylG, § 38 AsylG und § 59 AufenthG.
2. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.